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BFH-Urteil vom 22.8.1990
(III R 119/89) BStBl. 1991 II S. 6 Eine "Beschäftigung in Berlin (West)" i.S. der §§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 23 Nr. 4 a Sätze 1 und 2 BerlinFG liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung hauptsächlich ortsgebunden in Berlin (West) erbringt und wenn er außerdem mittels dieser Beschäftigung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden ist. Eine Einbindung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) liegt nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer seinen beruflichen Mittelpunkt in Berlin (West) hat; ob diese Voraussetzung gegeben ist, beurteilt sich anhand aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles. BerlinFG §§ 23 Nr. 4a Sätze 1 und 2, 28 Abs. 1 und 29 Abs. 2. Vorinstanz: FG Münster (EFG 1990, 220) Sachverhalt Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat seinen ausschließlichen Wohnsitz in F. Er erzielt als Kraftfahrer Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Den Arbeitsvertrag schloß der Kläger mit seinem Arbeitgeber, einem Speditionsunternehmen, in F, dem Ort der Geschäftsleitung des Arbeitgebers. Seine Bezüge zahlte die Hauptniederlassung des Arbeitgebers in F aus, die auch für den Kläger lohnsteuerliche Betriebstätte war. Der Kläger war in den Streitjahren (1979 bis 1985) ausschließlich als Fernfahrer im Güterverkehr von und nach Berlin (West) tätig. Sein Arbeitgeber unterhielt hier eine weitere Betriebstätte. Eine Versetzung des Klägers zu dieser Westberliner Betriebstätte erfolgte nicht. Mit Antrag vom 18. Februar 1986 begehrte der Kläger für die Lohnabrechnungszeiträume vom 1. Januar 1979 bis zum 31. Dezember 1985 die Festsetzung einer Zulage nach §§ 28, 29 des Berlinförderungsgesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (BerlinFG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) lehnte diesen Antrag - auch im Einspruchsverfahren - ab. Die Klage, mit der der Kläger nur noch die Festsetzung einer Zulage für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis zum 31. Dezember 1985 begehrte, blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete sein in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 220 veröffentlichtes Urteil im wesentlichen damit, daß der Kläger nicht einer Beschäftigung in Berlin (West) nachgegangen sei, da er nicht in den dortigen Arbeitsmarkt eingebunden gewesen sei. Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 28 BerlinFG. Er vertritt die Ansicht, alleinige Voraussetzung für die Gewährung einer Berlinzulage sei, daß der Arbeitnehmer einer nichtselbständigen Arbeit in Berlin (West) aufgrund eines gegenwärtigen Dienstverhältnisses nachgehe. Nicht entscheidend sei, ob der Arbeitgeber in oder außerhalb von Berlin (West) die Geschäftsleitung oder den Sitz habe. Auch sei nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer in Berlin (West) einen Wohnsitz unterhalte. Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des Bescheides vom 17. März 1986 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 1987 die Berlinzulage 1979 bis 1985 auf .... DM festzusetzen. Das FA beantragt, die Revision, soweit mit ihr für die Jahre 1979 bis 1981 eine Berlinzulage begehrt wird, als unzulässig zu verwerfen und im übrigen die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Entscheidungsgründe Hinsichtlich der Jahre 1979 bis 1981 ist die Revision unzulässig; im übrigen ist sie unbegründet. I. Der Kläger hat im Verfahren vor dem FG allein die Festsetzung einer Berlinzulage für die Jahre 1982 bis 1985 begehrt. Nur in diesem Umfang ist eine Entscheidung erster Instanz ergangen. Soweit er nunmehr auch die Festsetzung einer Berlinzulage für die Jahre 1979 bis 1981 begehrt, liegt eine objektive Klageänderung vor, die gemäß § 123 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Revisionsverfahren unzulässig ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. April 1983 IV R 217/82, BFHE 138, 292, BStBl II 1983, 532 unter 4.). II. Für die übrigen Streitjahre (1982 bis 1985) ist die Revision unbegründet. Die Vorinstanz hat zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Berlinzulage nach § 28 BerlinFG verneint. 1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 23 Nr. 4 a Sätze 1 und 2 BerlinFG erhalten Arbeitnehmer, die Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis beziehen, Berlinzulagen. Wird im Rahmen einer solchen Beschäftigung Arbeitslohn für eine vorübergehende Tätigkeit außerhalb von Berlin (West) bezogen, ist Voraussetzung, daß die Arbeitnehmer ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben. Erforderlich ist mithin für die Gewährung einer Berlinzulage stets, daß der Arbeitnehmer einer "Beschäftigung in Berlin (West)" nachgeht. a) Das Tatbestandsmerkmal "Beschäftigung in Berlin West" setzt zunächst voraus, daß der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung hauptsächlich ortsgebunden in Berlin (West) selbst erbringt; eine Beschäftigung, die weit überwiegend außerhalb von Berlin (West) ausgeübt wird, kann diese Anforderungen nicht erfüllen (s. BFH-Urteil vom 5. November 1982 VI R 227/78, BFHE 137, 137, BStBl II 1983, 125). Der Arbeitnehmer muß bei seiner Arbeitsleistung also hauptsächlich in Berlin (West) anwesend sein und hier die Aufgaben erledigen, die ihm von seinem Arbeitgeber übertragen werden (vgl. Bordewin in Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, K § 23 Rdnr. 24). Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes. Das Merkmal "in Berlin (West)" verlangt eine räumliche Beziehung der Beschäftigung zu Berlin (West). Außerdem entspricht diese Auslegung auch einem der mit der Schaffung der Berlinzulage verfolgten Zweck, nämlich Arbeitnehmern einen gewissen Ausgleich für den sog. Standortnachteil von Berlin (West) zu gewähren (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1981 VI R 228/77, BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, 557). Ob ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) erbringt, beurteilt sich nach den gesamten Umständen des mit dem Arbeitgeber bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses. Im Streitfall erscheint es zweifelhaft, ob der Kläger in den Streitjahren aufgrund des zwischen ihm und seinem Arbeitgeber bestehenden Arbeitsverhältnisses seine Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) zu erbringen hatte. Das FG hat lediglich festgestellt, daß der Kläger als Fernfahrer bei einem im Bundesgebiet ansässigen Unternehmen angestellt war und seit 1979 ausschließlich im Güterverkehr von und nach Berlin (West) eingesetzt war. Das spricht gegen eine hauptsächliche Beschäftigung des Klägers in Berlin (West) und mehr dafür, daß der Kläger seine Arbeitsleistung weit überwiegend außerhalb von Berlin (West) erbracht hat. Allerdings hat der BFH mit Urteil vom 15. März 1974 VI R 89/71 (BFHE 112, 207, BStBl II 1974, 442) und mit dem Urteil in BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555 entschieden, daß eine ununterbrochene ortsgebundene Beschäftigung in Berlin (West) vorliegt, wenn ein Arbeitnehmer eines Berliner Betriebes regelmäßig Fahrten von und nach Berlin (West) ausführt. Diese Urteile betreffen jedoch nur Arbeitnehmer (Kraftfahrer) von Berliner Betrieben, die zudem in Berlin (West) zumindest eine zusätzliche Wohnmöglichkeit haben. Der Kläger war nicht Arbeitnehmer eines Berliner Betriebes, sondern er war bei der Hauptniederlassung seines Arbeitgebers in F beschäftigt. Während bei einer Beschäftigung bei einem Berliner Betrieb im Einzelfall unter Umständen noch von einer hauptsächlichen örtlichen Anbindung solcher Fahrten an Berlin (West) als den Betriebsstandort ausgegangen werden kann, ist dies bei einem Kraftfahrer eines Betriebs aus dem Bundesgebiet nicht mehr ohne weiteres der Fall. Er erbringt in der Regel seine Arbeitsleistung nicht hauptsächlich ortsgebunden in Berlin (West). Die Frage kann aber letztlich dahinstehen, denn die Annahme einer Beschäftigung des Klägers in Berlin (West) ist jedenfalls aus einem anderen Grund abzulehnen. b) Eine Beschäftigung in Berlin (West) erfordert nämlich neben einer ortsgebundenen Leistungserbringung, daß der Arbeitnehmer mittels der Beschäftigung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden ist (vgl. BFH in BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, 557). Ob diese Einbindung bei einer vorübergehenden Beschäftigung außerhalb von Berlin (West) gemäß § 23 Nr. 4 a Satz 2 BerlinFG zeitweilig unterbrochen sein kann (vgl. Urteil in BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555), braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden. Einmal setzt eine Unterbrechung begrifflich voraus, daß wenigstens insgesamt eine Einbindung in den Berliner Arbeitsmarkt gegeben ist. Zum anderen scheidet eine Zulagegewährung an den Kläger nach § 28 i.V.m. § 23 Nr. 4 a Sätze 2 und 3 BerlinFG schon deshalb aus, weil der Kläger oder seine Ehefrau nicht ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) hatten. Für die im Streitfall allein entscheidende Regelung in § 23 Nr. 4 a Satz 1 i.V.m. § 28 BerlinFG ergibt sich das Erfordernis der Einbindung in den Berliner Arbeitsmarkt jedenfalls aus einer am Sinn und Zweck der §§ 28 und 23 Nr. 4 a BerlinFG orientierten Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Beschäftigung in Berlin (West)". Wie der VI. Senat des BFH wiederholt hervorgehoben hat, soll die Zulage nicht nur die mit der Situation der Stadt Berlin (West) verbundenen Nachteile ausgleichen, sondern vor allem der Entspannung des Arbeitsmarktes in Berlin (West) durch die Neugewinnung von Arbeitskräften dienen (BFH-Urteile in BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, und vom 24. Februar 1989 VI R 16/88, BFHE 156, 180, BStBl II 1989, 544 am Ende; vgl. auch BTDrucks IV/435 S. 11). Ein Arbeitnehmer soll die Berlinzulage erhalten, der durch seine Arbeitsleistung in Berlin (West) die Nachfrage nach Arbeitskräften entlastet und gleichzeitig als potentieller Arbeitnehmer dem Westberliner Arbeitsmarkt mit seiner Arbeitskraft zur Verfügung steht. Diesen Anforderungen kann ein Arbeitnehmer nicht genügen, der seinen beruflichen Mittelpunkt außerhalb von Berlin (West) hat und lediglich vorübergehend zur Erledigung bestimmter Aufträge oder Geschäfte seines Arbeitgebers (z.B. bei einer Dienstreise) Arbeitsleistungen in Berlin (West) erbringt. § 28 BerlinFG gewährt i.V.m. § 23 Nr. 4 a Satz 2 BerlinFG zwar auch eine Berlinzulage für eine vorübergehende Beschäftigung außerhalb von Berlin (West). Eine Berlinzulage für den umgekehrten Fall einer nur vorübergehenden Tätigkeit in Berlin (West) kennt das BerlinFG aber nicht (vgl. FG Münster, Urteil vom 20. Mai 1976 VIII 116/76 A, EFG 1976, 482). In den Arbeitsmarkt von Berlin (West) ist mithin ein Arbeitnehmer nur dann eingebunden, wenn er dort seinen beruflichen Mittelpunkt hat. Wann dies der Fall ist, muß jeweils anhand aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Ein starkes Indiz hierfür kann z.B. die Beschäftigung bei einem Westberliner Arbeitgeber sein. Zwar ist die Beschäftigung bei einem Westberliner Arbeitgeber keine tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung einer Berlinzulage (so auch FG Berlin, Urteil vom 14. November 1969 III 197/68, EFG 1970, 159, 160, und FG Münster, Urteil in EFG 1976, 482). Weder dem Wortlaut der §§ 28, 23 Nr. 4 a BerlinFG noch den Materialien zu diesen Vorschriften kann ein derartiges Erfordernis entnommen werden. Die Beschäftigung bei einem Unternehmen oder einer Betriebstätte in Berlin (West) deutet aber auf die Einbindung in den Berliner Arbeitsmarkt hin. Deshalb kann im Einzelfall auch die Gewährung einer Berlinzulage an Kraftfahrer eines Berliner Betriebes, die regelmäßig für Fahrten von und nach Berlin (West) eingesetzt werden, gerechtfertigt sein (s. oben unter 1. a). Wenn ein Unternehmen sowohl in Berlin (West) als auch außerhalb von Berlin Betriebstätten hat, kann für die Beurteilung der Frage, wo ein Arbeitnehmer den beruflichen Mittelpunkt hat, von Bedeutung sein, an welchem Ort der Arbeitnehmer betrieblich geführt wird oder wo er seine generellen und speziellen Weisungen zum Arbeitseinsatz erhält. Auch die Art und Ausstattung einer Betriebstätte in Berlin (West) kann für oder gegen die Annahme eines beruflichen Mittelpunktes sprechen. Darüber hinaus kann bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles auch die Tatsache, wo der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat, Gewicht erlangen. Zwar ist der Gesichtspunkt, ob der Arbeitnehmer in Berlin (West) einen Wohnsitz hat oder nicht - abgesehen von § 23 Nr. 4 a Sätze 2 und 3 BerlinFG -, für die Gewährung der Berlinzulage nicht entscheidend (s. BFH in BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, 557 und s. auch FG Münster, Urteil in EFG 1976, 482). Hierauf weist die Revision zutreffend hin. Jedoch kann dieser Gesichtspunkt für die Einbindung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) sprechen. In diesem Zusammenhang stellt sich der Wohnsitz in Berlin (West) nicht als zulagebegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern nur als ein Indiz dar. 2. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Streitfalles war der Kläger nicht in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden. Sein beruflicher Mittelpunkt lag in den Streitjahren in F. Nach den tatsächlichen und den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) war der Kläger bei einem Unternehmen mit Geschäftsleitung außerhalb von Berlin (West) angestellt. Er hat mit seinem Arbeitgeber in F, dem Ort der Geschäftsleitung, den Arbeitsvertrag abgeschlossen. In F wurde der Kläger auch betriebsintern geführt. Das Unternehmen in F stellte für ihn auch die lohnsteuerrechtliche Betriebstätte dar. Trotz der ausschließlichen Tätigkeit des Klägers im Güterverkehr von und nach Berlin (West) blieb er dem Betrieb in F zugeteilt. Eine (förmliche) Versetzung an die Betriebstätte in Berlin (West) wurde nicht vorgenommen. Ebensowenig erfolgte die Begründung eines Wohnsitzes in Berlin (West). |