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  BFH-Urteil vom 23.8.1990 (IV R 61/89) BStBl. 1991 II S. 20

Entwirft ein Industrie-Designer Gebrauchsgegenstände, so können zur Beantwortung der Frage, ob es sich hierbei um eine künstlerische Tätigkeit handelt, neben den zeichnerischen Entwürfen auch die danach gefertigten Produkte herangezogen werden.

EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Industrie-Designer. Die für seine Berufsausübung erforderlichen Kenntnisse hat er sich ohne Hochschul- oder Fachhochschulausbildung selbst angeeignet. Von ihm entworfene Produkte, insbesondere Möbelstücke und Taschen, wurden mehrfach ausgezeichnet. Auf Grund seines hohen Bekanntheitsgrades wird er regelmäßig zur Teilnahme an Wettbewerben aufgefordert.

Die Designer-Tätigkeit des Klägers besteht im wesentlichen in der künstlerischen, technischen und wirtschaftlichen Planung von Gegenständen. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Betreuung und Vertretung der Auftraggeber in allen mit der Planung und der Ausführung zusammenhängenden Fragen nebst Überwachung der Fertigung der sog. Prototypen. Er schließt mit seinen Auftraggebern Lizenzverträge ab, aufgrund derer er für seine Designer-Tätigkeit 3 v.H. der Firmenabgabepreise bezieht.

Anläßlich einer Außenprüfung vertraten der Betriebsprüfer und ihm folgend der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß die Designer-Tätigkeit des Klägers zwar schöpferisch sei, seine Arbeiten jedoch die für die Künstlereigenschaft i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erforderliche Gestaltungshöhe nicht erreichten. Das FA behandelte die Einkünfte des Klägers daher als solche aus gewerblicher Tätigkeit und unterwarf sie für die Streitjahre der Gewerbesteuer. Der Kläger legte gegen die entsprechenden Gewerbesteuermeßbescheide sowie gegen den ebenfalls im Zusammenhang mit der Außenprüfung ergangenen Gewerbesteuer-Zerlegungsbescheid 1976 Einsprüche ein, die das FA nach mündlicher Anhörung eines Sachverständigen als unbegründet zurückwies.

Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen gerichtete Klage aufgrund der schriftlichen Stellungnahme des bereits vom FA befragten Sachverständigen Prof. A und eines weiteren Gutachtens des Prof. B von der Fachhochschule C, Fachbereich Kunst und Design, ab. Es begründete seine Entscheidung damit, daß die vom Kläger vorgelegten zeichnerischen Entwürfe nach dem Urteil beider Sachverständigen nicht als Kunst zu bezeichnen seien. Dagegen komme es entgegen der Ansicht des Klägers nicht darauf an, ob die aus seinen Entwürfen hervorgegangenen Produkte künstlerischen Charakter aufwiesen.

Hiergegen richtet sich die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) zugelassene Revision des Klägers, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Zutreffend hat das FG entschieden, daß der Kläger keinen dem Ingenieur oder Architekten ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt.

Die Voraussetzung, daß der vom Steuerpflichtigen ausgeübte Beruf dem des Ingenieurs oder Architekten sowohl nach der Ausbildung als auch nach der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit vergleichbar sein muß (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118; vom 22. Januar 1988 III R 43-44/85, BFHE 152, 345, BStBl II 1988, 497; vom 5. Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73; vom 12. Oktober 1989 IV R 118-119/87, BFHE 158, 413, BStBl II 1990, 64), ist nicht erfüllt.

Allerdings gibt es - wie sich aus einer in den Akten befindlichen Verlautbarung der Universität H ergibt - eine Designerausbildung, die naturwissenschaftlich-technisch ausgerichtet und entweder architektur- oder maschinenbauorientiert ist. Der Kläger verfügt jedoch nicht über eine solche Ausbildung. Weder besitzt er einen entsprechenden Hochschulabschluß noch hat er dargelegt, auf welche Weise er entsprechende naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse im Selbststudium erworben hat.

Er hat den Nachweis der erforderlichen theoretischen Kenntnisse auch nicht anhand eigener praktischer Arbeiten geführt. Dazu wäre Voraussetzung, daß seine Arbeit so geartet ist, daß sie ohne die Kenntnisse, wie sie normalerweise ein Architekt oder Ingenieur besitzt, gar nicht ausgeübt werden könnte (BFH-Urteil in BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118). Der von ihm hervorgehobene Umstand, daß er ordentliches Mitglied im Verband deutscher Industrie-Designer e.V. ist, was in der Regel eine abgeschlossene Designerausbildung voraussetzt, reicht hierfür nicht aus. Nicht jeder Designer benötigt eine naturwissenschaftlich-technische Ausbildung, wie sie an der Universität H vermittelt wird. Der Beruf läßt sich vielmehr auch aufgrund eines ausgeprägten ästhetischen Empfindens, handwerklichen Könnens, Gespür für Modetrends und Marktentwicklung ausüben. Insbesondere für den Entwurf von Möbeln und Lederwaren ist nicht erkennbar, daß naturwissenschaftlich-technische Kenntnisse unerläßlich sind.

2. Die Feststellungen des FG reichen für die Beantwortung der Frage, ob der Kläger in den Streitjahren künstlerisch i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG tätig war, nicht aus.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, an der der Senat festhält, schließen auch im Grenzbereich zwischen Kunst und Gewerbe der gewerbliche Verwendungszweck und die bestimmungsgemäße Verwendung als Gebrauchsgegenstand die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit nicht aus, wenn die Arbeiten nach ihrem Gesamtbild eigenschöpferisch sind und über eine hinreichende Beherrschung der Technik hinaus eine bestimmte künstlerische Gestaltungshöhe erreichen (BFH-Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 76/75, BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474 m.w.N.). Von diesem Grundsatz ist auch das FG ausgegangen. Der Senat kann ihm jedoch nicht folgen, wenn es fordert, daß sich die künstlerische Gestaltungshöhe der Arbeiten eines Designers in seinen Entwürfen (Zeichnungen) wiederzuspiegeln habe und das fertige Produkt für die Beurteilung nicht herangezogen werden dürfe. Das FG verkennt die Funktion des zeichnerischen Entwurfs.

Die dem FG vom Kläger vorgelegten Zeichnungen dienten dazu, dem Hersteller genaue Anweisungen zu geben, wie das Produkt herzustellen ist. Sie enthalten deshalb u.a. Maße, Farb- und Materialangaben. Man kann diese Art von Zeichnungen als Konstruktionszeichnungen bezeichnen (vgl. Rainer Schmidt, Urheberrecht und Vertragspraxis des Grafik-Designers 1983, S. 129 ff.). Die Konstruktionszeichnung stellt sich wegen ihrer technischen Zweckbestimmung regelmäßig ebensowenig als Kunstwerk dar, wie etwa der Plan eines Architekten. Das bedeutet jedoch nicht, daß die Arbeit des Entwerfenden allein deshalb nicht als künstlerisch anzusehen ist. Denn der eigenschöpferische Charakter und die künstlerische Gestaltungshöhe einer Arbeit kann beispielsweise gerade in der Wahl der Materialien, der Farbgebung oder der Raumwirkung liegen, die bei Betrachtung der Konstruktionszeichnung naturgemäß allenfalls mittelbar erkennbar sind. Deshalb kann bei demjenigen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat (dreidimensionale) Gegenstände zu entwerfen, die Künstlereigenschaft nicht davon abhängen, daß er diese Gegenstände zusätzlich in einer Zeichnung darstellt, die als solche die Voraussetzungen erfüllt, die an ein (zweidimensionales) Kunstwerk zu stellen sind.

Das Ergebnis, daß bei der Beurteilung der Arbeiten eines Designers nicht nur auf die Entwürfe, sondern auch auf das fertige Produkt abzustellen ist, wird bestätigt durch die Rechtsprechung und herrschende Literaturmeinung zum Urheberrechtsschutz.

Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zum Urheberrechtsschutz bei Gegenständen des Kunstgewerbes weist insoweit Ähnlichkeit mit der Rechtsprechung des BFH zur künstlerischen Qualität der Arbeiten eines Gebrauchsgrafikers auf, als auch der Bundesgerichtshof (BGH) - im Gegensatz zu bloß geschmacksmusterschutzfähigen Erzeugnissen - fordert, daß sich in dem betreffenden Werk unabhängig von seinem Gebrauchswert eine Gestaltungshöhe offenbart, die es rechtfertigt, das Erzeugnis unter die Werke der bildenden Kunst einzuordnen (vgl. BGH-Urteil vom 27. Februar 1961 I ZR 127/59, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1961, 1210; Lindenmaier-Möhring - Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 2 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie - KunstUrhG - Nr. 5 m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen hat es der BGH beispielsweise für möglich gehalten, daß auf dem Gebiet der Mode Zeichnungen, Entwürfe und Schnittmuster sowie nach diesen Vorlagen angefertigte Modelle unter Kunstschutz stehen (Urteil vom 14. Dezember 1954 I ZR 65/53, BGHZ 16, 4 "Mantelmodell"). Auch bei nicht alltäglichen Möbeln hat der BGH urheberrechtlichen Werkschutz bejaht (BGH-Urteil vom 10. Dezember 1986 I ZR 15/85, NJW 1987, 2678 "Le-Corbusier-Möbeln").

Daraus, daß der BGH im Urteil in BGHZ 16, 4 auch Entwürfe und Schnittmuster als urheberrechtlich geschützt angesehen hat, wird gefolgert, daß bei Konstruktionszeichnungen die künstlerische Gestaltungshöhe nicht nur aus der Zeichnung selbst sondern auch aus dem nach ihr herzustellenden Gegenstand hervorgehen kann (Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 7. Aufl. 1988, § 2 des Urheberrechtsgesetzes - UrhG - Rdnr. 85; v. Gramm, Urheberrechtsgesetz 1968, § 2 Rdnr. 24; Hereth, NJW 1963, 2256). Ausdrücklich findet sich diese Aussage in dem zu einem Bauwerk ergangenen BGH-Urteil vom 29. März 1957 I ZR 236/55 (BGHZ 24, 55, NJW 1957, 1108 "Ledigenheim").

3. Das FG hat - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, ob die zu fordernde künstlerische Gestaltungshöhe aus den vom Kläger entworfenen Produkten zu erkennen ist. Diese Feststellungen werden im zweiten Rechtszug nachzuholen sein. Da das FG bisher seine eigene Sachkunde nicht als ausreichend angesehen hat, bietet sich die Einholung eines Ergänzungsgutachtens des Prof. B an. Das Gutachten muß so gehalten sein, daß es dem Gericht die Bildung einer sicheren Überzeugung ermöglicht (BFH-Urteil in BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474 a.E.). Es wird sich daher mit dem naheliegenden Einwand auseinandersetzen müssen, daß Gebrauchsgegenstände infolge des notwendig einzuhaltenden Gebrauchszwecks und der dadurch bedingten Formgestaltung häufig nur einen begrenzten Eigentümlichkeitsgrad erreichen (vgl. v. Gramm, a.a.O., Rdnr. 21). Demgemäß hat der BFH darauf hingewiesen, daß die Erzeugnisse eines Gebrauchsgrafikers u.a. dann nicht Ausdruck seiner individuellen Anschauungsweise und Gestaltungskraft sind, wenn sie beispielsweise nur einer neuen Moderichtung, einem neuen Stilgefühl folgen oder wenn die Formgebung aus dem allgemeinen Formenschatz entnommen ist oder auf bekannte Vorbilder zurückgeht. Das gilt auch dann, wenn die Erzeugnisse zwar eigenartig oder technisch vollendet sind und gutes oder sogar bestes handwerkliches Können zeigen, solange sie geforderte künstlerische Gestaltungshöhe vermissen lassen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1960 V 96/59 S, BFHE 71, 549, BStBl III 1960, 453).

Im Streitfall drängt sich bei Betrachtung der zu den Akten gereichten Prospekte der Eindruck auf, daß jedenfalls die Mehrzahl der vom Kläger entworfenen Produkte lediglich in den Bereich ansprechend gestalteter Gebrauchsgegenstände einzuordnen ist. Daher erscheint es fraglich, ob einige prämierte Objekte - selbst wenn sie die erforderliche Gestaltungshöhe erreichen sollten - geeignet sind, die Tätigkeit des Klägers in ihrem Gesamtbild als künstlerisch erscheinen lassen.