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BFH-Urteil vom 31.7.1990
(I R 116/88) BStBl. 1991 II S. 22 Trägt ein Steuerpflichtiger in seinen Gewerbesteuererklärungen den nach § 10a GewStG zu kürzenden Verlust früherer Jahre nicht ein und berücksichtigt deshalb das FA die Verluste nicht, so sind die Gewerbesteuermeßbescheide nicht "offenbar unrichtig" i.S. des § 129 AO 1977. GewStG § 10a; AO 1977 § 129. Vorinstanz: FG Nürnberg Sachverhalt I. Streitig ist, ob Gewerbesteuer-Meßbescheide wegen offenbarer Unrichtigkeit geändert werden können. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Kreditgenossenschaft. In ihrer Gewerbesteuererklärung 1980 erklärte sie einen Verlust aus Gewerbebetrieb. Sie vermerkte in der Zeile 46 des Erklärungsvordrucks unter dem Stichwort: Gewerbeverlust: "Verlustrücktrag nach 1979 201.255 DM". Im Gewerbesteuer-Meßbescheid 1980 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Steuermeßbetrag nach dem Gewerbeertrag auf 0 DM fest.In den Gewerbesteuererklärungen für die Streitjahre 1981 bis 1983 erklärte die Klägerin positive Gewerbeerträge. In den Erklärungen 1981 und 1982 waren in den Zeilen "Gewerbeverlust aus den" (vorangegangenen) "Erhebungszeiträumen" waagerechte Striche angebracht. In der Gewerbesteuererklärung 1983 waren die entsprechenden Zeilen nicht ausgefüllt. Das FA erließ für die Streitjahre Gewerbesteuer-Meßbescheide, in denen der Verlust 1980 unberücksichtigt blieb. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Am 3. Mai 1985 beantragte die Klägerin, die Gewerbesteuer-Meßbescheide der Streitjahre wegen des Verlustes 1980 zu berichtigen. Sie habe irrtümlich in der Gewerbesteuererklärung 1980 einen Rücktrag des Gewerbeverlustes beantragt. Erst im Rahmen der Prüfung des Jahresabschlusses 1984 habe sie festgestellt, daß die erwartete Gewerbesteuer-Erstattung noch immer in der Bilanz aktiviert gewesen sei. Das FA lehnte am 16. Juli 1985 eine Berichtigung der Gewerbesteuer- Meßbescheide ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, der das Finanzgericht (FG) stattgab. Das FG hielt eine Berichtigung der Gewerbesteuer-Meßbescheide 1981 bis 1983 wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 129 der Abgabenordnung (AO 1977) für geboten. Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung der §§ 129, 88 AO 1977. Die Gewerbesteuer-Meßbescheide 1981 bis 1983 enthielten keine offenbaren Unrichtigkeiten. Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet abzuweisen. Entscheidungsgründe II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Vorentscheidung beruht auf einer unzutreffenden Auslegung des § 129 AO 1977. 1. Nach § 129 AO 1977 kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. "Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten" in diesem Sinne müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h. es muß sich um mechanische Versehen handeln, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, 486, BStBl II 1984, 785 m.w.N.). 2. Die Gewerbesteuer-Meßbescheide 1981 bis 1983 können nicht aufgrund § 129 AO 1977 berichtigt werden. a) Die Bescheide waren zwar "unrichtig" im Sinne des § 129 AO 1977, da sie die nach § 10a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zwingend und von Amts wegen vorzunehmende Kürzung um den Fehlbetrag des Erhebungszeitraums 1980 nicht enthielten. Der Fehlerhaftigkeit steht nicht entgegen, daß die Bescheide den unrichtigen Steuererklärungen der Klägerin entsprachen, die irrigerweise in die vorgesehenen Zeilen des Erklärungsvordrucks keine Vorjahresverluste eingetragen hatte. Eine "beim Erlaß des Verwaltungsakts unterlaufene Unrichtigkeit" muß zwar grundsätzlich in der Sphäre der den Bescheid erlassenden Behörde entstanden sein (BFH-Urteile vom 1. Juli 1954 IV 444/53 U, BFHE 59, 146, BStBl III 1954, 265, und in BFHE 141, 485, 486, BStBl II 1984, 785). Eine offenbare Unrichtigkeit kann jedoch auch vorliegen, wenn das FA eine in der Steuererklärung enthaltene offenbare, d.h. für das FA erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernimmt (BFH-Urteile vom 25. Februar 1972 VIII R 141/71, BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550; in BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785). b) Die Bescheide enthalten jedoch keine "beim Erlaß eines Verwaltungsakts unterlaufene" offenbare Unrichtigkeit. Das FA hat die in den Gewerbesteuererklärungen der Klägerin enthaltenen Unrichtigkeiten nicht als "eigene" übernommen. Die Unrichtigkeit der Erklärungen der Klägerin wäre für den zuständigen Sachbearbeiter des FA nur erkennbar gewesen, wenn er die Steuererklärung des Jahres 1980 bei der Veranlagung der Streitjahre zugezogen hätte. Soweit das FA auf Vorakten zurückgreifen muß, liegt grundsätzlich keine offenbare Unrichtigkeit vor. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen. In solchen Fällen hat das FA zwar möglicherweise seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht zuungunsten des Steuerpflichtigen ist aber nicht mit einer offenbaren Unrichtigkeit gleichzusetzen (BFH in BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550). Sie schließt vielmehr in der Regel eine offenbare Unrichtigkeit aus (BFH-Urteil vom 18. April 1986 VI R 4/83, BFHE 146, 350, 355, BStBl II 1986, 541, 544). c) Der Senat weicht mit dieser Auffassung entgegen der Meinung der Klägerin nicht von den Urteilen des BFH in BFHE 105, 234, BStBl II 1972, 550, 552; BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785, 786, und BFHE 146, 350, 355, BStBl II 1986, 541, 544 ab. In diesen Entscheidungen hat der BFH eine offenbare Unrichtigkeit des auf unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen beruhenden Bescheides bejaht, wenn der Fehler zwar nicht aus der Steuererklärung selbst, wohl aber aus den der Steuererklärung beigefügten Unterlagen (z.B. Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen) oder aus einer das Veranlagungsjahr betreffenden Kontrollmitteilung erkennbar war. In sämtlichen Fällen handelte es sich aber um Unterlagen, die das Veranlagungsjahr selbst betrafen, also bei der Veranlagung mit zu prüfen waren. 3. Auf die Frage eines - im Streitfall nicht erkennbaren - und eine offenbare Unrichtigkeit ebenfalls ausschließenden Rechtsirrtums des FA (vgl. BFH-Urteile vom 2. August 1974 VI R 137/71, BFHE 113, 169, BStBl II 1974, 727; vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, 352; vom 24. Mai 1977 IV R 44/74, BFHE 122, 393, BStBl II 1977, 853, 854, und vom 10. September 1987 V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 129 AO 1977 Tz. 2; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, § 129 Anm. 2) kommt es nicht an, da eine offenbare Unrichtigkeit bereits nach den Ausführungen in Abschnitt II Nr. 2 ausscheidet. 4. Für eine Änderungsmöglichkeit der Bescheide aufgrund der §§ 172 bis 177 AO 1977 bietet der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. |