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BFH-Urteil vom 5.10.1990
(III R 19/88) BStBl. 1991 II S. 45 Vereinbarungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt sind zulässig (Anschluß an BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354). Voraussetzung für die Verbindlichkeit einer solchen Vereinbarung ist u.a., daß auf Seiten der Finanzbehörde ein für die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger beteiligt ist. AO 1977 § 78 Nr. 3, § 85, § 162 Abs. 1. Vorinstanz: Hessisches FG (EFG 1988, 274) Sachverhalt Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden für das Streitjahr 1975 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger betrieb seit dem 1. Januar 1975 eine Agentur. In der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1975 führte er keine Aufzeichnungen über seine Betriebseinnahmen und -ausgaben; eine Buchführung richtete er erst am 1. April 1975 ein. Im Rahmen einer beim Kläger für die Jahre 1975 bis 1978 durchgeführten Betriebsprüfung fand am 17. Dezember 1980 eine Schlußbesprechung statt, an der auf Seiten des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) der Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstelle sowie der Prüfer teilnahmen. Während der Schlußbesprechung einigten sich der Bevollmächtigte des Klägers und die anwesenden Vertreter des FA auf eine Vollschätzung des Gewinns für das gesamte Jahr 1975 in Höhe von 15 v.H. des ermittelten Umsatzes. Einen Tag später widerrief das FA seine Einigungserklärung. In dem Änderungsbescheid vom 29. Juni 1981 setzte es als Gewinn anstelle des Betrags, auf den sich die Beteiligten zunächst geeinigt hatten, einen höheren Betrag an. Gegen den Änderungsbescheid vom 29. Juni 1981 wurde im Namen beider Kläger am 7. Juli 1981 Einspruch eingelegt. Die Kläger machten u.a. geltend, über die Höhe des zu schätzenden Gewinns sei im Rahmen der Schlußbesprechung Einvernehmen erzielt worden. Das FA sei an diese Einigung gebunden. Es seien keine gewichtigen Gründe erkennbar, weshalb das FA die einvernehmliche Tatsachenwürdigung nunmehr als unzutreffend ansehe und der Besteuerung andere als die vereinbarten Besteuerungsmerkmale zugrunde lege. Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 21. Dezember 1981 als unbegründet zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung erging ausschließlich gegenüber dem Kläger. Die - von beiden Klägern erhobenen - Klagen hatten keinen Erfolg. Zur Zulässigkeit der Klagen führte das Finanzgericht (FG) in seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 274 abgedruckten Entscheidung aus, hinsichtlich der von der Klägerin erhobenen Klage fehle es zwar an einem abgeschlossenen Vorverfahren i.S. des § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Diese Klage sei aber als Untätigkeitsklage i.S. des § 46 Abs. 1 FGO zulässig. Die Klagen seien unbegründet. Das FA sei an die im Rahmen der Schlußbesprechung erzielte Einigung über die Höhe der Betriebsausgaben nicht gebunden. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76 (BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354) könne zwar zwischen dem FA und dem Steuerpflichtigen eine Vereinbarung über die tatsächliche Höhe der Betriebsausgaben in verbindlicher Weise getroffen werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch u.a., daß an einer solchen Vereinbarung die Stelle des FA mitwirken müsse, die hierfür zuständig sei. Es genüge nicht, die Vereinbarung nur mit dem Außenprüfer zu treffen; vielmehr müsse auch der zuständige Veranlagungsbedienstete einbezogen werden. Denn die Sachverhaltsermittlung, auf die sich die Vereinbarung beziehe, lasse sich nicht immer klar von der Entscheidung über den Steueranspruch als Akt der Rechtsanwendung trennen. Eine Entscheidung über den Steueranspruch stehe aber - abgesehen von den Fällen der veranlagenden Außenprüfung - nur der Veranlagungsstelle zu. Deshalb hätte auch im Streitfall der zuständige Veranlagungssachgebietsleiter bereits im Vorfeld der eigentlichen Steuerfestsetzung an der tatsächlichen Verständigung beteiligt sein müssen. Dies sei nicht geschehen. Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassenen - Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie sind der Auffassung, daß eine Vereinbarung zum Sachverhalt zwar nur mit der zuständigen Behörde getroffen werden könne. Zuständig sei im Streitfall aber das beklagte FA insgesamt; die Betriebsprüfungsstelle als Bestandteil dieser Behörde habe deshalb die Vereinbarung über die Schätzung der Betriebsausgaben wirksam treffen können. Die Kläger beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und den Klagen stattzugeben. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Entscheidungsgründe Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zu Recht entschieden, daß beide Klagen zulässig sind. Dem FG ist auch darin zu folgen, daß der Vereinbarung über die Höhe der Schätzung keine verbindliche Wirkung zukommt. 1. Die von der Klägerin erhobene Klage ist zulässig, obwohl sich die vorausgegangene Einspruchsentscheidung nicht gegen sie richtete und es deshalb insoweit i.S. des § 44 Abs. 1 FGO an einer Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf fehlte. Nach § 44 Abs. 1 FGO ist in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Klage - vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO - nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Abweichend von der Vorschrift des § 44 FGO ist die Klage ohne vorherigen Abschluß des Vorverfahrens allerdings dann zulässig, wenn über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (§ 46 Abs. 1 FGO). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Ohne daß der Klägerin mitgeteilt wurde, weshalb über ihren Einspruch nicht entschieden worden ist (zur "Mitteilung eines zureichenden Grundes" vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 46 Anm. 18 ff.), hat das FA in einer "angemessenen Frist" keine Einspruchsentscheidung getroffen. Da die Einspruchsentscheidung gegenüber der Klägerin zum selben Zeitpunkt hätte ergehen können wie gegenüber dem Kläger, kann ohne nähere Prüfung der Umstände davon ausgegangen werden, daß in diesem Zeitpunkt auch hinsichtlich des Einspruchs der Klägerin bereits eine angemessene Frist verstrichen war. Die Klage kann zwar nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO grundsätzlich nicht "vor Ablauf von sechs Monaten seit Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs" erhoben werden. Sie kann aber, wenn sie vor Ablauf dieser Sechsmonatsfrist erhoben wird, "in die Zulässigkeit hineinwachsen". Läuft die Sechsmonatsfrist noch vor der mündlichen Verhandlung vor dem FG ab, so ist der Mangel geheilt (BFH-Urteile vom 13. Oktober 1977 V R 57/74, BFHE 124, 2, BStBl II 1978, 154, und vom 17. Mai 1985 III R 213/82, BFHE 143, 509, BStBl II 1985, 521; Gräber/von Groll, a.a.O., § 46 Anm. 13 m.w.N.). 2. Dem FG ist auch darin beizupflichten, daß sich die Kläger nicht auf die anläßlich der Schlußbesprechung getroffene Vereinbarung über die Höhe der Schätzung berufen können. a) Eine gesetzliche Regelung der Frage, unter welchen Voraussetzungen im Steuerrecht Verträge zwischen der Finanzbehörde und dem Steuerpflichtigen geschlossen werden können, gibt es nur für Ausnahmefälle (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 78 AO Tz. 8). Deshalb werden Steuervereinbarungen (Steuerverträge, Steuervergleiche, Steuerabsprachen) nach überwiegender Auffassung, die auch vom BFH vertreten wird (BFH-Urteil in BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354) grundsätzlich als unzulässig angesehen (Tipke/Kruse, a.a.O., § 85 AO Tz. 11 m.w.N.). Begründet wird diese Auffassung mit der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung. Nach § 85 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) sind die Finanzbehörden verpflichtet, "die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben". Das schließt Vereinbarungen über einen Steueranspruch aus. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung des BFH (BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354) nur für Verständigungen über den der Steuerfestsetzung zugrunde zu legenden Sachverhalt. Solche "Verständigungen" sieht der BFH - im Gegensatz zu Vergleichen über den Steueranspruch - für zulässig und unter gewissen Voraussetzungen auch für bindend an. Der erkennende Senat folgt dieser - in der Literatur (vgl. von Bornhaupt, Betriebs-Berater - BB - 1985, 1591; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 38 AO Tz. 69 ff.; Knepper, BB 1986, 168; Martens, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1986, 97; Rößler, BB 1986, 1075; Sangmeister, BB 1988, 609, 612; Tipke/Kruse, a.a.O., § 85 AO Tz. 11; Vogel, Handels- und Steuerrecht, Festschrift für Döllerer S. 617; Wassermeyer, Finanz-Rundschau - FR - 1987, 513, 521) allerdings umstrittenen - Rechtsprechung. Er geht dabei vor allem von der Erwägung aus, daß mit dieser Rechtsprechung einem unabweisbaren praktischen Bedürfnis Rechnung getragen wird. Insbesondere bei Schlußbesprechungen bedarf es der Möglichkeit, Ungewißheiten und Unklarheiten auf tatsächlichem Gebiet - wie sie vor allem bei Schätzungen auftreten - in einvernehmlicher Weise auszuräumen. In vielen derartigen Fällen wäre es unangemessen, die Ungewißheiten mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Mitteln und Zeit beseitigen zu wollen und möglicherweise einen zeitraubenden Prozeß mit erheblichen Prozeßkostenrisiken und mit für beide Seiten ungewissem Ausgang zu führen. Der Senat läßt dahinstehen, welche Voraussetzungen im einzelnen gegeben sein müssen, damit eine Vereinbarung über Sachverhaltsunklarheiten und -ungewißheiten als bindend anzusehen ist (vgl. hierzu Anmerkung zum BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76 in Höchstrichterlicher Finanzrechtsprechung - HFR - 1985, 213). Jedenfalls setzt eine wirksame Sachverhaltsvereinbarung voraus, daß auf Seiten der Finanzbehörde an der Vereinbarung ein Amtsträger beteiligt ist, der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständig ist (so auch Offerhaus, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp - 1985, 170). Nach der innerbehördlichen Organisation wird dies in der Regel ein für die Veranlagung zuständiger Beamter (Sachgebietsleiter, Vorsteher) sein (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1967 VI R 67/66, BFHE 89, 381, BStBl III 1967, 685, zur Vertretung des FA bei Erteilung einer Zusage); unter Umständen kommt auch der Leiter der Rechtsbehelfsstelle in Betracht. Auf die Beteiligung eines solchen Amtsträgers kann auch für den Fall, daß die Vereinbarung im Rahmen einer Außenprüfung - insbesondere bei einer Schlußbesprechung - zustande kommt, nicht verzichtet werden. Zwar handelt auch ein Prüfer, soweit er ermittelnd tätig wird, für die Finanzbehörde; er hat aber - von den Fällen der veranlagenden Außenprüfung abgesehen (hierzu Schick in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 195 Tz. 40; Tipke/Kruse, a.a.O., vor § 193 Tz. 9 a.E.) - keine Entscheidungsbefugnis. Das von ihm Ermittelte dient lediglich als Grundlage für die Festsetzung der Steuer durch die Veranlagungsbeamten (Schick, a.a.O., § 195 AO Tz. 32). Dem entspricht es, wenn in § 11 Abs. 2 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - vom 17. Dezember 1987 (BStBl I 1987, 802) vorgeschrieben ist: "Der Steuerpflichtige ist zu unterrichten, ob an der Schlußbesprechung ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger teilnimmt". b) Geht man im Streitfall von dieser Rechtsauffassung aus, so kann die anläßlich der Schlußbesprechung über die Schätzung getroffene Vereinbarung nicht als wirksam angesehen werden. Denn an dieser Einigung waren auf Seiten des FA lediglich der Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstelle und der Prüfer, nicht aber ein für die Festsetzung der Steuer entscheidungsbefugter Beamter beteiligt. Deshalb war das FA an die Einigung nicht gebunden. Auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben kommt eine Bindung des FA nicht in Betracht. Ein durch eine Zusage geschaffener Vertrauenstatbestand könnte nur dann zu einer Verpflichtung der Finanzverwaltung führen, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde disponiert hat (BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121). Selbst wenn man im Streitfall in dem Ergebnis der Einigung eine "Zusage" sehen wollte, könnte eine Bindung hieran schon mangels irgendwelcher Dispositionen des Klägers nicht eingetreten sein. Bei dieser Sachlage war das FA berechtigt, beim Erlaß des Änderungsbescheids für das Streitjahr andere Schätzungsergebnisse zugrunde zu legen als diejenigen, auf die sich die Einigung bezog. |