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BFH-Urteil vom 14.11.1990 (II R 255/85) BStBl. 1991 II S. 49

1. Ein Erbschaftsteuerbescheid, mit dem lediglich Erbschaftsteuer aufgrund Vermächtnisanfalls und/oder aufgrund Erwerbs infolge Vertrags des Erblassers zugunsten des Erwerbers auf den Todesfall festgesetzt wird, kann dem Testamentsvollstrecker nicht mit Wirkung für und gegen den Steuerschuldner bekanntgegeben werden.

2. Der in der fehlerhaften Bekanntgabe eines Steuerbescheids liegende Mangel, der die Unwirksamkeit des Bescheids bewirkt, kann durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden mit der Folge, daß der ursprüngliche - unwirksame - Verwaltungsakt nur in der Gestalt der - wirksamen - Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf vom Gericht auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen ist.

3. Die Anfechtung eines unwirksamen Bescheids führt nicht zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO 1977.

ErbStG 1974 § 31 Abs. 5, § 32 Abs. 1 Satz 1; AO 1977 § 122 Abs. 1, § 171 Abs. 3; FGO § 44.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG (BB 1989, 764)

Sachverhalt

Die Klägerin war mit dem am 21. April 1977 verstorbenen Erblasser verheiratet. Für die Ehe, aus der zwei Töchter hervorgegangen sind, galt der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft.

Aufgrund vom Erblasser abgeschlossener vertraglicher Vereinbarungen fiel der Klägerin mit dessen Tod ein Anspruch auf eine Versorgungsrente in Höhe von monatlich 12.000 DM zu. Mit drei verschiedenen Versicherungsunternehmen hatte der Erblasser vier Lebensversicherungen abgeschlossen und bestimmt, daß die Versicherungsleistungen bei Eintritt des Erbfalls zur Abgeltung der Erbschaftsteuer dienen und im übrigen der Klägerin ausgezahlt werden sollten (sog. Erbschaftsteuerversicherungen). Bei Eintritt des Erbfalls wurden Versicherungsleistungen im Gesamtbetrag von 1.645.599,53 DM fällig.

Der Erblasser hatte mit der Klägerin einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen, der mit Vertrag vom 25. Februar 1977 neu gefaßt wurde. Die Eheleute haben darin ihre Töchter zu gleichen Teilen als Alleinerben eingesetzt. Der Erblasser bestimmte die Herren X und Y zu gemeinschaftlichen Testamentsvollstreckern. Weiter wurde vereinbart, daß ein etwa der Klägerin zustehender Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns im Falle seiner Geltendmachung nach Auflösung der Ehe durch den Tod des Erblassers durch Übertragung von Vermögenswerten in Höhe von 10 Mio DM (darunter das gesamte Grundvermögen) und durch die Bestellung eines lebenslangen Nießbrauchs an dem Restvermögen des Nachlasses erfüllt und abgegolten werde.

In einem vom Ehe- und Erbvertrag ausdrücklich unberührt bleibenden gemeinschaftlichen Testament vom 15. August 1973 mit Änderung vom 25. Februar 1977 setzten der Erblasser und die Klägerin sich gegenseitig zu Vollerben ihres Hofes H ein. Ferner setzte der Erblasser der Klägerin ein Vorausvermächtnis in Höhe von 1 Mio DM aus, das der Erhaltung bzw. Abwicklung des Hofes dienen sollte.

Den Testamentsvollstreckern wurde am 5. Mai 1977 Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt. Im Juli 1977 ging beim Finanzamt (FA) eine von beiden Testamentsvollstreckern unterzeichnete Erbschaftsteuererklärung ein.

Unter dem 12. September 1977 erließ das FA einen den Erwerb der Klägerin von Todes wegen betreffenden Erbschaftsteuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -), in dem es nach einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 2.767.000 DM Erbschaftsteuer in Höhe von 332.040 DM festsetzte. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es: "Der Erwerb von Frau .... ist wie folgt ermittelt worden:

1.    Kapitalwert der

       Versorgungsbezüge                                                                      715.104 DM

  

2.    Vorvermächtnis gemäß

       gemeinschaftlichem Testament

       vom 15. August 1973

       (1/2 Anteil Hof H

        und Barzuwendung)                                                                  1.022.050 DM

  

3.    Zugewinnausgleich gemäß

     Erbvertrag vom

     25. Februar 1977 steuerfrei

                                                                                                         ------------------

       Zwischensumme                                                                       1.737.154 DM

  

4.    Erbschaftsteuerversicherungen

        

     Gesamtbetrag                                            1.645.599,53 DM

       davon begünstigt                                         115.668,85 DM

       nicht begünstigt                                        1.529.930,68 DM        1.529.930 DM

                                                                         ----------------------          ------------------

Erwerb insgesamt                                                                             3.267.084 DM

abzüglich Freibeträgen                                                                         500.000 DM

                                                                                                         ------------------

steuerpflichtiger Erwerb                                                                    2.767.000 DM."

Den Erbschaftsteuerbescheid gab das FA dem Testamentsvollstrecker X bekannt.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsentscheidung vom 29. März 1982 unter gleichzeitiger Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurückwies. In der gegen die Klägerin ergangenen Einspruchsentscheidung werden die Höhe der festgesetzten Steuer sowie die Berechnung des steuerpflichtigen Erwerbs wiedergegeben. Mit der Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Erbschaftsteuerbescheids sowie der Einspruchsentscheidung. Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Erwerb sei zu Unrecht der Steuer unterworfen worden, weil er Bestandteil der steuerfreien Ausgleichsforderung der Klägerin sei. Hilfsweise macht die Klägerin geltend, die Versorgungsbezüge im Kapitalwert von 715.104 DM seien steuerfrei.

Nachdem das Finanzgericht (FG) in der mündlichen Verhandlung die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, daß Bedenken bezüglich der Wirksamkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids bestehen könnten, hat das FG der Klage stattgegeben. Seine Entscheidung hat es darauf gestützt, daß einerseits der Erbschaftsteuerbescheid mangels Bekanntgabe an die Klägerin als Steuerschuldnerin nicht wirksam geworden und zum anderen deshalb nichtig sei, weil der Steuerschuldner im Bescheid nicht hinreichend bestimmt worden sei. Seine Entscheidung ist in Betriebs-Berater (BB) 1989, 764 ff. veröffentlicht.

Mit der Revision beantragt das FA, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Im Ergebnis zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Erbschaftsteuerbescheid vom 12. September 1977, der im übrigen nur einem der gemeinschaftlich bestellten Testamentsvollstrecker bekanntgegeben wurde, der Klägerin gegenüber keine Wirksamkeit erlangt hat.

Hat der Testamentsvollstrecker die Steuererklärung abgegeben (§ 31 Abs. 5 des Erbschaftsteuergesetzes - ErbStG - 1974), so ist nach § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 der Steuerbescheid "abweichend von § 122 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung dem Testamentsvollstrecker .... bekanntzugeben". Das FG vertritt die Ansicht, diese Vorschrift sei dahin zu verstehen, der Bescheid sei nicht nur dem Erwerber, sondern auch dem Testamentsvollstrecker bekanntzugeben. Dieser Auffassung schließt sich der Senat aus den Gründen seiner Entscheidung vom 14. November 1990 II R 58/86 (BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52) nicht an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Entscheidung verwiesen.

§ 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974 kann jedoch im Hinblick auf die bürgerlich-rechtlich vorgeprägte beschränkte Funktion des Testamentsvollstreckers nicht dahingehend verstanden werden, daß dem Testamentsvollstrecker die Erbschaftsteuerbescheide als Zugangsvertreter für alle diejenigen Personen, denen aus Anlaß des Erbfalls ein der Erbschaftsteuer unterliegender Erwerb von Todes wegen angefallen ist, mit Wirkung für und gegen diese bekanntzugeben sei (so allerdings Schreiben des BMF vom 14. August 1986, BStBl I 1986, 458 - 470 - unter Tz. 2.14.4.2.). Die nicht eindeutige Vorschrift ist unter Berücksichtigung der zivilrechtlich begründeten Zielvorstellung (vgl. Gesetzesbegründung, BTDrucks VI 3418, S. 76) im Wege einschränkender Auslegung vielmehr dahingehend zu interpretieren, daß Erbschaftsteuerbescheide nach Erfüllung der dem Testamentsvollstrecker auferlegten Erklärungspflicht (§ 31 Abs. 5 ErbStG 1974) diesem als Zugangsvertreter mit Wirkung lediglich für diejenigen Personen bekanntzugeben sind, die als Erben am Nachlaß teilhaben. Dagegen kann der Vorschrift nicht die Bedeutung zugemessen werden, auch in bezug auf Erbschaftsteuerbescheide, mit denen Erbschaftsteuer lediglich wegen des Erwerbs eines schuldrechtlichen Anspruchs erbrechtlicher Natur oder wegen des Erwerbs aufgrund Vertrages des Erblassers mit einem Dritten zugunsten des Erwerbers auf den Todesfall festgesetzt wird, sei der Testamentsvollstrecker als Zugangsvertreter anzusprechen. Denn in diesen Fällen obliegen dem Testamentsvollstrecker kraft seines privaten Amtes entweder keinerlei zivilrechtliche Pflichten oder lediglich die Verpflichtung, im Zuge der Ausführung des Willens des Erblassers derartige Nachlaßverbindlichkeiten zu erfüllen bzw. die Vollstreckung in den Nachlaß zu dulden. In irgendwelchen sonstigen Beziehungen steht der Testamentsvollstrecker zu den Personen, die keine Erben sind, nicht.

Damit aber konnte der Erbschaftsteuerbescheid vom 12. September 1977 nicht abweichend von § 122 Abs. 1 AO 1977 mit Wirkung für und gegen die Klägerin, die nicht Erbin (Miterbin) geworden war, einem der Testamentsvollstrecker bekanntgegeben werden.

2. Das FG hat jedoch übersehen, daß der Klägerin gegenüber die Einspruchsentscheidung wirksam bekanntgegeben (zugestellt) wurde. Seine Entscheidung ist daher aufzuheben.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß der in der fehlerhaften Bekanntgabe eines Steuerbescheids liegende Mangel, der die Unwirksamkeit des Bescheids bewirkt, durch fehlerfreie Zustellung der Einspruchsentscheidung geheilt werden kann (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BB 1990, 2106, m.w.N.).

Gegenstand der Klage ist der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf erhalten hat (§ 44 Abs. 2 FGO). Der ursprüngliche - unwirksame - Verwaltungsakt ist demgemäß nur in der Gestalt der - wirksamen - Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf von dem Gericht auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dabei ist es unschädlich, daß der Tenor der Einspruchsentscheidung sich in der Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet erschöpft. Denn durch die Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet wird der ursprünglich unwirksame Verwaltungsakt inhaltlich bestätigt. Das gilt jedenfalls, wenn in der Einspruchsentscheidung der Inhalt des (wirkungslosen) Verwaltungsakts wiedergegeben ist.

Wenngleich einer solchen Einspruchsentscheidung die Wirkung einer erstmaligen Steuerfestsetzung gegenüber dem Betroffenen zukommt, bedarf es zur Zulässigkeit der Klage (§ 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) in solchen Fällen nicht der (nochmaligen) Durchführung eines Einspruchsverfahrens. Denn dem Zweck des außergerichtlichen Vorverfahrens - die erneute vollständige Überprüfung der Sache (vgl. § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) - ist auch in derartigen Fällen genügt.

3. Die Sache ist nicht spruchreif; sie ist deshalb an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das FG hat nicht alle Feststellungen getroffen, die eine abschließende Entscheidung ermöglichen. Hinsichtlich der Höhe des gegen die Klägerin entstandenen Steueranspruchs ergibt sich das schon daraus, daß das FG nicht in eine sachliche Prüfung eingetreten ist.

Die Einspruchsentscheidung würde sich - abgesehen von der Frage, ob die Erbschaftsteuer der Höhe nach zutreffend festgesetzt ist - nur dann als rechtmäßige Steuerfestsetzung gegen die Klägerin erweisen, wenn im Zeitpunkt der Zustellung der Einspruchsentscheidung die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Erbschaftsteuer war im Jahre 1977 entstanden (§ 38 AO 1977 i.V.m. § 9 Abs. 1 ErbStG 1974). Der Beginn der (vierjährigen, vgl. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) Festsetzungsfrist ist offenbar weder nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO 1977 noch nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 hinausgeschoben worden; dabei kann dahingestellt bleiben, ob § 31 ErbStG 1974 eine gesetzliche Vorschrift i.S. der letztgenannten ist, weil dem FA alle für die Steuerfestsetzung erheblichen Tatsachen 1977 angezeigt bzw. erklärt worden sind. Durch die Anfechtung des unwirksamen Steuerbescheids durch die Klägerin mit dem außergerichtlichen Rechtsbehelf des Einspruchs ist der Ablauf der Festsetzungsfrist nicht nach § 171 Abs. 3 AO 1977 gehemmt worden, denn die Ablaufhemmung setzt voraus, daß eine innerhalb der Festsetzungsfrist wirksam ergangene Steuerfestsetzung angefochten ist (so schon zu § 146a Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO - BFH-Urteil vom 22. Mai 1974 I R 259/74, BFHE 113, 145, BStBl II 1974, 722; zu § 171 Abs. 3 AO 1977 BFH-Urteil vom 11. Oktober 1989 X R 31/86, BFHE 158, 491, 498; vgl. auch Höllig in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., Rz. 8 zu § 171; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Anm. 3 b zu § 171 AO 1977; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Tz. 8 zu § 171 AO 1977). Ob aber und ggf. inwieweit die Festsetzungsfrist aus sonstigen Gründen nach § 171 AO 1977 in ihrem Ablauf gehemmt war, läßt sich den tatsächlichen Feststellungen des FG, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, nicht entnehmen.