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  BFH-Urteil vom 12.7.1990 (IV R 37/89) BStBl. 1991 II S. 64

1. Ein Kommanditist verwirklicht aus dem Fortfall eines negativen Kapitalkontos keinen Veräußerungsgewinn, wenn er mit der Inanspruchnahme aus einer für die KG eingegangenen Bürgschaft rechnen muß.

2. Während des Bestehens des Gesellschaftsverhältnisses kann die drohende Inanspruchnahme nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden.

EStG § 15 Abs. 1 (Satz 1) Nr. 2, § 16 Abs. 1, § 34 Abs. 1.

Vorinstanz: FG des Saarlandes (EFG 1989, 345)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Kommanditist einer GmbH & Co. KG (KG). Über das Vermögen der KG wurde im September 1982 das Konkursverfahren eröffnet. An dem für dieses Jahr festgestellten Gewinn war der Kläger nach dem Bescheid des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) mit 200.318 DM beteiligt; hiervon entfielen 162.818 DM als Veräußerungsgewinn auf die Auflösung eines negativen Kapitalkontos. Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger mit der Klage geltend, daß er sich für Verbindlichkeiten der KG verbürgt habe und daß dies die Entstehung eines Veräußerungsgewinns verhindere.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 345). In tatsächlicher Hinsicht ging das Gericht davon aus, daß der Kläger im Jahre 1982 damit rechnen mußte, aus einer Bürgschaftsverpflichtung in Anspruch genommen zu werden, die mit seiner Beteiligung in Zusammenhang stehe. Aus dem Fortfall des negativen Kapitalkontos hätte sich für den Kläger an sich ein Gewinn ergeben. Wegen der drohenden Inanspruchnahme aus der Bürgschaft sei der Gewinn aber tatsächlich nicht entstanden; das negative Kapitalkonto könne erst aufgelöst werden, wenn feststehe, daß der Kläger nicht in Anspruch genommen werde. Der Kläger habe im Jahre 1987 in seiner Sonderbilanz eine Rückstellung von 250.000 DM gebildet; er habe aber schon am 31. Dezember 1982 mit der Inanspruchnahme rechnen müssen; dies hätte als wertaufhellender Umstand berücksichtigt werden müssen, wenn die KG ihre Bilanz zum 31. Dezember 1982 bis zum 30. Juni 1983 aufgestellt hätte.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

Entscheidungsgründe

Auf die Revision des FA muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden.

1. Den tatsächlichen Feststellungen des FG läßt sich entnehmen, daß die KG nach der Eröffnung des Konkursverfahrens im September 1982 ihren Betrieb aufgegeben hat. Dies hatte zur Folge, daß nunmehr das für den Kläger als Kommanditisten geführte negative Kapitalkonto fortfiel und der Kläger diesen Betrag als tarifbegünstigten Aufgabegewinn i. S. der §§ 16 Abs. 1, 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu versteuern hatte (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Dieser Gewinn mindert sich jedoch um Aufwendungen des Gesellschafters, die mit dem Aufgabevorgang verbunden sind. Dabei kann es sich auch um künftige Aufwendungen handeln. Die Rechtsprechung verlangt in diesem Zusammenhang, daß eine mögliche Inanspruchnahme des Gesellschafters für Schulden der Gesellschaft berücksichtigt wird. So erzielt ein persönlich haftender Gesellschafter mit negativem Kapitalkonto keinen Veräußerungsgewinn, wenn er aus der Gesellschaft ausscheidet und die verbleibenden Gesellschafter ihm die Freistellung von den Schulden der Gesellschaft zugesagt haben, aber abzusehen ist, daß die Zusage nicht eingehalten werden kann und der Ausgeschiedene für Schulden der Gesellschaft in Anspruch genommen werden wird (BFH-Urteile vom 24. November 1965 VI 325/63 U, BFHE 84, 388, BStBl III 1966, 141; vom 30. November 1977 I R 27/75, BFHE 124, 56, BStBl II 1978, 149). Gleiches ist auch für einen ausscheidenden Kommanditisten angenommen worden, der sich für Verbindlichkeiten der Gesellschaft verbürgt hatte und dem seitens der verbliebenen Gesellschafter die Freistellung von der Verpflichtung zugesagt worden war; er verwirklicht keinen Veräußerungsgewinn, soweit diese Zusage nicht werthaltig ist und er die Inanspruchnahme durch die Gläubiger der Gesellschaft befürchten muß (BFH-Urteil vom 26. Mai 1981 IV R 47/78, BFHE 134, 15, BStBl II 1981, 795, 798).

Hieraus folgt, daß der Kommanditist auch sonst keinen Aufgabegewinn in Höhe seines negativen Kapitalkontos verwirklicht, wenn er von vornherein mit der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft rechnen muß (ebenso Schmidt, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., § 15a Anm. 6). Der Veräußerungs- und Aufgabegewinn schließt grundsätzlich das Ergebnis der gewerblichen Betätigung des Gesellschafters ab; dies verlangt, daß auch fortbestehende Belastungen, die künftig zu Ausgaben führen, erfaßt werden. Darum können Verbindlichkeiten, die nach Aufgabe des Betriebs zu berichtigen sind, gewinnmindernd berücksichtigt werden. Gleiches gilt für künftige Ausgaben aus einer Eventualverbindlichkeit, wie sie mit einer Bürgschaft gegeben ist. Anders ist nur zu verfahren, wenn bestimmte künftige Ausgaben bei Beendigung der Gesellschafterstellung nicht erkennbar waren und deswegen nicht berücksichtigt werden konnten; ihre Entrichtung führt zu einem nachträglichen Verlust (vgl. BFH in BFHE 124, 56, BStBl II 1978, 149).

Damit kann der Auffassung des FA nicht gefolgt werden, es seien stets erst die nachträglichen Zahlungen aus einer Bürgschaft zu berücksichtigen, und zwar im Wege einer Berichtigung des bisher zugrunde gelegten Aufgabegewinns. Ein Veräußerungs- oder Aufgabegewinn ist im Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs realisiert und nach den Gegebenheiten dieses Zeitpunkts zu ermitteln. Der Gewinnermittlung ist deshalb das im Zeitpunkt der Aufgabe vorhandene Betriebsvermögen zugrunde zu legen, in dem schon nach allgemeinen Grundsätzen auch künftige Einnahmen und Ausgaben in Gestalt von Forderungen und Verbindlichkeiten berücksichtigt werden; ihnen kann nicht jeweils durch Berichtigung eines ohne diese Einnahmen und Ausgaben ermittelten Aufgabegewinns Rechnung getragen werden. Zudem ist zweifelhaft, ob es für eine Änderung des bestandskräftig veranlagten Aufgabegewinns eine verfahrensrechtliche Handhabe gibt. § 175 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) erlaubt die Änderung des Steuerbescheids, wenn ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Eine derartige Rückwirkung ist angenommen worden, wenn ein Veräußerungspreis nachträglich durch Vergleich festgestellt oder nachträglich herabgesetzt wurde (BFH-Urteile vom 26. Juli 1984 IV R 10/83, BFHE 141, 488, BStBl II 1984, 786; vom 23. Juni 1988 IV R 84/86, BFHE 154, 85, BStBl II 1989, 41). Das nachträgliche Auftreten von Ausgaben für den Betrieb läßt sich damit nicht vergleichen.

Diesem Ergebnis läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß dem FA dadurch eine unzumutbare Überwachungsaufgabe aufgebürdet werde, da es nunmehr von Jahr zu Jahr zu prüfen habe, ob der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch genommen worden sei oder eine solche Inanspruchnahme noch drohe, damit andernfalls der zunächst gewinnmindernd berücksichtigte Haftungsbetrag als Bestandteil der nachträglichen Einkünfte i. S. von § 24 Nr. 2 EStG erfaßt werde. Einer solchen Überwachung bedarf es auch, wenn die ursprüngliche Veranlagung auf Grund späterer Inanspruchnahme geändert werden soll.

2. Die Bürgschaftsverpflichtungen des Klägers können seinen Veräußerungsgewinn allerdings nur mindern, wenn sie nicht bereits während des Bestehens der KG gewinnmindernd zu berücksichtigen waren. Dies aber ist nicht der Fall.

In den Gewinn, den ein Kommanditist aus seiner Beteiligung bezieht, gehen allerdings nicht nur sein Anteil am Gesellschaftsgewinn, sondern auch Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben ein, die nur ihm im Zusammenhang mit seiner Beteiligung entstehen. Für einen Kommanditisten ist zu diesem Zweck eine Sonderbilanz aufzustellen, für die grundsätzlich die allgemeinen bilanzrechtlichen Vorschriften des Einkommensteuerrechts gelten (BFH in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164; vom 21. Juni 1989 X R 14/88, BFHE 157, 382, BStBl II 1989, 881, 886).

Demgemäß muß der Gesellschafter in seine Sonderbilanz grundsätzlich auch eine Rückstellung aufnehmen, wenn ihm im Zusammenhang mit seiner Beteiligung eine Haftungsinanspruchnahme, insbesondere auch aus einer Bürgschaft droht. Dies ist jedoch anders, wenn die Haftungsverbindlichkeit aus einer Bürgschaft zugunsten der Gesellschaft herrührt. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 4. Juli 1974 IV R 166/70 (BFHE 113, 30, BStBl II 1974, 677) im einzelnen dargelegt hat, kann ein Gesellschafter, der zugunsten der Personengesellschaft Leistungen aus einem Bürgschaftsverhältnis erbringt, nicht anders behandelt werden als ein Gesellschafter, der die Leistung unmittelbar an die Gesellschaft erbringt, damit diese ihren Gläubiger befriedigt. In beiden Fällen müssen die Leistungen des Gesellschafters als Einlage behandelt werden. Für Einlageverpflichtungen kann aber keine gewinnmindernde Rückstellung in der Sonderbilanz gebildet werden. Zum gleichen Ergebnis käme man auch im Hinblick darauf, daß der nach erfolgter Inanspruchnahme für den Gesellschafter entstehende Ersatzanspruch auf Grund der §§ 675, 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bzw. der §§ 110, 161 des Handelsgesetzbuches (HGB) wie der Anspruch aus einem Gesellschafterdarlehen in der aus der Gesellschafts- und den Sonderbilanzen der Gesellschafter zu bildenden Gesamtbilanz zu Eigenkapital würde und keine Gelegenheit zu einer Teilwertabschreibung bestände (vgl. BFH-Urteile vom 11. Dezember 1980 IV R 91/77, BFHE 132, 442, BStBl II 1981, 422; vom 8. Dezember 1982 I R 9/79, BFHE 138, 184, BStBl II 1983, 570; vom 14. November 1985 IV R 63/83, BFHE 144, 572, BStBl II 1986, 58). Ergibt sich aber nach erfolgter Haftungsinanspruchnahme keine Sonderbetriebsausgabe, kann es dazu auch nicht bei einer bevorstehenden Inanspruchnahme kommen.

Diese Betrachtung hat zur Folge, daß sich das Wertloswerden der Ersatzforderung erst im Zeitpunkt der Beendigung der Gesellschafterstellung gewinnmindernd auswirkt. Dies entspricht den gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten. In eine bei Beendigung der Gesellschaft vorzunehmende Auseinandersetzung (§§ 730 ff. BGB, 145 ff. HGB) gehen als Rechnungsposten auch Forderungen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft ein (Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. Mai 1971 II ZR 184/68, Wertpapier- Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht - WM - 1971, 931; vom 20. Oktober 1977 II ZR 92/76, WM 1978, 89; vgl. auch Ulmer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 730 Anm. 36; Baumbach/Duden/Hopt, Handelsgesetzbuch, 28. Aufl., § 149 Anm. 2 B); sie wirken sich in derselben Weise wie zusätzlich geleistete Einlagen der Gesellschafter aus. Auf Grund der Auseinandersetzung können sich Ausgleichsansprüche zwischen den Gesellschaftern ergeben. Die Gesellschafterforderung kann demnach zu Vorteilen in der Auseinandersetzung führen. Infolgedessen entscheidet erst die Realisierbarkeit von Ausgleichsansprüchen gegen die Mitgesellschafter darüber, ob dem Gesellschafter aus seiner Forderung endgültig ein Verlust entsteht. In steuerrechtlicher Sicht ist ihm zudem wegen der Besonderheiten der Gewinnermittlung für die Personengesellschaft und ihre Gesellschafter eine frühere Geltendmachung seiner Aufwendungen verwehrt. Der Senat bleibt daher bei seinen Ausführungen in BFHE 113, 30, BStBl II 1974, 677. Er hat diese Grundsätze in seiner Entscheidung vom 19. März 1981 IV R 42/75 (BFHE 133, 202, BStBl II 1981, 570) nicht aufgegeben; soweit sich zu dieser Frage aus dem Urteil vom 19. Januar 1989 IV R 2/87 (BFHE 155, 491, BStBl II 1989, 393) etwas anderes ergibt, hält der Senat daran nicht fest.

3. Der Senat vermag jedoch nicht zu beurteilen, ob und in welchem Umfang der Kläger bei Aufgabe des Betriebs der KG im Jahre 1982 eine Inanspruchnahme für Verbindlichkeiten der Gesellschaft besorgen mußte. Das angefochtene Urteil enthält hierzu keine hinreichenden Feststellungen.