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  BFH-Urteil vom 6.3.2002 (XI R 50/00) BStBl. 2002 II S. 453

1. Der auf einem Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG beruhende Erstattungsanspruch entsteht erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 104/98, BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491).

2. Die Anwendung des durch das JStG 1997 vom 20. Dezember 1996 eingeführten § 233a Abs. 2a AO 1977 auf nach dem 31. Dezember 1995 entstandene Verluste führt im Falle des Verlustrücktrags auf Veranlagungszeiträume vor 1996 nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung.

AO 1977 § 233a Abs. 2a.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

I.

Die miteinander verheirateten Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben im Jahr 1996 Kommanditbeteiligungen an Schifffahrtsgesellschaften. Sie erhielten in voller Höhe verrechenbare steuerliche Verlustzuweisungen von je 250.000 DM. Überdies hatte die Klägerin aus mehreren Objekten negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 133.043 DM.

Für den Veranlagungszeitraum 1996 wählten die Kläger die getrennte Veranlagung. Das zu versteuernde Einkommen des Klägers betrug 21.366 DM, bei der Klägerin ergab sich ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte von 270.477 DM. Auch zur Einkommensteuer 1994 waren die Kläger zunächst getrennt veranlagt worden. Gegenüber dem Kläger war die Einkommensteuer mit Bescheid vom 8. August 1996 auf 138.670 DM, gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 22. April 1996 auf 78.588 DM festgesetzt worden. Mit Schreiben vom 6. Februar 1997 beantragten die Kläger die Zusammenveranlagung für 1994 nach § 10d des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hob die Bescheide über die getrennte Veranlagung auf und setzte mit Bescheid vom 5. Mai 1997 die Einkommensteuer für 1994 unter Berücksichtigung des Verlustrücktrags von 270.477 DM nach der Splittingtabelle auf 81.498 DM fest. Bei der Abrechnung wurde Einkommensteuer 1994 von 135.760 DM erstattet.

Nachdem die Zusammenveranlagung für 1994 durchgeführt worden war, setzte das FA mit Zinsbescheid vom 15. August 1997 Nachzahlungszinsen aus einem Unterschiedsbetrag von 1.258 DM für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 5. Mai 1997 in Höhe von 78 DM fest. Mit Schreiben vom 2. September 1997 machten die Kläger geltend, dass ihr Antrag auf Erstattungszinsen noch nicht beschieden worden sei. Mit Bescheid vom 9. September 1997 setzte das FA unter Hinweis auf § 233a Abs. 2a der Abgabenordnung (AO 1977) die Zinsen auf 0 DM fest. Nach § 233a Abs. 2a AO 1977 komme eine Verzinsung nicht in Betracht; gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) gelte diese Regelung für Fälle, in denen der Verlust nach dem 31. Dezember 1995 eingetreten sei. Dagegen erhoben die Kläger ausdrücklich Einspruch. Sie machten geltend, dass die Anwendung des § 233a Abs. 2a AO 1977 gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot verstoße. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Zinsfestsetzungen seien nicht zu beanstanden.

1. Für die Zwecke der Zinsberechnung habe eine "Schattenveranlagung" unter Ausklammerung des Verlustabzugsbetrags von 270.477 DM durchgeführt werden müssen. Die Nachzahlungszinsen seien auf der Basis des fiktiven Unterschiedsbetrags ermittelt worden, der sich ergeben hätte, wenn das Einkommen der Kläger ausschließlich um 2.307 DM (Erhöhung des Einkommens 1994 des Ehemanns aus der Beteiligung "MS S A") erhöht worden wäre.

2. Hinsichtlich der Verzinsung des Erstattungsanspruchs sei nicht zu beanstanden, dass der Zinslauf erst nach 15 Monaten nach Ablauf des Verlustentstehungsjahres beginne. Die Anwendungsregelung des Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bereits Mitte 1996, als sich die Kläger zum Erwerb der Schiffsbeteiligung entschlossen hätten, hätten sie mit einer einschränkenden Regelung rechnen müssen. Außerdem sei die Rechtslage unklar gewesen.

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

1. Die Regelung des Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 sei erst auf Vorschlag des Bundesrats in den Gesetzestext aufgenommen worden (BTDrucks 13/5359, 130 vom 26. August 1996), zwei Monate nach Abschluss der Beteiligungsverträge.

2. Zur vermeintlich unklaren Rechtslage sei auszuführen, dass der Bundesfinanzhof (BFH) noch mit Urteil vom 2. Juli 1997 I R 25/96 (BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714) entschieden habe, dass Steuerforderungen zu verzinsen seien, auch wenn sie sich aus einem rückwirkenden Ereignis ergäben.

3. Bei einem Gesetz, das am 28. Dezember 1996 verkündet werde und schon für den Veranlagungszeitraum 1994 Wirkung entfalte, sei eine echte Rückwirkung gegeben. Zulässig wäre nur eine Änderung für denselben Zeitraum.

4. Entgegen der Auffassung des FA komme es nicht auf die Entstehung der Verluste, sondern auf die Entstehung der Steuer an.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Zinsbescheid vom 21. Juni 1999 in der Weise zu ändern, dass ein Erstattungsbetrag von 135.760 DM für den Zeitraum vom 1. April 1996 bis zum 9. Mai 1997 verzinst wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Mit Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 104/98 (BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491) habe der BFH entschieden, dass der auf einem Verlustrücktrag beruhende Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden sei, entstehe. Die Zinsen als steuerliche Nebenleistungen könnten nicht vor dem Hauptanspruch (Einkommensteuer-Erstattungsanspruch aus Verlustrücktrag) entstehen. Es handele sich um eine verfassungsrechtlich zulässige unechte Rückwirkung.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Zutreffend hat das FG entschieden, dass der Steuererstattungsanspruch für 1994 aufgrund des Verlustrücktrags aus 1996 gemäß § 233a Abs. 2a AO 1977 nicht zu verzinsen ist.

a) Gemäß § 233a Abs. 2 AO 1977 beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Soweit allerdings die Steuerfestsetzung auf einem Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG beruht, beginnt gemäß § 233a Abs. 2a AO 1977 i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2049) der Zinslauf abweichend vom Abs. 2 Satz 1 und 2 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Verlust entstanden ist. Die Neuregelung gilt gemäß Art. 97 § 15 Abs. 8 EGAO 1977 in allen Fällen, in denen der Verlust nach dem 31. Dezember 1995 entstanden ist.

Mit der Einführung des Abs. 2a durch das Jahressteuergesetz 1997 (JStG 1997) vom 20. Dezember 1996 soll nach den Vorstellungen des Gesetzgebers bewirkt werden, dass Verlustrückträge bei der Verzinsung nach § 233a AO 1977 erst dann berücksichtigt werden, wenn entsprechende Liquiditätsvor- oder -nachteile vorliegen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates vom 5. Juli 1996, BTDrucks 13/5359 [vom 26. August 1996], 6, 130 [Nr. 27]; Zweiter Bericht des Finanzausschusses vom 5. November 1996, BTDrucks 13/5952, 56). In den Fällen des Verlustrücktrags wird damit verhindert, dass Erstattungszinsen für Zeiträume zu zahlen sind, in denen dem Steuerpflichtigen noch kein Erstattungsanspruch aufgrund des Verlustes entstanden war.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger entsteht der auf einem Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG beruhende Erstattungsanspruch nicht schon mit Ablauf des Jahres des Verlustabzugs, sondern erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden ist (BFH-Urteil in BFHE 192, 21, BStBl II 2000, 491, m.w.N.). Der Erstattungsanspruch ist daher im Streitfall erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1996 entstanden. Da die Steuer bereits im Jahr 1997 erstattet wurde, kommt eine Verzinsung nicht in Betracht.

c) Ein Fall echter Rückwirkung liegt nicht vor. Das JStG 1997 ist nach Art. 32 Abs. 1 des Gesetzes am Tage nach seiner Verkündung und noch vor Ablauf des Jahres 1996 in Kraft getreten (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil vom 6. März 2002 XI R 81/00).

d) Die Anwendung des § 233a Abs. 2a AO 1977 auf nach dem 31. Dezember 1995 entstandene Verluste führt im Streitfall auch nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist zwischen echter und unechter Rückwirkung bzw. Rückbewirkung der Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung zu unterscheiden. Erstere, die vorliegt, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird, ist nur in ganz engen Grenzen zulässig. Demgegenüber unterliegt die tatbestandliche Rückanknüpfung, d.h. die Einwirkung eines Gesetzes auf in der Vergangenheit begründete, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft weniger strengen Beschränkungen (Beschlüsse vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 257, 258; vom 15. Oktober 1996 1 BvL 44, 48/92, BVerfGE 95, 64, 86, 87, und vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, 79, 80). Bei der in diesen Fällen erforderlichen grundrechtlichen Bewertung sind die allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen; dabei ist abzuwägen zwischen den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen, insbesondere dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das gemeine Wohl (BVerfG-Beschluss vom 15. Mai 1995 2 BvL 19/91, 2 BvR 1206, 1584/91 und 2601/93, BVerfGE 92, 277, 325, 344; BFH-Beschluss vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552).

bb) Der Erstattungsanspruch, aus dem die Kläger ihren Zinsanspruch herleiten, ist rechtlich erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums 1996 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber bereits die Neuregelung getroffen; ein Fall echter Rückwirkung liegt nicht vor, da die die Kläger belastenden Rechtsfolgen (Nichtverzinsung des Erstattungsanspruchs) erst nach Verkündung des Gesetzes eingetreten sind. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot erscheint allenfalls in den Fällen möglich, in denen vor In-Kraft-Treten des JStG 1997 in einer Steuerfestsetzung ein rückwirkendes Ereignis bereits berücksichtigt worden und damit auch der Anspruch auf Erstattungszinsen bereits entstanden war (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 233a AO 1977 Rz. 32). Das ist hier nicht der Fall. Soweit in Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen die Verfassungswidrigkeit des § 233a Abs. 2a AO 1977 angenommen wird (vgl. Beschluss des FG München vom 23. Januar 1998 7 V 3993/97, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1998, 621; Beschluss des FG Bremen vom 24. Juni 1998 298012V 2, EFG 1998, 1309), beruht diese Beurteilung auf den Regelungen des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens (§ 27 Abs. 3 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes a.F.) und ist für den Streitfall ohne Auswirkung (vgl. im Übrigen BFH-Urteil vom 18. Mai 1999 I R 60/98, BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634).

cc) Der Umstand, dass die Kläger bereits im Juni 1996 - und damit vor dem erkennbaren Tätigwerden des Gesetzgebers - die Beteiligungsverträge abgeschlossen hatten, die letztlich zu dem Verlust und zum Entstehen des Erstattungsanspruchs geführt haben, dass also bei der Gestaltung des Ausgangssachverhaltes noch eine andere Rechtslage gegolten hat und damit ein Fall unechter Rückwirkung gegeben ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Vertrauen der Kläger auf den Fortbestand der bisherigen Zinsregelung und dem Interesse des Gesetzgebers an einer angemessenen Neuregelung ist Letzterem der Vorrang einzuräumen. Angesichts des Umstandes, dass der Verlust und der Erstattungsanspruch rechtlich noch nicht entstanden waren, war das Vertrauen der Kläger in die potentielle Verzinsung eines Erstattungsanspruchs noch nicht zu einer vollwertigen Position erstarkt. Daneben war das Anliegen des Gesetzgebers, wirtschaftlich unberechtigte Zinsansprüche auszuschließen, sachlich gerechtfertigt, so dass im Ergebnis der Gesetzgeber berechtigt war, die Neuregelung für nach dem 31. Dezember 1995 entstehende Verluste wirksam werden zu lassen.