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  BFH-Urteil vom 10.4.2002 (VI R 66/98) BStBl. 2002 II S. 455

Kehrt ein ausländischer Arbeitnehmer auf Dauer in sein Heimatland zurück, so kann dessen Einkommensteuer-Erklärung ausnahmsweise durch einen Bevollmächtigten unter Offenlegung des Vertretungsverhältnisses unterzeichnet werden.

EStG § 25 Abs. 3 Satz 4; AO 1977 § 150 Abs. 3 Satz 1.

Vorinstanz: FG München (EFG 1998, 1102)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein rumänischer Staatsangehöriger, war im Streitjahr 1991 vom 2. April bis 31. Dezember als Bauarbeiter in Deutschland beschäftigt. Am 30. Juli 1993 ging beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eine Einkommensteuer-Erklärung für 1991 zusammen mit der Lohnsteuerkarte des Klägers ein. Die Erklärung war vom jetzigen Klägervertreter und Prozessbevollmächtigten des Klägers (Steuerberater T), der auch an der Anfertigung der Steuererklärung mitgewirkt hatte, unterschrieben worden. Im Laufe des Veranlagungsverfahrens wurden - nach Aufforderung durch das FA - verschiedene Bescheinigungen von Steuerberater T nachgereicht.

Am 16. November 1993 ging beim FA eine (berichtigte) Einkommensteuer-Erklärung für 1991 ein, die wiederum von Steuerberater T unterzeichnet war. Dieser Erklärung lag eine Vollmacht des Klägers bei, die Steuerberater T u.a. dazu bevollmächtigte, die Steuererklärung (für 1993) zu unterschreiben.

Mit Schreiben vom 23. November 1994 erklärte das FA, es beabsichtige, den Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer 1991 abzulehnen, da die eigenhändige Unterschrift des Klägers nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geleistet worden sei. Mit Bescheid vom 17. Januar 1995 lehnte das FA eine Veranlagung zur Einkommensteuer 1991 mit entsprechender Begründung ab.

Hiergegen erhob Steuerberater T namens des Klägers Einspruch. Dem Einspruchsschreiben vom 2. Februar 1995 war abermals eine Einkommensteuer-Erklärung für 1991 beigefügt, die eine Unterschrift trägt, die als Vorname und Name des Klägers zu erkennen ist.

Mit Schreiben vom 7. Februar 1996 wies das FA Steuerberater T u.a. darauf hin, dass dem Antrag auf Durchführung einer Veranlagung zwar eine Vollmacht beigelegen habe; es lasse sich aber nicht nachvollziehen, wer die Vollmacht unterzeichnet habe. Das FA forderte Steuerberater T daher auf, bis 26. Februar 1996 eine amtlich beglaubigte Vollmacht des Klägers, die auch zum Einlegen des Einspruchs bevollmächtige, vorzulegen. Nach Ablauf der Frist verwarf das FA den Einspruch als unzulässig. Steuerberater T habe nicht nachgewiesen, dass er zur Einlegung des Einspruchs befugt gewesen sei.

Während des Klageverfahrens legte Steuerberater T eine mit dem Namen des Klägers unterzeichnete Vollmacht vor, die u.a. zur Erstellung der Einkommensteuer-Erklärung 1991 und zur Einlegung von Rechtsbehelfen ermächtigte. Am 28. April 1997 ging beim Finanzgericht (FG) überdies eine notariell erstellte und amtlich übersetzte Vollmacht des Klägers ein. Hierin wurde Steuerberater T bevollmächtigt, die Steuer für die Zeitspanne, die der Kläger in Deutschland gearbeitet hatte, wiederzuerlangen.

Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1102 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe die Vorschrift des § 150 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) fehlerhaft ausgelegt. Insbesondere habe das FG verkannt, wann ein Steuerpflichtiger infolge seines geistigen Zustandes oder durch längere Abwesenheit an der eigenhändigen Unterschrift gehindert sei. Der Kläger sei weder durch längere Abwesenheit noch durch seinen geistigen Zustand gehindert gewesen, die Steuererklärung eigenhändig zu unterschreiben. Es sei nicht ausreichend, dass der Steuerpflichtige lediglich abwesend i.S. der Ausnahmevorschrift des § 150 Abs. 3 AO 1977 sei; es sei vielmehr erforderlich, dass er durch die Abwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert sei. Ein Steuerpflichtiger sei nicht durch jede Abwesenheit oder durch jeden Auslandsaufenthalt an der Unterschriftsleistung gehindert. Maßgeblich sei, ob ein Steuerpflichtiger erreichbar sei. Das FG habe fehlerhaft angenommen, dass es nicht darauf ankomme, dass die Erklärungen an den Aufenthaltsort des Steuerpflichtigen mit der Post verschickt und unterschrieben zurückgeschickt hätten werden können. Entgegen der Ansicht des FG sei der Kläger auch nicht durch seinen geistigen Zustand i.S. des § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 an der Unterschrift gehindert gewesen.

Das FA beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das Einkommen des Klägers im Jahre 1991 lag unter 27 000 DM. Eine Veranlagung wird demnach nur auf Antrag durchgeführt (§ 46 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 i.V.m. § 52 Abs. 27 a und 29 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes vom 25. Februar 1992, BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146, 156). Der Antrag für die im Streitfall allein in Betracht kommende Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG war nach Satz 2 dieser Vorschrift bis zum Ablauf des Jahres 1993 zu stellen.

2. Das FG hat zutreffend erkannt, dass der Antrag auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung für 1991 wirksam gestellt worden ist.

a) Nach § 25 Abs. 3 Satz 4 EStG ist die Steuererklärung eigenhändig zu unterschreiben. Eigenhändigkeit der Unterschrift bedeutet, dass sie "von der Hand" des Antragstellers bzw. des Steuerpflichtigen stammen muss. Ein Verzicht auf die in einem Steuergesetz angeordnete Eigenhändigkeit der Unterschrift ist nach § 150 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 nur dann zulässig, wenn der Steuerpflichtige infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes oder durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert ist; nur in diesen Fällen ist die Unterzeichnung durch einen Bevollmächtigten erlaubt (vgl. hierzu auch Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 29. Februar 2000 VII R 109/98, BFHE 191, 311, BStBl II 2000, 573, unter II. 4.).

b) Eine nach dieser Vorschrift zulässige Unterschrift durch einen Bevollmächtigten erfordert nach der Rechtsprechung des BFH überdies, dass die Bevollmächtigung offen zu legen ist (vgl. Urteile vom 7. November 1997 VI R 45/97, BFHE 184, 381, BStBl II 1998, 54, m.w.N.; vom 14. Januar 1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203, unter II. 2. d). Das bedeutet, dass dem in einem Steuergesetz bestimmten Formerfordernis der eigenhändigen Unterschrift i.V.m. § 150 Abs. 3 AO 1977 nicht genügt ist, wenn eine sog. verdeckte Stellvertretung in der Weise erfolgt, dass ein Bevollmächtigter mit dem Namen des Steuerpflichtigen oder Antragstellers ohne jeden Zusatz oder sonstigen Hinweis auf eine Bevollmächtigung unterschreibt.

Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG steht fest, dass die zweite, am 16. November 1993 eingereichte Einkommensteuer-Erklärung zwar ohne Vertretungszusatz vom Klägervertreter unterzeichnet worden war; der Erklärung war jedoch eine Vollmacht des Klägers beigefügt. Gegen die Wertung der Vorinstanz, dass der Klägervertreter damit seine Bevollmächtigung offengelegt habe, hat das FA keine Rügen erhoben.

c) Der Senat folgt der Vorinstanz auch darin, dass der Kläger durch längere Abwesenheit an der Unterschrift gehindert war; eine Unterzeichnung durch den Klägervertreter als Bevollmächtigten konnte rechtswirksam erfolgen.

Der Begriff der "längeren Abwesenheit" wird im Gesetz nicht erläutert. Mit Urteil vom 29. März 2001 III R 48/98 (BFHE 195, 1, BStBl II 2001, 629), auf dessen Inhalt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, hat der BFH ausführlich die zu § 150 Abs. 3 AO 1977 bestehenden Rechtsauffassungen dargelegt. Auch im Streitfall bedarf es keiner abschließenden Entscheidung darüber, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen ein Steuerpflichtiger als "länger abwesend" anzusehen ist.

Der Senat tritt der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und der im Schrifttum vertretenen Auffassung bei, dass jedenfalls ein Daueraufenthalt im Ausland bzw. der Wegzug in das Ausland als "längere Abwesenheit" zu betrachten ist (vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 13. September 1977 XIII 254/77 L, EFG 1978, 24; FG Berlin, Urteil vom 8. November 1985 III 403/83, EFG 1986, 326; Niedersächsisches FG, Urteil vom 27. Januar 1993 III 295/88, EFG 1993, 560; FG München, Urteil vom 21. April 1998 2 K 3415/96, EFG 1998, 1102; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 150 AO 1977 Tz. 18; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 150 AO 1977 Rz. 38; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 150 Rz. 11). Im Fall der dauernden Abwesenheit im Ausland ist für die Einkommensteuer regelmäßig - wie auch im Streitfall - davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige an der Unterschrift gehindert ist. Auch aus Vereinfachungsgesichtspunkten ist in einem solchen Fall nicht zusätzlich darauf abzustellen, ob und ggf. in welcher Weise der dauerhaft Abwesende postalisch erreichbar ist (vgl. FG Düsseldorf, Urteil in EFG 1978, 24).

d) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die Rechtsauffassung der Vorinstanz zutrifft, der Kläger sei auch infolge seines geistigen Zustandes an der Unterschrift gehindert gewesen.

3. Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht vom Urteil des III. Senats in BFHE 195, 1, BStBl II 2001, 629 ab. Nach dessen Auffassung ist trotz einer an sich längeren Abwesenheit eine Verhinderung i.S. des § 150 Abs. 3 AO 1977 zu verneinen, wenn nach den besonderen Umständen des konkreten Falles eine postalische Verbindung zumindest möglich und deren Inanspruchnahme auch zumutbar ist. Der III. Senat hat seine Auffassung zum einen maßgeblich mit den Besonderheiten des Investitionszulagenrechts begründet (vgl. Ziff. II 1 b cc, S. 632 r. Sp.). Zum anderen handelte es sich dort nicht um eine dauernde Abwesenheit, sondern nur um eine mehrwöchige, wenngleich längere Abwesenheit (wegen Urlaubs). Über die Frage, ob bei der Einkommensteuer in einem derartigen Fall zusätzlich auf die Möglichkeit einer postalischen Verbindung und die Zumutbarkeit einer solchen Inanspruchnahme abzustellen ist, braucht der Senat nicht zu befinden.