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  BFH-Urteil vom 29.11.2000 (I R 85/99) BStBl. 2002 II S. 720

Gibt eine Konzern-Obergesellschaft zugunsten eines anderen konzernangehörigen Unternehmens eine Garantieerklärung ab, so kann hierdurch die Rechtsfolge des § 1 AStG nur dann ausgelöst werden, wenn die Erklärung im Rahmen einer Geschäftsbeziehung zwischen den beiden Unternehmen abgegeben wird. Das ist nicht der Fall, wenn die begünstigte Gesellschaft mangels ausreichender Eigenkapitalausstattung ohne die Garantieerklärung ihre konzerninterne Funktion nicht erfüllen kann.

AStG § 1.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (IStR 2000, 312)

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Garantieerklärung einer Konzern-Obergesellschaft zu Gunsten einer ausländischen Finanzierungsgesellschaft die Rechtsfolgen des § 1 des Außensteuergesetzes (AStG) auslöst.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG mit Sitz und Geschäftsleitung in der Bundesrepublik, besitzt im In- und Ausland mehrere Tochtergesellschaften. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte sie vor Beginn des Streitjahres (1985) zu Gunsten verschiedener Tochtergesellschaften wiederholt Garantieerklärungen abgegeben, wofür sie in einzelnen Fällen Bürgschaftsprovisionen gefordert hatte, in anderen hingegen nicht. Im Jahr 1984 war zwischen den Konzerngesellschaften ein Dienstleistungsvertrag abgeschlossen worden, der eine Kostenerstattung im Umlageverfahren vorsah. Im Hinblick auf diesen Vertrag sah die Klägerin in der Folgezeit generell von der Erhebung von Bürgschaftsprovisionen gegenüber ihren Tochtergesellschaften ab.

Zu den Tochtergesellschaften der Klägerin zählte im Streitjahr u.a. die in den Niederlanden ansässige F-BV, die als Finanzierungsgesellschaft für den gesamten Konzern fungierte. Die F-BV legte im Streitjahr eine Anleihe im Umfang von 150 Millionen DM auf. In diesem Zusammenhang gab die Klägerin zu Gunsten der F-BV eine unbedingte und unwiderrufliche Garantieerklärung ab. Ein Entgelt verlangte oder erhielt sie hierfür von der F-BV nicht.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah in der Abgabe der Garantieerklärung eine Leistung der Klägerin, für die zwischen fremden Dritten ein Entgelt vereinbart worden wäre. Der abgeschlossene Dienstleistungsvertrag ändere daran nichts, da Bürgschaftsübernahmen und Garantieerklärungen nicht zu den dort angebotenen Dienstleistungen der Klägerin zählten. Das FA erhöhte die von der Klägerin erklärten Einkünfte deshalb gemäß § 1 AStG um 70.700 DM. Darüber hinaus nahm es weitere Einkunftsberichtigungen vor, von denen eine - in Höhe von 21.600 DM - unstreitig zu Unrecht erfolgt ist.

Das FG setzte in seinem Urteil, das in Internationales Steuerrecht (IStR) 2000, 312 veröffentlicht ist, den vom FA angesetzten Berichtigungsbetrag um 92.300 DM herab. Hiergegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Revision. Es rügt Verletzung des § 1 AStG und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als das FG den Berichtigungsbetrag um mehr als 21.600 DM herabgesetzt hat.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einkünfte der Klägerin nicht gemäß § 1 AStG um den Betrag von 70.700 DM berichtigt werden dürfen. Denn die Übernahme der Garantie durch die Klägerin ist nicht im Rahmen einer "Geschäftsbeziehung" zu der F-BV erfolgt:

1. Nach § 1 AStG sind, wenn ein Steuerpflichtiger Geschäftsbeziehungen zum Ausland unterhält, seine Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen für Zwecke der Besteuerung abweichend von der tatsächlich angefallenen Höhe anzusetzen. Voraussetzung für die von der Vorschrift angeordnete Berichtigung der Einkünfte ist mithin, dass es um ein Verhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person geht, das als "Geschäftsbeziehung" qualifiziert werden kann (Senatsurteil vom 30. Mai 1990 I R 97/88, BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875).

2. Im Streitfall kann die Frage nach dem Vorliegen einer "Geschäftsbeziehung" nicht auf der Basis des § 1 Abs. 4 AStG beurteilt werden. Denn diese Vorschrift ist erst durch das Standortsicherungsgesetz (StandOG) vom 13. September 1993 (BGBl I, 1569, BStBl I 1993, 774) in das AStG eingefügt worden und mit Wirkung zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten (§ 21 Abs. 4 Satz 2 AStG i.d.F. des StandOG). Sie gilt mithin für das Streitjahr nicht. Deshalb sind im Streitfall in diesem Punkt die vor der Gesetzesänderung geltenden Regeln anzuwenden.

3. Wie der Senat zu der hiernach maßgeblichen Rechtslage bereits entschieden hat, zählen zu den "Geschäftsbeziehungen" zwischen einem Steuerpflichtigen und der nahestehenden Person nicht diejenigen Beziehungen, die das Nahestehen überhaupt erst begründen (Urteil in BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875). Deshalb ist insbesondere eine wesentliche Beteiligung als solche keine "Geschäftsbeziehung". § 1 Abs. 1 AStG greift vielmehr nur dann ein, wenn über die Beteiligung hinaus ein selbstständiges Leistungsverhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft zu beurteilen ist.

4. Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats hängt bei finanziellen Zuwendungen einer Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft das Vorliegen einer "Geschäftsbeziehung" davon ab, ob die hingegebenen Mittel nach dem für die Tochtergesellschaft maßgeblichen Gesellschaftsrecht Eigenkapital dieser Gesellschaft werden. Das FG hat nicht festgestellt, ob eine solche Gestaltung im Streitfall vorliegt. Daraus ergibt sich jedoch nicht die Notwendigkeit, den Rechtsstreit an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen. Denn unabhängig hiervon ist im Streitfall die Garantieübernahme durch die Klägerin nicht geeignet, eine Geschäftsbeziehung zu der F-BV zu begründen:

a) Dass die Gewährung von Eigenkapital keine Geschäftsbeziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter darstellt, ist vor allem aus dem Sinn und Zweck des § 1 AStG abzuleiten. Die Vorschrift soll bei einem grenzüberschreitenden Leistungsaustausch zwischen nahestehenden Personen, dessen Bedingungen einem Fremdvergleich nicht standhalten, den steuerlichen Ansatz eines angemessenen Entgelts ermöglichen. Sie will jedoch nicht darüber hinaus diejenigen Vorgänge erfassen, die nicht als Leistungsaustausch zu qualifizieren, sondern im privaten Bereich oder im Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind. Diese sind deshalb nicht nach § 1 AStG, sondern ausschließlich nach den allgemein geltenden Regeln zu behandeln.

b) Zu denjenigen Vorgängen, die im vorstehenden Sinne durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, gehört nicht nur die Ausstattung einer Gesellschaft mit Eigenkapital. Vielmehr muss dasselbe gelten, wenn der Gesellschafter die Gewährung von Eigenkapital durch die Übernahme von Verpflichtungen zu Gunsten der Gesellschaft ersetzt. Es kann im Zusammenhang mit § 1 AStG keinen Unterschied machen, ob die Gesellschaft eine für ihren Geschäftszweck ausreichende Kapitalausstattung erhält oder ob der Gesellschafter sie nur mit unzureichendem Eigenkapital ausstattet, zum Ausgleich hierfür aber die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft durch unentgeltliche wirtschaftliche Stützungsmaßnahmen ermöglicht. Auch dann handelt er nicht als Partner eines Austauschverhältnisses, sondern nur in seiner Eigenschaft als Gesellschafter. Es geht mithin hier um ein Verhalten, das allein in der Nahestehensbeziehung begründet ist und deshalb dem Anwendungsbereich des § 1 AStG nicht unterfällt (im Ergebnis ebenso Baumhoff in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, 5. Aufl., § 1 AStG Rz. 763).

c) Im Streitfall ist eine solche Situation gegeben. Die Übernahme der Garantie durch die Klägerin war erkennbar allein deshalb erforderlich, weil die F-BV die für den Konzern bestimmten Mittel anderenfalls nicht hätte beschaffen können. Es handelte sich mithin um eine Maßnahme, die es der F-BV überhaupt erst ermöglichte, die ihr zugedachte Funktion als Konzernfinanzierungsgesellschaft tatsächlich wahrzunehmen. Ein Entgelt hat die Klägerin hierfür weder verlangt noch erhalten. Dass es einer Garantie seitens der Klägerin bedurfte, lag vor allem daran, dass die F-BV nicht mit einem ihrer Rolle entsprechenden Eigenkapital ausgestattet worden war. Im Ergebnis wurde mithin durch die Garantieerklärung der Klägerin eine funktionsgerechte Kapitalausstattung der F-BV ersetzt. Das schließt die Annahme einer "Geschäftsbeziehung" und damit die Anwendung des § 1 AStG auf diesen Vorgang aus. Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Klägerin von der F-BV ein Entgelt für die Übernahme der Garantieerklärung oder fremdübliche Sicherheiten erhalten hätte, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

5. Eine solche Beurteilung ist auch unter einem weiteren Gesichtspunkt sachgerecht: Maßstab für die Berichtigung von Einkünften nach § 1 AStG ist nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift diejenige Gestaltung, die zwischen voneinander unabhängigen Dritten unter ansonsten gleichen oder ähnlichen Verhältnissen gewählt worden wäre. Maßnahmen einer Muttergesellschaft, die ihre Tochtergesellschaft überhaupt erst kreditwürdig machen und hierdurch ihre wirtschaftliche Betätigung ermöglichen sollen, entziehen sich indessen schon ihrer Natur nach einem solchen Fremdvergleich. Derartige Leistungen werden immer nur im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erbracht und sind generell durch die Besonderheiten dieses Verhältnisses gekennzeichnet. Der einzige sachgerechte Vergleichsmaßstab wäre mithin das Handeln eines anderen Gesellschafters gegenüber "seiner" Gesellschaft in vergleichbarer Lage, und dieses wäre wiederum maßgeblich von der Stellung des Handelnden als Gesellschafter bestimmt. Die Herstellung der Kreditwürdigkeit der Tochtergesellschaft hat somit einen anderen wirtschaftlichen Hintergrund als die Kreditgewährung gegenüber einem bereits aus sich heraus kreditwürdigen Unternehmen; sie ähnelt nicht nur ihrer Funktion nach, sondern auch hinsichtlich des anzusetzenden Vergleichsmaßstabs der Gewährung von (zusätzlichem) Eigenkapital. Auch unter diesem Aspekt ist eine Gleichbehandlung der beiden genannten Vorgänge geboten.

6. Schließlich ist zu beachten, dass die Annahme einer "Geschäftsbeziehung" und eine hierauf gestützte Erhöhung der Einkünfte der Klägerin aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht bedenklich wäre, wenn - wie im Streitfall - die leistende Muttergesellschaft im Inland und die Tochtergesellschaft im EG-Ausland (EU-Ausland) ansässig ist (ebenso Wassermeyer in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, a.a.O., § 1 AStG Rz. 816.1; Köplin/ Sedemund, IStR 2000, 305). Denn bei einem vergleichbaren reinen Inlandsfall könnte der Gewinn der Klägerin nicht um ein fiktives Entgelt für die Abgabe der Garantieerklärung erhöht werden (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Oktober 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, BStBl II 1988, 348). Eine Schlechterstellung der Klägerin allein deshalb, weil es sich bei der F-BV um eine niederländische Gesellschaft handelt, wäre im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit (Art. 52 i.V.m. Art. 58 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - in der für das Streitjahr geltenden Fassung) nicht zu rechtfertigen. Ggf. könnte sie zudem - und zwar auch schon nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage (Art. 67 EGV i.V.m. der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 1960, 921, 960, und der Änderungsrichtlinie vom 18. Dezember 1962, 63/21/EWG, ABlEG 1962, 63) - gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs verstoßen. Der Senat hält es nicht für erforderlich, im Rahmen dieses Verfahrens den gemeinschaftsrechtlichen Aspekten des Streitfalles weiter nachzugehen. Jedenfalls entspricht die Annahme, dass es sich bei dem hier zu beurteilenden Vorgang nicht um eine "Geschäftsbeziehung" handelt, den Anliegen des Gemeinschaftsrechts besser als die ansonsten vorzunehmende Erhöhung der Einkünfte nach § 1 AStG. Es handelt sich mithin um eine "gemeinschaftsrechtsfreundliche" Handhabung, die auch unter diesem Gesichtspunkt den Vorzug verdient.