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BFH-Urteil vom 17.10.1979 (I R 157/76) BStBl. 1980 II S. 252

In Streitsachen wegen einheitlicher und gesonderter Gewinnfeststellung ist der Erlaß eines Grundurteils nicht zulässig.

FGO § 99; AO § 215 Abs. 2.

Sachverhalt

Durch Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren erwarben der 1970 verstorbene R. sowie B. und J. gemeinschaftlich zu je 1/3 am 8. März 1965 das Erbbaurecht und später (am 3. Mai 1965) auch das Eigentum an einem Grundstück in B. Das Grundstück ist bebaut mit neun Wohnhäusern (mit insgesamt 66 Wohnungen) und einem Kiosk.

Die Gemeinschafter setzten für den Erwerb an Eigenmitteln etwa 120.000 DM ein. Das Grundstück blieb belastet mit etwa 982.000 DM. Ferner war der Kaufpreis für das Grundstück (75.000 DM) gestundet.

Am 26. August 1965 beantragte der Gemeinschafter R. die Aufteilung des Grundstücks in sechs Parzellen und teilte ferner vier Häuser in Eigentumswohnungen auf (§ 8 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG -).

Ende 1965 bis einschließlich Februar 1966 veräußerten die Gemeinschafter zwei der Häuser und ferner 25 der insgesamt 28 Eigentumswohnungen für insgesamt 1.178.387 DM. Je eine Eigentumswohnung übernahmen die Gemeinschafter R. und B. 1968, nachdem noch eine weitere Eigentumswohnung veräußert worden war. Die nicht verkauften Häuser wurden vermietet.

Für die Streitjahre 1965 und 1966 erklärte die Gemeinschaft Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah in der Tätigkeit der Gemeinschaft einen gewerblichen Grundstückshandel und stellte entsprechend gewerbliche Einkünfte für die Streitjahre gemäß § 215 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) fest. Dagegen legten die Gemeinschafter B. und J. vergeblich Einspruch ein. Nach der dann von allen Gemeinschaftern erhobenen Klage änderte das FA die ursprüngliche Einspruchsentscheidung und setzte den Gewinn aus Gewerbebetrieb für 1965 auf 123.161 DM und für 1966 auf 377.015 DM (einschließlich eines Veräußerungsgewinns in Höhe von 151.895 DM des zum 31. Dezember 1966 ausgeschiedenen Gemeinschafters J.) fest.

Die Kläger haben den Antrag nach § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestellt.

Das Finanzgericht (FG) hat durch Zwischenurteil vorab erkannt, daß das FA dem Grunde nach zu Recht für die Streitjahre 1965 und 1966 Einkünfte aus Gewerbebetrieb einheitlich und gesondert festgestellt habe.

Das FG bejahte den gewerblichen Charakter der Grundstücksverkäufe. In zeitlicher und vermögensmäßiger Hinsicht habe der Gewerbebetrieb aber nicht den vom FA angenommenen Umfang. Die Absicht der Substanzverwertung habe sich erst mit dem Antrag auf Aufteilung des Grundstücks erkennbar gezeigt, die gewerbliche Tätigkeit habe folglich auch damit erst begonnen und sei mit den letzten Verkäufen am 28. Februar 1966 beendet gewesen. Ferner könnten die bisher nicht verkauften Parzellen nicht zum gewerblichen Betriebsvermögen gerechnet werden.

Mit der nur von ihnen eingelegten Revision rügen die Rechtsnachfolgerinnen des Gemeinschafters R. (Revisionsklägerinnen) Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Zwischenurteil sei nicht zulässig, denn es diene nicht der Prozeßwirtschaftlichkeit (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Mai 1975 III R 72/74, BFHE 116,93, BStBl II 1975, 714). Die Tätigkeit der Gemeinschaft sei nicht gewerblich, sondern vermögensverwaltend. Zumindest sei sie das nach dem 28. Februar 1966 gewesen.

Die Revisionsklägerinnen beantragen sinngemäß, das Zwischenurteil aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen und hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Der Erlaß eines Zwischenurteils über den Grund (§ 99 FGO) war unzulässig.

Es kann offenbleiben, ob ein Grundurteil im Streit um einen steuerlichen Anspruch (§ 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -), z. B. den Einkommensteueranspruch, möglich ist (vgl. die von Gräber in Deutsches Steuerrecht 1968 S. 491 [496] - DStR 1968, 491 [496] - im Hinblick auf den Begriff des Streitgegenstandes geäußerten Bedenken). Im Streit um die einheitliche und gesonderte Feststellung eines Besteuerungsmerkmals (§ 215 Abs. 2 AO; vgl. auch § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) ist der Erlaß eines Grundurteils nicht möglich, denn streitig ist nicht ein Anspruch i. S. des § 99 FGO, sondern lediglich ein Element dieses Anspruchs. § 99 FGO ist dem § 304 der Zivilprozeßordnung nachgebildet. Anspruch i. S. beider Vorschriften ist der materiell-rechtliche Anspruch, bei § 99 FGO der Steueranspruch (vgl. BFH-Urteil vom 5. März 1974 I R 91/72, BFHE 111, 460 [462], BStBl II 1974, 359; in dieser Richtung auch BFH-Urteil vom 20. Juni 1968 IV R 222/66, BFHE 93, 365, BStBl II 1968, 804; vgl. ferner Becker/Riewald/Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 99 FGO Amn. 2 [1]; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 99 FGO Anm. 2; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 99 Anm. 6; vgl. auch zu § 111 VwGO: Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. Aufl., S. 238; Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 111 Anm. 1; zu § 304 ZPO: Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 10. Aufl., § 304 Anm. 1; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 38. Aufl., § 304 Anm. 2 A; Wieczorek, Zivilprozeßordnung/Gerichtsverfassungsgesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 304 Anm. A II "außerprozessualer Anspruch"; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., S. 297). Es ist nicht der verfahrensrechtliche Anspruch auf Festsetzung der Steuer bzw. Feststellung eines Besteuerungsmerkmals. Der Senat teilt insofern nicht die (die Entscheidung nicht tragende) Ansicht des BFH-Urteils vom 6. November 1969 IV R 209/67 (BFHE 97, 407, BStBl II 1970, 188; vgl. auch Gräber, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, § 99 Anm. 2). Einzelne Besteuerungsgrundlagen, zu denen auch die nach § 215 Abs. 2 AO festzustellenden Einkünfte gehören (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 215 AO, Anm. 1), sind auch nicht deshalb wie Steueransprüche i. S. des § 99 FGO zu behandeln, weil sie gesondert festgestellt werden. Der Senat hält eine analoge Anwendung des § 99 FGO im Streitfall nicht für möglich, weil durch ein derartiges "Grundurteil" nur über einen Teil der Grundlagen für einen Steueranspruch (vgl. § 284 Abs. 2 AO in der bis zum 31. Dezember 1965 geltenden Fassung) entschieden würde. Teilentscheidungen dieser Art (anders die Fälle des § 98 FGO) sind jedoch in die Finanzgerichtsordnung bewußt nicht übernommen worden.

Da hiernach ein Grundurteil nicht ergehen durfte, ist es ersatzlos aufzuheben. Damit befindet sich der Rechtsstreit wieder in der Lage, die vor Erlaß der Vorentscheidung bestanden hatte. Einer förmlichen Zurückverweisung bedarf es deshalb nicht (BFH-Urteil III R 72/74).