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BFH-Urteil vom 27.8.1980 (VII R 40/80) BStBl. 1980 II S. 760

Wird bei der Steuerbevollmächtigtenprüfung die Benutzung von Hilfsmitteln gestattet, so müssen diese zwecks Schaffung gleicher Prüfungsbedingungen (Chancengleichheit) im wesentlichen gleichwertig sein. Dabei müssen an die Gleichwertigkeit um so höhere Anforderungen gestellt werden, je größer die Bedeutung der Hilfsmittel für die Prüfung ist.

GG Art. 3 Abs. 1; StBerG § 156 Abs. 1; DVStBerG § 15 Abs. 1.

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nahm im Jahre 1978 an der ersten Wiederholungsprüfung für Steuerbevollmächtigte teil. Hierzu war er mit Schreiben der Beklagten und Revisionsklägerin (Oberfinanzdirektion - OFD -) vom 1. September 1978 geladen worden, mit dem ihm - wie allen Prüfungsteilnehmern - die Verwendung eines eigenen Taschenrechners bei der Lösung der Klausuraufgaben gestattet wurde. Der Prüfungsausschuß bewertete jede seiner drei Klausurarbeiten mit der Note 5 (mangelhaft). Die OFD teilte ihm sodann durch Bescheid vom 18. Dezember 1978 mit, daß er die Prüfung nicht bestanden habe. Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die in dem Bescheid enthaltene Prüfungsentscheidung beruhe auf einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit. Während der Prüfung habe ihm nur ein einfacher Taschenrechner zur Verfügung gestanden, während andere Prüfungsteilnehmer druckende Taschenrechner hätten verwenden dürfen. Außerdem habe er die Prüfungsarbeiten unter erheblich eingeschränkten Platzverhältnissen fertigen müssen.

Das Finanzgericht (FG) gab durch Urteil vom 14. Februar 1980 dem Antrag des Klägers, den Bescheid vom 18. Dezember 1978 aufzuheben, statt und führte aus: Der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 13. Oktober 1972 VII C 17.71 (BVerwGE 41, 34) näher behandelte Grundsatz der Chancengleichheit sei im Streitfall durch die Zulassung unterschiedlicher Taschenrechner zum Nachteil des Klägers verletzt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß hierauf sein mangelhaftes Prüfungsergebnis beruhe. Die OFD habe in ihrer Ladung zur Prüfung den Bewerbern ausdrücklich die Benutzung von Taschenrechnern gestattet und hierbei druckende Rechner nicht ausgeschlossen. Der Kläger habe davon ausgehen können, daß nur Taschenrechner ohne Druckwerk zugelassen seien. Wenn dann die OFD in der Prüfung gleichwohl druckende Rechner zugelassen habe, seien insoweit ungleiche Prüfungsbedingungen geschaffen worden, so daß die Chancengleichheit der Bewerber nicht mehr gewährleistet gewesen sei. Daß sich die Zulassung unterschiedlicher Arbeitsmittel in der Prüfung des Klägers zu dessen Nachteil ausgewirkt habe, könne nicht ausgeschlossen werden. Die Prüfungsarbeiten hätten sich mit einem druckenden Rechner schneller und besser lösen lassen als mit dem vom Kläger verwendeten Gerät. Im Prüfungstermin des Klägers hätten die Teilnehmer umfangreiche Berechnungen anstellen müssen, nämlich neben Subtraktionen und Additionen auch Prozentrechnungen sowie Rechnungen, die die Bildung von Zwischensummen erfordert hätten, und dergleichen mehr. Das ergebe sich zum Beispiel aus den Berechnungen auf der Seite drei der ersten Klausur, auf den Seiten zwei, drei und sechs der zweiten Klausur und auf der Seite sechs der dritten Klausur. Es könne keine Frage sein, daß bei derartigen, zum Teil schwierigen und umfangreichen Rechenoperationen ein Prüfling mit einem druckenden Taschenrechner gegenüber demjenigen im Vorteil sei, dessen Gerät Zwischensummen, Rechenoperationen und Ergebnisse nicht ausdrucke.

Mit der Revision macht die OFD geltend:

Die in der Steuerbevollmächtigtenprüfung zu lösenden Fälle seien zwar zwangsläufig mit verschiedenen Berechnungen verbunden. Diese seien jedoch so einfach, daß sie ohne und mit einem Rechengerät durchschnittlich in der gleichen Zeit hätten angestellt werden können. Sofern die Verwendung von Rechengeräten im vorliegenden Fall überhaupt eine Bedeutung gehabt habe, sei diese so gering gewesen, daß sie im Verhältnis zu dem für die Lösung der Prüfungsaufgabe erforderlichen intellektuellen und schreibtechnischen Aufwand nicht ins Gewicht habe fallen können. Hier laufe die Berufung auf den Gleichheitssatz auf die Forderung absoluter mathematischarithmetischer Gleichheit hinaus, und damit sei dieser Verfassungsgrundsatz überbeansprucht.

Die OFD beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, und macht im wesentlichen geltend, die OFD verkenne die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Chancengleichheit im Prüfungsrecht und irre mit der Auffassung, die Verwendung unterschiedlicher Taschenrechner habe keinen meßbaren Vorteil gebracht.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Grundsatz der Chancengleichheit stellt eine besondere Ausformung des durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechts auf Gleichbehandlung dar, das gemäß Art. 1 Abs. 3 GG auch die Verwaltungsbehörden als unmittelbar geltendes Recht bindet. Bei seiner Auslegung ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Juli 1959 1 BvR 394/58, BVerfGE 10, 89, 117, und vom 14. März 1967 1 BvR 334/61, BVerfGE 21, 209, 218 f.). Deshalb richtet sich das Maß, in dem die mit einer Prüfung betraute Behörde den Kandidaten gleiche Prüfungsbedingungen zu gewährleisten hat, nach dem mit der Prüfung verfolgten Zweck. Zu den Prüfungsbedingungen gehört auch die Erlaubnis, bestimmte Hilfsmittel bei der Anfertigung von Aufsichtsarbeiten verwenden zu dürfen (vgl. Entscheidungen des BVerwG in BVerwGE 41, 34, und vom 19. September 1978 VII B 19.78, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - Buchholz BVerwG - 421.0 Nr. 97). Inwieweit die Prüfungsbehörde dafür zu sorgen hat, daß bei der Anfertigung von Aufsichtsarbeiten gleiche Hilfsmittel verwendet werden, hängt daher von der Bedeutung der Hilfsmittel für die Prüfung ab. Je stärker die eingesetzen Hilfsmittel nach ihrer Art und ihrem Umfang zur Entfaltung des in der Prüfung zu messenden Leistungsvermögens der Kandidaten beitragen, um so strikter hat die Behörde auf die gleichmäßige Verteilung gleichartiger oder für die Bewältigung der Prüfungsaufgaben zumindest gleichwertiger Hilfsmittel zu achten (vgl. Buchholz BVerwG 421.0 Nr. 97).

Der Zweck einer Steuerbevollmächtigtenprüfung besteht zwar nicht im Nachweis der Fähigkeit, Rechenaufgaben innerhalb einer bestimmten Zeit richtig zu lösen. Jedoch war im vorliegenden Fall nach den insoweit von der OFD selbst bestätigten Feststellungen des FG die von den Kandidaten verlangte Lösung von Fällen aus dem Steuerrecht zwangsläufig mit verschiedenen Berechnungen verbunden. Es kommt daher hier für das Maß, in dem die OFD den Kandidaten gleiche Prüfungsbedingungen zu gewährleisten hatte, auch auf die Bedeutung der zugelassenen Hilfsmittel zur Bewältigung der konkret anfallenden Rechenarbeiten an. Das FG hat in dieser Hinsicht festgestellt, im Prüfungstermin des Klägers hätten die Teilnehmer zum Teil schwierige und umfangreiche Rechenoperationen anstellen müssen. Diese Feststellung genügt nicht den Anforderungen des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO, wonach in dem Urteil die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Als solche Gründe kommen nur nachvollziehbare konkrete Gesichtspunkte und Erwägungen in Betracht (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. November 1976 VII R 121/75, BFHE 120, 462, BStBl II 1977, 215, und vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, BStBl II 1980, 402). Das FG hat die erwähnte Feststellung nur mit Hinweisen auf bestimmte Seiten der drei vom Kläger gefertigten Klausuren begründet. Für den erkennenden Senat ist jedoch nicht nachprüfbar, weshalb das FG zu der Überzeugung gekommen ist, daß die angegebenen Rechenoperationen zum Teil schwierig und umfangreich gewesen seien. Deshalb muß das FG-Urteil aufgehoben und die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (vgl. BFHE 120, 462, BStBl II 1977, 215).