| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Urteil vom 4.8.1983 (III R 79, 141/81) BStBl. 1983 II S. 708

Eine Ermäßigung des Grundstückswertes wegen ungewöhnlich starker Beeinträchtigung durch Fluglärm kommt nur für solche Grundstücke in Betracht, die innerhalb der nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 (BGBl I 1971, 282) festgesetzten Schutzzonen des Lärmschutzbereichs liegen.

BewG 1965 § 82 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren am streitigen Stichtag (1. Januar 1974) je zur Hälfte Miteigentümer der Einfamilienhäuser J. und T. in X. Durch Wert- und Zurechnungsfortschreibung bzw. Nachfeststellung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einheitswerte im Ertragswertverfahren fest. Das FA legte der Bewertung die örtlichen Vergleichsmieten zugrunde und ermäßigte den Grundstückswert wegen ungewöhnlich starker Beeinträchtigung durch Fluglärm gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1 des Bewertungsgesetzes 1965 (BewG) um 5 v. H. Die Grundstücke der Kläger liegen - 7,5 km vom Ende der Hauptstart- und -landebahn entfernt - unmittelbar in der Einflugschneise des Flughafens Köln-Bonn, aber außerhalb der durch Verordnung vom 1. Dezember 1975 (BGBl I 1975, 2953) nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm vom 30. März 1971 - FlugLG - (BGBl I 1971, 282) festgesetzten Schutzzonen des Lärmschutzbereichs. Sie befinden sich jedoch innerhalb der Zone C des Lärmschutzbereichs für diesen Flughafen, die durch den Landesentwicklungsplan IV - LEP IV - für das Land Nordrhein-Westfalen (Bekanntmachung des Ministerpräsidenten vom 8. Februar 1980 - II B 4-50.15 IV - , Ministerialblatt Nordrhein-Westfalen - MinBl NW - 1980, 518) festgelegt und nach dem im FlugLG angeordneten Berechnungsverfahren (Anlage zu § 3 FlugLG) abgegrenzt worden ist. Auf diesen Bereich wirkt der Fluglärm mit einem äquivalenten Dauerschallpegel (Leq) zwischen 62 und 67 dB (A) ein. Die Kläger waren der Ansicht, der Grundstückswert müsse wegen erheblicher Beeinträchtigung durch Fluglärm um 50 v. H. ermäßigt werden. Zum Beweis für die Stärke der Fluglärmbelästigung legten sie ein Sachverständigengutachten vor, in dem für den Meßzeitraum ein äquivalenter Dauerschallpegel von 66,75 dB (A) ermittelt wurde. Dem Gutachten liegen Lärmmessungen zugrunde, die auf einem der Grundstücke in der Zeit vom 10. bis 12. Dezember 1975 durchgeführt worden waren.

Einspruch und Klage, mit denen eine Ermäßigung des Grundstückswertes um 30 v. H. wegen außergewöhnlicher Beeinträchtigung durch Fluglärm begehrt wurde, blieben ohne Erfolg. Die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1981, 437 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 82 Abs. 1 und 3 BewG. § 82 Abs. 1 BewG sei verletzt, weil das FG allein den nach der Anlage zu § 3 FlugLG zu errechnenden Dauerschallpegel als Maßstab zur Feststellung der Beeinträchtigung durch den Fluglärm angesehen habe. Dabei würden die Spitzenschallpegel zu wenig berücksichtigt. Das FG weiche damit von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ab, wonach eine typisierende, auf Durchschnittswerte abstellende Methode der Ermittlung des Fluglärms nicht gerecht werde. Das FG habe die sich aus der Belegenheit der Grundstücke in der Zone C des LEP IV ergebenden Anforderungen der Bauleitplanung an den Schallschutz nicht ausreichend gewürdigt. Auch müsse stärker berücksichtigt werden, daß es sich im Streitfall um ein von anderen Störfaktoren unbelastetes Wohngebiet handele. Im übrigen werde die Anwendung eines einheitlichen Abschlages für die gesamte Zone C ohne jede Abstufung dem § 82 BewG nicht gerecht. Ein Abschlag von 30 v. H. sei auch der Höhe nach gerechtfertigt und mit § 82 Abs. 3 BewG vereinbar.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben, hilfsweise, die Streitsache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unbegründet.

1. a) Die Einfamilienhäuser der Kläger sind zutreffend im Ertragswertverfahren bewertet (§ 76 Abs. 1 BewG). Nach § 82 Abs. 1 BewG ist der vorläufige Grundstückswert zu ermäßigen, wenn wertmindernde Umstände vorliegen, die weder in der Jahresrohmiete noch in der Höhe des Vervielfältigers berücksichtigt sind. Als ein solcher Umstand kommt gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1 BewG die ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Fluglärm in Betracht. In der Nähe von Verkehrs- und Militärflugplätzen kann Fluglärm ein solches Ausmaß erreichen, daß die davon betroffenen Grundstücke ungewöhnlich stark beeinträchtigt werden.

b) Der Senat unterstellt, daß sich der Fluglärm bei der vom FA der Bewertung zugrunde gelegten Jahresrohmiete nicht ausgewirkt hat, so daß dem Grunde nach im Streitfall eine Ermäßigung des Grundstückswertes in Betracht kommen kann. Die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen eine ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Lärm vorliegt, hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Dies erfordert jedoch nicht stets eine Ermittlung der konkreten Lärmsituation in jedem Einzelfall. Der Senat geht davon aus, daß wegen des Wesens der Einheitsbewertung als Massenverfahren jedenfalls dann eine typisierende Berücksichtigung der Lärmbeeinträchtigung zulässig ist, wenn eine Lärmquelle eine größere Anzahl von Grundstücken in gleicher oder ähnlicher Weise betrifft, das Ausmaß der Lärmbelästigung für einzelne regionale Bereiche durch anerkannte Verfahren ermittelt ist und die Ermittlung der Lärmbeeinträchtigung in jedem Einzelfall für ein Massenverfahren zu aufwendig wäre. Insoweit darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Ermittlung des Einheitswertes im Ertragswertverfahren weitgehend typisiert ist.

c) Das technisch-mathematische Verfahren der Anlage zu § 3 FlugLG im Zusammenhang mit den dazu erarbeiteten Datenerfassungssystemen und der Berechnungsanleitung (vgl. Fluglärmbericht der Bundesregierung, BT-Drucks. 8/2254, Anlage 13 und 14) ist eine Methode zur typisierten Ermittlung des Fluglärms für große Immissionsflächen. Es bezieht eine Vielzahl akustischer Meßdaten für Flugzeuge bestimmter Gruppen bei bestimmtem Flugverhalten und bestimmter Entfernung vom Immissionsort ebenso in die Ermittlung der Schutzzonen ein, wie Art und Umfang des voraussehbaren Flugbetriebs auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaus des Flugplatzes (§ 3 FlugLG). Dabei ist der Schalldruck als Mittelwert, der sich u. a. aus der Dauer der Lärmbelastung, dem größten Lautstärkepegel und der Häufigkeit der Schallereignisse errechnet, in einem äquivalenten Dauerschallpegel - Leq - mit der Meßeinheit dB (A) ausgedrückt. Der jeweilige Leq ist ein objektiver Wert, unabhängig vom individuellen, also subjektiven Lärmempfinden. Aus diesem geschlossenen Regelwerk errechnet sich der nach dem FlugLG festzusetzende Lärmschutzbereich mit seinen Schutzzonen 1 und 2 sowie die im FlugLG nicht vorgesehene dritte Schutzzone. Der Gesetzgeber wollte damit insbesondere aus gesundheitspolitischen Gründen sicherstellen, daß in exakt abgrenzbaren Gebieten mit voraussehbar besonders hoher Fluglärmbelastung grundsätzlich keine lärmschutzbedürftigen Gemeinschaftseinrichtungen (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 FlugLG) mehr errichtet und in einem weiteren, voraussichtlich extrem lärmbelasteten Bereich keine neuen Wohngebiete im Außenbereich festgesetzt werden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 7. Oktober 1980 BvR 584/76 u. a., BVerfGE 56, 298, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBI - 1981, 535). Diese Festlegung des Lärmschutzbereichs gemäß § 2 FlugLG als Belastungskernbereich mit voraussichtlich besonders hoher oder extremer Fluglärmbelastung ist nach Auffassung des Senats auch geeignet, das Tatbestandsmerkmal "ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Lärm" i. S. von § 82 Abs. 1 Nr. 1 BewG für den Bereich des Fluglärms objektiv abzugrenzen. Mit der Belegenheit eines Grundstücks in den nach dem FlugLG festgesetzten Schutzzonen und des Lärmschutzbereichs ist auch für die Einheitsbewertung des Grundbesitzes ein objektives und überprüfbares Merkmal gegeben, das frei von subjektiven Eindrücken und Vorstellungen ist und im Rahmen der Massenbewertung in praktikabler Weise zu vertretbaren Ergebnissen sowie zu einer gleichmäßigen Behandlung der Steuerfälle führt. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß nach dem Bericht des gemeinsamen Länderarbeitskreises "Fluglärm und Bodennutzung" vom Mai 1975 kein anderes Verfahren entwickelt ist, das gegenüber dem Verfahren nach der Anlage zu § 3 FlugLG entscheidende Vorzüge besitzt. Die Ergebnisse der zur Fluglärmmessung in Betracht kommenden sonstigen Methoden kommen, wie das FG festgestellt hat, denjenigen, die nach den Regeln des FlugLG ermittelt werden, sehr nahe. Auch eine vergleichende Untersuchung aller relevanten, weltweit bestehenden Meß- und Bewertungsverfahren für Fluglärm einschließlich des Verfahrens nach dem FlugLG kommt zu dem Ergebnis, daß "die akustischen Fluglärmmaße untereinander hohe Korrelationen zeigen (Korrelationskoeffizient R über 0,95) und von daher als empirisch gleichwertig gelten müssen" (BT-Drucks. 8/2254 Nr. 5.3).

d) Der Senat folgt nicht der rechtlichen Würdigung des FG, wonach auch die in der durch den LEP IV festgesetzten dritten Schutzzone (sog. Lärmzone C) auftretenden erheblichen Belästigungen durch Fluglärm eine "ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Lärm" i. S. von § 82 Abs. 1 Nr. 1 BewG darstellen sollen. In der Lärmzone C sind die Beeinträchtigungen zwar noch stark und deshalb planungsrechtlich erheblich. Diese Zone gilt jedoch als "Randbereich akustischer Relevanz" (vgl. BT-Drucks. 8/2254 Nr. 5.2) und wurde vom Gesetzgeber deshalb nicht in das FlugLG aufgenommen. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, daß die Lärmzone C einem Leq von 62 - 67 dB (A) ausgesetzt ist, während ein großer Teil der Bevölkerung von Großstädten Verkehrslärmimmissionen von 70 - 75 dB (A) unterliegt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. September 1977 III R 42/75, BFHE 123, 364, BStBl II 1978, 5). Danach wäre im Streitfall eine Ermäßigung wegen ungewöhnlich starker Beeinträchtigung durch Fluglärm nicht zu gewähren. Wegen des Verböserungsverbotes im finanzgerichtlichen Verfahren (vgl. BFH-Urteil vom 21. April 1966 V 200/63, BFHE 86, 178, BStBl III 1966, 415) ist es jedoch nicht zulässig, den vom FA gewährten Abschlag von 5 v. H. außer Ansatz zu lassen.

2. Die Kläger fordern unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH zur nachbarrechtlichen Zumutbarkeit von Störungen durch Fluglärm (Urteile vom 15. Juni 1977 V ZR 44/75, BGHZ 69, 105, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1977, 1917, und vom 26. November 1980 V ZR 126/78, BGHZ 79, 45, NJW 1981, 1369), die konkrete Fluglärmsituation bei ihren Grundstücken in die Beurteilung mit einzubeziehen. Diesem Begehren kann bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens schon wegen der unter 1. dargelegten maßgeblichen Typisierung nicht entsprochen werden. Abgesehen davon setzt die Annahme einer über das zumutbare Maß hinausgehenden Störung durch Fluglärm gemäß § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BGH keine besonders schwere Beeinträchtigung voraus. Das für das Merkmal Unzumutbarkeit geforderte Ausmaß der Beeinträchtigung im Nachbarrecht ist also gegenüber dem Merkmal "ungewöhnlich starke Beeinträchtigung durch Lärm" i. S. von § 82 BewG geringer. Auch der Hinweis der Kläger auf die Rechtsprechung des BVerwG führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Rechtsprechung des BVerwG zur Berücksichtigung der Dauerschallpegel (Urteil vom 7. Juli 1978 4 C 79/76 u. a., BVerwGE 56, 110, NJW 1969, 64) hält ein von einem Planvorhaben betroffenes Grundstück für um so schutzwürdiger, je mehr es nach der Gebietsart berechtigterweise Schutz vor Immissionen erwarten kann. Eine solche unterschiedliche Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmimmissionen ist - aus Gründen der Praktikabilität - auf das Bewertungsrecht nicht übertragbar.