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BFH-Urteil vom 27.7.1983 (II R 221/81) BStBl. 1983 II S. 740

Werden die Söhne des verstorbenen Gesellschafters einer Personengesellschaft dessen Nachfolger als Gesellschafter und wird der Witwe der "Nießbrauch" an den Gewinnanteilen vermacht, so ist dieser "Nießbrauch" nach § 16 Abs. 1 BewG 1965 zu bewerten (Anschluß an das BFH-Urteil vom 4. Juni 1980 II R 22/78, BFHE 131, 77, BStBl II 1980, 608).

BewG 1965 § 16 Abs. 1.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob der erbschaftsteuerrechtliche Wert eines der Klägerin vermachten "Nießbrauches" durch § 16 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) 1965 begrenzt wird.

1. Die Klägerin ist die Witwe des 1968 gestorbenen Erblassers. Dieser war persönlich haftender Gesellschafter einer KG gewesen.

In seinem Testament hatte der Erblasser u. a. seinen Sohn X (den Beigeladenen zu 1) zum Alleinerben eingesetzt und ihn verpflichtet, dem anderen Sohn des Erblassers, Y (dem Beigeladenen zu 2), die Hälfte des Gesellschaftsanteils an der KG zu übertragen. Der Klägerin vermachte der Erblasser neben einem Grundstück sowie Ansprüchen aus Lebensversicherungen und Bausparverträgen "den Nießbrauch an dem auf meine Söhne ... entfallenden Anteilen am Gewinn, der auf die meinen Söhnen vererbten bzw. übertragenen Kapitalanteilen an der Kommanditgesellschaft ... entfällt, jedoch in der Weise, daß meiner Ehefrau" (der Klägerin) "je 60 % des Gewinnes und meinen Söhnen ... je 40 % des Gewinnes zusteht ... Die Mitgliedschaftsrechte werden von meinen Söhnen ... ausgeübt." Ferner sollten der Klägerin "60 % der Zinsen, die auf die Privatkonten entfallen," zustehen, "während die restlichen 40 % meinen Söhnen ... verbleiben".

Die Beigeladenen sind nach dem Tode des Erblassers im Handelsregister als Gesellschafter der KG eingetragen worden. Die Klägerin erhält die ihr It. Testament zustehenden Gewinnanteile.

2. Das beklagte Finanzamt (FA) setzte gegen die Klägerin Erbschaftsteuer fest.

3. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung. Der Jahreswert des Nießbrauches werde durch § 16 Abs. 1 BewG 1965 begrenzt. Danach ergebe sich kein steuerpflichtiger Erwerb mehr.

Das FG hat der Klage stattgegeben. Der "Nießbrauch" der Klägerin sei eine Nutzung i. S. des § 16 Abs. 1 BewG 1965.

Mit seiner Revision begehrt das FA die Aufhebung des FG-Urteils und Abweisung der Klage.

Die Klägerin und die Beigeladenen beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des FA ist unbegründet und wird daher zurückgewiesen.

Der "Nießbrauch", den der Erblasser der Klägerin vermacht hat, ist eine Nutzung i. S. des § 16 Abs. 1 BewG 1965.

Es kann offenbleiben, wie der vorgenannte "Nießbrauch" bürgerlich-rechtlich einzuordnen ist (vgl. zu den verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. April 1973 IV R 67/69, BFHE 109, 133, BStBl II 1973, 528, unter 1. und 2. der Gründe). Denn der Wortlaut des § 16 Abs. 1 BewG 1965 greift über den Nießbrauch hinaus und erfaßt alle "Nutzungen eines Wirtschaftsgutes". Selbst wenn das Recht der Klägerin nur obligatorischer Natur wäre, würde das nicht schaden; denn die Nutzungen des § 16 Abs. 1 BewG 1965 brauchen nicht dinglich zu sein (vgl. das BFH-Urteil vom 24. April 1970 III R 36/67, BFHE 99, 208, BStBl II 1970, 591). Der Berechtigte auf die Nutzungen braucht darüber hinaus nicht einmal mittelbaren oder unmittelbaren Besitz an dem genutzten Wirtschaftsgut zu haben (BFHE 99, 208, 214, BStBl II 1970, 591). Demnach reicht es zumindest aus, daß die Nutzungen in die Form von Ansprüchen gegen den unmittelbaren Besitzer des Wirtschaftsguts gekleidet sind. Im vorliegenden Fall ist demnach gleichgültig, ob sich die Ansprüche der Klägerin direkt gegen die KG oder nur gegen die Beigeladenen als Inhaber der Gesellschaftsanteile richten.

Allerdings fordert der Begriff der Nutzungen nach seinem Sinngehalt einen engen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Anspruch des Nutzungsberechtigten und dem genutzten Wirtschaftsgut. Der Anspruch muß sich auf Erträge des Wirtschaftsguts beschränken (BFHE 99, 208, 214, BStBl II 1970, 591; vgl. auch das BFH-Urteil vom 2. Dezember 1971 II 82/65, BFHE 105, 65, BStBl II 1972, 473). Auch diese Voraussetzung liegt hier vor. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf "Mindestgewinn", falls die KG keinen Gewinn erwirtschaftet.

Das FA beruft sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil vom 4. Juni 1980 II R 22/78 (BFHE 131, 77, BStBl II 1980, 608). Der Senat hat zwar in dieser Entscheidung darauf abgestellt, daß der Schenker des Gesellschaftsanteils aufgrund des vorbehaltenen Nutzungsrechts auf einen Teil des Gewinns der Gesellschaft einen Anspruch habe, der sich nicht nur gegen den Beschenkten, sondern auch gegen die Gesellschaft richte, und daß der Nutzungsberechtigte vordem selbst Gesellschafter gewesen sei. Der Regelungsinhalt des § 16 BewG wird mit dieser Fallgestaltung aber nicht erschöpft.

§ 16 BewG wurde durch das Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 10. August 1963 (BGBl I 1963, 676) auf Vorschlag des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages in das BewG - als § 17 a - aufgenommen. Mit dieser Vorschrift sollte die bewertungsrechtliche Diskrepanz zwischen dem Einheitswert eines Wirtschaftsguts und dem Kapitalwert seiner Nutzungen ausgeglichen oder gemildert werden (vgl. BT-Drucks. IV/1365, Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses vom 21. Juni 1963). Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß der (steuerliche) Wert der Nutzungen eines Wirtschaftsguts nicht größer sein kann als der (steuerliche) Wert des genutzten Wirtschaftsguts selbst. Dem sich aus § 16 BewG ergebenden Regelungsziel entspricht es, diese Vorschrift auf alle Fallgestaltungen von Nutzungsrechten (dinglicher oder obligatorischer Natur) anzuwenden, bei denen der Berechtigte auf die Nutzungen des Wirtschaftsguts beschränkt ist und darüber hinausgehende persönliche Ansprüche gegen denjenigen, der die Nutzungen dulden muß, nicht bestehen. In all diesen Fällen liegt die vom III. Senat des BFH geforderte enge rechtliche und wirtschaftliche Bindung zwischen dem Anspruch des Nutzungsberechtigten und dem genutzten Wirtschaftsgut vor.

Der III. Senat hat in seiner Entscheidung in BFHE 99, 208, 213, BStBl II 1970, 591 zwar die Frage unentschieden gelassen, ob § 16 BewG auf (dingliche oder obligatorische) Nutzungsrechte auch dann anzuwenden sei, wenn die Erzielung der Nutzungen eine Tätigkeit erfordert, die über eine Vermögensverwaltung oder eine dieser gleichzuachtende Tätigkeit hinausgeht. Dabei hatte der III. Senat anscheinend Nutzungsrechte an (gewerblichen oder landwirtschaftlichen) Betriebsvermögen im Auge. Der erkennende Senat hat diese vom III. Senat bisher nicht entschiedene Frage in seinem Urteil in BFHE 131, 77, BStBl II 1980, 608 dahin beantwortet, daß eine solche Tätigkeit der Annahme von Nutzungen i. S. des § 16 BewG nicht entgegenstehe, wenn der (Unternehmer-)Lohn für diese Tätigkeit aus den Nutzungen ausgeschieden werde. Der so ermittelte oder bereinigte Ertrag eines Unternehmens entspricht den Nutzungen des Betriebsvermögens dieses Unternehmens. Sinn und Zweck des § 16 BewG gebieten es deshalb, diese Vorschrift auch auf obligatorische Gewinnbezugsrechte anzuwenden, die auf die Nutzungen des Betriebsvermögens beschränkt sind. Der Anpassung des Schuldabzugs aufgrund eines solchen Nutzungsrechts an den Einheitswert des genutzten Wirtschaftsguts entspricht es, daß der Berechtigte nur den reduzierten Wert als Vermögen ansetzen muß (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1978 III R 120/75, BFHE 124, 234, BStBl II 1978, 257).