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BFH-Urteil vom 7.7.1983 (V R 197/81) BStBl. 1984 II S. 70

Die Inanspruchnahme des ehemaligen Geschäftsführers einer wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöschten GmbH als Haftungsschuldner für Umsatzsteuern der GmbH kann nicht deshalb unterbleiben, weil der leistungsempfangende Unternehmer die Umsatzsteuer nur mangels gesonderter Inrechnungstellung der Umsatzsteuer nicht als Vorsteuerabzugsbetrag geltend machen konnte, also eine faktische "Nullsituation" eingetreten war.

UStG 1967/1973 §§ 1, 13, 15; AO 1977 §§ 37, 38, 69, 191.

Sachverhalt

Der Kläger war einer der beiden Gesellschafter der im November 1975 errichteten und am 5. Juni 1978 wegen Vermögenslosigkeit gelöschten A-GmbH. Beide Gesellschafter waren Geschäftsführer; dem Kläger oblag die Finanz- und Personalbuchhaltung einschließlich der steuerlichen Beratung und Vertretung. Die Tätigkeit der A-GmbH beschränkte sich darauf, in der Zeit vom Dezember 1975 bis Mai 1977 der N-GmbH gegen laufende - zumindest monatliche - Erstattung von Kosten Bauarbeiter zu überlassen. Hierfür forderte die A-GmbH, ohne einen Gewinnzuschlag zu berechnen und ohne Umsatzsteuer gesondert auszuweisen, von der N-GmbH im Jahre 1975 20.000 DM, im Jahre 1976 330.727 DM und im Jahre 1977 103.250 DM. Die N-GmbH hat die Forderungen beglichen.

Für die A-GmbH gab der Kläger Umsatzsteuervoranmeldungen für das 2., 3. und 4. Kalendervierteljahr 1976 ab, und zwar jeweils über Umsätze von Null DM. Mit Schreiben vom 10. Januar 1977 erklärte er dem beklagten Finanzamt erläuternd, die Gesellschaft errichte Bauten und habe hierfür nur Abschlagszahlungen erhalten. Für die übrigen Zeiträume der Arbeitnehmergestellung wurden weder Umsatzsteuervoranmeldungen noch Umsatzsteuererklärungen abgegeben; Umsatzsteuer wurde nicht entrichtet.

Nach einer Steuerfahndungsprüfung bei der A-GmbH und bei der N-GmbH erließ das Finanzamt am 14. August 1980 gegen den Kläger als früheren Geschäftsführer der A-GmbH einen Haftungsbescheid wegen nicht entrichteter Umsatzsteuer der A-GmbH aus steuerpflichtiger Arbeitnehmergestellung an die N-GmbH. Die Haftungsansprüche berechnete es mit 241,93 DM für das Kalenderjahr 1975, mit 28.073,38 DM für das Kalenderjahr 1976 und mit 9.655,89 DM für das Kalenderjahr 1977.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hat der Kläger die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt.

Das Finanzgericht hat den Haftungsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Finanzamt habe bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner deshalb nicht ermessensgemäß gehandelt, weil es nicht die umsatzsteuerrechtlichen Auswirkungen bei der A-GmbH und bei der N-GmbH in seine Betrachtung einbezogen habe. Die Umsatzsteuer stelle eine Verbrauchsteuer dar, die sich beim Umsatz an den Letztverbraucher verwirkliche. Die Umsatzsteuerschuld des leistenden Unternehmers und der Vorsteuerabzugsanspruch des leistungsempfangenden Unternehmers glichen sich regelmäßig aus. Die Billigkeit gebiete es, dem bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zur Umsatzsteuer Rechnung zu tragen. Die Entscheidung des Finanzgerichts ist in ZIP 1982, 1.001 abgedruckt.

Mit der Revision beantragt das Finanzamt, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung der §§ 1 und 15 UStG 1973 sowie der §§ 34, 69, 37, 191 und 5 AO 1977.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Finanzamts ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das Finanzgericht hat die Grenzen des dem Finanzamt eingeräumten Ermessens verkannt.

1. Wenngleich das Finanzgericht zutreffend darauf hinweist, daß die Konstruktion des Umsatzsteuerrechts - soweit die Unternehmerkette betroffen ist - vom gedanklichen Ausgangspunkt her darauf beruht, daß sich Steuer und Vorsteuer betragsmäßig gegeneinander als "Einnahme" bzw. "Ausgabe" des Steuergläubigers aufheben, so hat es daraus jedoch unzutreffende Schlüsse gezogen. Denn der Grundgedanke der sog. Null-Situation in der Unternehmerkette berührt die Steuerpflicht des leistenden Unternehmers selbst nicht. Die Steuer entsteht in der gesetzlichen Höhe unabhängig davon, ob die am Leistungsaustausch beteiligten Unternehmer die ihnen vom Gesetz angebotenen Möglichkeiten, die Null-Situation herbeizuführen (gesetzlicher Anspruch auf Rechnungserteilung mit gesondertem Steuerausweis, Vorsteuerabzug), nützen oder nicht. Dem Unternehmer ist es verwehrt, sich gegenüber der Festsetzung der entstandenen Umsatzsteuer darauf zu berufen, er schulde die Steuer deshalb nicht, weil der (vorsteuerabzugsberechtigte) leistungsempfangende Unternehmer keinen Vorsteuerabzugsanspruch geltend machen werde.

2. Der Haftungsanspruch als auf Zahlung gerichteter Anspruch gegen einen nicht am Steuerschuldverhältnis als Steuerschuldner Beteiligten ist - soweit die besonderen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für seine Entstehung gegeben sind - vom Steueranspruch nicht trennbar. Daraus folgt zum einen, daß dem Haftungsschuldner keine Einwendungen gegenüber dem Haftungsbetrag zustehen können, die dem Steuerschuldner gegen den Steuerbetrag unter keinem Gesichtspunkt zustehen können. Zum anderen folgt daraus, daß die Höhe des Haftungsanspruchs grundsätzlich nicht zur Disposition der Finanzbehörde gestellt ist. Insoweit besteht demgemäß auch kein Ermessen. Da im Zeitpunkt der Festsetzung des Haftungsanspruchs gegen den Kläger die A-GmbH, welche die Steuer schuldete, bereits im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht war, stand es auch nicht im Ermessen des Finanzamts, ob es den Anspruch gegen den Kläger geltend mache oder nicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573).

3. Da das Finanzgericht - von seiner Sicht aus zutreffend - keine Feststellungen zur Entstehung des Haftungsanspruchs dem Grunde nach getroffen hat, ist die Sache nicht spruchreif.