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BFH-Urteil vom 25.1.1985 (VI R 173/80) BStBl. 1985 II S. 437

Arbeitslohn durch Zuwendung eines geldwerten Vorteils ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber damit rechnen muß, daß einzelne Arbeitnehmer den gestundeten Kaufpreis für entgeltlich überlassenes Arbeitsgerät abredewidrig nicht entrichten werden, und wenn der Arbeitgeber es unterläßt, zunächst mit Gegenforderungen ganz oder teilweise aufzurechnen.

EStG 1969/1971 §§ 8, 19 Abs. 1 Nr. 1, § 11.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Holzeinschlag- und Transportunternehmen und beschäftigt nach Bedarf zwischen 20 und 30 - regelmäßig ausländische - Arbeitnehmer.

Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Prüfer u. a. folgendes fest:

Die beim Kläger beschäftigten Waldarbeiter hatten für ihr Arbeitsgerät selbst aufzukommen. Soweit erforderlich, überließ ihnen der Kläger Motorsägen und Werkzeug zum Selbstkostenpreis und erhielt das Entgelt später bzw. in Raten. Im Prüfungszeitraum verkaufte der Kläger an seine Arbeitnehmer Werkzeug für rd. 80.000 DM, vereinnahmte jedoch nur rd. 57.000 DM. Von der Differenz sah der Prüfer einen Teilbetrag von rd. 17.000 DM als zusätzlichen Arbeitslohn an, weil der Kläger es über einen längeren Zeitraum (ein Jahr und mehr) unterlassen habe, die Forderungen durch Lohnkürzungen auszugleichen. Da keine Vereinbarungen über Tilgung, Verzinsung und Rückzahlungszeitraum getroffen worden waren, habe insofern ein endgültiger Forderungsverzicht und in dessen Höhe Arbeitslohn vorgelegen.

Dementsprechend erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) einen Haftungsbescheid, in welchem er unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Steuersatzes von 25 v. H. Lohn- und Kirchenlohnsteuer festsetzte.

Mit der Klage wandte sich der Kläger u. a. gegen die Erfassung der ausgefallenen Forderungen aus den Werkzeugverkäufen als Arbeitslohn.

Zur Begründung trug der Kläger vor, er habe hinsichtlich der Kaufpreisforderungen zwar häufig Zahlungsaufschub gewährt, nicht aber auf die Eintreibung freiwillig verzichtet. Er habe vielmehr - auch gerichtliche - Beitreibungsversuche unternommen und sei lediglich daran gescheitert, daß einzelne Arbeitnehmer nicht bezahlte Werkzeuge mitgenommen hätten und ihre Anschriften nicht zu ermitteln gewesen seien.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage im Streitpunkt nicht entsprochen.

Das Gericht ging davon aus, der Kläger habe bereits bei der Stundung der Kaufpreisforderungen für den Fall der Unmöglichkeit der Verrechnung mit Lohnansprüchen bzw. einer sonstigen Befriedigung auf die Realisierung der Forderungen verzichtet. Dies schloß das FG aus der Tatsache, daß der Kläger den Arbeitnehmern die Werkzeuge überlassen habe, obwohl er die schlechte Zahlungsmoral und die Gefahr gekannt habe, daß sich einzelne Arbeitnehmer mitsamt dem nicht bezahlten Werkzeug entfernen könnten. Andernfalls hätte sich der Kläger durch die Beschaffung von Sicherheiten oder die sofortige Verrechnung mit Lohnansprüchen geschützt. Der Kläger habe befürchtet, seine Arbeitnehmer könnten abgeworben werden. Um zu erreichen, daß Arbeitnehmer überhaupt bei ihm arbeiteten, habe er sie zunächst kostenlos mit Werkzeug ausgerüstet und sei schon bei der Einstellung bereit gewesen, notfalls auch auf die Realisierung der Forderung aus der Werkzeugausstattung zu verzichten. Werde eine Forderung unter Umständen begründet, die darauf schließen lassen, daß auf die Tilgung evtl. verzichtet werden soll, sei mit Eintritt dieser Umstände Zufluß von Arbeitslohn anzunehmen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Auf die Beitreibung der Forderungen aus Werkzeuglieferungen sei in keinem Fall verzichtet worden. Insbesondere seien auch Lohnkürzungen erfolgt und Pfändungen durchgeführt worden. Etwas anderes habe nur gegolten, wenn die Anschrift des Arbeitnehmers nicht mehr habe festgestellt werden können. Im Berichtszeitraum habe es lediglich bei 36 - in aller Regel kurzfristig beschäftigten - Arbeitnehmern Forderungsausfälle gegeben, während sich 200 Arbeitnehmer korrekt verhalten hätten. Außerdem habe es sich bei den Ausbuchungen des Jahres 1970 maßgeblich auch um Verluste aus den Vorjahren gehandelt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und den Haftungsbescheid zu dem Sachkomplex Forderungsverzicht aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Dem FG kann nicht bei der Annahme gefolgt werden, der Kläger habe seinen Arbeitnehmern durch entgeltliche Überlassung von Arbeitsgerät für den Fall, daß das Entgelt ganz oder teilweise später nicht realisiert werden könnte, Arbeitslohn zugewendet.

a) Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gehören neben Gehältern und Löhnen auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Ein solcher steuerpflichtiger Vorteil liegt nicht vor, wenn der Arbeitgeber in seinem Eigentum verbleibende Werkzeuge den Arbeitnehmern zur Nutzung im Rahmen des Dienstverhältnisses überläßt (BFH-Urteil vom 10. November 1961 VI 197/60 U, BFHE 74, 130, BStBl III 1962, 50). Sollen Arbeitsmittel jedoch aufgrund eines entgeltlichen Vertrages in das Eigentum und damit die freie Verfügungsbefugnis des Arbeitnehmers übergehen und verzichtet der Arbeitgeber nachträglich auf die Geltendmachung der Geldforderung aus dem Kaufvertrag, so wendet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen geldwerten Vorteil zu. Dieser ist auch durch das Dienstverhältnis veranlaßt, da er im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft aufzufassen ist (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39). Der erlassene Betrag unterliegt daher als geldwerter Vorteil der Lohnbesteuerung (Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 19 EStG Anm. 140). Der Arbeitslohn fließt in einem solchen Fall zum Zeitpunkt des - ggf. konkludenten (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 25. September 1978 VII ZR 281/77, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1979, 720) - Abschlusses des Erlaßvertrages zu.

Dagegen wird dem Arbeitnehmer kein Arbeitslohn zugewendet, wenn der Arbeitgeber eine nach wie vor aufrechterhaltene Forderung aus dem Verkauf von Arbeitsgerät nicht realisieren kann, weil sich der Arbeitnehmer einseitig seinen Verpflichtungen entzieht (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 19 EStG Anm. 145; Offerhaus, Steuerberater-Jahrbuch - StbJb - 1983/84, 291 unter C II 3). Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber nach seiner Geschäftserfahrung damit rechnen muß, daß einzelne Arbeitnehmer die getroffene Vereinbarung nicht erfüllen werden.

Allerdings kann sich der Wille zum Erlaß aus vor oder nach Entstehung der Forderung begründeten Umständen ergeben, die den Schluß zulassen, daß der Arbeitgeber davon Abstand nehmen wird, seinen Anspruch geltend zu machen (vgl. Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Stichwort "Darlehen an Arbeitnehmer" Anm. 3). So hat der Senat z. B. in seinem Urteil vom 7. Dezember 1984 VI R 164/79 (BStBl II 1985, 164; Der Betrieb - DB - 1985, 577) entschieden, daß bei einem im Haftungsverfahren in Anspruch genommenen Arbeitgeber ein Verzicht auf den Rückgriff gegen seine Arbeitnehmer und damit die Zuwendung eines geldwerten. Vorteils (BFH-Urteile vom 27. September 1957 VI 24/56 U, BFHE 65, 480, BStBl III 1957, 418, und vom 24. April 1961 VI 219/60 U, BFHE 73, 45, BStBl III 1961, 285) vor Erlaß des Haftungsbescheids angenommen werden kann, wenn der Arbeitgeber sich den Rückgriff dadurch von vornherein unmöglich gemacht hat, daß er Aufzeichnungen über die Empfänger und den Umfang des im Haftungsbescheid erfaßten geldwerten Vorteils nicht vorgenommen hat. Werden hingegen den Vereinbarungen entsprechend Forderungen des Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmer von diesen in der Regel beglichen, so läßt sich dem Umstand, daß einzelne Arbeitnehmer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen werden, nicht entnehmen, der Arbeitgeber habe dies von Anfang an gebilligt und habe diese Forderungen erlassen wollen.

Inwieweit aus nachträglich unterbliebenen Beitreibungsmaßnahmen auf einen Verzicht des Arbeitgebers geschlossen werden kann, bedarf einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Sofern diese ergeben, daß der Arbeitgeber endgültig davon absieht, seinen Anspruch geltend zu machen und durchzusetzen, obgleich ihm das möglich wäre, ist die erlassene Forderung als geldwerter Vorteil zu besteuern. Dabei sind an die Feststellung des Willens, die Forderung zu erlassen, strenge Anforderungen zu stellen; es ist der Erfahrungssatz zu beachten, daß ein Verzicht nicht zu vermuten ist (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 44. Aufl., § 397 Anm. 2, m. w. N.). Ein derartiger Verzicht kann auch noch nicht darin gesehen werden, daß der Arbeitgeber aus betrieblichen Gründen von einer sofortigen oder alsbaldigen ganzen oder teilweisen Befriedigung etwa durch Aufrechnung mit Lohnforderungen absieht. Denn mit der einstweiligen Stundung der Forderung wendet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer allenfalls den Zinsvorteil als Arbeitslohn zu (vgl. hierzu Abschn. 50 Abs. 2 Nr. 5 LStR 1984), nicht hingegen die ganze oder teilweise Forderung als solche.

b) Da das FG von anderen rechtlichen Überlegungen ausgegangen ist, ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist noch nicht spruchreif; sie muß daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.

Nach den Feststellungen des FG sind die im Prüfungszeitraum vom Kläger gewährten Darlehen zu ca. 3/4 zurückgezahlt worden. Das FG wird nunmehr klären müssen, ob, in welchen Fällen und ggf. wann nach den Umständen ein Forderungsverzicht im oben beschriebenen Sinne und nicht lediglich ein unfreiwilliger Forderungsausfall anzunehmen ist.