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BFH-Urteil vom 23.7.1985 (VIII R 315/82) BStBl. 1986 II S. 123

Wird ein Feststellungsbescheid, der sich gegen mehrere Personen richtet, einem gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bekanntgegeben, so muß deutlich sein, daß die Bekanntgabe mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten erfolgt; dem genügt ein Hinweis, daß der Feststellungsbescheid Wirkung für und gegen alle Beteiligten hat (Anschluß an BFH-Urteil vom 26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23).

AO 1977 § 183 Abs. 1 Satz 5.

Vorinstanz: Hessisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im Streitjahr 1975 als Kommanditistin an der vom Finanzgericht (FG) beigeladenen S-KG beteiligt. Persönlich haftender Gesellschafter war S, der im Laufe des Klageverfahrens aus der S-KG ausschied und vom FG ebenfalls zum Verfahren beigeladen wurde.

Für das Streitjahr sandte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) den Bescheid über die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb, dem das FA das Ergebnis einer Betriebsprüfung zugrunde gelegt hatte, an S, der in der entsprechenden Steuererklärung als Zustellungsvertreter benannt worden war. Der Bescheid wurde mit einfachem Brief am 13. Januar 1977 zur Post gegeben. In der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung heißt es u. a.: "Der Feststellungsbescheid hat Wirkung für und gegen alle Beteiligten. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschaft (Gemeinschaft) dem Finanzamt einen Zustellungsvertreter nicht benannt hat und das Finanzamt den Bescheid nur einem der Beteiligten hat zugehen lassen ...".

S leitete den Bescheid an die steuerliche Beraterin der S-KG zur Prüfung weiter, von der die Klägerin erfuhr, daß der Gewinnfeststellungsbescheid 1975 vorliege. Mit Schreiben vom 15. März 1977 legte die Klägerin dagegen Einspruch ein und beantragte, Sonderbetriebsausgaben in Höhe von 12.907,92 DM nachträglich zu berücksichtigen und wegen Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Des weiteren trug sie vor, es hätten wegen eines Arbeitsrechtsstreits mit der S-KG ernstliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten bestanden, die dem FA auch bekannt gewesen seien. Der Bescheid hätte daher gemäß § 183 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auch ihr zugestellt werden müssen.

Das FA wies den Einspruch als unzulässig zurück.

Die Klage hatte Erfolg: Das FG hob die Einspruchsentscheidung mit der Begründung auf, daß der Einspruch nicht verspätet und vom FA daher zu Unrecht als unzulässig verworfen worden sei. Denn der Feststellungsbescheid sei der Klägerin nicht wirksam bekanntgegeben worden, weil der nach § 183 Abs. 1 Satz 5 AO 1977 erforderliche Hinweis, daß die Bekanntgabe mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten erfolge, unterblieben sei.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung von § 122 Abs. 1, § 124 Abs. 1, § 183 Abs. 1 Satz 5 AO 1977.

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Entgegen dem FG genügte der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung des angegriffenen Feststellungsbescheids den Anforderungen des § 183 Abs. 1 Satz 5 AO 1977. Es war nicht erforderlich, auch darauf hinzuweisen, daß die Bekanntgabe mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten erfolgt.

a) Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. August 1982 IV R 31/82 (BFHE 136, 351, 354, BStBl II 1983, 23, 24) genügt zur Verdeutlichung, daß die Bekanntgabe eines einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheids mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten erfolgt, der Hinweis, daß der Bescheid mit Wirkung für und gegen alle Feststellungsbeteiligten ergeht. Dieser Hinweis ist zwar noch am Wortlaut des § 219 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 der Reichsabgabenordnung (AO) orientiert, genügt aber auch den Anforderungen der Neufassung in § 183 Abs. 1 AO 1977, da für den Empfangsbevollmächtigten keine Zweifel darüber bestehen können, daß das FA von der Vereinfachungsregelung des § 183 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO 1977 Gebrauch machen will. Der erkennende Senat schließt sich diesen Grundsätzen auch für den Streitfall an.

b) Der im angegriffenen Feststellungsbescheid enthaltene Hinweis, daß der Bescheid Wirkung für und gegen alle Beteiligten hat, genügte den Anforderungen der AO und damit auch denen der AO 1977 in § 183 Abs. 1 Satz 5. Bei verständiger, nicht am bloßen Wortlaut haftender (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -; hierzu BFHE 136, 351, 354, BStBl II 1983, 23, 24, m. w. N.) Würdigung der hier fraglichen Formulierungen konnte für den empfangsbevollmächtigten S nicht zweifelhaft sein, daß der Bescheid nicht nur materielle, sondern auch formelle Wirkungen für und gegen alle Beteiligten haben sollte. Dies ergibt sich insbesondere aus dem weiteren in der Rechtsbehelfsbelehrung des Feststellungsbescheids enthaltenen Satz, wonach die Wirkung für und gegen alle Beteiligten auch dann eintritt, wenn kein Zustellungsvertreter benannt worden ist und das FA den Bescheid nur einem der Beteiligten hat zugehen lassen. Daraus und aus der Tatsache, daß das FA im Anschriftenfeld den Bescheid an die S-KG "z. Hd." von S adressiert hatte, war für ihn ersichtlich, daß der Bescheid nur ihm und nicht auch noch der Klägerin bekanntgegeben war.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG wird zu untersuchen haben, ob der angegriffene Bescheid nicht doch der Klägerin hätte zugestellt werden müssen, weil zwischen ihr und S als geschäftsführendem Gesellschafter ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestanden, die dem FA bekannt waren (§ 183 Abs. 2 AO 1977). Sollte das FG dies verneinen, hat es zu prüfen, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977 gewährt werden kann.