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BFH-Urteil vom 22.10.1985 (IX R 48/82) BStBl. 1986 II S. 258

1. Wird ein eigentumsähnlich gestaltetes Dauerwohnrecht i. S. von § 31 WEG entgeltlich bestellt, so hat der Dauerwohnberechtigte wie ein wirtschaftlicher Eigentümer den Nutzungswert der Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 1 bzw. § 21a EStG zu versteuern.

2. Dem entgeltlichen Erwerber eines solchen Dauerwohnrechts stehen die erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG wie dem Erwerber einer Eigentumswohnung zu.

3. Zur Bemessungsgrundlage der erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG zählen auch Reparatur- oder Modernisierungsaufwendungen, die den Anschaffungskosten oder anschaffungsnahem Herstellungsaufwand zuzurechnen sind (vgl. Urteil des Senats vom 12. Februar 1985 IX R 114/83, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690).

EStG 1977 § 7b, § 21 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Vater der Klägerin ist Eigentümer eines gemischtgenutzten Grundstücks. Durch notariellen Vertrag vom 8. Dezember 1978 erhielt die Klägerin - wie auch ihr Bruder - von ihrem Vater an einer der beiden in dem Gebäude befindlichen 90 qm großen Wohnungen ein zeitlich unbegrenztes, im Grundbuch eingetragenes Dauerwohnrecht nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Als Gegenleistung wurde vereinbart, daß ein von der Klägerin gewährtes Darlehen in Höhe von 50.000 DM als getilgt gelten sollte. Gemäß § 2 des Vertrags sollten die Dauerwohnberechtigten wirtschaftlichen Wohnungseigentümern gleichgestellt werden. Die Kläger sind in diese Wohnung Mitte Dezember 1978 eingezogen.

Mit ihrem Antrag bei dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 1978 machten sie bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Werbungskostenüberschuß in Höhe von 21.856 DM geltend, der im wesentlichen auf von ihnen vorgenommenem Erhaltungs- oder Modernisierungsaufwand beruht.

Das FA lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen für eine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes 1977 (EStG) nicht gegeben seien, weil Aufwendungen für ein dingliches Dauerwohnrecht keine Werbungskosten bildeten, sondern der privaten Sphäre zuzuordnen seien.

Die von den Klägern nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen. Das FG trat dem FA im Ergebnis bei. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG seien nicht erfüllt, weil dafür nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (Urteil vom 27. Juni 1978 VIII R 54/74, BFHE 125, 535, BStBl II 1979 332) die Nutzung einer Wohnung im eigenen Haus erforderlich sei, die Kläger aber nicht wirtschaftliche Eigentümer der Wohnung geworden seien. Die von dem Dauerwohnrecht der Klägerin betroffene Wohnung könne nämlich nicht getrennt von dem übrigen Gebäude als selbständiges Wirtschaftsgut behandelt werden, da sie nicht in einem von der eigentlichen Gebäudenutzung verschiedenen Funktionszusammenhang stehe (Hinweis auf BFH-Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132).

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Die Kläger beantragen, zum Teil sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils und der Einspruchsentscheidung das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerveranlagung für 1978 in der Weise durchzuführen, daß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ein Werbungskostenüberschuß in Höhe von 21.856 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es tritt dem FG-Urteil bei.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Senat geht mit dem FG und den Beteiligten davon aus, daß die von den Klägern begehrte Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b EStG einen Verlust, d. h. Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung voraussetzt. Daß hier ein solcher Werbungskostenüberschuß gegeben ist, läßt sich entgegen der Ansicht des FG nicht ausschließen.

Nach § 21 Abs. 2 EStG gehört zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auch der Nutzungswert der Wohnung im eigenen Haus. Die Besteuerung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Haus gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG setzt voraus, daß der Steuerpflichtige bürgerlich-rechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer des Hauses oder, was gleichzuachten ist, einer Eigentumswohnung ist (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1982 VIII R 166/80, BFHE 139, 23, BStBl II 1983, 660, Nr. 2 der Gründe). Der BFH hat im Urteil in BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332, dem der erkennende Senat beigetreten ist, den Nießbraucher oder dinglichen Wohnberechtigten i. S. des § 1093 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der sein dingliches Recht durch entgeltliches Rechtsgeschäft erlangt hat, einem Mieter gleichgestellt. Nach Ansicht des Senats enthält das letztere Urteil keine Aussage dazu, ob in einem solchen Fall der Dauerwohnberechtigte bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise nach dem WEG als Wohnungseigentümer anzusehen ist; denn in dem damals entschiedenen Fall stellte sich diese Frage nicht.

Es ist anerkannt, daß ein Dauerwohnrecht aufgrund Vereinbarung der Beteiligten wie Wohnungseigentum i. S. des WEG gestaltet sein kann. Das Dauerwohnrecht gemäß §§ 31 f. WEG ist zwar an sich ein beschränkt dingliches Recht, nämlich eine Art Dienstbarkeit an einem Grundstück mit dem Inhalt, unter Ausschluß des Eigentümers eine bestimmte Wohnung in einem Gebäude auf dem Grundstück zu bewohnen oder in anderer Weise zu nutzen (§§ 31, 42 WEG). Es weist Verwandtschaft sowohl zum dinglichen Wohnrecht i. S. des § 1093 BGB als auch zum Erbbaurecht auf (Röll in Münchener Kommentar, 1981, § 31 WEG Rdnr. 4). Der Anspruch des Grundstückseigentümers auf das Entgelt beruht jedoch auf einem Kaufvertrag (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Juli 1969 V ZR 190/67, BGHZ 52, 243, 248, m. w. N.). Eine dem Wohnungseigentum ähnliche Gestaltung des Dauerwohnrechts kommt, wie bereits der BGH (BGHZ 52, 243, 248) ausgeführt hat, in Betracht, wenn es zeitlich unbeschränkt oder auf besonders lange Zeit bestellt wird und der Dauerwohnberechtigte sowohl die Finanzierung von Grundstückserwerb und Gebäudeerrichtung als auch die Verzinsung und Tilgung des Fremdkapitals sowie die laufenden Bewirtschaftungskosten übernimmt (Hinweis auf §§ 15 und 18 des Mustervertrags des Bundesministers für Wohnungsbau vom Oktober 1956, Bundesbaublatt - BBauBl - 1956, 615; Bärmann/Seuss, Praxis des Wohnungseigentums, 3. Aufl., Teil B XI 5, 849; ebenso Bärmann/Pick, Wohnungseigentumsgesetz, 11. Aufl., § 41 WEG Anm. I).

Auch im Rahmen der Einheitsbewertung ist anerkannt, daß die Bestellung eines Dauerwohnrechts ausnahmsweise wie die Einräumung von Wohnungseigentum beurteilt werden kann (vgl. Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 8. Aufl., § 93 BewG Anm. 21 ff.; Rössler/Troll/Langner, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 13. Aufl., § 93 BewG Anm. 25 bis 28, und Steinhardt, Bewertungsgesetz- Vermögensteuergesetz, Kommentar, § 93 BewG Anm. 8 mit dem Hinweis, daß weder das Bewertungsgesetz 1965 noch die amtliche Begründung hierzu etwas besagen). Der Dauerwohnberechtigte ist sonach wie der Inhaber einer Eigentumswohnung zu besteuern, wenn das Dauerwohnrecht rechtlich und wirtschaftlich dem Wohnungseigentum weitgehend angenähert ist (Troll in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 21 Anm. 95).

Das FG hat das Vorliegen des § 21 Abs. 2 Alternative 1 EStG mit der unzutreffenden Begründung verneint, eine Wohnung könne als Gebäudebestandteil kein selbständiges Wirtschaftsgut im Verhältnis zur Gebäudeeinheit bilden. Dies wird indessen allein schon durch § 7 Abs. 5a EStG widerlegt.

Die Sache ist insoweit nicht spruchreif, weil das FG keine ausreichenden Feststellungen zur Entscheidung der Frage getroffen hat, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines eigentumsähnlich ausgestalteten Dauerwohnrechts vorliegen. Zwar hat das FG den bei Bestellung des Dauerwohnrechts geschlossenen Vertrag in Bezug genommen, so daß dessen Wortlaut Bestandteil des Tatbestands der Vorentscheidung geworden ist. Indessen hat das FG noch nicht das von den Beteiligten wirklich Gewollte sowie die für die Vertragsauslegung bedeutsamen Begleitumstände erforscht (vgl. BFH- Urteil vom 11. Februar 1981 I R 13/77, BFHE 133, 3, BStBl II 1981, 475) und sich mit dem Vorbringen von Kläger und FA hierzu auseinandergesetzt. Dies muß das FG noch nachholen.

Sollte das Dauerwohnrecht der Begründung von Wohnungseigentum gleichzustellen sein, wofür insbesondere § 14 i. V. m. § 19 des notariellen Vertrages vom 8. Dezember 1978 spricht, kommt auch der von den Klägern begehrte Abzug erhöhter Absetzungen nach § 7b EStG in Betracht. Zwar begünstigt § 7b EStG in der seit 1965 geltenden Fassung im Gegensatz zum vorherigen Recht nicht mehr ausdrücklich den Erwerb eines Dauerwohnrechts, das wirtschaftlich Wohnungseigentum gleichsteht, sondern nur noch den Erwerb einer "Eigentumswohnung". Es ist jedoch davon auszugehen, daß der Gesetzgeber die Regelung des Sachverhalts, daß bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ein Dauerwohnrecht Wohnungseigentum gleichkommt, für entbehrlich gehalten hat (Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 14. Aufl., § 7b EStG Rdnr. 70). Daß in solchen Fällen § 7b EStG nach wie vor anwendbar ist, ist im übrigen einhellige Auffassung in Schrifttum (vgl. Frotscher, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 7b Anm. 58 ff.; Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, a. a. O., § 7b Anm. 33; Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 7b EStG Anm. 400 "Dauerwohnrecht"; Klein/Flockermann/Kühr, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 7b Anm. 55, und Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 7b Anm. 39 bis 41) und Verwaltungspraxis (Abschn. 56 der Einkommensteuer-Richtlinien 1984, sowie Verfügung der Oberfinanzdirektion Hannover vom 19. Februar 1985 S 2198 - 51 - StO 223/S 2198 - 159 - StH 223, Der Betrieb 1985, 682).

Zu diesem Ergebnis gelangt der erkennende Senat unabhängig von den zur Begründung der herrschenden Meinung herangezogenen BFH- Urteilen vom 6. Mai 1960 VI 223/59 U (BFHE 71, 108, BStBl III 1960, 289) und vom 11. September 1964 VI 56/63 U (BFHE 81, 21, BStBl III 1965, 8), die zu § 7b EStG i. d. F. vor 1965 ergangen sind und deren Anwendung für die Rechtslage ab 1965 zweifelhaft erscheint.

Sollte das FG hiernach die Voraussetzungen des § 7b EStG bejahen, so bemerkt der Senat zur Bemessungsgrundlage für die erhöhten Absetzungen, daß außer dem Entgelt von 50.000 DM auch die Reparatur- und Modernisierungsaufwendungen den Anschaffungskosten oder anschaffungsnahem Herstellungsaufwand zuzurechnen sein können (vgl. das Urteil des Senats vom 12. Februar 1985 IX R 114/83, BFHE 143, 431, BStBl II 1985, 690).

Gelangt das FG aber zum Ergebnis, daß eine Wohnungseigentum hinreichend angenäherte Gestaltung nicht vorliegt, wird auch zu prüfen sein, ob die Wohnung verbilligt überlassen wurde. Bei einer ganz oder teilweise unentgeltlichen Überlassung ist der Nutzungswert der Wohnung gemäß § 21 Abs. 2 Alternative 2 EStG dem Nutzenden zuzurechnen, wenn ihm eine gesicherte Rechtsposition eingeräumt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1983 VIII R 215/79, BFHE 140, 199, BStBl II 1984, 366). Der unentgeltlich Nutzende kann vom Rohmietwert auch Werbungskosten abziehen und auf selbstgetragenen Modernisierungsaufwand erhöhte Absetzungen gemäß § 82a der Einkommensteuer-Druchführungsverordnung vornehmen, wie der Senat im Urteil vom 23. Oktober 1984 IX R 48/80 (BFHE 143, 313, BStBl II 1985, 453) entschieden hat.

Entsprechende Rechtsgrundsätze kommen bei teilweise unentgeltlicher Überlassung zur Nutzung in Betracht. Wäre etwa das Dauerwohnrecht für eine Gegenleistung eingeräumt, die nur die Hälfte seines Werts ausmachte, könnten Werbungskosten und erhöhte Absetzungen ebenfalls nur zur Hälfte, nämlich insoweit berücksichtigt werden, als die Überlassung unentgeltlich erfolgt ist.

Im übrigen wird das FG prüfen, ob und inwieweit § 21a EStG zum Zuge kommt.