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BFH-Urteil vom 27.11.1985 (I R 42/85) BStBl. 1986 II S. 272

1. Ein Verlust kann im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 in der Fassung des KStÄndG 1969 (BGBl I 1969, 1182, BStBl I 1969, 471, 474) nicht übernommen werden, bevor die Gesellschafter der verlustbetroffenen GmbH den Verlust festgestellt haben.

2. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 KVStG liegen nur vor, wenn der den Verlust Übernehmende im Zeitpunkt der Verlustübernahme unmittelbarer Gesellschafter der verlustbetroffenen GmbH war (Abweichung vom BFH-Urteil vom 11. Juli 1973 II R 148/72, BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855).

3. Die Vorschrift des § 4 KVStG kann über ihren möglichen Wortsinn hinaus nicht auf andere Fälle angewandt werden.

KVStG 1959 i.d.F. des KStÄndG 1969 § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1, § 4, § 6; GmbHG § 46 Nr. 1.

Sachverhalt

I.

Das Stammkapital der am 16. September 1968 gegründeten Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gehörte seit 11. Dezember 1968 zu 95 v. H. und seit 10. April 1969 zu 100 v. H. der S.-AG. Am 19. Dezember 1968 schloß die S.-AG mit Wirkung vom 12. Dezember 1968 einen Ergebnisübernahmevertrag (Ergebnisabführungsvertrag - EAV -) mit der Klägerin. Der Vertrag wurde auf unbestimmte Zeit, mindestens aber auf die Dauer von fünf Jahren geschlossen und galt erstmals für das Ergebnis des am 31. Dezember 1968 endenden Rumpfwirtschaftsjahres (d. h. für die Zeit vom 12. bis 31. Dezember 1968). Er war jeweils zum Ende eines Kalenderjahres unter Einräumung einer Frist von drei Monaten kündbar, frühestens jedoch mit Wirkung für das am 31. Dezember 1974 endende Wirtschaftsjahr (§ 2 EAV).

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 30. Dezember 1969 übertrug die S.-AG alle Geschäftsanteile an der Klägerin auf ihre Tochtergesellschaft D. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, daß die Rechte und Pflichten aus dem EAV nicht auf die D. übergegangen sind.

Aufgrund des EAV übernahm die S.-AG nicht nur den Verlust der Klägerin aus dem Rumpfwirtschaftsjahr 1968, sondern auch die Verluste der Jahre 1969 bis 1972.

Der von der S.-AG übernommene Verlust der Klägerin aus dem Jahre 1969 betrug ... DM. Die Gesellschafter der Klägerin stellten die betreffende Bilanz durch Gesellschafterbeschluß vom 30. Juni 1970 fest. Nach einer Kapitalverkehrsteuerprüfung (vom 13. November 1974 bis 26. Juni 1978) setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) entsprechend der Ansicht des Prüfers für die Übernahme des vorgenannten Verlustes gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1959 durch Bescheid vom 17. Oktober 1978 die Gesellschaftsteuer fest. In der Einspruchsentscheidung ermäßigte er die Steuerschuld.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, das Urteil des Finanzgerichts (FG) und den Gesellschaftsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Gesellschaftsteuerbescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Übernahme des Verlustes der Klägerin durch die S.-AG unterliegt nicht der Gesellschaftsteuer.

1. Der Steueranspruch kann nicht auf § 2 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 (i. d. F. des Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15. August 1969 - KStÄndG 1969 -, BGBl I 1969, 1182, BStBl I 1969, 471, 474) gestützt werden.

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 KVStG besteuert Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden. Die Verpflichtung zur Verlustübernahme war im EAV und damit im Gesellschaftsverhältnis begründet. Dies ergibt sich seit Erlaß des KStÄndG 1969 ausdrücklich aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG. Beide Vorschriften fordern indes, daß die Leistung (Übernahme des Verlustes aus dem EAV) von einem Gesellschafter der Kapitalgesellschaft bewirkt wird. Dies ist hier nicht der Fall.

Das Gesetz knüpft ausdrücklich an die bewirkte Leistung, nämlich die Übernahme des Verlustes an. Es ist daher nicht entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Verlustübernahmeanspruch frühestens entstehen konnte (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Februar 1979 III R 37/77, BFHE 127, 56, BStBl II 1979, 278). Die in der Verlustübernahme liegende Leistung kann nicht vor Eintritt des Zeitpunkts bewirkt werden, in welchem die Gesellschafter der vom Verlust betroffenen GmbH gemäß § 46 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) den Verlust festgestellt haben. Dies ist im Streitfall nach den für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG am 30. Juni 1970 geschehen.

Für die Frage, ob der Verlust von einem Gesellschafter übernommen wurde, hat es der II. Senat des BFH im Urteil vom 11. Juli 1973 II R 148/72 (BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855) genügen lassen, daß der den Verlust Übernehmende in seiner Eigenschaft als ehemaliger Gesellschafter gehandelt hat. Der II. Senat hat dies aus dem Sinnzusammenhang hergeleitet, in den das Wort "Gesellschafter" in § 2 Nr. 2 KVStG 1959 in der Fassung vor seiner Änderung durch das KStÄndG 1969 gestellt sei. Der Ausdruck "Gesellschafter" bedeute keine zeitliche Begrenzung, nach der die Gesellschaftereigenschaft mit dem Verlust der Gesellschaftsanteile ende. Das Wort "Gesellschafter" werde vielmehr im Zusammenhang mit der im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung verwendet. Derartige Verpflichtungen könnten über den Zeitpunkt, in welchem der Inhaber von Gesellschaftsanteilen diese veräußere, hinausreichen. Den Sinnzusammenhang zwischen beiden Begriffen würde man durchbrechen, wenn man für jeden von ihnen eine andere zeitliche Grenze annehmen wolle. Als "Gesellschafter" im Sinne des § 2 Nr. 2 KVStG handle daher auch derjenige, welcher nach Veräußerung seiner Gesellschaftsanteile noch aus diesem Gesellschaftsverhältnis herrührende Verpflichtungen habe und diese erfülle. Auch der Wortlaut des § 6 Abs. 2 KVStG füge sich in diesen Zusammenhang ein. Sei diese Vorschrift nur ein Teil der Gesamtregelung des § 6 KVStG, so schließe sie lediglich aus, daß auch wirtschaftlich statt rechtlich beteiligte Personen als Gesellschafter gälten.

Der erkennende Senat kann sich dieser Auffassung - insbesondere nach der Wortfassung des inzwischen neu eingeführten § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVStG (Verlustübernahme durch den Gesellschafter) - nicht anschließen. Vielmehr folgert der Senat aus der logischen Verknüpfung des Begriffes der Leistung (Übernahme des Verlustes) mit der Rechtsposition des Leistenden (Gesellschafters), daß Verlustübernahme und Rechtsposition als Gesellschafter nicht nur sachlich, sondern auch zeitlich zusammentreffen müssen. Der ausdrücklich im Gesetz verwendete Begriff "Gesellschafter" knüpft an das Gesellschaftsrecht an, was es nach Auffassung des erkennenden Senats im Gegensatz zur Ansicht des II. Senats ausschließt, auch wirtschaftlich statt rechtlich beteiligte Personen als Gesellschafter anzusehen.

Da der Verlust der Klägerin von der S.-AG nicht vor der Beschlußfassung in der Gesellschafterversammlung der Klägerin am 30. Juni 1970 übernommen werden konnte, die S.-AG aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Gesellschafterin der Klägerin war, sind die gesetzlichen Voraussetzungen weder des § 2 noch des § 6 KVStG erfüllt. Aus § 6 Abs. 2 KVStG folgt zusätzlich, daß der Gesellschafter nur ein unmittelbar Beteiligter sein kann, da nur ihm die Anteile an der GmbH zustehen. Die S.-AG war aber zu dem entscheidenden Zeitpunkt nur mittelbar, d. h. über ihre Tochtergesellschaft D., an der Klägerin beteiligt.

Obwohl der erkennende Senat damit von dem Urteil in BFHE 110, 305, BStBl II 1973, 855 abweicht, bedarf es keiner Anrufung des Großen Senats nach § 11 FGO; denn die ausschließliche Zuständigkeit für die Kapitalverkehrsteuer ist von dem II. Senat auf den I. Senat übergegangen (Geschäftsverteilungsplan des BFH für das Geschäftsjahr 1985, Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 21 vom 31. Januar 1985 = BStBl II 1985, 80, Teil A, Sachliche Zuständigkeit des I. Senats, Nr. 8).

2. Die Gesellschaftsteuerpflicht kann auch nicht auf § 4 KVStG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift wird die Steuerpflicht nicht dadurch ausgeschlossen, daß Leistungen (§ 2 KVStG) nicht von Gesellschaftern bewirkt werden, sondern von Personenvereinigungen, an denen die Gesellschafter als Mitglieder oder Gesellschafter beteiligt sind. Diese Voraussetzungen liegen unstreitig hier nicht vor. Den Verlust der Klägerin hat die S.-AG selbst übernommen, nicht etwa die D., an der die S.-AG als Gesellschafterin beteiligt war. Die Vorschrift ist keiner Auslegung über die Grenze ihres möglichen Wortsinns zugänglich. Zwar soll durch diese Vorschrift verhindert werden, § 2 KVStG derart zu umgehen, daß die Leistung statt vom (verpflichteten) Gesellschafter durch dritte Personen erbracht wird. Die allgemeine Absicht, Steuerumgehungen zu verhindern, ist aber rechtlich nur insoweit von Bedeutung, als sie im Gesetz selbst ihren Ausdruck gefunden hat (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Mai 1952 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 301, 312; seitdem die ständige Rechtsprechung des BVerfG). Den Fall, daß die Leistung im Sinne des § 2 KVStG statt durch einen unmittelbaren durch einen mittelbaren Gesellschafter bewirkt wird, hat man nicht in die Gesetzesfassung eingehen lassen.

Ein anderes Ergebnis kann auch nicht darauf gestützt werden, daß § 4 KVStG auf den vorliegenden Fall analog angewandt wird. Dies gilt ungeachtet der Streitfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine steuerverschärfende Analogie auch im Steuerrecht als Eingriffsrecht zulässig ist (BFH-Urteile vom 21. Dezember 1977 I R 20/76, BFHE 124, 317, BStBl II 1978, 346; vom 16. November 1978 V R 22/73, BFHE 127, 243, BStBl II 1979, 347; vom 8. Dezember 1981 VIII R 125/79, BFHE 135, 426, BStBl II 1982, 618; aber auch vom 20. Oktober 1983 IV R 175/79, BFHE 139, 561, BStBl II 1984, 221). Denn jedenfalls ist eine steuerverschärfende Analogie im Steuerrecht dann unzulässig, wenn sie einen steuerbegründenden Tatbestand schaffen würde (BVerfG-Beschlüsse vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318, 328, und vom 30. Januar 1985 1 BvR 279/83, Neue Juristische Wochenschrift 1985, 1891). Ausgeschlossen ist eine steuerverschärfende Analogie vor allem dann, wenn eine Vorschrift den Anspruch des Gesetzgebers erkennen läßt, durch eine rechtspolitische Entscheidung den Umfang der Besteuerung abschließend zu regeln. In einem solchen Fall fehlt es bereits an einer Lücke (planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes; vgl. zum Problem der Ausfüllung von Gesetzeslücken Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. S. 354 ff.). So liegen die Dinge hier. Die Regelung des § 4 KVStG ist abschließend.

3. Der Senat braucht im Streitfall auch nicht zu prüfen, ob zwischen der S.-AG und der D. ein Treuhandverhältnis derart vereinbart worden ist, daß die S.-AG als Treugeberin ihre Anteile an der Klägerin an die D. nur treuhänderisch übertragen hat (§ 11 Nrn. 2 und 3 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG -, jetzt § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -; vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1976 II R 192/72, BFHE 120, 70, BStBl II 1977, 4, mit weiteren Nachweisen). Der vom FG festgestellte Sachverhalt geht von einer uneingeschränkten Übertragung der Gesellschaftsanteile der S.-AG an der Klägerin an die D. aus. Sowohl der Vertreter des FA wie der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin haben das Vorliegen einer Treuhand in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich verneint. Ebensowenig ergeben sich Hinweise darauf, daß die Übertragung der Gesellschaftsanteile an die D. als Steuerumgehung im Sinne des § 6 StAnpG, jetzt § 42 AO 1977, zu beurteilen wäre.