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BFH-Urteil vom 26.2.1986 (II R 217/82) BStBl. 1986 II S. 449

1. Hat sich ein Erbbauberechtigter unbedingt verpflichtet, nach Ablauf des Erbbaurechts nach Wahl des Erbbauverpflichteten entweder die Gebäude entschädigungslos unter Einebnung des Grundstücks abzubrechen oder sie entschädigungslos dem Erbbauverpflichteten oder einem von ihm benannten Dritten zu überlassen, so ist nur die Abbruchsverpflichtung zu berücksichtigen.

2. Der Abschlag wegen der Abbruchsverpflichtung hat nur dann zu unterbleiben, wenn in bezug auf den Bewertungsgegenstand im Feststellungszeitpunkt konkret voraussehbar ist, daß es trotz der Abbruchsverpflichtung nicht zum Abbruch kommen wird.

BewG § 92 Abs. 3 Satz 3, Abs. 4.

Vorinstanz: FG Bremen

Sachverhalt

Durch Erbbaurechtsvertrag vom 19. Dezember 1967 räumte die Beigeladene der Klägerin an einem im Hafengebiet liegenden Grundstück für die Zeit vom 1. Juli 1966 bis 30. Juni 2016 ein Erbbaurecht ein. Die Klägerin errichtete darauf im Jahre 1967 ein Büro- und Lagergebäude. § 12 des Erbbaurechtsvertrages lautet:

"Bei Beendigung des Erbbaurechtsverhältnisses durch Zeitablauf steht es im Ermessen des jeweiligen Grundstückseigentümers zu verlangen, daß

entweder

a) das Erbbaugrundstück im abgeräumten und eingeebneten Zustand zurückgegeben wird, d. h., daß die auf dem Erbbaugrundstück errichteten Baulichkeiten und Anlagen über und unter der Erdgleiche zu beseitigen sind;

oder daß

b) dem jeweiligen Grundstückseigentümer oder einem Dritten die auf dem Erbbaugrundstück errichteten Baulichkeiten und Anlagen überlassen werden.

In beiden Fällen ist die Zahlung einer Entschädigung ausgeschlossen."

Das Finanzamt (FA) stellte den Einheitswert des Erbbaurechts einschließlich der errichteten Betriebsgebäude mit Nachfeststellungsbescheid auf den 1. Januar 1974 auf 196.900 DM fest. Die Bewertung erfolgte im Sachwertverfahren. Der Gebäudewert wurde voll der Klägerin zugerechnet und kein Abschlag gewährt.

Auf den Einspruch der Klägerin holte das FA beim H B Amt eine Auskunft ein, ob die Klägerin im Feststellungszeitpunkt mit dem Abbruch oder der entschädigungslosen Übernahme der Gebäude ernsthaft habe rechnen können. Das Amt äußerte sich dahingehend, daß die Fragen jetzt noch nicht beantwortet werden könnten, die Entscheidung vielmehr "zu gegebener Zeit unter Berücksichtigung der dann maßgeblichen hafenplanerischen und hafenpolitischen Gesichtspunkte getroffen" würden, "wobei durchaus auch eine Verlängerung der Vertragslaufzeit in Betracht kommen könnte". Wenn die Entscheidung im Feststellungszeitpunkt zu treffen gewesen wäre, wäre sicherlich eine Laufzeitverlängerung vereinbart worden. Das FA wies den Einspruch zurück.

Mit der Klage beantragte die Klägerin den Nachfeststellungsbescheid dahingehend zu ändern, daß der Einheitswert unter Gewährung eines Abschlags nach § 92 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) auf 172.000 DM herabgesetzt werde, hilfsweise, daß der Einheitswert deshalb auf 187.500 DM herabgesetzt werde, weil 5 v. H. des Gebäudewerts nach § 92 Abs. 3 Satz 3 BewG der Beigeladenen zuzurechnen wären.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage im Hauptantrag entsprochen.

Mit der Revision beantragt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Es rügt Verletzung von § 92 Abs. 4 BewG und widerspricht der Auslegung der Auskunft des Amts durch das FG. Da sich die Rechte der Erbbauverpflichteten gegenseitig ausschlössen, könne nicht von einer eindeutigen und unbedingten Abbruchsverpflichtung ausgegangen werden. Auch der Beigeladene ist der Auffassung, daß die Ausführungen des Amts nicht richtig verstanden worden seien, werde doch dem Antrag eines Erbbauberechtigten auf Verlängerung des Erbbaurechts regelmäßig entsprochen, es sei denn, die Stadtgemeinde habe ein außerordentliches übergeordnetes Interesse. Sonst bestehe die Stadtgemeinde praktisch nur auf dem Abbruch der Gebäude, wenn der Erbbauberechtigte eine Verlängerung des Erbbaurechts ablehne.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 BewG ist bei Belastung eines Grundstücks mit einem Erbbaurecht je ein Einheitswert für die wirtschaftliche Einheit des Erbbaurechts und für die des belasteten Grundstücks festzustellen. Ausgangspunkt für die Ermittlung dieser Einheitswerte ist der Gesamtwert, der ohne Rücksicht auf die Belastung für Grund und Boden einschließlich der Gebäude und Außenanlagen festzustellen wäre (§ 92 Abs. 1 Satz 2 BewG). Dieser Wert ist in Fällen, in denen die Dauer des Erbbaurechts am Bewertungsstichtag weniger als 50 Jahre beträgt, in der Weise aufzuteilen, daß auf die wirtschaftliche Einheit des Erbbaurechts der Gebäudewert und ein nach der (Rest)Laufzeit des Erbbaurechts gestaffelter Anteil am Bodenwert entfällt (§ 92 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BewG). Besondere Vereinbarungen hinsichtlich des Schicksals des auf dem Erbbaurecht errichteten Gebäudes sind zu berücksichtigen. Ist der entschädigungslose Übergang der Bauwerke bei Beendigung des Erbbaurechts vereinbart, so kommt eine der Verteilung des Bodenwerts auf die beiden wirtschaftlichen Einheiten entsprechende Verteilung des Gebäudewerts in Betracht (§ 92 Abs. 3 Sätze 3 und 5 BewG). Hat sich der Erbbauberechtigte durch Vertrag mit dem Eigentümer des belasteten Grundstücks zum Abbruch des Gebäudes bei Beendigung des Erbbaurechts verpflichtet, so ist dieser Umstand nach § 92 Abs. 4 BewG durch einen entsprechenden Abschlag zu berücksichtigen, der nur unterbleibt, wenn vorauszusehen ist, daß das Gebäude trotz der Abbruchsverpflichtung nicht abgebrochen werden wird.

Zutreffend ist das FG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Voraussetzungen für die Gewährung eines Abschlages nach dem Verhältnis des tatsächlichen Alters der Gebäude im Nachfeststellungszeitpunkt zu der verkürzten Gesamtlebensdauer (vgl. hierzu das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 3. Juli 1981 III R 53/79, BFHE 134, 41, BStBl II 1981, 761) vorliegen. Zwar ist die Klägerin als Erbbauberechtigte eine allein von der Wahl des Erbbauverpflichteten abhängige doppelte Verpflichtung eingegangen, nämlich entweder das Grundstück entschädigungslos abzuräumen und einzuebnen oder die von ihr errichteten Gebäude der Erbbauverpflichteten oder einem von ihr benannten Dritten entschädigungslos zu überlassen. Der auch die Grundstücksbewertung beherrschende Grundsatz des gemeinen Werts gebietet es, bei mehreren unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten des Erbbauverpflichteten den stärksten Eingriff vorrangig zu berücksichtigen, das heißt im vorliegenden Fall die Abbruchsverpflichtung. Denn diese beeinträchtigt den Wert der Gebäudesubstanz selbst. Die in § 92 Abs. 3 Satz 3 BewG vorgesehene Aufteilung auf die beiden wirtschaftlichen Einheiten (Erbbaurecht einerseits und belastetes Grundstück andererseits) muß dahinter zurückstehen.

1. Nach dem Inhalt des Erbbaurechtsvertrages ist die Klägerin zum Abbruch der von ihr errichteten Gebäude sowie zur Einebnung des Grundstücks verpflichtet. Diese Verpflichtung verliert den Charakter als unbedingte Abbruchsverpflichtung nicht dadurch, daß die Erbbaurechtsverpflichtete einseitig an Stelle des Abbruchs auch den entschädigungslosen Übergang der Gebäude verlangen kann, denn es besteht für die Klägerin keine rechtliche Handhabe, auf die Entscheidung des Grundstückseigentümers einzuwirken. Durch die Mehrgestaltigkeit der Rechte des Grundstückseigentümers wird die unbedingte Verpflichtung der Klägerin zum Abbruch der Gebäude nicht berührt. Das Wahlrecht des Eigentümers des belasteten Grundstücks modifiziert die Abbruchsverpflichtung nicht in ihrem unbedingten und eindeutigen Bestand (vgl. auch die BFH-Urteile vom 3. Juli 1981 III R 97/79, BFHE 134, 51, BStBl II 1981, 759, und III R 102/80, BFHE 134, 48, BStBl II 1981, 764, die zu der insoweit vergleichbaren Vorschrift des § 94 Abs. 3 Satz 2 BewG ergangen sind). Die Unsicherheit darüber, ob die Grundstückseigentümerin von ihrem Wahlrecht in dem Sinn Gebrauch machen wird, daß das Gebäude bestehenbleiben und entschädigungslos übertragen werden kann, rechtfertigt nicht, von dem Abschlag nach § 92 Abs. 4 BewG abzusehen.

2. Die Voraussetzungen für die Versagung des Abschlages, nämlich die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs trotz entsprechender Verpflichtung im Feststellungszeitpunkt, sind nicht gegeben. Zutreffend hat das FG unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 3. März 1972 III R 136/71 (BFHE 106, 570, BStBl II 1972, 896) darauf hingewiesen, daß die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die Abbruchsverpflichtung werde nicht realisiert, die Versagung des Abschlages nicht rechtfertigen. Es muß vielmehr in bezug auf den einzelnen Fall, auf den Bewertungsgegenstand, im Feststellungszeitpunkt konkret voraussehbar sein, daß es trotz der Abbruchsverpflichtung nicht zum Abbruch der Gebäude kommen wird. Der Umstand, daß die Klägerin neben der Abbruchsverpflichtung und ebenso unbedingt auch die Verpflichtung eingegangen ist, die Gebäude entschädigungslos zu "überlassen", begründet für sich allein keine derartige konkrete Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs. Auch die Hinweise des FA und der Beigeladenen, in der Regel werde dem Wunsch eines Erbbauberechtigten auf Verlängerung des Erbbaurechts entsprochen, vermag nur eine vage Aussicht auf Nichtabbruch im Jahre 2016 zu begründen. Denn im Feststellungszeitpunkt stand nicht greifbar fest, daß der Klägerin ein solches Angebot unterbreitet und sie es annehmen werde. Die bloße Möglichkeit, daß das Erbbaurecht vor seinem Ablauf durch einen auf seine Verlängerung gerichteten Vertrag zeitlich weiter erstreckt wird, muß in diesem Zusammenhang als ein künftiges ungewisses Ereignis jedenfalls außer Betracht bleiben (vgl. auch BFH-Urteil vom 5. März 1971 III R 130/68, BFHE 102, 102, BStBl II 1971, 481). Konkrete Anhaltspunkte, die die Voraussehbarkeit des Nichtabbruchs i. S. des § 92 Abs. 4 letzter Halbsatz BewG begründen könnten, können aus einem zur Zeit etwa üblichen Verhalten nicht für das Jahr 2016 hergeleitet werden. Dazu kommt, daß die Beigeladene aus der Sicht des Nachfeststellungszeitpunkts naturgemäß keine genauen Angaben über die weitere Entwicklung im Hafengebiet machen konnte, zumal die technische Entwicklung, die Veränderungen nach sich ziehen könnte, über einen derart längeren Zeitraum nicht abschätzbar ist.