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BFH-Urteil vom 22.4.1986 (VII R 167/83) BStBl. 1986 II S. 763

Wird ein Fahrzeug nacheinander durch verschiedene Personen widerrechtlich benutzt, so entsteht jeweils Kraftfahrzeugsteuer in der Person der weiteren Benutzer auch dann, wenn ihre Benutzungshandlungen in den Mindestzeitraum fallen, für den die Steuerpflicht des ersten Benutzers besteht.

KraftStG 1979 § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 5, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 6, § 7 Nr. 3, § 11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 3.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Ein dem damaligen Arbeitgeber des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) gehörender "Autoschütter", der nicht zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen war, wurde am 9. Juni 1980 von einem Dritten - dem Kraftfahrer O - von einer Baustelle unter Benutzung öffentlicher Straßen zu einer etwa 500 m entfernt liegenden Gastwirtschaft gefahren. Von dort wurde das Fahrzeug, nachdem sich dort ein Verkehrsunfall ereignet hatte, an dem das Fahrzeug beteiligt war, an demselben Tage von dem Kläger, ebenfalls unter Benutzung öffentlicher Straßen, zu der Baustelle zurückgefahren. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nahm sowohl den Kraftfahrer O als auch den Kläger wegen widerrechtlicher Benutzung des Fahrzeugs kraftfahrzeugsteuerrechtlich in Anspruch und setzte jeweils Kraftfahrzeugsteuer für die Zeit vom 9. Juni bis 8. Juli 1980 fest.

Der nach erfolglos gebliebenem Einspruch erhobenen Klage des Klägers gegen die ihn betreffende Steuerfestsetzung gab das Finanzgericht (FG) mit der Begründung statt, im Hinblick auf den Objektcharakter der Kraftfahrzeugsteuer sei es unzulässig, bei mehrmaliger widerrechtlicher Benutzung eines Fahrzeugs innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen - auch durch verschiedene Personen nacheinander - den auf diesen Zeitraum entfallenden Mindeststeuerbetrag mehrmals festzusetzen. Da für die Hinfahrt mit dem Fahrzeug Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt worden sei, habe für die an demselben Tag anschließend erfolgte Rückfahrt eine nochmalige Steuerfestsetzung nicht erfolgen dürfen. Aus der Ergänzungsfunktion des Kraftfahrzeugsteuertatbestandes der widerrechtlichen Benutzung (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes - KraftStG - 1979) folge zwangsläufig, daß die Steuerbelastung für ein rechtswidrig benutztes Fahrzeug nicht höher sein könne als die Belastung im Falle seiner rechtmäßigen Benutzung während desselben Zeitraums.

Mit seiner Revision gegen dieses Urteil macht das FA geltend, eine Doppelbesteuerung bei mehrfacher widerrechtlicher Benutzung eines Fahrzeugs durch mehrere Personen - mehrere Benutzungsvorgänge - sei nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht ausgeschlossen. Mit der Festlegung einer Mindestdauer für die Berechnung der Steuer nehme der Gesetzgeber eine mögliche Doppelbesteuerung in diesen Fällen in Kauf. Von einem Objektcharakter der Kraftfahrzeugsteuer könne nicht die Rede sein. Im übrigen dürften die Schwierigkeiten nicht unbeachtet bleiben, die sich aufgrund der Rechtsauffassung des FG ergäben. Wenn ein nicht zugelassenes Fahrzeug durch verschiedene Personen mehrfach widerrechtlich benutzt worden sei, so erfahre das FA dies regelmäßig nicht. Eine Doppelbesteuerung sei somit in der Regel nicht nachprüfbar, ihre Vermeidung häufig nicht vollziehbar.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Der Kläger schuldet die gegen ihn als Steuerschuldner wegen widerrechtlicher Benutzung des Fahrzeugs festgesetzte Kraftfahrzeugsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 Nr. 3, § 6, § 7 Nr. 3, § 11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 KraftStG 1979), obwohl gegen einen Dritten wegen vorangegangener widerrechtlicher Benutzung dieses Fahrzeugs Kraftfahrzeugsteuer für denselben Zeitraum festgesetzt worden ist.

Der rechtliche Ausgangspunkt des FG ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat das Fahrzeug ohne die verkehrsrechtlich vorgeschriebene Zulassung auf öffentlichen Straßen im Geltungsbereich des KraftStG 1979 benutzt und damit den Kraftfahrzeugsteuertatbestand der widerrechtlichen Benutzung eines Fahrzeugs (§ 1 Abs. 1 Nr. 3, § 2 Abs. 5 Satz 1 KraftStG 1979) in seiner Person verwirklicht. Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, daß der "Autoschütter" ein Kraftfahrzeug war, dessen Inbetriebsetzung auf öffentlichen Straßen nach § 18 Abs. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) der verkehrsrechtlichen Zulassung bedurfte, und daß dieses Fahrzeug ohne Zulassung "auf öffentlichen Straßen" in Betrieb gesetzt, damit widerrechtlich benutzt wurde (vgl. Mößlang, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau - DVR - 1979, 114, 115; Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer-Kommentar, 3. Aufl. 1981, Abschn. 8, b = Seite 116). Für die Entscheidung, ob eine widerrechtliche Benutzung vorliegt, kommt es auf die Länge der befahrenen Strecke grundsätzlich nicht an (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluß vom 26. Oktober 1960 II F 1/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961, 36).

Zu Unrecht hat das FG jedoch entschieden, eine "nochmalige" Steuerfestsetzung wegen widerrechtlicher Benutzung des Fahrzeugs bei der Rückfahrt sei unzulässig, weil ein Dritter wegen einer vorangegangenen widerrechtlichen Benutzung dieses Fahrzeugs für denselben Zeitraum zur Kraftfahrzeugsteuer herangezogen worden sei.

Entgegen der Ansicht des FG ist die Kraftfahrzeugsteuer keine "Objektsteuer". Die Kraftfahrzeugsteuer ist vielmehr eine Verkehrsteuer (BFH, Urteile vom 27. Juni 1973 II R 179/71, BFHE 110, 213, 217, BStBl II 1973, 807, 809, und vom 18. Dezember 1984 II R 100/81, n. v.), deren Gegenstand nicht das Kraftfahrzeug oder der Kraftfahrzeuganhänger, sondern das Halten eines Fahrzeugs, die widerrechtliche Benutzung oder die Zuteilung roter Kennzeichen zur wiederkehrenden Verwendung für Probe- und Überführungsfahrten ist (§ 1 Abs. 1 KraftStG 1979). Zwar ist die widerrechtliche Benutzung im Verhältnis zum Haupt- und Regeltatbestand des Haltens, wie sich aus § 2 Abs. 5 KraftStG 1979 ergibt (vgl. für das frühere Recht BFH, Urteil vom 26. Mai 1965 II 127/62 U, BFHE 82, 584, 587, BStBl III 1965, 457 f.), ein Ergänzungstatbestand, der nur durch die Benutzung eines nicht zugelassenen Fahrzeugs erfüllt werden kann, der - umgekehrt - durch die Benutzung eines zugelassenen Fahrzeugs nicht verwirklicht wird. Diese "Ergänzungsfunktion" rechtfertigt jedoch nicht den vom FG gezogenen Schluß, daß die Steuerbelastung im Falle widerrechtlicher Benutzung nicht höher sein könne als im Falle rechtmäßiger Benutzung während desselben Zeitraums und daß somit eine wiederholte Besteuerung wegen mehrfacher widerrechtlicher Benutzung - auch durch verschiedene Personen - innerhalb dieses Zeitraums ausscheide.

Das FG übersieht, daß das neue Kraftfahrzeugsteuerrecht mit dem Ausschluß einer steuerlichen "Doppelbelastung" infolge Besteuerung sowohl des Haltens als auch der widerrechtlichen Benutzung (vgl. auch § 2 Abs. 5 Satz 2 KraftStG 1979; dazu amtliche Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 22. Dezember 1978 - BGBl I 1978, 2063 -, zu Art. 1 Nr. 2 - § 1 a -, BT-Drucks. 8/1679, S. 16) andere Fälle kraftfahrzeugsteuerrechtlicher "Mehrfachbelastung" nicht beseitigt hat. So entsteht die Steuer wegen widerrechtlicher Benutzung eines Kraftfahrzeugs, an dem unberechtigt ein rotes Kennzeichen geführt wird, auch wenn durch die Zuteilung dieses Kennzeichens bereits Steuer entstanden ist (Mößlang, a. a. O., S. 116; Heinz in Bischoff, Verkehrsteuern, 2. Aufl. 1986, S. 158). Ebenso ist die vom FG als "Doppelbesteuerung" bezeichnete kraftfahrzeugsteuerrechtliche Inanspruchnahme zweier Personen wegen nacheinander erfolgter widerrechtlicher Benutzung desselben Fahrzeugs innerhalb desselben Zeitraums geboten, weil der Steuertatbestand durch die Benutzer - Steuerschuldner - jeweils verwirklicht worden und kein Grund ersichtlich ist, der der Inanspruchnahme des zweiten Benutzers oder späterer Benutzer entgegenstände. Keinen solchen Grund liefert insbesondere die vom FG angeführte Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 12. Mai 1965 II 59/62 U, BFHE 82, 492, 497, BStBl III 1965, 425; FG München, Urteil vom 12. Juli 1957 IV 66/57, Entscheidungen der Finanzgerichte 1958, 17), nach der bei wiederholter widerrechtlicher Fahrzeugbenutzung durch eine Person innerhalb des Mindestbesteuerungszeitraums von einem Zeitmonat die Kraftfahrzeugsteuer für diesen Zeitraum nur einmal festzusetzen ist, und zwar auch, wenn die einzelnen Benutzungshandlungen in zwei Kalendermonate fallen. Denn diese Rechtsprechung findet ihre Rechtfertigung darin, daß in den bezeichneten Fällen nur eine Tatbestandsverwirklichung durch fortdauernde widerrechtliche Benutzung seitens einer Person vorliegt (vgl. auch Egly/Mößlang, a. a. O., Abschn. 40 = S. 282 f.; Abschn. 54, b = S. 313).

Anders verhält es sich aber, wenn mehrere Personen nacheinander dasselbe Fahrzeug innerhalb des Mindestbesteuerungszeitraums widerrechtlich benutzen. Der Senat teilt nicht die Auffassung von Möllinger (DVR 1981, 119, 120 f.; vgl. auch Strodthoff, Kraftfahrzeugsteuer-Kommentar, Kraftfahrzeugsteuergesetz § 2 Erl. 3), der in der widerrechtlichen Benutzung des Fahrzeugs durch mehrere Personen keine mehrfache Verwirklichung des Tatbestandes sieht, weil dies dem Gedanken der (lückenlosen) einmaligen Besteuerung widerspreche. An der Tatbestandsmäßigkeit der weiteren widerrechtlichen Benutzung können begründete Zweifel nicht bestehen. Die Tatbestandsmäßigkeit entfällt auch nicht deshalb, weil die weitere widerrechtliche Benutzung innerhalb des Zeitraums erfolgte, währenddessen bereits die Steuerpflicht des ersten Benutzers bestand. Die gesetzlich vorgesehene Mindestdauer (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG 1979) soll die Steuerpflicht dessen ausdehnen, der nur kurzfristig ein Fahrzeug widerrechtlich benutzt hat, nicht aber die kraftfahrzeugsteuerfreie anschließende Benutzung durch einen anderen innerhalb des Zeitmonats ermöglichen. Eine Doppelbesteuerung im Sinne der doppelten Besteuerung eines Steuertatbestandes kann in der Inanspruchnahme des weiteren Benutzers nicht gesehen werden. Der Senat vermag auch keinen Grund zu erkennen, der es rechtfertigen könnte, die durch Verwirklichung des Steuertatbestandes eingetretene Steuerpflicht eines widerrechtlich Nutzenden dadurch entfallen zu lassen, daß die Finanzbehörde von einem Dritten wegen vorangegangener widerrechtlicher Benutzung desselben Fahrzeugs Kraftfahrzeugsteuer für einen Zeitraum gefordert hat, in den die (zweite) widerrechtliche Benutzung fiel (so aber Egly/Mößlang, a. a. O., Abschn. 36 = S. 271 für den Fall der Besteuerung des ersten widerrechtlichen Benutzens durch den Halter im Sinne des Verkehrsrechts).

Ein solches Ergebnis läßt sich mit der "Ergänzungsfunktion" des Tatbestandes der widerrechtlichen Benutzung nicht begründen (anders Möllinger, a. a. O., S. 120 f. Anm. 10). Denn diese schließt - wie ausgeführt - nur eine steuerliche "Doppelbelastung" durch Besteuerung der widerrechtlichen Benutzung neben der Besteuerung des Haltens aus, nicht aber die steuerliche Inanspruchnahme mehrerer Personen, die innerhalb des Besteuerungszeitraums dasselbe Fahrzeug nacheinander widerrechtlich benutzt haben. Daß Kraftfahrzeugsteuer dadurch mehrfach entsteht, insgesamt in einer Höhe, die die Steuer bei nur einmaliger Erfüllung des Haupt- oder Ergänzungstatbestandes übersteigt, muß als Folge der mehrfachen Verwirklichung des Steuertatbestandes hingenommen werden. Bußgeld- oder gar Strafcharakter können die weiteren Steuerfestsetzungen schon deshalb nicht gewinnen, weil sie jedem Benutzer gegenüber nur in der gesetzlich vorgesehenen Höhe erfolgen dürfen.

Das Ergebnis entspricht der Rechtsprechung des BFH zum KraftStG 1955, nach der die mehrfache widerrechtliche Benutzung eines Fahrzeugs durch verschiedene Personen innerhalb desselben Zeitraums zu mehrfacher Entstehung der Kraftfahrzeugsteuer führte (BFH, Urteil vom 1. Oktober 1958 II 44/58 U, BFHE 67, 516, 518, BStBl III 1958, 471). An diesem Ergebnis hat sich durch das neue Kraftfahrzeugsteuerrecht nichts geändert (ebenso Klein, Kommentar zum Kraftfahrzeugsteuergesetz, 1980, Erläuterungen zu § 7 KraftStG = S. 83).