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BFH-Urteil vom 21.2.1986 (VI R 9/80) BStBl. 1986 II S. 768

Ein Organträger darf für Lohnsteuerschulden der Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft im Lohnsteuerhaftungsverfahren grundsätzlich auch dann nicht in Anspruch genommen werden, wenn er selbst diesen Arbeitnehmern Leistungen erbracht hat.

EStG 1975 §§ 38, 42d; LStDV § 1 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) als geschäftsleitende Holding-Gesellschaft Arbeitgeberin der bei den Tochtergesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer war und infolgedessen § 8 des Gesetzes über steuerliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer (KapErhStG) vom 2. November 1961 anwendbar ist.

Die Klägerin ist eine AG, die als Organträgerin mit mehreren inländischen Tochtergesellschaften verbunden ist, die alle in der Rechtsform einer GmbH betrieben werden und sich zu 100 % in der Hand der Klägerin befinden (bis auf eine GmbH, an der die Klägerin zu 50 % beteiligt ist). Die Klägerin hat in den Jahren 1968 bis 1973 eigene Aktien an ihre Mitarbeiter und an Mitarbeiter der Tochtergesellschaften ausgegeben. Sie hat dabei allen diesen Mitarbeitern einen Vorzugskurs eingeräumt und den Unterschiedsbetrag zum Börsenkurs steuerfrei belassen. Dies stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) im Rahmen einer Außenprüfung bei der Klägerin fest.

Mit Haftungsbescheid vom 22. Dezember 1976 forderte das FA die auf die Kursvorteile der Mitarbeiter der Tochtergesellschaften entfallenden Steuern von der Klägerin nach. Soweit die Klägerin Aktien an ihre eigenen Belegschaftsmitglieder ausgegeben hatte, hat das FA keine Bedenken gegen die Steuerfreiheit geltend gemacht.

Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage hinsichtlich des Streitpunktes statt. Es führte in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1980, 133 veröffentlichten Urteil aus: Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1965 bzw. § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG 1971, 1972 hafte der Arbeitgeber für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer. Die Klägerin sei Arbeitgeberin der Mitarbeiter ihrer inländischen Tochtergesellschaften. Denn diese Gesellschaften seien organschaftlich mit der Klägerin verbunden. Es bestünden Gewinnabführungsverträge mit allen Tochtergesellschaften. Diese seien zwar unmittelbare Arbeitgeber der Mitarbeiter. Daneben könne aber eine Obergesellschaft auch mittelbarer Arbeitgeber sein und insoweit für die Lohnsteuer in Anspruch genommen werden (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Dezember 1968 VI R 220/67, BFHE 94, 460, BStBl II 1969, 207). Nach dieser BFH-Entscheidung komme eine Lohnsteuerhaftung in Betracht, soweit sich die Obergesellschaft die Gewährung bestimmter Zuwendungen an die Arbeitnehmer der Untergesellschaft vorbehalte und in ihren Geschäftsbüchern ausweise. Es liege insoweit ein partielles, mittelbares Arbeitsverhältnis zwischen den Arbeitnehmern und der Muttergesellschaft vor, das für die Arbeitgeberhaftung ausreiche. Eine Haftung wegen der Kursvorteile bei Ausgabe der Aktien an die Mitarbeiter der Tochtergesellschaften entfalle aber deshalb, weil die Steuerbefreiung des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapErhStG eingreife. Denn die Klägerin - als mittelbare Arbeitgeberin - habe ihren (mittelbaren) Mitarbeitern auch i.S. des § 8 KapErhStG eigene Aktien gewährt, so daß der den Arbeitnehmern eingeräumte Kursvorteil nicht lohnsteuerpflichtig sei.

Mit der Revision macht das FA geltend, die angefochtene Entscheidung verletze § 8 KapErhStG.

Das FA beantragt, die Entscheidung des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet, da die Vorentscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.

1. Das FA hat den Haftungsbescheid vom 22. Dezember 1976 ausdrücklich auf die Haftung "nach § 38 Einkommensteuergesetz" gestützt. Dies jedoch zu Unrecht.

Obwohl der angefochtene Bescheid sich auf die Streitjahre 1968 bis 1973 bezieht, also auf einen Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Einkommensteuerreformgesetzes (EStRG) vom 5. August 1974, sind auf ihn die Vorschriften des EStG 1975 anzuwenden. Die vor dem Inkrafttreten des EStRG für die Lohnsteuerhaftung geltenden Vorschriften des § 38 Abs. 3 EStG 1965, § 38 Abs. 4 EStG 1971 sind durch Art. 1 Nr. 54 i.V.m. Nr. 68 EStRG mit Wirkung vom Beginn des Veranlagungszeitraums 1975 an aufgehoben worden. Da sich auch aus dem Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 nichts anderes ergibt, kann ein Lohnsteuerhaftungsbescheid, der - wie im Streitfall - nach dem 31. Dezember 1974 ergangen ist, nur auf § 42d EStG beruhen (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472, unter 1.a).

Die somit unzutreffende Bezugnahme im Haftungsbescheid vom 22. Dezember 1976 ist indessen unschädlich. Aufgrund des Hinweises des FA in diesem Bescheid auf "§ 38 Einkommensteuergesetz" ist zweifelsfrei, daß das FA die Klägerin im Haftungsweg in Anspruch nehmen wollte. Die unzutreffende Angabe der Haftungsvorschriften macht den Bescheid nicht fehlerhaft. Demnach ist zur Beurteilung, ob der Haftungsbescheid zu Recht ergangen ist, das Haftungsrecht für 1976 und demgemäß § 42d EStG 1975 anwendbar.

2. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob nach früherem Recht (§ 8 KapErhStG ist seit Einführung des § 19a EStG 1984 nicht mehr anwendbar) "eigene Aktien" auch solche der Muttergesellschaft einer Arbeitgeberin sein konnten (vgl. hierzu unter anderem Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 8 KapErhStG Anm. 19). Es kann auch unentschieden bleiben, ob ein Veräußerungsverbot nach § 8 KapErhStG i.V.m. der hierzu ergangenen Verordnung zu einem Wertabschlag führen konnte. Denn jedenfalls durfte die Klägerin als Organträgerin (Muttergesellschaft) nicht durch Lohnsteuerhaftungsbescheid für Lohnsteuerschulden von Arbeitnehmern ihrer Tochtergesellschaften in Anspruch genommen werden.

Schuldner der Lohnsteuer ist der einzelne Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG 1975). Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG 1975). Um diese gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu gewährleisten, kann er - falls er seiner Pflicht nicht nachgekommen ist - im Haftungsweg in Anspruch genommen werden. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG 1975, der hier nur in Betracht kommen könnte, haftet der Arbeitgeber demgemäß für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat. Es haftet also nur der Arbeitgeber, der zum Lohnsteuerabzug verpflichtet ist (Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 42d Anm. 7) und der diese Pflicht verletzt hat. § 42d EStG 1975 begründet demnach eine Erfolgshaftung im Rahmen eines selbstbeherrschten Risikobereichs (vgl. Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 42d Anm. 2 f). Daher setzt der Haftungstatbestand voraus, daß der Lohnzufluß sich in der Herrschaftssphäre des Arbeitgebers ereignet hat und dieser demgemäß nach entsprechender Kenntnis in die Lage versetzt wird, Lohnsteuer einzubehalten. Deshalb greift die Arbeitgeberhaftung auch ein, soweit ein Fall vorliegt, in dem bei Zahlung des Arbeitslohns durch Dritte eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einbehaltung von Lohnsteuer anzunehmen ist (vgl. Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, 6. Aufl., C § 42d Rdnr. 8).

Im Streitfall ist die Klägerin indessen nicht Arbeitgeberin der Arbeitnehmer ihrer Tochtergesellschaften. Zwar ist der Begriff des Arbeitgebers im Einkommensteuerrecht nicht definiert. In Umkehrung des Begriffs des Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV -) ergibt sich aber, daß Arbeitgeber derjenige ist, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Weisungen er zu folgen hat. Dies ist regelmäßig der Vertragspartner des Arbeitnehmers aus dem Dienstvertrag. Im Falle eines Konzerns sind Arbeitnehmer grundsätzlich nur im Verhältnis zu dem Konzernunternehmen arbeitsvertraglich gebunden, mit dem ihr Dienstvertrag geschlossen ist; nur dieses Konzernunternehmen hat unmittelbar Weisungsrechte. Der Arbeitnehmer hat auch nur gegenüber diesem Unternehmen Rechtsansprüche (z.B. auf Zahlung des Arbeitslohns, einer Lohnfortzahlung oder des Urlaubsgeldes), die er grundsätzlich auch nur gegenüber diesem Unternehmen gerichtlich durchsetzen könnte.

Wenn nach Abschn. 16 Abs. 2 Satz 1 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1984 im Konzern verbrachte Dienstzeiten auf die Arbeitnehmer-Dienstzeiten für die Berechnung des Jubiläumsalters angerechnet werden dürfen, so ist hierin keine rechtsklarstellende, sondern eine rechtsbegründende Regelung zu verstehen. Denn diese Bestimmung geht im Grundsatz davon aus, daß das Dienstverhältnis nur mit der jeweiligen Organgesellschaft besteht und daß ausnahmsweise die Dienstzeiten bei einer anderen Gesellschaft des Organkreises mitberücksichtigt werden können.

Unstreitig waren im Streitfall Dienstverhältnisse zwischen den Tochtergesellschaften und den Arbeitnehmern, nicht aber (auch) mit der Klägerin abgeschlossen worden. Die Klägerin ist bezüglich dieser Dienstverhältnisse Dritte. Sie hat als Dritte Leistungen an die Arbeitnehmer ihrer Tochtergesellschaften erbracht. Deshalb wären, was hier aber nicht abschließend zu entscheiden ist, die Tochtergesellschaften ggf. zur Lohnsteuereinbehaltung verpflichtet gewesen und dementsprechend Haftungsschuldner für insoweit nicht einbehaltene Lohnsteuer gewesen. Dagegen war die Klägerin nicht zur Lohnsteuereinbehaltung bei den Arbeitnehmern der Tochtergesellschaften verpflichtet; sie durfte deshalb nicht als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden.

Allerdings hat das FG im Streitfall unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine mittelbare, partielle Arbeitgeberschaft der Klägerin angenommen, soweit sie den Arbeitnehmern eigene Aktien überlassen hat. Dem kann sich der Senat nicht anschließen.

Die rechtliche Selbständigkeit einer Organgesellschaft wird durch das Organschaftsverhältnis nicht berührt (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 38 EStG Anm. 29 E 22). Man kann daher zum Zwecke des Lohnsteuerabzugs das zwischen Arbeitnehmer und Organgesellschaft bestehende Dienstverhältnis grundsätzlich nicht in zwei Dienstverhältnisse aufspalten, zumal dies für den Lohnsteuerabzug nicht erforderlich ist und zu verfahrensmäßigen Schwierigkeiten führen kann (vgl. Lademann/Söffing/Brockhoff, a.a.O., § 38 Anm. 31). Es wären für an sich ein Arbeitsverhältnis zwei Arbeitgeber gegeben, die gesondert (mit zwei Lohnsteuerkarten?) Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen hätten und ggf. dafür hafteten. Das Dienstverhältnis würde partiell und zeitanteilig aufgespalten; beide Arbeitgeber hätten einen Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 42b EStG durchzuführen. Beläßt man es indessen - von der bürgerlichen Rechtslage ausgehend - bei einem Dienstverhältnis, so ist die Organgesellschaft auch für die Leistungen des ausnahmsweise sowie teilweise zahlenden Dritten (des Organträgers) Einbehaltungs- und Abführungsverpflichteter sowie ggf. Haftungsschuldner.

Giloy (Betriebs-Berater - BB - 1976, 264) vertritt die gegenteilige Auffassung vor allem im Hinblick darauf, daß es in einem Konzern begrüßenswert wäre, wenn alle Arbeitnehmer des Konzerns hinsichtlich der steuerfreien Hingabe von Belegschaftsaktien gleichbehandelt würden. Abgesehen davon, daß dies nun durch § 19a EStG ohnedies erreicht ist, hat es der Gesetzgeber früher offensichtlich in Kauf genommen, daß Arbeitnehmer von Aktiengesellschaften besser behandelt werden als solche von Unternehmen in anderer Rechtsform. Es erscheint nicht gerechtfertigt, ein vielleicht rechtspolitisch wünschenswertes Ergebnis durch eine Auslegung des Arbeitgeberbegriffs zu erreichen, die sich systematisch nur schwer begründen läßt und zu verfahrensmäßigen Schwierigkeiten führen kann.

Es ist allerdings einzuräumen, daß der BFH in dem Urteil in BFHE 94, 460, BStBl II 1969, 207 es für möglich erachtet hat, daß eine Obergesellschaft mittelbare Arbeitgeberin der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft ist. Diese auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise gestützte Auffassung war vom Ergebnis her in jenem Verfahren vielleicht deshalb verständlich, weil die Obergesellschaft angeblich die Lohnsteuer bereits gezahlt hatte und daher die Inhaftungnahme der Tochtergesellschaft ausgeschlossen werden sollte. Der Senat war in jener Entscheidung offensichtlich bemüht, eine doppelte Heranziehung von Obergesellschaft und Untergesellschaft hinsichtlich derselben Leistungen an Arbeitnehmer zu vermeiden. Im vorliegenden Fall geht es um die erstmalige Inanspruchnahme für eine den Mitarbeitern der Tochtergesellschaften der Klägerin erbrachte Leistung. Insoweit besteht kein Bedürfnis dafür, die Inanspruchnahme der Tochtergesellschaften als eigentliche Arbeitgeberinnen zu verhindern und also für Zwecke der Haftung ein mittelbares Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis zu konstruieren.

Soweit der Reichsfinanzhof in den in dem vorbezeichneten BFH-Urteil zitierten Entscheidungen ein mittelbares, partielles Dienstverhältnis angenommen hat, handelt es sich um andere Sachverhaltsgestaltungen. Der erkennende Senat sieht deshalb keine Veranlassung, hierzu im einzelnen Stellung zu nehmen.