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BFH-Urteil vom 11.9.1986 (IV R 11/83) BStBl. 1987 II S. 5

Enthält die Rechtsbehelfsschrift keine eindeutige und zweifelsfreie Kennzeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts i. S. des § 357 Abs. 3 AO 1977, ist bei Ermittlung des wirklichen Willens davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der nach Lage der Sache angefochten werden muß, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen.

AO 1977 § 357.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Juni 1975 gegründete GmbH & Co. KG mit Sitz in A. Sie befaßte sich mit Mineralöltransporten. Ihr persönlich haftender Gesellschafter ist eine in B domizilierende GmbH. Kommanditisten waren der GmbH-Geschäftsführer C und dessen Ehefrau. Ab Anfang 1977 erinnerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) mehrmals und vergeblich an die ausstehenden Steuererklärungen für das Jahr 1975. Auf der Grundlage der durch die abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen bekannten Einnahmen schätzte das FA durch Gewinnfeststellungsbescheid 1975 vom 9. September 1977 den Gewinn auf 34.000 DM. Es legte diesen Gewinn auch bei Erlaß des Gewerbesteuermeßbescheides 1975 zugrunde. Beide Bescheide wurden durch einfachen Brief am 19. Oktober 1977 zur Post gegeben. Ferner gab das FA am 26. Oktober 1977 den Gewinnfeststellungsbescheid 1976 (mit einem geschätzten Gewinn von 65.000 DM) zur Post. Den Gewerbesteuermeßbescheid 1976 sandte es am 11. Januar 1978 an die Klägerin ab.

Mit einem nicht datierten, am 2. November 1977 beim FA eingegangenen Schreiben teilte der Geschäftsführer dem FA folgendes mit:

"Betrifft Gewerbesteuerbescheid 1974 und 1975 und 1976 für X-GmbH & Co. in A.

Gegen die oben angeführten Steuerbescheide erhebe ich Einspruch. Die Steuererklärung wird dem zuständigen Wohnsitzfinanzamt eingereicht und es ist in keinem Jahr ein Gewinn erzielt worden. Der Betrieb ist eingestellt worden, da kein Gewinn zu erzielen war."

Mit Schreiben vom 7. November 1977 teilte das FA dem Geschäftsführer C mit, daß es sich bislang vergeblich bemüht habe, in den Besitz von Steuererklärungen zu gelangen. Auch wies es auf die Schwierigkeit der Zustellung von Schriftstücken hin. In der Sache forderte es den Geschäftsführer zwecks Nachprüfung seines Vorbringens auf, "Umsatzsteueranmeldungen, Gewinnfeststellungserklärungen und Gewerbesteuererklärungen nebst Bilanzen und Ertragsrechnungen" für die Jahre 1975 und 1976 vorzulegen. Nach vergeblicher Fristsetzung erließ das FA die Einspruchsentscheidungen vom 23. Januar 1978. Es behandelte das Einspruchsschreiben vom 2. November 1977 als Rechtsbehelfe gegen die Gewerbesteuermeßbescheide und wies die Einsprüche bezüglich der Jahre 1974 und 1976 als unzulässig, für das Jahr 1975 als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 2. April 1979 bestellte sich der jetzige Prozeßbevollmächtigte zum Vertreter und legte für die Klägerin Gewinnfeststellungserklärungen für die Jahre 1975 und 1976 unter Beifügung von Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen vor. Die Klägerin erklärte für die Jahre 1975 und 1976 Verluste von 56.222 DM und 103.021 DM. Dem Hinweis des FA auf die Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 begegnete die Klägerin mit dem Vorbringen, der Rechtsbehelf vom 2. November 1977 richte sich seinem Inhalt nach auch gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 und sei daher noch nicht verbeschieden. Das FA lehnte es demgegenüber unter Hinweis auf die Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide mit Verfügung vom 10. Mai 1979 ab, deren Änderung aufgrund der eingereichten Erklärungen und Unterlagen vorzunehmen.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Finanzgericht (FG), und zwar - auf Anregung des FG - als Anfechtungsuntätigkeitsklage gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 mit dem Antrag, diese Bescheide nach Maßgabe der von ihr eingereichten Erklärungen zu ändern. Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Eine Änderung der angefochtenen Bescheide könne wegen der Bestandskraft nicht mehr erreicht werden.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es tritt der Rechtsauffassung des FG bei.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß § 357 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) "soll" bei der Einlegung des Rechtsbehelfs der Verwaltungsakt bezeichnet werden, gegen den sich der Rechtsbehelf richtet. Die Rechtswirksamkeit des eingelegten Rechtsbehelfs hängt damit nicht von einer konkreten genauen Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsakts ab; jedoch ist erforderlich, daß sich die Zielrichtung des Begehrens aus der Rechtsbehelfsschrift in der Weise ergibt, daß sich der angesprochene Verwaltungsakt aus dem Inhalt der Rechtsbehelfsschrift entweder selbst ermitteln läßt oder Zweifel oder Unklarheiten am Gewollten durch Rückfragen des FA beseitigt werden können (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 357 AO 1977 Rdnr. 7; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 357 AO 1977 Anm. 5; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 357 AO 1977 Rdnr. 17; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. März 1963 VII 11/63, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Reichsabgabenordnung, § 249, Rechtsspruch 26).

Fehlt es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten, hat das FA den wirklichen Willen des Steuerpflichtigen durch Auslegung seiner Erklärung zu ermitteln. Nach gefestigter Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH ist als Auslegungsmaßstab zugunsten des Steuerpflichtigen festgelegt, daß derjenige Rechtsbehelf als eingelegt anzusehen ist, der nach Lage der Sache in Betracht kommt bzw. sachlich den Belangen des Steuerpflichtigen entspricht und mithin Erfolg versprechen kann (BFH-Beschluß in StRK, Reichsabgabenordnung, § 249, Rechtsspruch 26, im Anschluß an RFH-Urteile vom 7. März 1928 VI A 194/28, Steuer und Wirtschaft - StuW - 1928 Nr. 220, und vom 13. März 1929 VI A 24/25, StuW 1929 Nr. 498). Es ist also davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige denjenigen Verwaltungsakt anfechten will, der angefochten werden muß, um zu dem erkennbar angestrebten Erfolg zu kommen (BFH-Urteil vom 14. November 1958 III 103/58 U, BFHE 68, 134, BStBl III 1959, 51, im Anschluß an RFH-Urteil vom 9. Mai 1934 III A 85/34, RStBl 1934, 658).

2. Die Entscheidung des FG entspricht diesen Rechtsgrundsätzen, die bei Anwendung des § 357 AO 1977 zu beachten sind, nicht und ist daher aufzuheben.

Der Auffassung des FG, die Benennung der angefochtenen Bescheide im Betreff des Rechtsbehelfsschreibens als "Gewerbesteuerbescheide 1974, 1975 und 1976" sei so eindeutig, daß die Willensrichtung der Klägerin nur in die gewollte Anfechtung der Gewerbesteuer m e ß bescheide umgedeutet werden könne und sich aus dem übrigen Inhalt des Einspruchsschreibens nichts Gegenteiliges ergebe, kann nicht beigetreten werden.

Den Angaben der Klägerin im Betreff ihres Einspruchsschreibens kommt schon für sich genommen nicht das Gewicht zu, das ihm das FG beigelegt hat. Im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung (am 2. November 1977) lagen der Klägerin drei Bescheide vor, nämlich die Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 sowie der Gewerbesteuermeßbescheid 1975. Von der Absicht des FA, einen Gewerbesteuermeßbescheid 1976 zu erlassen, hatte die Klägerin ersichtlich keine Kenntnis, denn dieser erging erst am 11. Januar 1978. Von den drei bei Einspruchseinlegung der Klägerin vorliegenden Bescheiden betraf somit nur einer die Gewerbesteuer. Wenn demgegenüber im Betreff des Einspruchsschreibens drei Gewerbesteuerbescheide aufgeführt werden, kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, daß es dem wirklichen Willen der Klägerin entsprach, nicht ergangene Steuerbescheide anzufechten. Auch dem FA hätte sich dieses erschließen müssen, denn der im Betreff aufgeführte Gewerbesteuerbescheid 1974 betraf einen Zeitraum, in dem die Klägerin noch gar nicht existierte. Auch hätten erhebliche Zweifel entstehen müssen, ob die Klägerin wirklich schon den - noch nicht ergangenen und auch nicht angekündigten - Gewerbesteuermeßbescheid 1976 anfechten wollte. Bei dieser Sachlage kann der im Betreff des Einspruchsschreibens von der Klägerin vorgenommenen Bezeichnung der von der Einspruchseinlegung betroffenen Bescheide wegen Widersprüchlichkeit und offenbarer Unrichtigkeiten für sich genommen keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Es liegt eine erkennbare und damit rechtlich irrelevante Falschbezeichnung vor (vgl. Urteil in BFHE 68, 134, BStBl III 1959, 51). Der Betreff erlaubte allenfalls die Auslegung, die Klägerin wolle die drei Bescheide, die ihr vorliegen, anfechten.

Zur Ermittlung des von der Klägerin wirklich Gewollten ist daher an den eigentlichen Inhalt des Einspruchsschreibens anzuknüpfen. Ausgehend von dem Umstand, daß in den Gewinnfeststellungsbescheiden 1975 und 1976 (im Schätzungswege) Gewinne von 34.000 DM und 65.000 DM festgestellt worden waren, ist die Darlegung der Klägerin, es sei in keinem Jahr (gemeint ist der Zeitraum ihrer betrieblichen Betätigung) ein Gewinn erzielt worden, als ihr Bestreben zu verstehen, die geschätzten Gewinne durch die wirklichen Zahlen zu ersetzen. Dafür spricht auch ihre Ankündigung, die entsprechenden Steuererklärungen einzureichen. Hieraus ist der auch für das FA erkennbare Wille der Klägerin zu entnehmen, die in den ihr vorliegenden Steuerbescheiden niedergelegten Beurteilungen des FA nicht hinnehmen zu wollen. Jedenfalls hätte das Einspruchsschreiben, das von dem steuerrechtlich erkennbar nicht bewanderten Geschäftsführer verfaßt worden war, das FA veranlassen müssen, klärende Rückfragen zu halten. Es durfte die Klägerin nicht an Wendungen festhalten, die in dargestellter Weise falsch, mißverständlich und widersprüchlich waren (BFH-Urteil vom 12. Dezember 1957 IV 10/57 U, BFHE 66, 401, BStBl III 1958, 154).

Von einer entsprechenden Rückfrage hat das FA offensichtlich deshalb abgesehen, weil es mit Schreiben vom 7. November 1977 Steuererklärungen und weitere Unterlagen angefordert hat, um in eine sachliche Prüfung der Einsprüche einzutreten. Die zu damaliger Zeit vermutlich vom FA vertretene Auffassung, daß die Einsprüche sich auch gegen die ergangenen Gewinnfeststellungsbescheide 1975 und 1976 richteten, erweist sich jedenfalls als zutreffend.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung war das FG nicht gehalten, die Rechtmäßigkeit der ergangenen Bescheide zu prüfen. Das FG wird dies nach Maßgabe des von ihm angeregten Klagebegehrens nachzuholen haben.