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BFH-Urteil vom 17.9.1986 (II R 136/84) BStBl. 1987 II S. 35

Ein Erwerbsvorgang (i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1940/1983) ist dann verwirklicht i. S. des § 23 GrEStG 1983, wenn die Vertragspartner im Verhältnis zueinander gebunden sind, und zwar unabhängig davon, ob dieser Rechtsvorgang bereits die Entstehung der Steuer auslöst oder nicht.

GrEStG 1983 § 23 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 1.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb durch notariellen Kaufvertrag vom 20. Dezember 1982 "mit Wirkung zum 29. Dezember 1982" eine Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 86.500 DM. Für Übernahme einer Grundschuld und Zahlung des Restkaufpreises sowie für Besitzübergabe war der 31. Dezember 1982 maßgeblich.

Der Kläger beantragte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983, das GrEStG 1983 anzuwenden und die Grunderwerbsteuer auf 2 v. H. der Gegenleistung festzusetzen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat die Auffassung, der Erwerbsvorgang sei zwar erst am 29. Dezember 1982 verwirklicht worden, die Vereinbarung einer aufschiebenden Zeitbestimmung erfülle jedoch die Voraussetzungen des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977), und erhob gemäß § 23 Abs. 1 GrEStG Berlin 1969 Grunderwerbsteuer in Höhe von 7 v. H. der Gegenleistung = 6.055 DM. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt; zur Begründung führte es aus, verwirklicht im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 sei ein Erwerbsvorgang in dem Zeitpunkt, in dem die Steuerschuld entstanden sei. Die Entstehung der Steuerschuld sei im Falle einer Zeitbestimmung davon abhängig, daß der Endtermin eingetreten sei, wie sich zwar nicht unmittelbar aus § 14 Nr. 1 GrEStG 1983, wohl aber aus § 163 i. V. m. § 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ergebe; dies sei im Streitfall der 29. Dezember 1982.

Die Voraussetzungen des § 42 Satz 2 AO 1977 seien jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn - wie im Streitfall - keine Erfüllungshandlungen vor Wirksamkeit des Vertrages erfolgt sind.

Mit der - vom FG zugelassenen - Revision macht das FA geltend, das FG habe zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 42 AO 1977 verneint, denn die Zeitbestimmung habe ausschließlich steuerliche Gründe gehabt. Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgte, sei jedenfalls der Erwerbsvorgang bereits mit Abschluß des Vertrages am 20. Dezember 1982 verwirklicht worden. Auf die Entstehung der Steuerschuld komme es, weil § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 an den "Erwerbsvorgang" und nicht an den "Erwerb" anknüpfe, nicht an.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Der Kaufvertrag vom 20. Dezember 1982 unterlag gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Berlin vom 18. Juli 1969 (BStBl I, 519) der Grunderwerbsteuer. Die Grunderwerbsteuer beträgt gemäß § 23 Abs. 1, § 20 Abs. 1 GrEStG Berlin 7 v. H. vom Wert der Gegenleistung.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 nicht vor.

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 GrEStG 1983 ist dieses Gesetz auf Antrag auch auf Erwerbsvorgänge anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1983, jedoch nach dem Tag der Verkündung des Gesetzes (22. Dezember 1982), verwirklicht wurden. Was "Erwerbsvorgänge" sind, ergibt sich aus der Überschrift zu § 1 GrEStG 1983, der insoweit unverändert seit dem GrEStG 1940 gilt. Danach sind Erwerbsvorgänge im Sinne dieser Vorschrift u. a. die Rechtsvorgänge, die gemäß dem Besteuerungstatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegen. Vom Erwerbsvorgang zu unterscheiden ist der "Erwerb", von dem die §§ 3 f. GrEStG 1983 sprechen, als der auf seiten des Erwerbers eintretende Erfolg des Erwerbsvorgangs (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 12. Aufl., 1986, Vorbemerkung 159; vgl. auch die Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Dezember 1961 II 146/61 U, BFHE 74, 431, BStBl III 1962, 162; vom 10. Oktober 1962 II 5/61 U, BFHE 76, 41, BStBl III 1963, 16; vom 7. April 1965 II 15/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965, 418; vom 18. Mai 1966 II 144/64, BFHE 86, 262, BStBl III 1966, 399; vom 18. Mai 1966 II 56/63, BFHE 86, 174, BStBl III 1966, 381; vom 5. März 1968 II 165/64, BFHE 92, 43, BStBl II 1968, 416; vom 20. Juni 1968 II R 15/68, BFHE 93, 340, BStBl II 1968, 783; vom 23. April 1975 II R 195/72, BFHE 116, 284, BStBl II 1975, 742, in denen die Unterscheidung zwischen Erwerbsvorgang und Erwerb nie in Zweifel gezogen wurde).

Verwirklicht ist ein Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 dann, wenn das auf einen Erwerbsvorgang abzielende Wollen in rechtsgeschäftliche Erklärungen umgesetzt worden ist, wenn also die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden sind. Dazu gehört nicht der Eintritt der Steuerpflicht (Sigloch, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1983, 1817; Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 23 Anm. 9 f. und Vorbemerkung 158; Hofmann, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., 1986, § 23 Anm. 1; vgl. auch Padberg, Kommentar zum GrESt-Recht, § 23 Anm. 66). Die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung (vgl. die gleichlautenden Länder-Einführungserlasse vom 21. Dezember 1982 A 14.1 - z. B. Niedersächsisches Finanzministerium S 4430-28-323, BStBl I Seite 968) und im Schrifttum vertretene Auffassungen (Beck, Der Betrieb 1983, 414; Forst, Deutsche Steuer-Zeitung 1983, 78; Moench/Merl, Deutsches Steuerrecht 1983, 63; Möllinger, Deutsche Verkehrs-Rundschau 1983, 42 und 146) sind entweder nicht begründet oder unterscheiden nicht zwischen Erwerbsvorgang und Erwerb.

Aus den BFH-Entscheidungen vom 30. Oktober 1979 II R 142/78 (BFHE 131, 399, BStBl II 1980, 754) und vom 25. Juni 1980 II R 28/79 (BFHE 132, 316, BStBl II 1981, 332), die beide zu § 5 des Gesetzes zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen (GrEStEigWoG) ergangen sind, ergibt sich nichts anderes, denn in beiden Fällen war nicht entscheidend, ob die Verwirklichung des Erwerbsvorganges zeitlich vor der Entstehung der Steuer lag. Darüber hinaus betraf § 5 GrEStEigWoG eine Steuerbefreiungsvorschrift, während § 23 GrEStG 1983 als Kollisionsnorm eine andere, den gesamten steuerlichen Anknüpfungspunkt erfassende Zielsetzung hat.

Entscheidend ist danach, wann die Beteiligten im Verhältnis zueinander gebunden sind, unabhängig davon, ob dieser Rechtsvorgang bereits die Entstehung der Steuer auslöst oder nicht.

Im Streitfall war der Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 daher bereits mit Abschluß des Kaufvertrages am 20. Dezember 1982 verwirklicht. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1983 die Anwendung des GrEStG 1983 beantragt werden konnte, lagen danach nicht vor. Offenbleiben kann deshalb, ob die Steuer selbst erst am 29. Dezember 1982 entstanden ist (vgl. hierzu Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., 11. Aufl., § 19 Rdnr. 4 a, und 12. Aufl., § 14 Rdnr. 48).