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BFH-Beschluß vom 30.10.1986 (V B 44/86) BStBl. 1987 II S. 145

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß im Rahmen eines Bauherrenmodells von einem Bauunternehmer an die Bauherrengemeinschaft erbrachte Bauleistungen nicht nach § 4 Nr. 9a UStG 1980 steuerfrei sind.

UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 9a.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

In einer als Werkvertrag (Pauschalvertrag) bezeichneten Vereinbarung übertrug die Bauherrengemeinschaft D, vertreten durch den Baubetreuer und mit Zustimmung des Treuhänders, der Antragstellerin, Klägerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) die Ausführung von Rohbauarbeiten für den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses. Der Pauschalpreis enthielt keine Umsatzsteuer. Die Vertragsparteien hielten die Leistungen der Antragstellerin für steuerfrei nach § 4 Nr. 9a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Das Grundstück hatte die Bauherrengemeinschaft von dem Initiator des Vorhabens erworben.

Der Antragsgegner, Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) besteuerte dagegen die in den eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 1985 als steuerfrei bezeichneten Umsätze aufgrund der erwähnten Vereinbarung in entsprechenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheiden und forderte Nachzahlungen.

Gegen die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide legte die Antragstellerin Einsprüche ein. Das FA lehnte die Anträge der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide in Höhe der Nachzahlungen ab. Daraufhin beantragte die Antragstellerin am 6. Februar 1986 beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung.

Der Antrag hatte Erfolg. Das FG setzte die Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbesscheide antragsgemäß aus. Es ließ die Beschwerde gegen seine Entscheidung zu.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist begründet.

Sie führt in dem durch den Antrag des beschwerdeführenden FA bestimmten Umfang des Beschwerdeverfahrens (§§ 132, 113 Abs. 1, § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückweisung des beim FG gestellten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO).

Das FG hat dem Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide in Höhe der Nachforderung für Umsatzsteuer wegen Bauleistungen der Antragstellerin für die Bauherrengemeinschaft D zu Unrecht stattgegeben. Deswegen wird der Beschluß insoweit aufgehoben.

Für die Aussetzung der Vollziehung durch das FG (§ 69 Abs. 3 FGO) gilt § 69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO sinngemäß. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Etwa vorhandene Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide, soweit ihre Vollziehung noch im Streit ist, erreichen aufgrund von Stellungnahmen in der Rechtsprechung (Urteil des Niedersächsischen FG vom 4. März 1985 V 545/82, EFG 1985, 418; Beschluß des FG Düsseldorf vom 17. Dezember 1984 III 280-281/83 GE, Umsatzsteuer-Rundschau - UR - 1986, 110) und im Schrifttum (Pelka/Niemann, Der Betrieb - DB - 1983, 467; Schwarze, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht - JbFtSt - 1984, 225, 252) bei weitem nicht das für ernstliche Zweifel erforderliche Ausmaß.

Die von der Antragstellerin erbrachten Werklieferungen sind bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung nicht nach § 4 Nr. 9a UStG 1980 steuerfrei.

Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG 1980 fallenden Umsätzen sind steuerfrei (§ 4 Satz 1 vor Nummer 1 UStG 1980): Die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen (§ 4 Nr. 9a UStG 1980). Die unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 fallenden Umsätze bestehen in Lieferungen oder sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer - unter weiteren hier nicht erheblichen Voraussetzungen - ausführt. Besteuerungsgegenstand ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG die einzelne Leistung (BFH-Urteil vom 30. September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227). Sie wird grundsätzlich an denjenigen ausgeführt, der aus dem schuldrechtlichen Vertragsverhältnis, das dem Leistungsaustausch zugrunde liegt, berechtigt und verpflichtet ist (BFH-Beschluß vom 13. September 1984 V B 10/84, BFHE 142, 164, BStBl II 1985, 21). Dies ist hier die Bauherrengemeinschaft.

Die von der Antragstellerin an die Bauherrengemeinschaft D ausgeführten Bauleistungen sind Werklieferungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 3 Abs. 4 UStG 1980). Sie bleiben nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 auch dann selbständig, wenn sie zusammen mit den Leistungen anderer Unternehmer dazu gedient haben, für eine Bauherrengemeinschaft ein Gebäude im Rahmen eines sog. Bauherrenmodells zu errichten. Die im Rahmen eines Bauherrenmodells von verschiedenen Unternehmern bei der Gebäudeerrichtung ausgeführten Umsätze gehen nicht etwa zusammen mit der Lieferung des Grund und Bodens in einer umsatzsteuerrechtlich einheitlich zu beurteilenden Leistung auf. Der Annahme einer einheitlichen Leistung würde im übrigen schon entgegenstehen, daß die einzelnen Leistungen nicht so ineinandergreifen, daß sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1975 V R 138/73, BFHE 118, 99, BStBl II 1976, 307, für den Fall, daß mehrere "Leistungen" von einem und demselben Unternehmer bewirkt werden). Die Leistungen der bei der Errichtung eines Gebäudes im Rahmen eines Bauherrenmodells tätigen Bauunternehmer, Bauhandwerker und Funktionsträger sind wirtschaftlich nicht so aufeinander abgestimmt, daß sie nicht getrennt oder ausgewechselt werden könnten, ohne das Gesamtvorhaben oder seine Eigenart zu zerstören.

Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. § 3 Abs. 4 UStG 1980 selbständig zu beurteilenden Umsätze der Antragstellerin fallen nicht unter das Grunderwerbsteuergesetz (vgl. dazu auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 7. Juli 1983 3 K 379/82, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau - DVR - 1983, 152 mit kritischen Anmerkungen in Umsatzsteuer-Rundschau - UStR - 1983, 232; BMF-Schreiben vom 30. Juli 1984 IV A 3 - S 7.162 - 11/84, BStBl I 1984, 430; Weiß, Anmerkung in UR 1986, 109; Schwakenberg, UR 1986, 100; Sack, UR 1985, 169; Möllinger, DVR 1985, 114). Diesem unterliegen die in § 1 GrEStG beschriebenen Erwerbsvorgänge. Sie sind auf den Erwerb eines Grundstücks gerichtet. Die Begründung von Verpflichtungsgeschäften, die den Bauleistungen eines Bauunternehmers, betreffend die Errichtung eines Gebäudes, zugrunde liegen, fehlt es ebenso wie der Ausführung der Bauleistungen an einer entsprechenden Zweckrichtung. Sie fallen daher nicht unter das Grunderwerbsteuergesetz. Nichts anderes gilt, wenn ein Bauunternehmer Bauleistungen für ein im Rahmen eines Bauherrenmodells errichtetes Gebäude ausführt.

Es besteht auch keine Deckungsgleichheit hinsichtlich der Person des Leistungsempfängers bzw. des Erwerbers. Umsatzsteuerrechtlich ist unter den gegebenen Umständen Leistungsempfänger die Bauherrengemeinschaft (siehe oben). Entsprechendes gilt für die Person des Leistenden bzw. Veräußerers. Grunderwerbsteuerrechtlich erhebliche Rechtsbeziehungen (Erwerbsvorgänge) finden nur statt zwischen der Bauherrengemeinschaft und zwischen dem einzelnen Erwerber im Bauherrenmodell auf der einen Seite und dem Grundstückseigentümer sowie dem Projektanbieter auf der anderen Seite, nicht etwa den einzelnen Bauunternehmern.

Gegenstand des der Grunderwerbsteuer aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. Nrn. 6, 7 GrEStG 1983 unterliegenden Rechtsvorgangs ist das bebaute Grundstück bzw. der mit dem Sondereigentum an einer Eigentumswohnung oder einer Teileigentumseinheit verbundene Miteigentumsanteil am bebauten Grundstück (BFH-Beschluß vom 18. September 1985 II B 24-25/85, BFHE 144, 280, BStBl II 1985, 627). Bauleistungen eines Bauunternehmers gegenüber der Bauherrengemeinschaft gehen nur wertmäßig in die Bemessungsgrundlage des dem Grunderwerbsteuergesetz unterliegenden Rechtsvorgangs (Verpflichtung zur Verschaffung eines bebauten Grundstücks) ein. Die Vertragsbeziehungen zwischen dem Bauunternehmer und der Bauherrengemeinschaft stellen sich grunderwerbsteuerrechtlich nur als ein Hilfsmittel dar, um die Verpflichtung des Projektanbieters zu erfüllen, der den Erwerbern im Bauherrenmodell die Verschaffung des bebauten Grundstücks schuldet. Der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 von einem Bauunternehmer durch Bauleistungen im Bauherrenmodell gegenüber der Bauherrengemeinschaft ausgeführte Umsatz ist daher weder mit dem unter das Grunderwerbsteuergesetz fallenden Erwerbsvorgang identisch noch stellt er einen integrierten Teil von diesem dar. Umsatzsteuergesetz und Grunderwerbsteuergesetz knüpfen an unterschiedliche Tatbestände an. Daher liegt keine unzulässige Doppelbesteuerung vor.

Diese Auffassung ist mit dem Zweck der 6. Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem - (77/388, Amtsblatt L 145, S. 1) vereinbar. Getrennte steuerbare Umsätze, die nicht zu einem einheitlichen Umsatz zusammengefaßt werden können, sollen zur Wahrung der Wettbewerbsneutralität einzeln der Umsatzsteuer unterworfen werden. Dementsprechend werden Lieferungen und Dienstleistungen von Bauunternehmern und Handwerkern, die im Rahmen einer Gesamtvereinbarung nach der Art eines Bauherrenmodells durchgeführt werden und bei denen es sich um umsatzsteuerrechtlich von dem mit einem anderen Unternehmer abgewickelten Grundstücksgeschäft getrennte Vorgänge handelt - wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in dem Urteil vom 8. Juli 1986 Rs. 73/85 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1986, 487) entschieden hat -, nicht als eine einheitliche Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörenden Grund und Boden angesehen. Abgesehen von der Lieferung des Baugrundstücks unterliegen sie der Mehrwertsteuer (Art. 2 Nr. 1 der 6. Richtlinie).