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BFH-Urteil vom 2.4.1987 (VII R 148/83) BStBl. 1987 II S. 536

Die Aufrechnungserklärung des FA mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt. Hat das FA unzulässigerweise die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt erlassen, so ist dieser auf Anfechtung hin aufzuheben. Die Frage der Wirksamkeit der rechtsgeschäftlichen Aufrechnungserklärung als solche wird hierdurch nicht berührt.

AO 1977 §§ 118, 226; BGB §§ 387, 388, 389.

Vorinstanz: FG München (EFG 1984, 103)

Sachverhalt

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erklärte mit Verfügung vom 11. Oktober 1979 gegenüber dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) die Aufrechnung mit einer Forderung auf Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1972 gegen einen Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung im Rechtsbehelfsverfahren. Die Aufrechnungserklärung enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, daß gegen die "Verfügung" des FA die Beschwerde gegeben sei. Die hiergegen eingelegte Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) als unbegründet zurück.

Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob durch sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 103 veröffentlichtes Urteil vom 21. Juli 1983 X 2/80 AO die Beschwerdeentscheidung auf. Es führte aus:

FA und OFD seien zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Aufrechnungserklärung des FA eine mit der Beschwerde anfechtbare Verfügung im Sinne des § 118 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle. Der Senat schließe sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - (Urteil vom 27. Oktober 1982 3 C 6.82, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 226, Rechtsspruch 4) an, wonach die Aufrechnungserklärung die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts und für sich allein kein Verwaltungsakt sei. Da demnach die Beschwerdeentscheidung unzulässigerweise ergangen sei, müsse sie durch Aufhebung beseitigt werden. Über den zwischen den Beteiligten entstandenen Streit, ob der Kostenerstattungsanspruch des Klägers durch Aufrechnung erloschen sei, sei im Rahmen des hierfür in § 218 Abs. 2 AO 1977 vorgesehenen Verfahrens durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist nicht begründet.

1. Das FG hat zu Recht entschieden, daß eine Aufrechnungserklärung des FA grundsätzlich keinen mit der Beschwerde anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt. Dennoch ist es zutreffend davon ausgegangen, daß der Finanzrechtsweg gegeben und die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage zulässig ist.

Im Streitfall liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten (§ 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) vor, und der Kläger war befugt, sich mit der Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) gegen die Aufrechnungserklärung des FA zur Wehr zu setzen, weil die Aufrechnung formal durch Verwaltungsakt erfolgt ist. Daß das FA zur Herbeiführung der Aufrechnung hoheitlich tätig werden wollte und es sich dabei der Handlungsform eines Verwaltungsaktes bedient hat, ergibt sich zweifelsfrei aus der in der Aufrechnungsverfügung enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung, wonach gegen die Aufrechnung die Beschwerde gegeben sei. Das FA hat im vorliegenden Verfahren auch eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß es mit der Aufrechnungserklärung gegenüber dem Kläger eine hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts hat treffen wollen, denn es hält noch mit der Revision an dieser von der OFD in der Beschwerdeentscheidung bestätigten Rechtsauffassung fest. Wie die Rechtsbehelfe des Klägers - Beschwerde und Anfechtungsklage - zeigen, hat auch er die ihm gegenüber erklärte Aufrechnung als Verwaltungsakt verstanden.

Zwar wird, wie sich aus den Rechtsausführungen der Vorinstanz und der von dieser zitierten Entscheidung des BVerwG ergibt, die Auffassung vertreten, daß eine behördliche Aufrechnungserklärung die Ausübung eines "schuldrechtlichen" Gestaltungsrechts und keinen Verwaltungsakt darstelle. Diese Rechtsfrage, die den wesentlichen Streitpunkt des vorliegenden Revisionsverfahrens bildet, braucht indes für die Frage des Rechtswegs und der Zulässigkeit der Anfechtungsklage noch nicht entschieden zu werden. Denn da das FA die Aufrechnungserklärung - wenn auch möglicherweise zu Unrecht - als Verwaltungsakt erlassen hat, standen dem Kläger gegen diese auch die gegen Verwaltungsakte gegebenen Rechtsbehelfe (Beschwerde, Anfechtungsklage) und der für den Rechtsschutz gegen hoheitliche Maßnahmen in Abgabenangelegenheiten vorgesehene Finanzrechtsweg zur Verfügung (vgl. Urteil des Senats vom 20. Februar 1968 VII 327/64, BFHE 91, 518, BStBl II 1968, 384; Helsper in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 226 Anm. 26).

Es ist zwar anerkannt, daß die äußere Form - etwa verkörpert durch eine Rechtsbehelfsbelehrung - für sich allein einer Äußerung der Verwaltung nicht die Rechtsnatur eines Verwaltungsakts verleiht und daß die gewählte Form für sich allein für den Rechtsweg und die statthafte Klageart nicht entscheidend ist (vgl. Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 42 Anm. 11a mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Hat sich aber die Behörde auf ihre hoheitlichen Befugnisse berufen und damit einen Verwaltungsakt erlassen, auch wenn sie ihn nicht hätte erlassen dürfen, so liegt ein materieller, wenngleich rechtswidriger Verwaltungsakt vor (vgl. Eyermann/Fröhler, a. a. O.; ebenso: Ehlers, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ - 1983, 446, 450). Im Streitfall wollte das FA, wie oben ausgeführt, mit seiner Aufrechnungsverfügung gegen den Kläger hoheitlich tätig werden. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall im Sachverhalt und in der rechtlichen Beurteilung von dem Urteilsfall, der der zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung des Senats vom 17. Februar 1987 VII R 45/83 zugrunde lag.

2. Für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche gelten gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977 sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, soweit nichts anderes bestimmt ist. Das Gesetz stellt damit - abgesehen von einigen in § 226 Abs. 2 - 4 AO 1977 geregelten Besonderheiten (ebenso § 124 der Reichsabgabenordnung - AO -), die für den Streitfall ohne Bedeutung sind - den Steuergläubiger und den Steuerpflichtigen hinsichtlich der Aufrechnungsbefugnis wie die Parteien eines privatrechtlichen Schuldverhältnisses rechtlich grundsätzlich gleich.

a) Der erkennende Senat hat aber in seinem Urteil in BFHE 91, 518, BStBl II 1968, 384 im Hinblick darauf, daß das Steuerschuldverhältnis ein öffentlich-rechtliches ist, die Aufrechnung des FA mit Steuerforderungen gegenüber dem Steuerpflichtigen als eine öffentlich-rechtliche hoheitliche Maßnahme angesehen, während er in den Fällen, in denen die Finanzbehörde keine Steuerforderungen gegen denjenigen hat, demgegenüber sie aufrechnet - im Urteilsfall gegenüber dem Neugläubiger (Zessionar) gemäß § 406 BGB -, sie ihm gegenüber also nicht als Hoheitsträger auftreten kann, die Aufrechnung durch das FA als bürgerlich-rechtliche Aufrechnungserklärung (mit der Rechtsfolge des Zivilrechtswegs) beurteilt hat. Der Senat ist auch in späteren Entscheidungen ohne weitere Erörterung davon ausgegangen, daß die Aufrechnung durch das FA mit Steuerforderungen innerhalb eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses einen mit der Beschwerde (§ 349 AO 1977) und daran anschließend mit der Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) anfechtbaren Verwaltungsakt darstellt (vgl. Urteile vom 19. Oktober 1982 VII R 55/80, BFHE 137, 146, BStBl II 1983, 162 und VII R 64/80, BFHE 138, 308, BStBl II 1983, 541). Dem entspricht die noch überwiegende Meinung im steuerrechtlichen Schrifttum. Sie hält die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde mit Steuerforderungen gegenüber dem Steuerschuldner für einen Verwaltungsakt im Sinne des § 118 Satz 1 AO 1977, während sie die Aufrechnung des FA gegenüber einem Neugläubiger, demgegenüber keine Steuerforderungen bestehen (Fall des § 406 BGB), sowie die Aufrechnung mit privatrechtlichen Gegenforderungen ebenso wie die Aufrechnungserklärung durch den Steuerpflichtigen als privatrechtliche Willenserklärung ansieht (vgl. von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 226 AO 1977 Anm. 24, 26, 27, 34; Helsper in Koch, a. a. O., § 226 Anm. 24, 25; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 226 Anm. 5 und 9; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 226 AO 1977 Anm. 3 b).

b) Dagegen hat das BVerwG in seinem von der Vorinstanz zitierten Urteil in StRK, Abgabenordnung, § 226, Rechtsspruch 4 auch hinsichtlich der Aufrechnung durch die Behörde im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses (dort: Anspruch und Rückforderungsanspruch auf staatliche Beihilfen) eine streng zivilrechtliche Betrachtungsweise vertreten. Das BVerwG hat ausgeführt, die Aufrechnungserklärung der Behörde sei - ähnlich wie die Erfüllung einer Geldschuld durch Zahlung eines Geldbetrages - für sich allein noch kein Verwaltungsakt im Sinne von § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), sowie des § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Sie sei vielmehr die Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts und erfolge in der Regel gemäß § 387, § 388 BGB durch eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung des Schuldners, der zugleich Gläubiger seines Gläubigers sei, oder anderenfalls durch einen entsprechenden Aufrechnungsvertrag. Die Aufrechnungserklärung sei also eine Handlung, die der Erfüllung der eigenen Verbindlichkeit diene und dabei gleichzeitig die Befriedigung der eigenen Forderung bewirke. Die Erklärung werde ohne Rücksicht darauf, ob die Aufrechnung seitens des Bürgers oder seitens der Behörde erfolge oder ob mit einer privatrechtlichen gegen eine öffentlich-rechtliche (§ 395 BGB), mit einer öffentlich-rechtlichen gegen eine privatrechtliche oder mit einer öffentlich-rechtlichen gegen eine öffentlich-rechtliche Forderung aufgerechnet werde, nicht aus einer hoheitlichen Position abgegeben; sie ergehe damit ähnlich wie eine Willenserklärung, mit der ein öffentlich-rechtlicher Vertrag (Aufrechnungsvertrag) geschlossen werde, auf einer gleichgeordneten rechtlichen Ebene.

Im Anschluß an diese Entscheidung des BVerwG vertritt auch ein Teil der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und des steuerrechtlichen Schrifttums die Auffassung, daß die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde mit Steueransprüchen im Rahmen eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung und keinen Verwaltungsakt darstelle (FG München in EFG 1984, 103 = Vorentscheidung; ebenso für den Bereich des Europäischen Agrarverwaltungsrechts: FG Hamburg, Beschluß vom 11. Januar 1985 IV 242/84 H, EFG 1985, 435; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 226 AO 1977 Tz. 19 unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen gegenteiligen Ansicht; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 226 Tz. 8; Söhn, Anmerkungen zur Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Anm. -, Abgabenordnung 1977, § 226, Rechtsspruch 4; Ehlers, a. a. O., 1983, 446 ff.). Der erkennende Senat schließt sich nach erneuter Überprüfung dieser Rechtsansicht an.

c) Die für sämtliche Aufrechnungsfälle mit und gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis geltende Verweisung auf das Zivilrecht (§ 226 Abs. 1 AO 1977) spricht dafür, die Aufrechnung durch die Finanzbehörde - innerhalb und außerhalb eines bestehenden Steuerschuldverhältnisses - und die Aufrechnung durch den Steuerpflichtigen hinsichtlich ihrer Voraussetzungen, Rechtsformen und Rechtsfolgen, soweit nichts Gegenteiliges bestimmt ist, gleich zu beurteilen. Denn das bürgerliche Recht geht bei der Aufrechnung (§ 387 ff. BGB) wie bei allen schuldrechtlichen Rechtsinstituten von der rechtlichen Gleichordnung der Parteien aus. Bezogen auf Fälle der vorliegenden Art bedeutet das, daß die Aufrechnung durch das FA mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gegenüber dem Steuerschuldner ebenso eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung nach § 388 BGB darstellt, wie dessen Aufrechnungserklärung mit privatrechtlichen Ansprüchen und diejenige gegenüber einem Gläubiger, gegen den keine Steuerforderung besteht, sowie die vom Steuerpflichtigen gegenüber dem FA abgegebene Aufrechnungserklärung. In allen diesen Fällen bewirkt die Aufrechnung als die rechtsgeschäftliche Ausübung eines Gestaltungsrechts (vgl. BVerwG, StRK, AO 1977, § 226 Rechtsspruch 4; ähnlich Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band Allgemeiner Teil, 9. Aufl., § 14 2 a: Aufrechnung als Form rechtsgeschäftlichen Handelns der Verwaltung), daß die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB).

Mit dem für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und andere öffentlich-rechtliche Ansprüche (vgl. BVerwG, a. a. O.) übernommenen Rechtsinstitut der Aufrechnung stellt die Rechtsordnung jedem Schuldner (Gläubiger) ein Mittel der Rechtsverteidigung gegenüber einem vom Gegner erhobenen Anspruch zur Verfügung, das zugleich der Befriedigung des eigenen Anspruchs dient. Die Finanzbehörde bedarf zur Durchsetzung ihrer Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Wege der Aufrechnung nicht darüber hinaus des Verwaltungsakts. Bei der Annahme eines Verwaltungsaktes könnten die Rechtsfolgen der Aufrechnung nicht über die in § 389 BGB geregelten Gestaltungswirkungen der bürgerlich-rechtlichen Willenserklärung (§ 388 BGB) hinausgehen. Denn selbst wenn die Aufrechnungserklärung als Verwaltungsakt mangels Anfechtung in Bestandskraft erwüchse, stünde damit für die Beteiligten nicht verbindlich fest, daß die Aufrechnungswirkung (Erlöschen der gegenseitigen Ansprüche) eingetreten sei, da diese von den materiellen Voraussetzungen des § 387 BGB (Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Fälligkeit) abhängig ist. Das zeigt, daß die behördliche Aufrechnungserklärung schon deshalb kein Verwaltungsakt im Sinne des § 118 AO 1977 sein kann, weil ihr kein einem Verwaltungsakt eigentümlicher Regelungsgehalt zukommt; es fehlt der anordnende - hoheitliche - Charakter der Verwaltungsmaßnahme (vgl. Ehlers, NVwZ 1983, 446, 448, 449; a. A. Söhn in StRK-Anm., AO 1977, § 226, Rechtsspruch 4).

Der Senat verkennt nicht, daß das FA bei der Aufrechnung mit Steuerforderungen und Ansprüchen auf steuerliche Nebenleistungen - wie im Streitfall - im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses tätig wird (§§ 3 Abs. 1 und 3, 37 Abs. 1 AO 1977) und dieses ein öffentlich-rechtliches Verhältnis ist. Bei der in § 226 AO 1977 geregelten Aufrechnung handelt es sich trotz der Verweisung auf das Zivilrecht um ein öffentlich-rechtliches Rechtsinstitut. Die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses bleibt somit - auch wenn man sie mit dem BVerwG als Ausübung eines "schuldrechtlichen" Gestaltungsrechts ansieht - Verwaltungshandeln und als solches eine Maßnahme auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts. Die neuere Auffassung im Schrifttum sieht sie deshalb mit Recht als eine "verwaltungsrechtliche" Willenserklärung an (Söhn, StRK-Anm., AO 1977, § 226, Rechtsspruch 4; Ehlers, NVwZ 1983, 446; Frotscher in Schwarz, a. a. O., § 226 Tz. 8), auch wenn sich deren Rechtsfolgen aus dem BGB ergeben.

Die Abgabe der behördlichen Aufrechnungserklärung im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses zwingt nicht dazu, ihr die Rechtsnatur eines Verwaltungsakts zuzubilligen. Dieser erfordert nach § 118 AO 1977 hoheitlichen Charakter der Maßnahme. Die Behörde muß aber innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Verhältnisses, insbesondere des Steuerschuldverhältnisses, nicht in jedem Falle hoheitlich tätig werden. Sie kann in den Fällen, in denen sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben der hoheitlichen Position nicht bedarf, dem Bürger auch auf der Ebene der rechtlichen Gleichordnung gegenübertreten und sich der Handlungsformen bedienen, wie sie die Privatrechtsordnung den Partnern eines Schuldverhältnisses zur Verfügung stellt (Senat in BFHE 91, 518, BStBl II 1968, 384, 385 mit Hinweis auf die Annahme einer Forderungsabtretung - § 398 BGB - zur Begleichung von Steuerschulden; vgl. ferner den Aufrechnungs- oder Verrechnungsvertrag). Zur Geltendmachung der Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis benötigt das FA keine hoheitlichen Befugnisse, weil ihm solche keine weitergehende Rechtsposition verschaffen könnten, als sie jedem Gläubiger, der zugleich Schuldner ist, nach den Vorschriften der §§ 387 ff. BGB zustehen. Das FA kann sich deshalb mit der rechtsgeschäftlichen Ausübung des Gestaltungsrechts (§ 387, § 388 BGB) begnügen; es braucht dabei dem Steuerpflichtigen nicht als Träger von Hoheitsrechten mittels Verwaltungsakt gegenüberzutreten (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O, § 226 AO 1977 Tz. 19; Söhn in StRK-Anm., AO 1977, § 226, Rechtsspruch 4; Ehlers, NVwZ 1983, 446, 448). Für eine Aufrechnung als anordnende - hoheitliche - Verwaltungsmaßnahme besteht keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (Ehlers, a. a. O., S. 450).

Ein Recht der Finanzbehörde zu hoheitlichem Handeln läßt sich - entgegen der von der Revision und früher von Tipke/Kruse, a. a. O., vertretenen Ansicht - auch nicht damit begründen, daß die Behörde mit der Aufrechnung den öffentlich-rechtlichen Anspruch selbst exekutiert und ihr Handeln somit der Ausübung von Verwaltungszwang gleichkommt. Zwar gibt die Aufrechnung dem Schuldner die Möglichkeit, seine Gegenforderung im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen (Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 46. Aufl., § 387 Anm. 1). Diese Befugnis steht aber - auch in privatrechtlichen Schuldverhältnissen - jedem Schuldner zu, wenn er zugleich Gläubiger ist. Zu ihrer Durchsetzung bedarf es daher keiner hoheitlichen Rechtsposition. Vom Verwaltungszwang, insbesondere der Verwaltungszwangsvollstreckung, unterscheidet sich die Aufrechnung dadurch, daß sie nicht zu einer einseitigen Befriedigung des Aufrechnenden führt, sondern an die Preisgabe der eigenen Forderung geknüpft ist (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 226 AO 1977 Tz. 19 mit Hinweis auf die Vorauflage; Söhn in StRK-Anm., AO 1977, § 226, Rechtsspruch 4; Ehlers, NVwZ 1983, 446, 448). Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 3. November 1983 VII R 38/83 (BFHE 140, 9, BStBl II 1984, 185, mit weiteren Nachweisen) entschieden, daß die Aufrechnung durch das FA keine Maßnahme der Vollstreckung ist, sondern in den Bereich des Erhebungsverfahrens gehört. Auch in diesem Verfahren braucht sich die Finanzbehörde, wie das Beispiel des hier zulässigen Aufrechnungsvertrages zeigt, nicht unter allen Umständen der Handlungsform des Verwaltungsaktes zu bedienen (Ehlers, NVwZ 1983, 446, 450).

Schließlich weist das FG Hamburg (EFG 1985, 435) mit Recht darauf hin, daß die Annahme eines Verwaltungsakts für die behördliche Aufrechnungserklärung kaum lösbare Probleme hinsichtlich der Frage der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aufwerfen würde. Die Rückwirkung der Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungslage bewirkt, daß die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im allgemeinen Verwaltungsverfahren (§ 80 VwGO) ebenso wie die Aussetzung der Vollziehung im Steuerverwaltungsverfahren (§ 361 AO 1977, § 69 FGO) wirkungslos bleiben müßten. Wollte man dennoch eine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bzw. die Aussetzung der Vollziehung der Aufrechnungs-"Verfügung" erreichen, so müßten die Wirkungen der Aufrechnungslage rückwirkend beseitigt werden. Das stünde aber im Widerspruch zur Gestaltungswirkung des § 389 BGB und ginge zudem über die Rechtswirkungen hinaus, die üblicherweise mit der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen und der Aussetzung der Vollziehung im Verwaltungs- und Steuerstrafverfahren - die Wirksamkeit des Verwaltungsakts bleibt unberührt, nur seine Vollziehung ist gehemmt - verbunden sind.

3. Der Senat gelangt demnach zu dem Ergebnis, daß das FA im Streitfall die Aufrechnung mit seiner Forderung auf Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1972 gegenüber dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers nicht durch Verwaltungsakt erklären durfte, weil es hierbei nicht in Ausübung hoheitlicher Gewalt handelte. Soweit der Senat in früheren Entscheidungen zur Aufrechnung durch das FA mit Steuerforderungen im Steuerschuldverhältnis eine andere Auffassung vertreten hat, hält er daran nicht mehr fest.

Das FA hat sich aber bei seiner Aufrechnungserklärung der Form des Verwaltungsakts bedient, wie sich zweifelsfrei aus der seiner "Verfügung" beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung ergibt. Ferner hat es, wie die vorliegende Revision zeigt, in der Annahme und mit dem Willen gehandelt, hoheitlich tätig zu werden. Die OFD hat die fehlerhafte Rechtsauffassung des FA hinsichtlich der Rechtsnatur der Aufrechnungserklärung geteilt, denn sie hat diese ebenfalls als Verfügung angesehen und die hiergegen eingelegte Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hätte den den Gegenstand der Anfechtungsklage bildenden Verwaltungsakt in der Gestalt der Beschwerdeentscheidung (§ 44 Abs. 2 FGO) aufheben müssen, da die Finanzbehörde die Aufrechnung nicht durch Verwaltungsakt hätte erklären dürfen (vgl. Ehlers, NVwZ 1983, 446, 450) und die den Rechtsbehelf des Klägers zurückweisende Beschwerdeentscheidung folglich rechtsfehlerhaft ergangen ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Urteil des FG beschränkt sich mit zum Teil abweichender Begründung - Unzulässigkeit der Beschwerde - auf die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung der OFD. Dieser Urteilsspruch wird dem Klagebegehren des Klägers nicht gerecht. Wie sich aus der Klageschrift und dem Vorbringen im finanzgerichtlichen Verfahren ergibt, richtete sich das Begehren des Klägers in erster Linie auf die Aufhebung der Aufrechnungsverfügung und nicht auf eine isolierte Anfechtung der Beschwerdeentscheidung. Die Revision des FA, die zu Unrecht von der Zulässigkeit der Aufrechnung durch Verwaltungsakt ausgeht, war deshalb mit der Maßgabe als unbegründet zurückzuweisen, daß nicht nur die Beschwerdeentscheidung der OFD, sondern auch die Aufrechnungsverfügung, soweit sie als Verwaltungsakt ergangen ist, aufzuheben waren.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die rechtsfehlerhaft durch Verwaltungsakt erklärte Aufrechnung durch das FA eine wirksame Ausübung des rechtsgeschäftlichen Gestaltungsrechts gemäß § 226 Abs. 1 AO 1977, §§ 388, 389 BGB beinhaltet. Über die Wirksamkeit der Aufrechnung ist, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, bei Streit zwischen den Beteiligten durch einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO 1977 zu entscheiden (Tipke/Kruse, a. a. O., § 226 AO 1977, Tz. 22, 25; Frotscher in Schwarz, a. a. O., § 226 Tz. 8; Ehlers NVwZ 1983, 446, 450).