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BFH-Urteil vom 11.9.1987 (III R 148/86) BStBl. 1988 II S. 14

Wird ein Steuerpflichtiger als Asylberechtigter anerkannt und entsteht deshalb rückwirkend ein Kindergeldanspruch, so entfällt nachträglich der Unterhaltshöchstbetrag nach § 33a Abs. 1 EStG.

EStG 1981 § 33a Abs. 1; AO 1977 § 9, 164; SGB I § 30 Abs. 3; BKGG § 1 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Münster

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist türkischer Staatsangehöriger und reiste nach seinen Angaben im November 1976 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein, wo er zusammen mit seiner Frau und seinen in den Jahren 1979 und 1983 geborenen Kindern lebt. In den Streitjahren 1981 bis 1983 erzielte er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

In seinen Anträgen auf Lohnsteuer-Jahresausgleich machte der Kläger für die Streitjahre u.a. Aufwendungen für den Unterhalt seiner beiden Kinder geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Rahmen der Höchstbeträge des § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zunächst zum Abzug zuließ; die Bescheide über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1981 bis 1983 ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Im Jahre 1985 wurde der Kläger als Asylberechtigter anerkannt mit der Folge, daß ihm rückwirkend für die Streitjahre ein Anspruch auf Kindergeld zustand. Das FA berichtigte daraufhin die Bescheide über den Lohnsteuer-Jahresausgleich, hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf und versagte die Unterhaltshöchstbeträge für die Streitjahre.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Änderung der angefochtenen Bescheide sei zulässig und rechtens. Da der Kläger für die Streitjahre - wenn auch rückwirkend - Anspruch auf Kindergeld gehabt habe, seien die Voraussetzungen für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen als außergewöhnliche Belastung nicht erfüllt. Da das Abzugsverbot bereits bei Anspruch auf Kindergeld eingreife, komme es nicht darauf an, ob dem Kläger tatsächlich Kindergeld gezahlt worden sei.

Mit seiner auf Beschwerde durch das FG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er trägt vor, nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut sei der Unterhaltshöchstbetrag nur für diejenigen Personen ausgeschlossen, "für die im Veranlagungszeitraum weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld hat". In den Veranlagungszeiträumen 1981 bis 1983 habe der Steuerpflichtige aber keinen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Er, der Kläger, habe versucht, seinen Kindergeldanspruch einzuklagen, sei aber in der Berufung vor dem Landessozialgericht unterlegen; damit sei der Antrag auf Kindergeld für die Streitjahre rechtskräftig abgelehnt gewesen. Bei dieser Rechtslage könne es nicht darauf ankommen, daß für die Streitjahre rückwirkend tatsächlich Kindergeld gezahlt worden sei, denn im Veranlagungszeitraum habe ein Anspruch nicht bestanden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung und die angefochtenen Lohnsteueränderungsbescheide 1981 bis 1983 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger seine Unterhaltsaufwendungen in den Streitjahren nicht nach § 33a Abs. 1 EStG abziehen konnte und daß das FA aus diesem Grunde befugt war, die Bescheide über den Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern.

1. Nach § 33a Abs. 1 in der für die Streitjahre geltenden Fassung des EStG 1981 können auf Antrag Unterhaltsleistungen bis zu einem Höchstbetrag von 3.600 DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, wenn dem Steuerpflichtigen zwangsläufig Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen erwachsen, für die im Veranlagungszeitraum weder er noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat.

2. Da der Kläger für die Streitjahre Anspruch auf Kindergeld hatte, liegen bei ihm die Voraussetzungen des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen zugunsten seiner beiden Kinder nicht vor.

a) Nach § 1 Nr. 1 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld für seine Kinder, wer im Geltungsbereich des BKGG einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, nachdem er als Asylberechtigter anerkannt ist; denn von diesem Zeitpunkt an hält er sich jedenfalls in der Bundesrepublik unter Umständen auf, die erkennen lassen, daß er dort nicht nur vorübergehend verweilt, so daß zumindest ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der auch für das Kindergeldrecht (§ 25 des Sozialgesetzbuches I - SGB I -) geltenden Legaldefinition des § 30 Abs. 3 SGB I zu bejahen ist.

b) Entgegen der Auffassung des Klägers besteht dieser Kindergeldanspruch auch schon für die Streitjahre 1981 bis 1983. Für diese Veranlagungszeiträume fehlte es zwar zunächst an der Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts i.S. von § 30 Abs. 3 SGB I; denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hat ein Asylbewerber in aller Regel im Bundesgebiet oder Westberlin keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, weil zu diesem Zeitpunkt nur die allerdings unbeachtliche Absicht besteht, einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen, der die allein maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse jedoch entgegenstehen (Urteil vom 31. Januar 1980 8b RKg 4/79, BSGE 49, 254). Für die Dauer des Verfahrens zur Anerkennung als Asylberechtigter rechtfertigt § 40 des Ausländergesetzes zwar den Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes, um den Grundrechtsschutz aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) zu gewährleisten und den Asylbewerber für diese Zeit seiner Pflicht zur Ausreise nach § 12 des Ausländergesetzes zu entheben; der vorläufige Charakter dieser Regelung steht jedoch der für den gewöhnlichen Aufenthalt erforderlichen Annahme eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts zunächst entgegen (vgl. Urteil des BSG vom 15. Juni 1982 10 RKg 26/81, BSGE 53, 294). Dies gilt unabhängig von der Dauer dieses Verfahrens; denn anders als § 9 Satz 2 AO 1977 kennt § 30 Abs. 3 SGB I nicht die gesetzliche Vermutung, wonach bei einem Zeitraum von mehr als sechs Monaten ein gewöhnlicher Aufenthalt anzunehmen ist.

Für die Dauer des Anerkennungsverfahrens besteht somit ein Schwebezustand (BSG in BSGE 49, 254), der mit der Anerkennung als Asylberechtigter rückwirkend beseitigt wird. Folgerichtig ist dann rückwirkend vom Beginn des Aufenthaltes an ein gewöhnlicher Aufenthalt i.S. des § 1 BKGG anzuerkennen (vgl. Runderlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit - BA - vom 18. Juli 1977 Nr. 213/77.4 zu 1.16), der ebenfalls rückwirkend zur Gewährung von Kindergeld von der Einreise oder der etwa danach eingetretenen Geburt des Kindes an führt (Runderlaß des Präsidenten der BA vom 26. September 1974 Nr. 375/74.4 zu 1.19).

c) Soweit der Kläger darin eine Billigkeitsmaßnahme sieht, die keinen Anspruch auf Kindergeld begründe, kann ihm der Senat nicht zustimmen. Wenn das Kindergeld nach dem Runderlaß Nr. 375/74.4 (a.a.O.) "in Anlehnung an den in § 9 Abs. 3 und 4 Bundeskindergeldgesetz entstandenen Rechtsgedanken" rückwirkend gewährt wird, so handelt es sich dabei um die analoge Anwendung von Vorschriften, die durchaus vergleichbare Sachverhalte regeln und deren Heranziehung zur Lückenfüllung unbedenklich ist, weil es sich um begünstigende Normen handelt. Dadurch aber werden Ansprüche begründet und keine Billigkeitsmaßnahmen eröffnet.

d) Der Senat vermag der Wortlautinterpretation des Klägers nicht zu folgen. Aus der in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG enthaltenen Formulierung "für die im Veranlagungszeitraum weder der Steuerpflichtige noch eine andere Person Anspruch auf Kindergeld ... hat" meint der Kläger ableiten zu können, der Kindergeldanspruch habe schon während des Veranlagungszeitraums durchsetzbar sein müssen. Diese Bedeutung kommt dem Begriff "im" jedoch nicht zu. Die in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG zeitlich verwendete Präposition "im" oder "in dem" bezeichnet lediglich die Grenzen eines bestimmten Zeitraums, des Veranlagungszeitraums nämlich. Mit dieser bereits in § 75 Abs. 1 Nr. 3 des Entwurfs eines Dritten Steuerreformgesetzes enthaltenen Formulierung sollte lediglich sichergestellt werden, "daß die üblichen Unterhaltsaufwendungen für ein Kind, auch wenn sie von einem Dritten zwangsläufig getragen werden, nur einmal, und zwar beim Kinderentlastungsberechtigten, berücksichtigt werden" (BTDrucks 7/1470 S. 282). Im Unterschied zu der noch in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 und wieder in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1986 enthaltenen Gesetzesfassung mußte der Gesetzgeber jedoch den zeitlichen Bezug zum Veranlagungszeitraum herstellen, weil der Anspruch auf Kindergeld monatsbezogen besteht, während der im EStG 1974 und 1986 das Abzugsverbot begründende Kinderfreibetrag ein Jahresbetrag ist. Hat der Steuerpflichtige danach Anspruch auf einen Kinderfreibetrag, so ist der Abzug von Aufwendungen nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1974 und 1986 für den gesamten Veranlagungszeitraum ausgeschlossen, während ein Anspruch auf Kindergeld "im", d.h. "während" eines Veranlagungszeitraums nur für die Monate zum Ausschluß des Abzugs nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1981 führt, in denen der Anspruch besteht; im übrigen aber wird der Höchstbetrag zeitanteilig gewährt (§ 33a Abs. 4 EStG). Danach läßt sich aus der Formulierung "im Veranlagungszeitraum" nichts für die Auffassung des Klägers herleiten, wonach rückwirkende Ansprüche auf Kindergeld nicht unter das Abzugsverbot des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1981 fallen sollen.

3. Da die Steuerermäßigung nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG im Rahmen einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 AO 1977 gewährt worden war, konnte das FA diese Steuerfestsetzung jederzeit ändern (§ 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977).