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BFH-Urteil vom 17.11.1987 (VII R 120/86) BStBl. 1988 II S. 81

Ist über das Vermögen eines Steuerberaters Konkurs eröffnet worden, so kann nach § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG seine Bestellung im Regelfall widerrufen werden, ohne daß eine konkrete Gefährdung möglicher Auftraggeber oder des Steueraufkommens vorliegen muß (Bestätigung der Rechtsprechung). Diese Regelung ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit vereinbar.

GG Art. 12; StBerG § 46 Abs. 3 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Köln

Sachverhalt

I.

Mit Bescheid vom 15. Januar 1986 widerrief der Beklagte und Revisionsbeklagte (der Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen - Beklagter -) die Bestellung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) als Steuerberater. Zur Begründung wies der Beklagte darauf hin, daß das Amtsgericht X durch Beschluß vom 31. Mai 1985 über das Vermögen des Klägers das Konkursverfahren eröffnet habe. In einem solchen Falle könne nach § 46 Abs. 3 Nr. 2 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) die Bestellung als Steuerberater widerrufen werden. Umstände, die erkennen ließen, daß die potentielle Gefährdung der Mandanten des Klägers oder des Steueraufkommens durch die zerrütteten Vermögensverhältnisse des Klägers relativ gering seien oder bald beendet sein würden, seien nicht feststellbar. Nach Mitteilung des Amtsgerichts dauere das Konkursverfahren noch an und es sei zur Zeit mit einer Einstellung des Verfahrens nicht zu rechnen. Die Steuerberaterkammer habe dem Berufsverfahren zugestimmt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Anfechtungsklage mit dem Antrag, den Bescheid vom 15. Januar 1986 aufzuheben. Zur Begründung wies er u.a. darauf hin, er sei nicht mehr selbständig tätig, sondern seit dem 31. Mai 1985 angestellter Steuerberater einer Steuerberatungsgesellschaft. Ein Ermessensfehler liege vor, weil er unverschuldet in die wirtschaftliche Notlage geraten sei.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete sein Urteil im wesentlichen wie folgt:

Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG seien erfüllt. Der Widerruf sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Der Beklagte habe nicht zu berücksichtigen brauchen, daß der Kläger, wie er behaupte, nur noch als Angestellter einer Steuerberatungsgesellschaft tätig sei. Diese Tatsache habe die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß er wieder seine ursprüngliche selbständige Tätigkeit aufnehme (Urteil des Senats vom 1. Juli 1981 VII R 84/80, BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740). Eine abstrakte Gefährdung möglicher Auftraggeber oder des Steueraufkommens genüge (Urteil des Senats vom 6. Dezember 1978 VII R 98/77, BFHE 126, 384, BStBl II 1979, 170).

Der Kläger habe nicht dargetan, daß es ihm gelingen würde, seine Vermögensverhältnisse in naher Zukunft soweit zu konsolidieren, daß von einer Gefährdung nicht mehr ausgegangen werden könne. Der Kläger habe hierzu trotz einer Aufforderung des Beklagten keine Angaben gemacht. Über seine Einkünfte aus seiner abhängigen Tätigkeit oder andere Einkünfte, über mögliche Sicherheiten und dgl. habe der Kläger nichts verlauten lassen. Der Beklagte habe deshalb davon ausgehen müssen, daß es für den Kläger über viele Jahre hinweg unmöglich sein würde, seine Schulden zu bezahlen. Das reiche aus, um eine abstrakte Gefährdung der Interessen etwaiger Mandanten des Klägers und des Steueraufkommens anzunehmen.

Aus der Einlassung des Klägers, durch den Widerruf verliere er seine berufliche Existenzmöglichkeit, ließen sich Ermessensfehler des Beklagten nicht herleiten. Der Gesetzgeber habe es in § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG hingenommen, daß einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe eben dieser Beruf auf Dauer unmöglich gemacht werde. Diese gesetzgeberische Entscheidung aufzuheben, könne nicht Sache des Beklagten sein. Als Äquivalent habe der Gesetzgeber die Wiederbestellung nach § 48 Abs. 1 Nr. 3 StBerG vorgesehen.

Seine Revision begründet der Kläger im wesentlichen wie folgt:

Das FG habe verkannt, daß die der Widerrufsverfügung zugrunde gelegte Ermessensausübung in fehlerhafter Weise nicht den für die Beurteilung maßgebenden Sachverhalt umfassend und erschöpfend gewürdigt und in unzulässiger Weise wesentliche Gesichtspunkte ausgeklammert habe. Die im Senatsurteil in BFHE 126, 384, BStBl II 1979, 170 aufgestellten Rechtsgrundsätze zur Anwendung des § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG erforderten im Hinblick auf den Umfang des Abwägungsmaterials eine Ergänzung und Fortentwicklung. Zu Unrecht habe das FG nicht berücksichtigt, daß ihn, den Kläger, an den Gründen, die zu der Zahlungseinstellung in dem Konkursverfahren geführt hätten, kein Verschulden treffe, er seit 25 Jahren tadelfrei seine beruflichen Aufgaben als Steuerberater erfüllt habe und durch die Eröffnung des Konkursverfahrens nicht die Gefahr geschaffen worden sei, daß er das Vertrauen seiner Mandanten mißbrauche oder sich von seinen Mandanten zu steuerschädigendem Verhalten bestimmen lasse. Die Ausstrahlungswirkung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG -) erfordere auch im Rahmen der Anwendung des § 46 StBerG, daß das Gebot der Zumutbarkeit und das Übermaßverbot beachtet würden.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist unbegründet. Die angefochtene Verfügung des Beklagten verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Bestellung zum Steuerberater kann widerrufen werden, wenn der Steuerberater infolge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt ist (§ 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt; durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Klägers ist dieser in der Verfügung über sein Vermögen beschränkt worden (§ 6 Abs. 1 der Konkursordnung - KO -). Bei einem Widerruf der Bestellung nach dieser Bestimmung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Verwaltung. Eine solche Ermessensentscheidung kann das Gericht nur darauf überprüfen, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG ist ohne Rechtsirrtum zum Ergebnis gelangt, daß dem Beklagten Ermessensfehler nicht unterlaufen sind.

Ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt, ist in erster Linie am Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG zu messen. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, daß bei zerrütteten Vermögensverhältnissen die Gefahr besteht, daß der Berufsangehörige das Vertrauen der Auftraggeber mißbraucht oder sich von seinem Auftraggeber zu steuerschädigendem Verhalten bestimmen läßt. Das Gesetz geht davon aus, daß das Bestehen zerrütteter Vermögensverhältnisse bereits eine potentielle Gefährdung des Auftraggebers oder des Steueraufkommens darstellt, die grundsätzlich durch Widerruf der Bestellung vermieden werden soll. Eine konkrete Gefährdung möglicher Auftraggeber oder des Steueraufkommens braucht nicht vorzuliegen (vgl. Senatsurteile in BFHE 126, 384, BStBl II 1979, 170; in BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740). Für die Ermessensentscheidung der Verwaltung kommt es also darauf an, ob Umstände vorliegen, die erkennen lassen, daß die potentielle Gefährdung der Auftraggeber oder des Steueraufkommens durch die zerrütteten Vermögensverhältnisse des Berufsangehörigen relativ gering ist oder bald beendet sein wird, etwa weil mit einer baldigen Aufhebung der gerichtlichen Verfügungsbeschränkung zu rechnen ist oder der Berufsangehörige nicht unter die Verfügungsbeschränkung fallendes Vermögen besitzt oder Aussicht hat, daß ihm weitere finanzielle Mittel zufließen (vgl. die zitierte Rechtsprechung des Senats).

Das FG hat nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung entschieden. Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Klägers stellt eine potentielle Gefährdung im genannten Sinn dar. Diese wird noch durch die Höhe der in Frage stehenden Schulden des Klägers unterstrichen. Das FG hat - für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) - festgestellt, daß der Kläger nicht dargetan habe, er werde seine Vermögensverhältnisse in absehbarer Zeit konsolidieren können. Solche Darlegungen ergeben sich auch nicht aus der Revisionsbegründung. Das FG hat überdies keine sonstigen Umstände festgestellt, die ausnahmsweise die Verwaltung hätten veranlassen müssen, von einem Widerruf der Bestellung als Steuerberater abzusehen. Die dagegen vorgetragenen Revisionsrügen halten einer näheren Prüfung nicht stand.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, er trage an den Gründen, die zum Konkursverfahren geführt hätten, keine Schuld, er habe seit 25 Jahren seine beruflichen Aufgaben als Steuerberater tadelfrei erfüllt und der eingetretene Vermögensverfall rechtfertige keine negative Prognose im Hinblick auf seine künftige Berufsausübung. Er verkennt, daß es auf diese Umstände nicht ankommen kann. Die Rechtmäßigkeit des Widerrufs hat der Gesetzgeber in § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG gerade nicht davon abhängig gemacht, daß eine konkrete Gefährdung möglicher Auftraggeber oder des Steueraufkommens vorliegt. Das hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 126, 384, 389, BStBl II 1979, 170 mit ausführlicher Begründung entschieden und in seinem Urteil in BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740 bestätigt. Er hält an dieser Rechtsprechung fest.

Auf das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG in der Auslegung des Senats steht mit diesem Grundrecht in Einklang.

Die Regelung des § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG berührt die Freiheit der Berufswahl. Zu dieser Freiheit gehört auch die freie Entscheidung über die Fortsetzung des Berufs sowie über die Berufsbeendigung (vgl. Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 6. Aufl., Art. 12 Anm. 3, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG -). Das Grundrecht der Berufsfreiheit unterliegt aber dem Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Dieser erstreckt sich sowohl auf die Berufsausübung als auch auf die Berufswahl (Urteil des BVerfG vom 11. Juni 1958 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377). Greift der Gesetzgeber in die Freiheit der Berufswahl durch Aufstellung subjektiver Voraussetzungen für die Weiterführung des Berufs ein, so gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, daß die Voraussetzungen zu dem angestrebten Zweck der ordnungsmäßigen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen (BVerfGE 7, 378, Leitsatz 6 c).

Subjektive Voraussetzungen in diesem Sinne sind solche, die mit der persönlichen Qualifikation zu tun haben (BVerfGE 7, 406). Es kommt dabei auf die rechtliche Zurechnung der Erfüllung der Voraussetzungen an (BVerfG-Beschluß vom 16. Juni 1959 1 BvR 71/57, BVerfGE 9, 338, 345; vgl. auch BVerfG-Beschluß vom 8. März 1983 1 BvR 1078/80, BVerfGE 63, 266, 287). In diesem Sinne ist die Voraussetzung, an die § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG die Weiterführung des Berufs des Steuerberaters knüpft, eine solche subjektiver Art. Ihre Erfüllung liegt allein im Verantwortungsbereich des betroffenen Steuerberaters.

Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG ist hier gewahrt. An einer sachgerechten Beratung durch Steuerberater besteht ein hohes Interesse der Allgemeinheit (BVerfG-Beschluß vom 15. Februar 1967 1 BvR 569, 589/62, BVerfGE 21, 173, 180). Die sachgerechte Beratung ist aber durch zerrüttete Vermögensverhältnisse des Steuerberaters potentiell gefährdet, da die Gefahr besteht, daß der Steuerberater das Vertrauen der Auftraggeber mißbraucht oder sich von seinen Auftraggebern zu steuerschädigendem Verhalten bestimmen läßt (vgl. Urteile des Senats in BFHE 126, 384, BStBl II 1979, 170, und in BFHE 134, 79, BStBl II 1981, 740). Gegenüber dem Allgemeininteresse, diese Gefährdung der sachgerechten Beratung zu vermeiden, muß das Interesse des betroffenen Steuerberaters an der Fortführung seines Berufs zurücktreten. Der Steuerberater hat es in der Hand, eine Zerrüttung seiner Vermögensverhältnisse zu vermeiden. Die Regelung des § 46 Abs. 3 Nr. 2 StBerG ist also mit dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit vereinbar und steht daher im Einklang mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit.