| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

 

BFH-Beschluß vom 6.11.1987 (III B 101/86) BStBl. 1988 II S. 134

1. Der Höchstbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG ist in der für die Jahre 1984 und 1985 geltenden Fassung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Anschluß an das BFH-Urteil vom 25. März 1986 IX R 4/83, BFHE 146, 403, BStBl II 1986, 603).

2. Bis zum Inkrafttreten des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 war der Kinderlastenausgleich vorrangig als sozialrechtliche und nicht als steuerrechtliche Regelung ausgestaltet. Es unterliegt daher nicht der abschließenden Beurteilung durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit, ob der Gesetzgeber dem Gebot, die Minderung der Leistungsfähigkeit durch Aufwendungen für den Unterhalt von Kindern zu beachten, bei Wiedereinführung des Kinderfreibetrags durch § 32 Abs. 8 EStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in angemessener Weise nachgekommen ist.

3. Es kann dahinstehen, ob die in den Jahren 1984 und 1985 geltenden Ausbildungsfreibeträge wegen unangemessener Abzugsgrenzen verfassungswidrig sind, da eine Aussetzung der Vollziehung darauf beruhender Einkommensteuerbescheide mangels eines insoweit erforderlichen berechtigten Interesses der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht in Betracht kommt.

EStG i.d.F. des StÄndG 1979 § 33a Abs. 1 Satz 1; EStG i.d.F. des HBegleitG 1983 § 32 Abs. 8, § 33a Abs. 2 Satz 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1986, 454)

Sachverhalt

Die Antragsteller, Beschwerdegegner und Kläger (Kläger) - beide Rechtsanwälte - sind Eheleute, die in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1984 beantragten sie, die ihnen entstandenen Aufwendungen für Unterhalt und Berufsausbildung ihrer vier Kinder in Höhe von insgesamt 28.635 DM einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) ließ die geltend gemachten Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid 1984 nur beschränkt auf die gesetzlich vorgesehenen Höchst- bzw. Freibeträge zum Abzug zu, und zwar:

1.296 DM nach § 32 Abs. 8 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (Kinderfreibetrag für drei Kinder),

4.200 DM nach § 33a Abs. 1 EStG (für einen Sohn 3.600 DM und für eine Tochter 600 DM = 2/12 von 3.600 DM),

2.350 DM nach § 33a Abs. 2 EStG (1.750 DM = 10/12 von 2.100 DM für eine Tochter und jeweils 3/12 für einen Sohn und eine weitere Tochter).

In dem geänderten Einkommensteuer-Vorauszahlungsbescheid für das Jahr 1985 wurden die Einkommensteuervorauszahlungen ebenfalls unter Berücksichtigung der Frei- und Höchstbeträge nach § 32 Abs. 8 und § 33a Abs. 1 und 2 EStG festgesetzt.

Nach erfolglosem Vorverfahren und Ablehnung eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung durch das FA erhoben die Kläger Anfechtungsklage zum Finanzgericht (FG) und wiederholten ihr Aussetzungsbegehren. Sie trugen zur Begründung ihrer Klage und ihres Aussetzungsantrags vor, das EStG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), soweit es unabweisbare, unvermeidbare oder zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen nicht zum Abzug zulasse.

Durch in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 454 veröffentlichten Beschluß vom 9. Mai 1986 gab das FG dem Antrag der Kläger statt und setzte die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1984 in Höhe von 7.254 DM und des Einkommensteuer- Vorauszahlungsbescheids 1985 in Höhe von 11.922 DM aus.

Das FG führte zur Begründung aus: An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestünden ernstliche Zweifel. Es lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG sowie § 33a Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 32 Abs. 8 Satz 1 EStG in den für die Streitjahre geltenden Fassungen mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar und deshalb nichtig seien. Das grundsätzliche Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfordere, daß auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich von Bedeutung sein müßten, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar seien. Daraus aber folge, daß der Gesetzgeber für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen keine realitätsfremden Grenzen ziehen dürfe.

Ausgehend von der möglichen Verfassungswidrigkeit der Abzugsbegrenzungen in § 33a Abs. 1 Satz 1, § 33a Abs. 2 Nr. 1 und § 32 Abs. 8 EStG berücksichtigte das FG die Aufwendungen der Kläger für Unterhalt und Ausbildung ihrer Kinder in dem geltend gemachten Umfang, gemindert um die bereits vom FA berücksichtigten Beträge (Kinderfreibeträge, Unterhaltsabzugsbetrag und Ausbildungsfreibetrag) und das gezahlte Kindergeld, als außergewöhnliche Belastung unter weiterer Minderung um die zumutbare Belastung nach § 33 EStG.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde begehrt das FA, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Nachdem das FA Beschwerde erhoben hatte, erließ es einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1985 und berücksichtigte darin Ausbildungsfreibeträge mit 2.400 DM und außergewöhnliche Belastungen nach § 33a Abs. 1 EStG mit 6.600 DM sowie Kinderfreibeträge für zwei Kinder mit 864 DM.

Die Kläger beantragen nunmehr, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1985 in Höhe von 12.128 DM auszusetzen und treten der Beschwerde des FA mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses; der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1984 und 1985 wird abgelehnt.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll das FG die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei überschlägiger Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen bewirken (Urteil des BFH vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579, und Beschluß des Senats vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454). Diese Grundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes mit Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer dem Bescheid zugrunde liegenden Norm begründet werden (Urteil des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, 186, BStBl I 1961, 63).

Bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide bejaht der Senat die Verfassungsmäßigkeit sowohl des Unterhaltshöchstbetrages nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG als auch des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 8 EStG 1983; aber auch soweit das FG Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Ausbildungsfreibetrages nach § 33a Abs. 2 EStG geäußert hat, sieht sich der Senat nicht in der Lage, im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 auszusetzen.

2. Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger genügt § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1981 den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

a) Im Urteil vom 25. März 1986 IX R 4/83 (BFHE 146, 403, BStBl II 1986, 603) ist der BFH von der Verfassungsmäßigkeit der Abzugsgrenze von 3.600 DM in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG 1979 für das Jahr 1980 ausgegangen, weil der als Maßstab für diesen Höchstbetrag heranzuziehende Regelsatz der Sozialhilfe und der für das Streitjahr maßgebende Grundfreibetrag den Höchstfreibetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG nur geringfügig überschritten. Auch der erkennende Senat hat insoweit einen Verstoß der angegriffenen Regelung gegen das GG - allerdings für das Jahr 1979 - abgelehnt (Beschluß vom 26. Juni 1987 III B 32/85, BFHE 150, 156, BStBl II 1987, 713), im übrigen die Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 1 EStG in ständiger Rechtsprechung incidenter bejaht (z.B. Urteile vom 4. April 1986 III R 19/85, BFHE 148, 132, BStBl II 1987, 127; vom 13. März 1987 III R 206/82, BFHE 149, 532, BStBl II 1987, 599, und Beschluß vom 3. Juni 1987 III R 49/86, BFHE 150, 41, BStBl II 1987, 629).

Auch für die Streitjahre 1984 und 1985 können sich die Kläger wegen des Höchstbetrags gemäß § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BVerfG berufen, wonach der Gesetzgeber für die Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen im Einkommensteuerrecht keine realitätsfremden Grenzen ziehen dürfe (vgl. Beschlüsse vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, und vom 4. Oktober 1984 1 BvR 789/79, BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22; vgl. auch Urteil vom 3. November 1982 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, und Beschluß vom 17. Oktober 1984 1 BvR 527/80, 528/81, 441/82, BVerfGE 68, 143). In seiner Grundsatzentscheidung zur "realitätsfremden Grenze" in BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357 hat das BVerfG u.a. ausgeführt, bei Berücksichtigung unabweisbarer Unterhaltsaufwendungen verstoße der Gesetzgeber gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und gegen das Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmende Gebot der Steuergerechtigkeit, wenn er realitätsfremde Grenzen ziehe und ein einmal gewähltes Ordnungsprinzip ohne zwingenden Grund unbeachtet lasse. Dabei hat das BVerfG als Maßstab für eine realitätsgerechte Steuerermäßigung das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum sowie den Grundfreibetrag herangezogen und darin zugleich auch das vom Gesetzgeber gewählte Ordnungsprinzip erkannt (BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, 360, zu C II; BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22).

b) Im Streitfall hat das FG einen unzutreffenden Vergleichsmaßstab angewandt. Die Kläger haben Aufwendungen für den Unterhalt und die Berufsausbildung ihrer Kinder geltend gemacht, die, obwohl bereits volljährig, noch keinen eigenen Haushalt führten. Für die Frage nach der angemessenen Berücksichtigung derartiger Aufwendungen ist der vom FG in erster Linie herangezogene sog. Eckregelsatz (Regelsatz für die Hilfe zum Lebensunterhalt eines Haushaltsvorstandes) als Beurteilungsmaßstab ungeeignet. Als Vergleichsmaßstab ist vielmehr der nach § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) geltende Regelsatz für Haushaltsangehörige, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, heranzuziehen. Dieser betrug in Nordrhein-Westfalen zum 1. September 1985 308 DM monatlich und entsprach damit dem Bundesdurchschnitt (vgl. Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2. Aufl., 1986, 162); er überstieg den nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG abziehbaren Betrag von 3.600 DM nur um 96 DM. Eine derart geringfügige Abweichung kann nach Ansicht des Senats keinen Verstoß gegen das Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit begründen.

Nach Auffassung des Senats würde selbst die vom FG festgestellte Differenz von bis zu 23 v.H. zwischen dem Abzugsbetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG und dem sog. Eckregelsatz der Sozialhilfe oder dem Grundfreibetrag nicht zu der behaupteten Verfassungswidrigkeit wegen realitätsfremder Grenzen führen. Dies gilt auch für den vom FG herangezogenen Vergleich mit den der sog. Düsseldorfer Tabelle zu entnehmenden noch wesentlich höheren Unterhaltsbeträgen. Während nämlich die Sozialhilfesätze ebenso wie die zivilrechtlichen Unterhaltssätze die Abhängigkeit des Unterhaltsbedarfs eines Kindes von seinem Lebensalter berücksichtigen und dementsprechend zwangsläufig zu einer altersspezifischen Staffelung der Richtsätze kommen, berücksichtigt die steuerrechtliche Kinderentlastung und damit auch § 33a Abs. 1 EStG nur in grob vereinfachender typisierender Weise den Unterhaltsbedarf im engeren Sinne (vgl. BTDrucks 7/1470, S. 213). Dies führt folgerichtig zu einer den tatsächlichen Unterhaltsbedarf kleiner Kinder übersteigenden Kinderentlastung durch die Gesamtheit der Regelungen über den Kinderlastenausgleich, die eine geringere Entlastung für entsprechend ältere Kinder gerechtfertigt erscheinen läßt, solange nur der Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung der Eltern auch über einen längeren Zeitraum angemessen Rechnung getragen wird. Der Senat hat keine Zweifel daran, daß der Betrag nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG, soweit er Aufwendungen für Unterhalt und Berufsausbildung von Kindern abgelten soll, für die kein Anspruch auf Kindergeld mehr besteht, diesen Anforderungen für die Streitjahre 1984 und 1985 genügt.

3. Den in dem angefochtenen Beschluß geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des in den Streitjahren nach § 32 Abs. 8 EStG geltenden Kinderfreibetrags von 432 DM vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen.

a) Insoweit hat das FG nicht in ausreichender Weise berücksichtigt, daß das Gesetz neben der Steuerermäßigung durch Kinderfreibetrag in vielfältiger Weise kindbedingte Steuerentlastungen vorsah, die wegen ihrer Komplexität den Einwand widerlegen, zwangsläufige Unterhaltslasten würden durch den Kinderfreibetrag nur unangemessen abgegolten (vgl. auch BFHE 150, 156, BStBl II 1987, 713).

b) Das FG hat vor allem aber verkannt, daß die Frage nach der Angemessenheit kindbedingter Entlastungen auch für die Streitjahre 1984 und 1985 einer Entscheidung durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit entzogen ist. Der durch das Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1982, 1857) mit erstmaliger Wirkung für den Veranlagungszeitraum 1983 wiedereingeführte Kinderfreibetrag brachte noch keine Änderung des mit der Einkommensteuerreform 1975 verwirklichten Grundgedankens, wonach die üblichen Aufwendungen für Unterhalt und Berufsausbildung eines Kindes durch das Kindergeld abgegolten würden (Begründung zum Entwurf eines dritten Steuerreformgesetzes, BTDrucks 7/1470, S. 212 f., 222; vgl. auch BFHE 150, 156, BStBl II 1987, 713). Diese Vorrangigkeit der Abgeltungswirkung des Kindergeldes zeigt sich etwa daran, daß der Gesetzgeber des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 trotz Einführung eines Kinderfreibetrages das in § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG enthaltene Abzugsverbot bei Anspruch auf Kindergeld ebenso wie den Kindergeldanspruch als eine der Voraussetzungen für den Ausbildungsfreibetrag (§ 33a Abs. 2 Satz 1 EStG) beibehielt. Erst durch das Steuersenkungsgesetz 1986/1988 wurde der Grundgedanke der Reform des Kinderlastenausgleichs durch das Einkommensteuer-Reformgesetz (EStRG) 1975 zugunsten des sog. dualen Systems des Kinderlastenausgleichs aufgegeben (BTDrucks 10/2884, S. 96) mit der Folge, daß von 1986 an der Anspruch auf einen Kinderfreibetrag das Abzugsverbot des § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG begründete und Voraussetzung für den Ausbildungsfreibetrag nach § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG wurde. Für die Streitjahre 1984 und 1985 folgt daraus, daß ungeachtet des Kinderfreibetrags in § 32 Abs. 8 EStG die Rechtsprechung des BVerfG Anwendung findet, wonach der Gesetzgeber davon absehen kann, die Aufwendungen für den Unterhalt von Kindern maßgeblich als steuerliche Entlastung zu berücksichtigen, und er stattdessen der Minderung der Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen auch "durch Verlagerung aus dem steuerlichen in den sozialpolitischen Bereich" Rechnung tragen kann (vgl. die Beschlüsse vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, 120, 125, BStBl II 1977, 135, 138, 139, und vom 8. Juni 1977 1 BvR 265/75, BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526). In der Entscheidung vom 3. November 1982 1 BvR 620/78 u.a. (BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, 729) hat das BVerfG dazu weiter ausgeführt, daß die einmal getroffene Wahl, die Minderung der Leistungsfähigkeit als förderungswürdigen Tatbestand im Sinne des Sozialrechts zu definieren, den Gesetzgeber dazu zwingt, bei der Festsetzung der Sozialleistungen oder bei deren Änderung die im Steuerrecht vernachlässigte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu beachten. Ob der Gesetzgeber diesem Gebot bei der Bemessung des vorrangig dem Kinderlastenausgleich dienenden Kindergeldes in angemessener Weise nachgekommen ist, obliegt daher unabhängig von der Gewährung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 8 EStG 1983 nicht einer abschließenden Beurteilung durch die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit (Beschluß in BFHE 150, 156, BStBl II 1987, 713). Gerade die durch Art. 13 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 für Eltern mit höherem Einkommen auf Sockelbeträge herabgesetzten Kindergeldleistungen für das zweite und jedes weitere Kind sind daher einer Überprüfung durch den Senat entzogen.

4. Die vom FG bejahten ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in den Streitjahren anzuwendenden Ausbildungsfreibeträge nach § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG rechtfertigen ebenfalls nicht die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Einkommensteuerbescheide.

a) In seiner Stellungnahme gemäß § 82 Abs. 4 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) zum Vorlagebeschluß des FG Bremen vom 20. Dezember 1985 I 132/85 K (EFG 1986, 126) hat der Senat gegen die Kürzung der Ausbildungsfreibeträge nach § 33a Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.

b) Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob an der Auffassung in der Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der Ausbildungsfreibeträge festzuhalten ist; denn selbst wenn der Senat die Zweifel des FG an der Verfassungsmäßigkeit des § 33a Abs. 2 EStG für die Jahre 1984 und 1985 teilte, käme er nicht zu einer Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide. Nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4. Dezember 1967 GrS 4/67 (BFHE 90, 461, BStBl II 1968, 199) gilt der Grundsatz, wonach das Gericht bei Vorliegen ernstlicher Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO die Vollziehung auszusetzen hat, nicht ausnahmslos. Ergeben sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts aus der behaupteten Verfassungswidrigkeit einer Norm, so hat der BFH vielmehr in ständiger Rechtsprechung zusätzlich ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gefordert (vgl. Beschlüsse vom 6. Februar 1967 VII B 46/66, BFHE 87, 414, BStBl III 1967, 123; vom 28. Juni 1967 VII B 12/66, BFHE 89, 82, BStBl III 1967, 513; vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454, und vom 11. Juni 1986 II B 49/83, BFHE 146, 474, BStBl II 1986, 782). Jedenfalls im Verfahren wegen vorläufigen Rechtsschutzes ist nur bei Vorliegen dieser zusätzlichen Voraussetzung der Geltungsanspruch, den jedes formell verfassungsmäßig zustande gekommene Gesetz erheben kann, beseitigt (vgl. etwa Birk in System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, S. 161, 171 f., m.w.N.).

Im Streitfall verneint der Senat ein berechtigtes Interesse der Kläger an der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Maßgebend dafür ist nicht allein die große Breitenwirkung, die der Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Ausbildungsfreibeträge in den Jahren 1984 und 1985 zukommt, sondern vor allem die Erwägung, daß aufgrund des Vorlagebeschlusses des FG Bremen in EFG 1986, 126 in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung des BVerfG zu dieser Frage zu rechnen ist. Darüber hinaus sind die vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten des BVerfG zu beachten; es ist insbesondere zu berücksichtigen, daß der Senat im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes keine weitergehende Entscheidung treffen darf, als sie vom BVerfG zu erwarten ist. Bei der Ablehnung einstweiligen Rechtsschutzes im Streitfall ist daher für den erkennenden Senat auch der Umstand von Bedeutung, daß das BVerfG, soweit es bisher die Verfassungswidrigkeit von Regelungen zum Kinderlastenausgleich feststellen mußte, aus Gründen der Rechtssicherheit eine Nichtigkeitserklärung vermieden (vgl. z.B. BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526, 536) und es stattdessen dem Gesetzgeber überlassen hat, innerhalb angemessener Frist im Rahmen seines weitgehenden Gestaltungsspielraums eine Neuregelung auszuarbeiten, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717).

Unter diesen Umständen ist die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 abzulehnen.