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BFH-Urteil vom 16.9.1987 (X R 51/81) BStBl. 1988 II S. 205

Die Bestellung eines lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauchs an einem unternehmerisch genutzten bebauten Grundstück zugunsten eines 65 Jahre alten Berechtigten ist im Regelfall ein steuerfreier Entnahmeeigenverbrauch, der wegen Änderung der Verhältnisse zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs auf die Herstellungskosten des Gebäudes führt.

UStG 1973 § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 15a Abs. 4.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), die zur Regelbesteuerung optiert hat (§ 19 Abs. 4 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1973) errichtete in den Jahren 1972 und 1973 auf eigenem Grundstück ein Fertighaus. Die Kosten für die Errichtung des Gebäudes betrugen 164.325,86 DM; hierin waren enthalten Vorsteuern in Höhe von 14.076,27 DM. Zur Finanzierung des Bauvorhabens erhielt sie von ihrem Vater den Betrag von 40.000 DM.

Vom 10. Mai bis zum 11. Oktober 1973 verwendete die Klägerin das Gebäude zum Betrieb einer Fremdenpension. Vom 12. Oktober 1973 an betrieb ihr Vater die Pension auf Grund eines ihm seitens der Klägerin bestellten "lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauchs" am Grundstück. Der Vater der Klägerin ist im Jahre 1907 geboren.

Bei der Veranlagung zur Umsatzsteuer 1973 vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, die Klägerin habe das Grundstück entnommen. Er ermittelte die abziehbaren Vorsteuern auf der Rechtsgrundlage des § 15a Abs. 1, 4 und 5 i.V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973. Der gegen den Umsatzsteuerbescheid 1973 vom 29. Juli 1977 eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit der hiergegen gerichteten Klage beantragte die Klägerin, die Anerkennung der ihr in 1973 in Rechnung gestellten Vorsteuern in Höhe von - nunmehr unstreitig - 10.548,92 DM. Zur Begründung trug sie u.a. vor, der Nießbrauch, dessen Wert sie mit 40.982,15 DM (Jahreswert 4.507 DM x 9,093) angab, sei nicht aus familiären Gründen, sondern deswegen bestellt worden, weil der Vater ihr einen Baukostenzuschuß gegeben habe. Das Gebäude werde weiterhin als Pension genutzt, und zwar ab dem 1. Mai 1978 von ihr und ihrem Vater in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Einräumung des Nießbrauchs habe zu einer nur vorübergehenden Verwendung des Grundstücks für nichtunternehmerische Zwecke geführt und sei daher allenfalls als Verwendungseigenverbrauch anzusehen, der nicht zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führe.

Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1982, 79 veröffentlicht ist, hat der Klage im wesentlichen - unter Berücksichtigung eines Verwendungseigenverbrauchs nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1973 - stattgegeben.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides vom 29. Juli 1977 die Umsatzsteuer 1973 auf 305,36 DM festzusetzen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Neufestsetzung der Umsatzsteuer entsprechend dem Revisionsantrag des FA.

Das FG hat zu Unrecht entschieden, daß die Bestellung des "lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauchs" an dem unternehmerisch genutzten Grundstück keine "Änderung der Verhältnisse" (§ 15a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 UStG 1973) sei. Die mit dem 12. Oktober 1973 beginnende unternehmensfremde Verwendung des Grundstücks ist ein Entnahmeeigenverbrauch (§ 15a Absätze 4 und 5 i.V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973), der nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei ist. Diese Änderung der Verhältnisse bei dem Grundstück führt nach Maßgabe des § 15a Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 UStG 1973 zu einer Berichtigung des Abzugs der auf die Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge. § 15a UStG 1973 ist bereits auf den Streitfall anwendbar, weil das Gebäude erstmals am 10. Mai 1973 - also nach dem 8. Mai 1973 - zur Ausführung von Umsätzen verwendet wurde (§ 27 Abs. 13 Satz 1 UStG 1973).

1. Die Bestellung des Nießbrauchs an dem für Zwecke des Unternehmens bebauten Grundstück ist Eigenverbrauch durch Entnahme gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973. Eigenverbrauch im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn ein Unternehmer im Inland Gegenstände aus seinem Unternehmen für Zwecke entnimmt, die außerhalb des Unternehmens liegen. Gekennzeichnet ist dieser Vorgang durch das Fehlen der Entgeltlichkeit sowie durch die Bestimmung der Entnahme für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. April 1984 V R 51/82, BFHE 140, 393, BStBl II 1984, 499). Die Besteuerung erfaßt in diesen Fällen die unentgeltliche, vom Willen des Unternehmers gesteuerte Wertabgabe aus dem Unternehmen für unternehmensfremde Zwecke (BFH-Urteil vom 3. November 1983 V R 4/73, BFHE 140, 115, BStBl II 1984, 169).

Die Klägerin hat mit der Bestellung des Nießbrauchs zugunsten ihres Vaters keine entgeltliche Leistung i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1973 erbracht. Die dahingehende Würdigung der rechtlichen Beziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Vater durch das FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Als Entgelt im Sinne einer von der Klägerin gewollten, erwarteten oder erwartbaren Gegenleistung (BFH-Urteil vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495) käme allenfalls der von ihrem Vater gewährte Zuschuß zu den Baukosten in Höhe von 40.000 DM in Betracht. Indes hat das FG hierzu ausgeführt, daß dieser Umstand für sich allein nicht zur Annahme eines entgeltlichen Vorgangs im Unternehmensbereich der Klägerin führe, zumal der Nießbrauch ausdrücklich als unentgeltlich bezeichnet worden sei. Diese Würdigung ist tatsächlich möglich und rechtlich nicht zu beanstanden. Das Vorbringen der Klägerin, der Nießbrauch sei "ausschließlich zur Vermeidung einer Zwangsenteignung" bestellt worden und habe sich daher "ausschließlich im unternehmerischen Bereich" vollzogen, ist nicht geeignet, die Würdigung des FG zu widerlegen. Die Klägerin selbst behauptet nicht, daß der Zuschuß in dem zur Annahme einer Leistung "gegen Entgelt" erforderlichen Umfang mit der Nießbrauchsbestellung verknüpft gewesen sei.

Ein innerhalb des Unternehmens liegender Zweck, der durch die Nießbrauchsbestellung hätte erfüllt werden sollen, ist nicht ersichtlich. Das mit der Revisionserwiderung vorgetragene Argument, durch die Bestellung des Nießbrauchs habe das Grundstück vor der "Zwangsenteignung" bewahrt werden sollen, sagt nichts aus über die Verwendung des Grundstücks für das bestehende Unternehmen der Klägerin, sondern bezeichnet das Motiv dafür, daß - zwecks Erhalts des Familienvermögens - das Grundstück nunmehr vom Vater der Klägerin unternehmerisch genutzt werden sollte.

Die Klägerin hat als "Gegenstand" i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973 das Grundstück entnommen. Durch die Bestellung des Nießbrauchs als eines dinglichen Nutzungsrechts, welches den Nießbraucher zur tatsächlichen Nutzung berechtigt und den Eigentümer zur Duldung verpflichtet, ist die eigenunternehmerische "Verwendung" des Grundstücks als Sache (§ 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) beendet worden. Unerheblich ist, daß der Klägerin das nießbrauchsbelastete Eigentum am Grundstück verblieben ist. Für die Frage der unternehmerischen Verwendung einer Sache kommt es auf die Eigentumsverhältnisse grundsätzlich nicht an. Die "Verwendung" eines "für das Unternehmen" angeschafften Wirtschaftsguts wird durch die Entscheidung des Unternehmers über die Zuordnung zum unternehmerischen oder nichtunternehmerischen Bereich begründet; dabei reicht es aus, daß der Gegenstand im Umfange des vorgesehenen Einsatzes für unternehmerische Zwecke in einem objektiven und erkennbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit steht und diese fördern soll (vgl. BFH-Urteil vom 12. Dezember 1985 V R 25/78, BFHE 145, 255, BStBl II 1986, 216, mit Nachweisen). Auch für die Entnahme als gegenläufige Zuordnungsentscheidung kommt es nur darauf an, daß die Verwendungsentscheidung tatsächlich rückgängig gemacht wird. Die Auffassung im Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 20. November 1978 IV A 2 - S 7.102 - 2/78 (UR 1979, 16), der Nießbrauchsbesteller habe mit der unentgeltlichen Bestellung des Nießbrauchs an dem Grundstück zugunsten eines Familienangehörigen das Grundstück für Zwecke entnommen, die außerhalb des Unternehmens liegen, enthält daher eine im Ergebnis zutreffende Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973 (vgl. auch Widmann, Umsatzsteuerkongreß-Bericht 1982/1983, S. 51 ff., 63).

2. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1973 liegt Eigenverbrauch vor, wenn der Unternehmer Gegenstände aus seinem Unternehmen für außerhalb desselben liegende Zwecke entnimmt (Buchst. a) oder wenn er dem Unternehmen dienende Gegenstände für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke verwendet (Buchst. b). Beiden Besteuerungstatbeständen ist gemeinsam, daß der Unternehmer einen zuvor dem unternehmerischen Bereich zugeordneten Gegenstand (vgl. BFH-Urteil vom 19. April 1979 V R 11/72, BFHE 127, 447, BStBl II 1979, 420) aus diesem Bereich herausnimmt. Im Falle der Entnahme (Buchst. a) geschieht dies mit der Absicht einer endgültigen Entfernung aus dem unternehmerischen Bereich. Hingegen ist der Verwendungseigenverbrauch (Buchst. b) eine "Entnahme auf Zeit". Die Entnahme löst die Bindung des Gegenstandes an den unternehmerischen Bereich. Dagegen besteht diese Bindung beim Verwendungseigenverbrauch fort (Urteil in BFHE 130, 111, BStBl II 1980, 309).

Nach der Rechtsprechung des BFH liegt ein Entnahmeeigenverbrauch (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a UStG 1973) vor, wenn das Eigentum an einem Grundstück unentgeltlich auf einen Abkömmling übertragen wird. In diesem Falle geht das für die Widmung zu unternehmerischen Zwecken maßgebende Recht der Zuordnung zum Unternehmen (vgl. Urteil in BFHE 145, 255, BStBl II 1986, 216) auf den Erwerber über (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1986 V R 91/78, BFHE 147, 548, 555, BStBl II 1987, 44). Gleiches gilt für die unentgeltliche Übertragung eines Erbbaurechts (BFH-Beschluß vom 26. Februar 1987 V S 4/86, BFH/NV 1987, 604). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Verwendungseigenverbrauch vorliegt, wenn das Grundstück vom insoweit verfügungsbefugten Nießbraucher - auf Grund dessen Verwendungsentscheidung - weiterhin dem Unternehmen des Nießbrauchsbestellers zur Nutzung überlassen wird (so Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz [Mehrwertsteuer], Kommentar, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rdnr. 23). Jedenfalls ist die unentgeltliche Bestellung eines Nießbrauchs zur Nutzung nicht schlechthin Verwendungseigenverbrauch i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b UStG 1973 (so aber Mößlang in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 1 Rdnr. 211), denn diese Bestimmung setzt voraus, daß der Gegenstand ungeachtet seiner nichtunternehmerischen Verwendung dem Unternehmen zugehört (Urteil in BFHE 130, 111, 114, BStBl II 1980, 309). Keine "Entnahme auf Zeit" liegt dann vor, wenn zusammen mit der Nießbrauchsbestellung diejenige unternehmerische Tätigkeit, für die das Grundstück verwendet worden ist, auf unbestimmte Zeit endet. Damit ist der Zuordnungsentscheidung des Unternehmers die Grundlage entzogen. Insoweit endet die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit, ohne daß es dem Nießbrauchsbesteller möglich wäre, das Unternehmen mit der Wirkung "ruhen zu lassen", daß auf nicht absehbare Zeit Umsätze nur in der Form des Verwendungseigenverbrauchs getätigt werden (insoweit zutreffend FG Münster, Urteil vom 25. Februar 1982 V 2453/80 U, Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 538).

Die auf das Grundstück bezogene unternehmerische Tätigkeit der Klägerin hat am 11. Oktober 1973 ihr Ende gefunden. Zwar kann auch ein Unternehmen in umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht ruhen, wenn der Unternehmer die Absicht hat, das Unternehmen weiterzuführen oder in absehbarer Zeit wiederaufleben zu lassen (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1963 V 77/61 U, BFHE 78, 231, BStBl III 1964, 90). Vorliegend sind keine Tatsachen festgestellt, welche die Annahme rechtfertigten, daß die Klägerin damit rechnen konnte, in absehbarer Zeit wieder selbst als Unternehmerin die Fremdenpension zu betreiben. Der zum Zeitpunkt der Nießbrauchsbestellung 65 Jahre alte Vater der Klägerin hatte eine statistische Lebenserwartung von 12 Jahren (Allgemeine Sterbetafel für die Bundesrepublik Deutschland 1970/1972, Anhang 3 zu Abschn. 56 der Vermögensteuer-Richtlinien 1974). Umstände, die eine wesentlich geringere Lebenserwartung nahelegen könnten, sind nicht festgestellt.

3. Die Entnahme des Grundstücks zum Eigenverbrauch ist nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1973 steuerfrei. Ein Verzicht auf die Steuerbefreiung (§ 9 UStG 1973) ist ausgeschlossen (Urteil in BFHE 147, 548, 556, BStBl II 1987, 44). Die Entnahme zum Eigenverbrauch hat eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse (§ 15a Abs. 4 UStG 1973) bewirkt.

Hiernach war - dem Antrag des FA folgend - die Umsatzsteuer 1973 neu festzusetzen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 i.V. m. § 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Senat ist dabei der Berechnung im Schriftsatz des FA vom 28. August 1981 gefolgt, welcher die Klägerin nicht widersprochen hat.