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BFH-Beschluß vom 18.12.1986 (I B 1/86) BStBl. 1988 II S. 211

Es bestehen ernstliche Zweifel, ob eine Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft durch die Vertreter einer Organisation begangen werden kann, die ihr zugeflossene Spenden ohne Wissen des Spenders an politische Parteien weitergeleitet hat.

FGO § 69 Abs. 2 und 3; EGAO 1977 Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2; AO § 144 Abs. 1 Satz 1; StGB § 25.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) hatte 1972 dem ... (im folgenden: "Seminar") 10.000 DM gespendet. Die Antragstellerin hat den Betrag bei der Ermittlung ihres Einkommens gemäß § 11 Nr. 5 Buchst. a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der im Streitjahr (1972) geltenden Fassung als Ausgabe abgezogen. Das "Seminar" war durch Bescheid des zuständigen Finanzamts vom 16. März 1961 wegen Förderung der Volksbildung als gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt und von der Körperschaftsteuer befreit (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG).

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) veranlagte die Antragstellerin für das Streitjahr erklärungsgemäß durch vorläufigen Bescheid (§ 100 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung - AO -) zur Körperschaftsteuer. Eine Außenprüfung bei der Antragstellerin führte für das Streitjahr zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen; das FA erklärte den Steuerbescheid für endgültig.

Aufgrund von Feststellungen der Staatsanwaltschaft Bonn erließ das FA einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Körperschaftsteuerbescheid, mit dem es den Spendenbetrag als nicht abziehbare Ausgabe dem Gewinn der Antragstellerin hinzurechnete und die Körperschaftsteuer entsprechend erhöhte.

Die Antragstellerin beantragte beim FG, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen, nachdem das FA ein entsprechendes Begehren abgelehnt hatte.

Das FA hat dem widersprochen.

Das FG hat dem zulässigen Antrag entsprochen und die Vollziehung des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides 1972 hinsichtlich bestimmter Abgabenbeträge ausgesetzt.

Gegen den Beschluß hat das FA Beschwerde eingelegt.

(Sachverhalt gekürzt)

Entscheidungsgründe

Die zulässige Beschwerde des FA ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen. Das FG hat in seiner Entscheidung im Ergebnis zutreffend ... das Bestehen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuer-(Änderungs-)Bescheides bejaht und die Vollziehung dieses Steuerbescheides in bestimmter Höhe ausgesetzt.

...

II. Das FG hat ... zu Recht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides bejaht und gewichtige Gründe angeführt, die für eine Verjährung des geltend gemachten Steueranspruches sprechen können.

...

2. Derartige Zweifel hat das FG wegen der möglichen Verjährung des Körperschaftsteueranspruches zu Recht bejaht. Bedenken gegen diese Auffassung bestehen nicht.

a) Die Verjährung des Körperschaftsteueranspruches richtet sich gemäß Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341 - 3381 ff. -, BStBl I 1976, 694) noch nach den "Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die Verjährung ..., soweit sie für die Festsetzung einer Steuer ... von Bedeutung sind". Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Verjährungsfrist für die Körperschaftsteuer fünf Jahre, für hinterzogene Beträge zehn Jahre. Die fünfjährige Verjährungsfrist war - worüber Einvernehmen zwischen den Beteiligten besteht - bei Erlaß des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheides abgelaufen. Sie hatte gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1974 begonnen und mit Ablauf des Jahres 1979 geendet.

b) Zu Recht hat das FG gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides sprechende ernstliche Zweifel angenommen, soweit das FA den Erlaß des Körperschaftsteuerbescheides wegen einer angeblichen Steuerhinterziehung auf eine (im Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheides noch nicht abgelaufene) zehnjährige Verjährungsfrist gründet.

(1) Das FA hebt zutreffend hervor, daß die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen oder leichtfertig verkürzt zu sein, dieser Steuer als solcher anhaftet. Es kommt nicht darauf an, wer die Steuer hinterzogen oder verkürzt hat, sondern (nur) darauf, daß sie hinterzogen oder verkürzt worden ist (BFH-Urteil vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131 - 133 -). Ob die Steuer jedoch im Streitfall hinterzogen worden ist, begegnet aus gewichtigen Gründen ernstlichen Zweifeln.

(2) Den Verantwortlichen der Antragstellerin kann nach den getroffenen Feststellungen - auch darüber besteht zwischen den Beteiligten Einvernehmen - mangels entsprechender eigener Kenntnisse keine Steuerhinterziehung zur Last gelegt werden.

(3) Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß hinsichtlich einer Steuerhinterziehung, begangen durch die Verantwortlichen des "Seminars" in mittelbare Täterschaft, erhebliche Zweifel bestehen.

Nach § 25 des Strafgesetzbuches (StGB) wird (u.a.) als Täter bestraft, "wer die Straftat ... durch einen anderen begeht". Die so gekennzeichnete mittelbare Täterschaft wird nicht näher definiert oder umschrieben. Das Wesen der mittelbaren Täterschaft liegt darin, daß der Täter nicht selbst die Tatbestandsmerkmale verwirklicht, sondern sich dazu eines anderen, des sog. Tatmittlers (auch: Werkzeug) bedient, der selbst weder Täter noch Mittäter ist (so Dreher/Tröndler, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 43. Aufl., § 25 StGB Anm. 3). Dementsprechend ist mittelbarer Täter, wer mit Tatherrschaft einen anderen veranlaßt, für ihn die zur Verwirklichung des Tatbestandes notwendigen Handlungen als Teil eines von ihm verfolgten Gesamtplanes vorzunehmen. Erfüllt der mittelbare Täter diese Voraussetzungen, wird ihm das Handeln des Tatmittlers als solches wie eigenes zugerechnet, so daß er rechtlich so zu behandeln ist, als habe er diese Tatteile eigenhändig verwirklicht. Deshalb sind alle Voraussetzungen der Straftat allein auf den mittelbaren Täter zu beziehen (Schönke/Schröder, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 22. Aufl., § 25 Anm. 6 und 7). Der mittelbare Täter muß daher mit Täterwillen handeln, d.h. die Tat als seine eigene wollen. Entsprechend dem Wesen der mittelbaren Täterschaft muß sich "das Gesamtgeschehen als Werk des steuernden Willens des Hintermannes darstellen", und dieser muß "den Tatmittler durch seinen Einfluß in der Hand" haben (so Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl., 1978, § 62 I 1, S. 540). Die Tatherrschaft kann durch den mittelbaren Täter in verschiedener Weise ausgeübt werden (vgl. wegen der verschiedenen Formen die ausführlichen Darstellungen bei Roxin, LK, 10. Aufl., § 25 Rdnr. 45, 46, 49 ff.; Dreher/Tröndle, a.a.O.; Kohlmann, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht einschließlich Verfahrensrecht, 3. Aufl., Teil B, Rdnr. 110 ff.; eine Beherrschung "kraft überlegenen Wissens oder Willens" verlangen Franzen/Gast-de Haan/Samson, Steuerstrafrecht, 3. Aufl., 1985, § 369 Rdnr. 68). Das FA geht in seiner Beschwerde zutreffend davon aus, daß im Streitfall allein eine mittelbare Täterschaft kraft Irrtums (Täuschung) in Betracht kommen kann (vgl. dazu Roxin, a.a.O., Rdnr. 57 ff.; Schönke/Schröder, a.a.O., Anm. 11).

Bei dieser Rechtslage hat das FG zu Recht ernstliche Zweifel insbesondere darin gesehen, "ob sich eine Tatherrschaft der Spendenempfängerin allein auf die bloße Aushändigung der Spendenbescheinigung gründen läßt". Die Antragstellerin habe es in ihrer Hand gehabt, ob und in welcher Weise sie die Spendenbescheinigung gebrauchen würde. Das Vorbringen des FA einschließlich seines zulässigen, erweiternden Vorbringens in dem Beschwerdeverfahren (§ 155 FGO i.V.m. § 570 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; BFH-Beschlüsse vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538, jeweils unter B II a.E.; vom 24. Juni 1985 GrS 1/84, BFHE 144, 124 - 131 -, BStBl II 1985, 587, jeweils unter C. II 2 b) vermag diese ernstlichen Zweifel nicht zu beseitigen. Das FA hat zwar ausführlich das Verhalten der Verantwortlichen des "Seminars" als deren Tatbeitrag dargelegt, aber keine gewichtigen Tatsachen und Gründe vortragen können, die das Gesamtgeschehen (Ausstellen der unrichtigen Spendenbescheinigung, Absetzen der Beträge in der - damit unrichtigen - Steuererklärung und Vorlage der Steuererklärung und der Bescheinigung beim FA) und dessen Ablauf als alleiniges Werk des steuernden Willens der Verantwortlichen des Seminars erscheinen lassen könnten. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben - worauf die Antragstellerin hinweist -, daß das steuerstrafrechtlich erhebliche Handeln der Verantwortlichen des "Seminars" bezüglich der Körperschaftsteuer der Antragstellerin mit der Hingabe der Spendenbescheinigung und dem Aufrechterhalten des angeblichen fingierten, regen und scheinbar satzungsmäßigen Vereinslebens beendet war. Einen bestimmenden Einfluß auf den weiteren Ablauf des Geschehens konnten die Verantwortlichen des "Seminars" nach dem bisher ermittelten Sachverhalt nicht ausüben: Dazu fehlte es an unmittelbaren oder mittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten; für eine "Fernsteuerung" der Antragstellerin durch die Verantwortlichen des "Seminars" sind ebensowenig Anhaltspunkte zu erkennen, wie für einen gemeinsamen Tatplan.

Das FG hat ausdrücklich offengelassen, "ob die Verantwortlichen der Spendenempfängerin mit Täterwillen gehandelt haben". Dies bedeutet das Wissen und Wollen sämtlicher Tatbestandsmerkmale bezüglich der Tat in Ausführung durch die Verantwortlichen der Antragstellerin. "Die nach Gegenstand, Zeit und Ort usw. bestimmte Zuwiderhandlung gegen ein Gesetz muß der Täter wenigstens in allen wesentlichen Beziehungen, wenn auch nicht mit sämtlichen Einzelheiten der Ausführung, in seine Vorstellung und seinen Willen aufgenommen haben ..." (so zum Vorsatz Urteile des Reichsgerichts vom 4. Dezember 1917 IV 622/17, RGSt 51, 305, und vom 10. Juni 1936 2 D 343/36, RGSt 70, 257). Es läßt sich nach den Verhältnissen im Streitfall nicht ausschließen, daß sich auch hinsichtlich des Täterwillens der Verantwortlichen des "Seminars" gewichtige Bedenken gegen das Vorliegen einer Steuerhinterziehung und damit gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides ergeben könnten. Das kann und braucht jedoch in diesem Beschwerdeverfahren abschließend und endgültig weder geprüft noch geklärt zu werden.

3. Nach allem bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Körperschaftsteuerbescheids im Sinne von § 69 Abs. 2 FGO ... hinsichtlich der Verjährung der vom FA geltend gemachten Körperschaftsteueransprüche. Das allein rechtfertigt die vom FG gewährte Aussetzung der Vollziehung. Bei dieser Rechtsauffassung braucht der Senat nicht auf andere gewichtige Gründe (z.B. Durchbrechen der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977; Verstoß gegen Treu und Glauben, Spendenaufwendungen als Betriebsausgaben) einzugehen, die ggf. auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides begründen könnten.