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BFH-Urteil vom 24.3.1987 (X R 28/80) BStBl. 1988 II S. 316

Gegen eine in Liquidation befindliche Personengesellschaft kann ein Steuerverwaltungsakt bis zu ihrer Vollbeendigung erlassen werden. Sie ist grundsätzlich erst dann vollbeendet, wenn das Rechtsverhältnis zwischen ihr und dem FA abgewickelt ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540).

AO 1977 § 118; BGB § 730, § 735.

Vorinstanz: FG Düsseldorf

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) L.A. und J.A. waren im Streitjahr 1972 in Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) Inhaber eines Pliester- und Stukkateurgeschäfts. Die Gesellschaft stellte am 21. Mai 1974 ihre werbende Tätigkeit ein.

Am 28. April 1975 gab die "Firma A & A GbR" die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1972 ab. Die Erklärung ist von beiden Klägern unterschrieben. Den Umsatzsteuerbescheid 1972 vom 14. Mai 1975 über 19.691,40 DM adressierte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) an "J.A. ... für Fa. A & A GbR". Der Bescheid wurde dem J.A. bekanntgegeben.

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Zwei Ausfertigungen der Einspruchsentscheidung wurden der damaligen Bevollmächtigten der Kläger zugestellt. Die hiergegen eingelegte Klage begründeten die Kläger mit dem Hinweis darauf, im Streitjahr habe eine GbR nicht mehr bestanden; J.A. sei alleiniger Unternehmer gewesen. Die Angabe in der Steuererklärung über das Gesellschaftsverhältnis beruhe auf einem Irrtum. Der angefochtene Bescheid sei schon deswegen unwirksam, weil die Gesellschaft im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheides nicht mehr existent gewesen sei. Der Bescheid hätte allen Gesellschaftern bekanntgegeben werden müssen.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids sei die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der Gesellschaft (§§ 730 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) beendet und die Gesellschaft daher nicht mehr existent gewesen. Gegen die rechtlich nicht mehr vorhandene Gesellschaft habe ein Steuerbescheid nicht wirksam erlassen werden können. Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67 (BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540) eine andere Rechtsauffassung vertreten habe, sei dem in Übereinstimmung mit der im Zivil- und Steuerrecht herrschenden Meinung nicht zu folgen.

Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, daß die Vollbeendigung der Gesellschaft nicht eintreten könne, solange ein Steuerschuldverhältnis bestehe.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Zu Unrecht hat das FG die Auffassung vertreten, die Steuerrechtsfähigkeit der zwischen den Klägern bestehenden GbR habe vor Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides geendet.

1. Das FG hat, ohne daß hiergegen Revisionsrügen erhoben worden wären, festgestellt, daß im Streitjahr zwischen den Klägern eine GbR bestanden hat, welche Schuldnerin der Umsatzsteuer war. Entgegen der Auffassung des FG konnte der angefochtene Umsatzsteuerbescheid an diese GbR i.L. rechtswirksam adressiert werden (2.). Der Mangel bei der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides wurde durch die rechtswirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt (3.).

2. Steuerschuldnerin war die GbR als Unternehmerin (§ 13 Abs. 2, § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1967). Die GbR war bei Bekanntgabe des für sie bestimmten Steuerbescheids noch nicht vollbeendet. Den Fortbestand der Steuerrechtsfähigkeit hat der BFH in vergleichbaren Fällen mit der auf § 730 BGB gestützten Aussage begründet, daß bis zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis das Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft i.L. und dem FA noch nicht abgewickelt sei (Urteil in BFHE 102, 174, 180, BStBl II 1971, 540; bestätigt durch BFH-Urteil vom 18. September 1980 V R 175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293; ferner BFH-Urteil vom 22. Oktober 1986 II R 118/84, BFHE 148, 331, BStBl II 1987, 183). Das Urteil in BFHE 102, 174, 181, BStBl II 1971, 540 hat sich der im Zivilrecht zu § 730 BGB vertretenen Auffassung mit der Begründung angeschlossen, es erübrige sich hiernach, daß die FÄ vor jeder Veranlagung in eine Prüfung darüber eintreten, ob eine Personengesellschaft noch bestehe und weder durch Liquidation noch in anderer Weise (z.B. durch Veräußerung) vollbeendet sei. Diese Rechtsprechung beruht letztlich auf Gesichtspunkten der Vereinfachung und Praktikabilität. Dem schließt sich der erkennende Senat gegen die im Schrifttum hiergegen vorgebrachten Einwände (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 33 AO 1977 Tz. 18) an.

a) Die durch Verwaltungsakt getroffene Regelung (vgl. § 118 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ist rechtmäßig, wenn sie im Einklang steht mit dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. Ob ein durch Verwaltungsakt in Anspruch genommenes steuerrechtliches Rechtssubjekt (noch) rechtlich existent ist und ihm deswegen steuerrechtliche Rechtsbeziehungen im Rahmen eines Steuerrechtsverhältnisses und den sich daraus ergebenden Folgen auch für das Verfahren zugerechnet werden können, bestimmt sich nach dem maßgeblichen materiellen Steuerrecht, vor allem nach der Abgabenordnung insoweit, als sie das materielle Steuerrechtsverhältnis regelt. Solange die Notwendigkeit besteht, gegenüber einem Rechtssubjekt des Steuerrechts eine Einzelfallregelung (§ 118 AO 1977) - insbesondere nach Verwirklichung eines Steuertatbestandes (§ 38 AO 1977) - zu treffen, ist dieser Steuerpflichtige als materiell-rechtlich existent zu behandeln. Er bleibt Adressat des Steuerverwaltungsaktes.

b) Das steht wegen anderer Normsituation und Interessenlage nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Nach der Rechtsprechung des BGH endet die (prozessuale) Parteifähigkeit der juristischen Person (Urteil vom 5. April 1979 II ZR 73/78, BGHZ 74, 212) und der Personengesellschaft (Urteil vom 29. September 1981 VI ZR 21/80, Juristenzeitung - JZ - 1981, 843) unter der Voraussetzung, daß "für die Abwicklung eines vermögensrechtlichen Passivprozesses kein anerkennenswertes Interesse des Gläubigers" besteht, weil ein gegen den Beklagten ergehendes Leistungsurteil mangels Vermögensmasse nicht vollstreckt werden könnte und ein Feststellungsurteil wertlos wäre und auch für etwaige Ansprüche gegen Liquidatoren keine präjudizielle Wirkung hätte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Vermögenslosigkeit der Partei feststeht (BGH-Urteil vom 21. Oktober 1985 II ZR 82/85, Wertpapier-Mitteilungen - WM - IV 1986, 145). Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Urteil vom 9. Juli 1981 2 AZR 329/79 (JZ 1982, 372) bleibt eine im Handelsregister gelöschte, vermögenslose GmbH parteifähig, wenn sie die streitbefangene Rechtshandlung ohne Rücksicht auf ihren Vermögensstand vornehmen kann. Ähnliche Erwägungen prozessualer Zweckmäßigkeit rechtfertigen es, daß eine vollbeendete KG Beteiligte in einem gerichtlichen Verfahren über einen Feststellungsbescheid bleiben kann (BFH-Urteil vom 19. Mai 1983 IV R 125/82, BFHE 139, 1, 3, BStBl II 1984, 15: "Gründe der Verfahrensökonomie").

c) Im Abgabenrecht geht es in Fällen der streitigen Art vorrangig um die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt und ggf. unter welchen Voraussetzungen der Steuergläubiger den Steueranspruch geltend machen kann. Es gibt keinen Rechtssatz des Inhalts, daß die Personengesellschaft nach der Schlußverteilung ihres Vermögens die Fähigkeit verlöre, Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens zu sein. Der Zeitpunkt, bis zu welchem ein nichtrechtsfähiger Steuerpflichtiger als steuerrechtsfähig behandelt werden kann, ist unter Berücksichtigung von Gesichtspunkten der Ökonomie des Verwaltungsverfahrens zu bestimmen. In solche Erwägungen der verwaltungsverfahrensrechtlichen Zweckmäßigkeit darf auch die Frage einbezogen werden, ob der verfassungsrechtliche Auftrag der Verwaltung zum Gesetzesvollzug mit der Auskehrung des letzten Aktivvermögens der Gesellschaft endet oder ob es auch nach diesem Zeitpunkt Sinn hat, daß das FA eine dem materiellen Steuerrecht entsprechende Regelung trifft. Der Auslegung des Zivilrechts kommt wegen dessen andersgearteter Regelungsaufgabe im hier erörterten Zusammenhang keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

d) Die vorliegend für die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsverfahrens noch maßgebende Reichsabgabenordnung - AO - (vgl. Art. 97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -) unterscheidet in ihrem Zweiten Teil (Besteuerung) u.a. zwischen "Ermittlung und Festsetzung der Steuer" (Zweiter Abschnitt) und der "Beitreibung" (Vierter Abschnitt). Im Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren (§§ 204 bis 227 AO) hat das FA "die steuerpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind" (§ 204 Abs. 1 Satz 1 AO). Das FA hat die Steuererklärungen zu prüfen und soweit nötig "zu veranlassen, daß Lücken ergänzt und Zweifel beseitigt werden" (§ 205 Abs. 1 AO). Nach Abschluß seiner Ermittlungen setzt das FA durch Steuerbescheid die Steuer fest (§ 210 Abs. 1 AO). Die aufgrund des Steuerbescheids nach den Steuergesetzen geschuldete Geldleistung kann im Verwaltungswege erzwungen werden (§ 325 Satz 1 AO/§ 249 Abs. 1 Satz 1 AO 1977). "Zu diesem Zweck" kann das FA die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners ermitteln (§ 325 Satz 2 AO/§ 249 Abs. 2 AO 1977). Hingegen ist das Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren für eine Ermittlung der aktuellen Vermögensverhältnisse des Steuerpflichtigen weniger geeignet, da dem Veranlagungsbeamten das vollstreckungsrechtliche Instrumentarium speziell zur Ermittlung des der Vollstreckung unterliegenden Vermögens nicht zur Verfügung steht.

Die Feststellung eines Steueranspruchs gegen eine Gesellschaft ohne Rücksicht auf deren aktuellen Vermögensstand ist grundsätzlich sinnvoll, weil sie losgelöst von der Frage zu treffen ist, ob Vermögen zur Befriedigung dieses Anspruchs vorhanden ist. Auch wenn letzteres zweifelhaft ist, kann es zweckmäßig sein, einen Steuerverwaltungsakt zu erlassen. Anhand der dem Veranlagungsbeamten vorliegenden Akten kann im Regelfall nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Gesellschaft noch Aktivvermögen hat. Stellt sich nachträglich heraus, daß entgegen einer ursprünglichen Annahme des FA verteilbares Vermögen vorhanden ist, könnten nicht durch schriftliche Zahlungsaufforderung oder Steuerbescheid geltend gemachte (§ 147 Abs. 1 AO; § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977) Ansprüche des Steuergläubigers bereits verjährt sein.

Möglich ist auch, daß die Gesellschafter im Verlaufe der Liquidation vereinbarungsgemäß weitere Beiträge an die Gesellschaft leisten, indem sie deren Schulden abdecken. Nach § 735 BGB ist das Innenverhältnis der Gesellschafter auf eine Deckung der gemeinschaftlichen Schulden angelegt; nach dieser Vorschrift korrespondiert mit der in Abweichung von § 707 BGB statuierten Nachschußpflicht der Gesellschafter ein der Gesamthand zustehender Sozialanspruch auf weitere Beitragsleistung (vgl. Staudinger/Keßler, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1980, § 735 Anm. 1). Auch wenn diese Nachschußpflicht nur im Innenverhältnis der Gesellschafter besteht, ist insbesondere bei Bestehen von Steuerforderungen möglich, daß die Gesellschafter ihrer persönlichen Inanspruchnahme im Wege der Haftung (§ 191 Abs. 1 AO 1977, § 427 BGB; BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, 15, BStBl II 1986, 156) durch Erfüllung der Nachschußpflicht zuvorkommen. Unter diesem Gesichtspunkt können sich weitere Verwaltungsverfahren erübrigen.

Auch muß es dem FA erlaubt sein - wie hier geschehen -, mangels bestehender Zweifel der Erklärung des Steuerpflichtigen über seine Rechtsform zu folgen. Der Personengesellschaft kann es nicht gestattet sein, mit dem Hinweis auf eine bei Bekanntgabe des Steuerbescheids bestehende oder zu einem späteren Zeitpunkt eingetretene Vermögenslosigkeit die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns in Frage zu stellen.

e) Anders ist die Rechtslage beim liquidationslosen Fortfall der Gesamthandbindung. Die Unwirksamkeit eines Steuerbescheids, der z.B. an eine infolge Umwandlung erloschene KG gerichtet ist, folgt aus der Notwendigkeit der zutreffenden Bezeichnung des Steuerschuldners (§§ 210 b, 211, 212, 91 AO; § 157 AO 1977). Ein Steuerbescheid, der den aufgrund Gesamtrechtsnachfolge erloschenen Steuerpflichtigen als Steuerschuldner bezeichnet, ist keine geeignete Grundlage für die Zwangsvollstreckung gegen den Steuerschuldner (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 21. Oktober 1985 GrS 4/84, BFHE 145, 110, 114, BStBl II 1986, 230).

3. Steuerbescheide an eine aufgelöste GbR müssen - mangels besonderer Regelung über Geschäftsführung und Vertretung - allen Gesellschaftern bekanntgegeben werden. Der angefochtene Steuerbescheid ist nur J.A. übermittelt worden. Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellungen darüber, daß J.A. dem FA gegenüber als Vertreter bestellt worden oder als Vertreter aufgetreten wäre. Indes führt dieser Bekanntgabemangel nicht zur ersatzlosen Aufhebung des angefochtenen Bescheids.

Gegenstand einer Anfechtungsklage sind die ursprünglichen Bescheide in der Gestalt, die sie durch die Einspruchsentscheidung gefunden haben. Die Einspruchsentscheidungen sind jeweils beiden Klägern persönlich zu Händen ihrer Bevollmächtigten bekanntgegeben worden. Auch im Verhältnis zu der Klägerin L.A. ist das Vorverfahren durchgeführt worden, da die Bevollmächtigte auch in ihrem Namen - in gleicher Weise wie für den Kläger J.A. - Einspruch eingelegt hat (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juli 1982 IV R 20/78, BFHE 136, 252, 257, BStBl II 1982, 700; vom 18. März 1986 II R 214/83, BFHE 147, 99, BStBl II 1986, 778).

4. Hiernach war das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Das FG hat verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß die Kläger in GbR die in dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Umsatzsteuer 1972 schulden. Die Höhe der festgesetzten Steuer haben die Kläger im Revisionsverfahren nicht angefochten. Die Klage ist daher abzuweisen.