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BFH-Urteil vom 4.11.1987 (II R 167/81) BStBl. 1988 II S. 377

1. Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage hängt dann nicht von der erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens ab, wenn die Klägerin durch die Einspruchsentscheidung erstmals beschwert ist.

2. Das FA darf über den Einspruch einzelner Gesellschafter einer GbR nicht durch eine gegen die GbR als solche gerichtete Einspruchsentscheidung befinden, weil die GbR grunderwerbsteuerrechtlich ein anderes Rechtssubjekt ist als ihre Gesellschafter (Anschluß an BFH-Urteile vom 11. Februar 1987 II R 103/84, BFHE 149, 12, BStBl II 1987, 325, und vom 22. Oktober 1986 II R 118/84, BFHE 148, 331, BStBl II 1987, 183).

GG Art. 19 Abs. 4; FGO § 44, § 57 Nr. 1; AO 1977 § 367 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine aus vier Personen bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Sie kaufte am 8. Januar 1975 (mit Zusatzvereinbarung vom 25. April 1975) ein in Schleswig-Holstein liegendes Grundstück. In bezug auf diesen Erwerbsvorgang erging am 14. Mai 1975 eine "vorläufige Grunderwerbsteuerfestsetzung", in der als Erwerber die vier Gesellschafter mit ihren Namen und dem Zusatz "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" aufgeführt waren und in der für jeden einzelnen von ihnen die Grunderwerbsteuer auf 35.342,40 DM festgesetzt und mit einer entsprechenden Zahlungsaufforderung verbunden worden war. Entsprechend der Verfügung des Finanzamts (FA) ("Ausfertigung des Steuerbescheides ... für 4 Erwerber z.Hd. Herrn RA u. Notar ...") adressierte das FA eine Ausfertigung des vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheids an jeden der Gesellschafter und gab sie am 14. Mai 1975 zur Post. Jeder der Gesellschafter entrichtete die für ihn festgesetzte Grunderwerbsteuer.

Auf den Einspruch der Gesellschafter setzte das FA durch Einspruchsentscheidung vom 11. November 1977 die Grunderwerbsteuer für die namentlich bezeichneten Gesellschafter "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" auf "endgültig" 165.207,20 DM fest und forderte sie "als Gesamtschuldner" auf, den "verbleibenden Restbetrag von 23.837,60 DM " bis zum 14. Dezember 1977 bei der Finanzkasse einzuzahlen.

Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 28. Juli 1981 den "Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Mai 1975 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. November 1977" aufgehoben. Der Grunderwerbsteuerbescheid sei wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig. In ihm sei die GbR als Erwerberin des Grundstücks bezeichnet, aber nicht ihr gegenüber sei die Grunderwerbsteuer festgesetzt worden, sondern - wie beim Erwerb von Bruchteilseigentum - gegenüber den einzelnen Gesellschaftern. Außerdem enthalte der Bescheid entgegen der zwingenden Vorschrift des § 211 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung (AO) keine Angaben über die Gesamthöhe der Grunderwerbsteuer, sondern nur die auf den jeweiligen Gesellschafter entfallende Steuer. Der Mangel inhaltlicher Unbestimmtheit habe durch die Einspruchsentscheidung nicht geheilt werden können.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht, insbesondere von Vorschriften über die Nichtigkeit von Steuerverwaltungsakten. Es beantragt (sinngemäß): das Urteil des FG aufzuheben und die Grunderwerbsteuer der Klägerin auf 165.207,20 DM festzusetzen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, damit es anderweitig verhandle und entscheide (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Klage von der GbR, nicht von deren Gesellschaftern erhoben worden ist. Zwar war in den Schriftsätzen der Prozeßbevollmächtigten nicht immer die GbR als Klägerin bezeichnet worden. Aber die Bezeichnung in den Schriftsätzen allein ist für die Beteiligtenstellung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht ausschlaggebend. Vielmehr kommt es darauf an, welcher Sinn der von dem klagenden Beteiligten gewählten Beteiligtenbezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. November 1986 III R 12/81, BFHE 148, 212, 214, BStBl II 1987, 178, mit Hinweisen auf Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH -). Bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts ist als Verfahrensbeteiligte die Klägerin anzusehen. Denn an sie war die Einspruchsentscheidung gerichtet, sie war an dem Erwerbsvorgang als Käuferin beteiligt und sie war (1975) als neue Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen worden (mit den Namen der Gesellschafter "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts").

Das FG hat stillschweigend die Klage für zulässig erachtet. Das war richtig, soweit die Klägerin mit ihrer Klage die Aufhebung der Einspruchsentscheidung begehrt hatte. Die Einspruchsentscheidung beschwerte die Klägerin. Denn durch die Einspruchsentscheidung hatte das FA die Grunderwerbsteuer für den Grundstückskaufvertrag erstmals gegen die Klägerin festgesetzt; ein Grunderwerbsteuerbescheid gegen sie war nicht vorausgegangen. Im vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Mai 1975 war die Grunderwerbsteuer nicht gegen die Klägerin, sondern gegen ihre einzelnen Gesellschafter festgesetzt worden. Die Klägerin als GbR bildete aber grunderwerbsteuerrechtlich ein anderes Rechtssubjekt als ihre einzelnen Gesellschafter (BFH-Urteile vom 22. Oktober 1986 II R 118/84, BFHE 148, 331, 333, BStBl II 1987, 183, 184, und vom 11. Februar 1987 II R 103/84, BFHE 149, 12, 13, BStBl II 1987, 325). Demzufolge hätte das FA, das über den Einspruch der einzelnen Gesellschafter gegen den vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Mai 1975 zu entscheiden hatte (§ 367 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) seine Überprüfungsmöglichkeit nicht auf die Klägerin ausdehnen und die Einspruchsentscheidung gegen sie erlassen dürfen, denn die Klägerin war von dem angefochtenen Steuerbescheid nicht erfaßt.

Indes machte dieser Fehler des FA die Klage nicht unzulässig. Im Regelfall ist zwar die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). In Ausnahmefällen aber ist die Anfechtungsklage auch dann zulässig, wenn die Einspruchsentscheidung einen Dritten - im vorliegenden Falle die Klägerin - erstmals beschwert. Das folgt aus der Verfassungsvorschrift des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), die einen wirkungsvollen Rechtsschutz gewährleistet. Wirkungsvoll wäre ein Rechtsschutz nicht, wenn die Klägerin im Hinblick auf § 44 Abs. 2 FGO gezwungen wäre, auch gegen den ursprünglichen (nicht an sie, sondern an ihre Gesellschafter gerichteten) vorläufigen Grunderwerbsteuerbescheid vom 14. Mai 1975 Klage zu erheben, denn insoweit müßte ihre Klage mangels Beschwer als unzulässig abgewiesen werden (vgl. FG Hamburg, rechtskräftiges Urteil vom 18. Oktober 1968 I 244-248/67, Entscheidungen der Finanzgerichte 1969, 84 Nr. 88, betreffend einen Konkursverwalter als Dritten; zustimmend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 44 FGO Tz. 6, und BFH-Urteil vom 24. Oktober 1979 I R 137/77, unveröffentlicht). Auch wäre der Rechtsschutz dann nicht wirkungsvoll, wenn die Zulässigkeit der Klage davon abhinge, daß erst ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren gegen die die Klägerin erstmals beschwerende Einspruchsentscheidung durchgeführt worden und erfolglos geblieben ist. Denn dies hätte zur Folge, daß der Klägerin erst unverhältnismäßig spät Rechtsschutz durch das FG gewährt werden könnte (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 5963: "... ein überflüssiger Formalismus, der dem Sinn und Zweck des Vorverfahrens widerspräche; vgl. auch § 68 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, wonach es eines Vorverfahrens nicht bedarf, wenn ein Dritter durch einen Widerspruchsbescheid erstmalig beschwert wird").

Aufgehoben werden muß das angefochtene Urteil, weil das FG zu Unrecht angenommen hat, das FA dürfe über den Einspruch der einzelnen Gesellschafter durch eine an die Klägerin gerichtete Einspruchsentscheidung entscheiden. Darin liegt eine unrichtige Anwendung des § 367 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AO 1977. Das Urteil des FG beruht auf dieser Rechtsverletzung, denn es ist nicht auszuschließen, daß das FG ohne sie anders entschieden hätte.

Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Der erkennende Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil die vom FG bisher festgestellten Tatsachen ihm nicht ermöglichen zu prüfen, ob die Grunderwerbsteuer für die Klägerin in der richtigen Höhe festgesetzt ist. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG Gelegenheit haben, auch zu prüfen, ob der Klageantrag nicht darauf gerichtet war, allein die Einspruchsentscheidung aufzuheben (§ 76 Abs. 2 FGO).