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BFH-Urteil vom 9.5.1989 (VII R 74/86) BStBl. 1989 II S. 675

Der Abtransport weggegebener Verpackungsmaterialien, in denen auch wiederverwertbare Stoffe enthalten sind, gehört bis zur Aussonderung dieser Stoffe zwecks Verwertung zur Abfallbeseitigung (Abfallentsorgung). Das Halten eines nur dazu verwendeten Fahrzeugs ist bei Vorliegen der abfallrechtlichen Genehmigung kraftfahrzeugsteuerfrei.

KraftStG 1979 § 3 Nr. 4 Buchst. b; AbfG § 1 Abs. 1 und 2, § 4 Abs. 1, § 7, § 12.

Vorinstanz: FG Nürnberg

Sachverhalt

I.

Für den Kläger, Betreiber eines Altpapierabholdienstes, wurden 1980 zwei Lastkraftwagen (orangefarbene Müllwagen) zum Verkehr zugelassen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hält die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 4 Buchst. b des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1979 nicht für gegeben und hat deshalb gegen den Kläger mit Wirkung ab Zulassung der Fahrzeuge Kraftfahrzeugsteuer festgesetzt. Einspruch und Klage gegen die Festsetzungen hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) vertrat den Standpunkt, die Fahrzeuge würden nicht ausschließlich zur Abfallbeseitigung, sondern überwiegend zur Abfallverwertung eingesetzt. Der Kläger lasse auf den Lagerplätzen von Supermärkten und sonstigen gewerblichen Unternehmen Verpackungsmaterialien - überwiegend aus Papier oder Pappe, aber auch aus Stoffen wie Plastik, Holzwolle, Bitumen oder Styropor - einsammeln. Papier und Pappe würden auf dem Betriebsgelände des Klägers ausgesondert, zu Ballen gepreßt und als Altpapier an Papierfabriken verkauft. Insoweit handele es sich nicht um Abfallbeseitigung zur Behandlung, Lagerung oder Ablagerung in einer Abfallbeseitigungsanlage, sondern um - nicht steuerbegünstigte - Wiederverwertung (recycling); verwiesen werde auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. August 1985 VII R 182/82 (BFHE 144, 465, BStBl II 1985, 716). Unerheblich sei, daß im Streitfall eine abfallrechtliche Genehmigung mit der Auflage erteilt worden sei, daß die Abfälle ohne Zwischenlagerung zur Landkreisdeponie in B zu bringen seien. Tatsächlich werde eine - nicht genehmigungspflichtige - Abfallverwertung betrieben.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, dem FG seien wesentliche Verfahrensmängel unterlaufen. Es lägen Abfälle vor, die von den - beseitigungspflichtigen - entsorgten Unternehmen unentgeltlich abgegeben würden. Erst später, durch die Sortierung, entstehe ein Wirtschaftsgut, das mit anderen Fahrzeugen zu Papierfabriken befördert werde. Abfallbeseitigung, wie sie hier gegeben sei, könne nicht davon abhängen, ob im Anschluß nach dem Einsammeln eine genehmigte Abfallbeseitigungsanlage vorhanden sei oder nicht. Auch aus einer Äußerung der zuständigen obersten Landesbehörde ergebe sich, daß bis zur endgültigen Sortierung in verwertbare und unverwertbare Bestandteile Abfallbeseitigung vorliege. Dieselbe Ansicht vertrete das fachlich zuständige Bundesministerium.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet.

Als durchgreifend erweist sich zwar nicht die Verfahrensrüge, die nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) entspricht, wohl aber die Sachrüge. Das Halten der beiden Fahrzeuge des Klägers ist nach § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 von der Kraftfahrzeugsteuer befreit.

Die Voraussetzungen nach dieser Vorschrift sind entgegen der vom FG vertretenen Auffassung erfüllt.

1. Nach den von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen, die den Senat binden (§ 118 Abs. 2 FGO), ist davon auszugehen, daß die Fahrzeuge, deren Zweckbestimmung äußerlich erkennbar ist (orangefarbene Müllwagen), - nur - für den Abtransport unsortierter Verpackungsmaterialien zum Betrieb des Klägers sowie für die Beförderung der nicht aussortierten Bestandteile zur Mülldeponie eingesetzt werden, und daß die abfallrechtlich erforderliche Genehmigung vorliegt. Zu Unrecht hat die Vorinstanz entschieden, daß im Streitfall Abfallbeseitigung nicht betrieben werde.

§ 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 begünstigt die Verwendung zur Abfallbeseitigung im Sinne des Abfallbeseitigungsgesetzes (AbfG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Januar 1977 (BGBl I 1977, 41, 288) in der jeweils geltenden Fassung. Maßgebend für die rechtliche Beurteilung ist zunächst das AbfG in der vor dem 1. November 1986 geltenden Fassung. Abfälle sind danach (§ 1 Abs. 1 AbfG) bewegliche Sachen, deren sich der Besitzer entledigen will (sog. subjektiver Abfallbegriff) oder deren geordnete Beseitigung zur Wahrung des Wohls der Allgemeinheit geboten ist (objektiver Abfallbegriff). Die Abfallbeseitigung - jetzt: Abfallentsorgung - umfaßt das Einsammeln, Befördern, Behandeln, Lagern und Ablagern der Abfälle (§ 1 Abs. 2 AbfG). Kraftfahrzeugsteuerrechtlich begünstigt ist die Beförderung von Abfällen.

Im Streitfall handelt es sich um die Beseitigung von Stoffen, die jedenfalls Abfälle im Sinne des subjektiven Abfallbegriffs sind. Zwar ist es richtig, daß der Abtransport von industriellen Reststoffen zur weiteren Verwertung keine Abfallbeseitigung darstellt (amtliche Begründung zu § 3 Nr. 4 Buchst. b KraftStG 1979 in BTDrucks 8/1679, S. 17; Klein/Olbertz, Kraftfahrzeugsteuergesetz, 2. Aufl. 1987, § 3 Anm. 5). Auch ist davon auszugehen, daß Stoffe, die aufgrund des Entledigungswillens ihrer Besitzer zunächst Abfälle sind, wieder zu Nichtabfällen werden können, wenn der Neubesitzer selbst keinen Entledigungswillen hat, er die Stoffe vielmehr zur weiteren Verwertung übernimmt (vgl. Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 18. März 1983 7 B 22.83, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des BVerwG, 451.22 AbfG Nr. 13; FG Münster, Urteil vom 19. August 1982 VIII 3204/81, Entscheidungen der Finanzgerichte 1983, 81 - insoweit rechtskräftig -; anders: Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer, 3. Aufl. 1981, Abschn. 16 c, cc = S. 172). Ein Fall dieser Art liegt aber hier nicht vor.

Was der Kläger übernimmt, sind unsortierte, mit Entledigungswillen ihrer Besitzer weggegebene Materialien, als solche (unsortiert) weder objektiv noch subjektiv - nach dem Willen des Klägers - "industrielle Reststoffe" o.ä. Insgesamt gesehen sind diese Stoffe Abfälle, wie sich auch aus der Art ihrer Beförderung (in Müllwagen) ergibt. Die Trennung in brauchbare und nicht brauchbare Stoffe findet erst nach beendetem Abtransport statt, also erst im Anschluß an den Einsatz der Fahrzeuge. Erst mit dem Aussortieren entsteht das Wirtschaftsgut, dessen Verwertung bezweckt ist (vgl. auch Möllinger, Abfallrecht und Kraftfahrzeugsteuer, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1989, 42, 46, sowie - nunmehr - § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG in der Fassung des Gesetzes vom 27. August 1986, BGBl I 1986, 1410). Ob in dem Aussortieren noch eine zur Abfallbeseitigung rechnende "Behandlung" zu sehen ist (§ 1 Abs. 2 AbfG), braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls liegt entgegen der Ansicht des FA keine schon mit dem Einsammeln beginnende Verwertung vor.

Das FG hält die eingesammelten Verpackungsmaterialien für den Rohstoff, der - nach Aussonderung der nicht verwertbaren Bestandteile - an Papierfabriken geliefert wird. Es kann dahinstehen, ob dieser Beurteilung zu folgen wäre, wenn es sich nahezu ausschließlich um Papier oder dergl. mit ganz geringfügigen anderen Stoffen handelte. Der Anteil der nicht aus Papier bestehenden Materialien ist nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ("Verpackungsmaterialien überwiegend aus Papier bzw. Pappe, aber auch aus anderen Stoffen ...") nicht so unerheblich, daß vom Einsammeln und Befördern industrieller Reststoffe mit nur ganz geringen Fremdbestandteilen auszugehen wäre. Hier handelt es sich, wie ausgeführt, insgesamt - zunächst - um Abfälle.

Für seine gegenteilige Auffassung kann das FG sich nicht auf die von ihm angeführte Rechtsprechung berufen. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 144, 465, BStBl II 1985, 716 die Frage offengelassen, ob im damals entschiedenen Falle das Fahrzeug, für dessen Halten Kraftfahrzeugsteuerbefreiung begehrt wurde (Abtransport von Containern mit Altglas), zur Abfallbeseitigung verwendet wurde, und allein auf das Fehlen der abfallrechtlichen Einsammlungs- und Beförderungsgenehmigung abgestellt. Das BVerwG hat (a.a.O.) entschieden, daß Abfall im Sinne des subjektiven Abfallbegriffs nicht Abfall zu bleiben braucht, die Eigenschaft als Abfall vielmehr verlorengeht, wenn die Sache objektiv kein Abfall ist und der Neubesitzer keinen Entledigungswillen hat. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß unsortierte Verpackungsmaterialien, von den Besitzern mit Entledigungswillen weggegeben, im Hinblick auf die in ihnen - noch ungetrennt - enthaltenen verwertbaren Stoffe von Anfang an nicht als Abfälle angesehen werden können. Ihrer Beurteilung als "Abfälle" steht auch nicht entgegen, daß sie nur zum Teil in die Deponie - Abfallbeseitigungsanlage im Sinne von § 4 Abs. 1 AbfG - gebracht werden. Es ist nicht ersichtlich, daß sie - insgesamt - nicht dort abgelagert werden könnten. Im übrigen käme auch die Sortieranlage des Klägers für die Zulassung als Abfallbeseitigungsanlage (vgl. § 7 AbfG) in Betracht. Der Umstand, daß der Kläger durch seinen Geschäftsbetrieb wirtschaftlichen Nutzen zieht, schließt die Steuerbefreiung nicht aus (vgl. BFH, Urteil vom 14. Januar 1969 II R 71/67, BFHE 95, 227, 232, BStBl II 1969, 408; Senat, Urteil vom 13. September 1988 VII R 45/87, BFH/NV 1989, 324).

2. Neben einer ausschließlichen Verwendung zur Abfallbeseitigung - im Streitfall gegeben mit Rücksicht auf den Einsatz der Fahrzeuge zum Abtransport der unsortierten Materialien und der Beförderung der nicht aussortierten Stoffe zur Deponie - ist weitere Voraussetzung der Steuerbefreiung, daß die abfallrechtliche Einsammlungs- oder Beförderungsgenehmigung nach § 12 AbfG vorliegt (§ 3 Nr. 4 Buchst. b Satz 4 KraftStG 1979). Auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Nach den von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen hatte der Kläger schon vor Ergehen der angefochtenen Kraftfahrzeugsteuerbescheide die Genehmigung beantragt; sie wurde am 14. April 1981 erteilt ("Haus- und Sperrmüll") und am 16. Dezember 1981 erweitert ("Verpackungsmaterial und Kartonagen"). Das FG geht selbst davon aus, daß eine abfallrechtliche Genehmigung vorliegt. Unter diesen Umständen muß der Vorentscheidung entnommen werden, daß diese Genehmigung die Verwendung der Fahrzeuge zur Abfallbeseitigung in den Besteuerungszeiträumen abdeckt. Inwieweit der Kläger die Auflage erfüllt, die Abfälle ohne Zwischenlagerung zur Landkreisdeponie zu bringen, ist für die rechtliche Beurteilung unerheblich, da die Wirksamkeit des Verwaltungsakts nicht davon abhängt, daß die Auflage erfüllt wird (vgl. für das Abgabenrecht Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 120 AO 1977 Tz. 7).

3. Durch das Inkrafttreten des neuen AbfG vom 27. August 1986 hat sich die hier maßgebende Rechtslage nicht geändert (wegen der Erweiterung des Abfallbegriffs auf "Recycling"-Stoffe in den - hier allerdings nicht vorliegenden - Fällen der Überlassung an die entsorgungspflichtige Körperschaft oder den von dieser beauftragten Dritten vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG n.F.). Soweit § 1 Abs. 3 Nr. 7 AbfG n.F. zutreffe, eine abfallrechtliche Genehmigung mithin nicht erforderlich sein sollte, gilt § 3 Nr. 4 letzter Satz - 2. Alternative - KraftStG 1979.