| Home | Index | EStG | Neuzugang | Impressum  
       

 

 

 

 

 

  BFH-Urteil vom 14.11.1989 (VIII R 102/87) BStBl. 1990 II S. 545

Gibt das FG der Klage statt und überträgt die Errechnung der Steuer dem FA, dann ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, wenn das FA, nachdem es Revision eingelegt hat, unter Hinweis auf § 164 Abs. 2 AO 1977 den Steuerbetrag in einem Steuerbescheid nicht nur entsprechend der Auflage des FG, sondern darüber hinaus unter Berücksichtigung weiterer unstreitiger Besteuerungsgrundlagen neu festsetzt.

VGFGEntlG Art. 3 § 4; AO 1977 § 164 Abs. 2; FGO § 138.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Unter den Beteiligten ist streitig, ob Erträge aus einem GmbH-Anteil, an dem der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) seinen minderjährigen Töchtern (Beigeladene zu 1 und 2) ein Nießbrauchsrecht eingeräumt hat, ihm oder den Töchtern zuzurechnen sind.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Der Tenor des finanzgerichtlichen Urteils lautet u.a.:

"1. Unter teilweiser Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1984 vom 27. Juni 1986 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 1987 (Rbh-Liste-Nr. 246 ESt 84) wird der Beklagte angewiesen, die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Kläger um 125.000 DM herabzusetzen."

In den Entscheidungsgründen führt das FG aus, die Fassung des Tenors beruhe auf Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG).

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) legte am 24. November 1987 die vom FG zugelassene Revision ein und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben.

Am 16. Dezember 1987 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1984, in dem es die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des finanzgerichtlichen Urteils, einiger Änderungsmitteilungen sowie der Einspruchsentscheidung vom 18. Januar 1987 neu festsetzte. In den Erläuterungen des Änderungsbescheids steht u.a.:

"Der Bescheid ist nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt bestehen.",

und ferner

"Die Änderung beruht auf dem Vorbescheid des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz vom 14.10.87 gemäß Art. 3 § 4 VGFGEntlG.

Dieser Bescheid wird zum Gegenstand des weiteren Verfahrens gemacht."

Am 11. März 1988 erließ das FA erneut einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. In den Erläuterungen heißt es u.a.:

"Der Bescheid ist nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt bestehen."

"Der Änderung liegt Ihr Antrag vom 7.1.88 zugrunde. Dieser Bescheid wird zum Gegenstand des weiteren Verfahrens gemacht."

Das FA schickte Kopien beider Bescheide an den erkennenden Senat und erklärte u.a.:

"Die Einkommensteuerfestsetzung 1984 wurde gemäß Art. 3 § 4 VGFGEntlG nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Die Gründe für die Änderung sind den beigefügten Anlagen zu den Bescheiden zu entnehmen. .... Der Bescheid vom 11.3.1988 wird gemäß § 121 i.V.m. § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht."

Auf Anfrage des Senats vom 21. März 1988, ob die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffes durch die Änderungsbescheide berührt worden seien, erklärte das FA am 31. März 1988:

"Die Änderung der ESt-Festsetzung 1984 vom 16.12.1987 beruht auf dem Vorbescheid des Finanzgerichtes Rheinland-Pfalz vom 14.10.1987 gemäß Art. 3 § 4 VGFGEntlG.

Durch diesen Bescheid sind die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffes berührt, da das Finanzamt angewiesen wurde, die Einkünfte aus Kapitalvermögen der Eheleute L um 125.000 DM herabzusetzen."

Die Kläger erklärten auf die Anfrage des Senats, sie seien durch die geänderten Bescheide klaglos gestellt; der ursprüngliche belastende Einkommensteuerbescheid sei vom FA zurückgenommen worden. Nach ihrer Auffassung sei die Hauptsache erledigt.

Demgegenüber ist das FA der Auffassung, die Minderung der Kapitaleinkünfte in den Änderungsbescheiden resultiere allein aus Art. 3 § 4 VGFGEntlG. Das FA sei verpflichtet, diese Berechnung unverzüglich durchzuführen, auch wenn das finanzgerichtliche Urteil angefochten werde. Der Streitgegenstand ändere sich damit nicht, weil das FA den Betrag lediglich in Stellvertreterfunktion anstelle des Gerichts berechne.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis des FA ist auch dann nicht weggefallen, wenn der Rechtsstreit durch den Erlaß der Bescheide vom 16. Dezember 1987 und vom 11. März 1988 in der Hauptsache erledigt worden sein sollte. Es ist nunmehr über die Erledigung der Hauptsache zu entscheiden, nachdem das FA im Gegensatz zu den Klägern die Ansicht vertritt, daß die Erledigung nicht eingetreten sei. Dies ist ein besonderer Fall der Änderung des Streitgegenstandes, die auch im Revisionsverfahren noch zulässig ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Januar 1971 VII R 32/69, BFHE 101, 201, BStBl II 1971, 307).

Diese Frage ist getrennt von der Frage der Zulässigkeit der Revision zu entscheiden (§ 126 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; BFH-Zwischenurteil vom 15. Juni 1983 II R 30/81, BFHE 138, 517, BStBl II 1983, 680). In diesem Urteil hatte der BFH allerdings darüber zu entscheiden, ob das Rechtsschutzbedürfnis durch einen Verwaltungsakt entfallen sein könnte, der vor Einlegung der Revision erlassen worden war. Demgegenüber sind die o.a. Bescheide nach Einlegung der Revision ergangen.

Dieser Unterschied berührt das Rechtsschutzbedürfnis des FA jedoch nicht, weil sich die Frage der Erledigung der Hauptsache in beiden Fällen in gleicher Weise stellt.

Die Revision des FA hat jedoch keinen Erfolg. Auf Antrag der Kläger ist vielmehr die Erledigung der Hauptsache festzustellen (BFH-Urteil vom 24. Oktober 1984 II R 30/81, BFHE 142, 357, BStBl II 1985, 218). Durch die Einkommensteuerbescheide vom 16. Dezember 1987 und vom 11. März 1988 hat sich die Hauptsache erledigt. In diesen Bescheiden hat das FA den angegriffenen Einkommensteuerbescheid 1984 u.a. insofern geändert, als es die Kapitaleinkünfte um den streitigen Betrag gemindert hat. Nach Wortlaut und Inhalt handelt es sich bei diesen Bescheiden um Steuerbescheide i.S. des § 155 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), und zwar zumindest deshalb, weil darin neben der Minderung der Kapitalerträge weitere Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu einer anderen Festsetzung der Einkommensteuer geführt haben. Die Steuerfestsetzung durch die Änderungsbescheide ist an die Stelle derjenigen im früher streitigen Bescheid getreten. Dessen Regelungsinhalt haben die Änderungsbescheide in sich aufgenommen. Der ursprüngliche Bescheid ist durch die Änderungsbescheide wirkungslos geworden (BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231).

Der Umstand, daß das FA die Einkommensteuer erklärtermaßen zum Teil in Ausführung der Anweisung des FG (Art. 3 § 4 VGFGEntlG) niedriger festgesetzt hat, vermag die Ersetzung des alten geänderten Bescheides durch die Änderungsbescheide nicht zu verhindern.

Das FA hat sich nicht darauf beschränkt, den (Einkommensteuer-) Betrag unter Berücksichtigung der Angaben des FG zu "errechnen". Nur dazu war es nach dem Gesetz (Art. 3 § 4 VGFGEntlG) und auch nach dem Urteil des FG verpflichtet. Das FA hat demgegenüber Einkommensteuerbescheide erlassen, in denen es die Einkommensteuer entsprechend der Auffassung des FG neu festgesetzt hat. Hätte sich das FA darauf beschränkt, in dem Bescheid vom 16. Dezember 1987 die Einkommen unter Wegfall der streitigen Kapitaleinkünfte in Höhe von 125.000 DM und unter Hinweis auf Art. 3 § 4 VGFGEntlG neu auszuweisen, könnte ein solcher "Bescheid" als Bescheid eigener Art (vgl. Ziemer u.a., Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 12474 ff., insbesondere 12479; Rössler, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1985, 272; Die Information über Steuer und Wirtschaft - Inf - 1981, 368; insoweit a.A. Wassermeyer, DStR 1985, 76, 273) oder als Verwaltungsakt, dessen Regelung sich auf die Steuererrechnung beschränkt, anzusehen sein. Der I. Senat des BFH hat allerdings auch einen solchen Bescheid als Bescheid i.S. des § 155 Abs. 1 AO 1977 angesehen (Urteil vom 25. Januar 1989 I R 289/83, BFHE 156, 353, BStBl II 1989, 620). Der erkennende Senat braucht diese Frage nicht zu entscheiden, weil das FA im Änderungsbescheid vom 16. Dezember 1987 und im nächsten Bescheid vom 11. März 1988 weitere Änderungen vorgenommen hat.

Es kann auch offenbleiben, ob der Regelungsinhalt des ursprünglichen Bescheids - soweit er von höheren Kapitaleinkünften ausgeht - durch die Änderungsbescheide unberührt geblieben ist. Offen kann schließlich auch bleiben, ob bei den Änderungsbescheiden zwischen dem Regelungsinhalt und einem rein rechnerischen Teil unterschieden werden könnte. Für beide Alternativen hätte es einer klaren Äußerung durch das FA bedurft, die keinen Zweifel daran gelassen hätte, welchen Inhalt die Steuerbescheide haben sollen (§§ 119 Abs. 1, 124 AO 1977). Ungenügend ist der Hinweis im Bescheid vom 16. Dezember 1987, daß die Änderungen auf dem Vorbescheid des FG und Art. 3 § 4 VGFGEntlG beruhen, sowie die (prozessual wirkungslose) Erklärung in beiden Bescheiden, daß sie nunmehr Gegenstand des Rechtsstreits seien. Weder der Hinweis noch die Erklärung begründen für den Senat Zweifel an der inhaltlichen Bestimmtheit der Änderungsbescheide, denn aus dem Hinweis auf § 164 Abs. 2 AO 1977 ergibt sich, daß die geänderte Steuerfestsetzung nur den Vorbehalten dieser Vorschrift unterliegen soll.

Angesichts dessen kann dahinstehen, ob das FA auch durch eine Rechtsmittelbelehrung den Anschein erweckt hat, daß es sich um normale Änderungsbescheide handelte.

Die fehlende Rechtskraft der Vorentscheidung hemmt die Wirksamkeit der Änderungsbescheide nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 17. November 1981 VIII R 193/80, BFHE 135, 21, BStBl II 1982, 263). Einen Antrag nach § 68 FGO haben die Kläger nicht gestellt.

Die Erledigung der Hauptsache ist durch Urteil bzw. Vorbescheid festzustellen, da das FA der Erledigungserklärung der Kläger widersprochen hat (vgl. BFHE 142, 357, BStBl II 1985, 218).

Das Urteil des FG ist für wirkungslos zu erklären. Anders als bei beiderseitigen Erledigungserklärungen wird das Urteil des FG nicht von selbst wirkungslos (BFHE 142, 357, BStBl II 1985, 218).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Auch wenn das Urteil des FG wegen Erledigung der Hauptsache wirkungslos wurde, ist das FA sachlich in vollem Umfang unterlegen.