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  BFH-Urteil vom 28.2.1990 (I R 85/87) BStBl. 1990 II S. 597

1. Die Steuerermäßigung des § 14 des 3. VermBG steht auch Kapitalgesellschaften zu, die am 1. Oktober des dem Veranlagungszeitraum vorausgegangenen Kalenderjahres noch nicht existierten.

2. An die Stelle des in § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG genannten Stichtages tritt in diesen Fällen der Zeitpunkt des Beginns der Körperschaftsteuerpflicht.

3. VermBG § 14 Abs. 1 Satz 6.

Vorinstanz: FG München (EFG 1987, 531)

Sachverhalt

I.

Streitig ist, ob der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) für das Streitjahr 1980 die Steuervergünstigung nach § 14 des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (3. VermBG) in der Fassung vom 15. Januar 1975 (BGBl I 1975, 257, BStBl I 1975, 178) zusteht.

Die Klägerin ist durch Gesellschaftsvertrag vom 1. Februar 1980 im Rahmen einer Betriebsaufspaltung gegründet worden. Ihre Geschäftstätigkeit begann bereits am 1. Januar 1980. Die Klägerin übernahm von der A-KG den Fertigungs- und Vertriebsbereich sowie alle Arbeitnehmer. Die Zahl der Arbeitnehmer betrug vom Beginn der Geschäftstätigkeit an stets mehr als 50. Die Klägerin erbrachte im Jahr 1980 ihren Arbeitnehmern vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 35.956 DM. In der Körperschaftsteuererklärung 1980 machte sie eine Steuerermäßigung gemäß § 14 des 3. VermBG in Höhe von 6.000 DM geltend. Das damals zuständige Finanzamt X erließ einen Körperschaftsteuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung, der der Steuererklärung entsprach.

Im Anschluß an eine Außenprüfung vertrat der inzwischen zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Auffassung, daß die Steuerermäßigung zu Unrecht gewährt worden sei, da die Klägerin bereits am Tage der Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit (1. Januar 1980) mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe. Im angefochtenen Steuerbescheid vom 24. Februar 1986 wurde der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben und die Steuerermäßigung nicht gewährt.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 531 veröffentlichten, angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen, da die Klägerin bei ihrer Gründung bereits mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 14 des 3. VermBG.

Sie habe die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG nach dessen eindeutigem Wortlaut erfüllt, da sie am 1. Oktober 1979 nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Körperschaftsteuer für 1980 um 6.000 DM zu mindern.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Der Klägerin steht im Streitjahr 1980 kein Anspruch auf eine Steuerermäßigung gemäß § 14 Abs. 1 des 3. VermBG zu.

Gemäß § 14 des 3. VermBG können Steuerpflichtige, die ihren Arbeitnehmern bestimmte vermögenswirksame Leistungen erbringen, die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer um 30 v.H. der Summe der vermögenswirksamen Leistungen, höchstens um 6.000 DM ermäßigen. Voraussetzung für die Gewährung der Steuerermäßigung ist, daß der Steuerpflichtige am 1. Oktober des dem Veranlagungszeitraum vorangegangenen Kalenderjahres insgesamt nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt hat (§ 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG).

2. Das Gesetz enthält entgegen der Auffassung der Klägerin keine klare Regelung für Gesellschaften, die am 1. Oktober des vorangegangenen Jahres noch nicht bestanden.

Aus § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG ist eindeutig nur zu entnehmen, daß Unternehmen, die am Stichtag mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigten, keine Steuerermäßigung beanspruchen können. Die Klägerin vertritt die Auffassung, daß aus diesem Wortlaut abzuleiten sei, daß eine am Stichtag noch nicht existierende Gesellschaft die Steuerermäßigung im Folgejahr stets erhalten könne, da sie am Stichtag jedenfalls nicht mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigt habe. Aus dem Wortlaut könnte jedoch auch entnommen werden, daß der Gesetzgeber von der Existenz des Steuerpflichtigen am Stichtag ausging und daß für später entstandene Gesellschaften keine Steuervergünstigung gewährt werden sollte.

3. Die erkennbaren Ziele des Gesetzgebers sprechen gegen einen Ausschluß aller neu gegründeten Gesellschaften von den Vergünstigungen des § 14 Abs. 1 des 3. VermBG. Die übrigen Regelungen des Gesetzes sprechen vielmehr dafür, daß der Gesetzgeber alle Unternehmen begünstigen wollte, die im Veranlagungszeitraum vermögenswirksame Leistungen erbrachten und die Größenmerkmale des Gesetzes nicht überschritten.

4. Es besteht jedoch für neugegründete Unternehmen eine Regelungslücke. Das ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. § 14 Abs. 1 Satz 6 des 3. VermBG wurde aus § 14 Abs. 1 Satz 6 des Zweiten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (2. VermBG) vom 1. Juli 1965 (BGBl I 1965, 585, BStBl I 1965, 346) übernommen. Die letztere Vorschrift sollte nach der Begründung des Entwurfs des 2. VermBG gewährleisten, daß die Vergünstigung "vor allem für mittelständische Unternehmen fühlbar wird" (BTDrucks IV/2814 S. 9). Der Gesetzgeber wollte nur Unternehmen begünstigen, die eine gewisse Arbeitnehmerzahl nicht überschritten. § 14 Abs. 1 des 2. VermBG ist nach der Regierungsbegründung des Gesetzentwurfs (vgl. BTDrucks IV/2814 S. 9) rechtstechnisch dem § 21 des Berlinhilfegesetzes (BHG) vom 19. August 1964 (BGBl I 1964, 675, BStBl I 1964, 509) nachgebildet. Anders als im BHG hat der Gesetzgeber jedoch begünstigte und nicht begünstigte Unternehmen nicht nach der durchschnittlichen Arbeitnehmerzahl im Veranlagungszeitraum, sondern nach der Zahl der an einem Stichtag des Vorjahres beschäftigten Arbeitnehmer voneinander abgegrenzt.

Mit diesem Stichtagskriterium sollte nicht das dem BHG und dem 2. VermBG gemeinsame Prinzip geändert werden, die Vergünstigung auf kleinere Unternehmen zu beschränken. Es sollte lediglich dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden, zeitlich vor der Vereinbarung vermögenswirksamer Leistungen die angestrebte Steuerermäßigung abschätzen zu können (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 14 des 3. VermBG Anm. 13). Der Gesetzgeber versuchte, ein für die Praxis einfacheres Kriterium zu schaffen als im BHG, das eine Beurteilung erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zuließ. Dabei ist die Möglichkeit eines im Vorjahr noch nicht existierenden Steuerpflichtigen offensichtlich übersehen worden, zumal die Vergünstigung in erster Linie natürliche Personen betraf, bei denen diese Frage nicht auftrat.

5. Soweit ein Gesetz Regelungslücken aufweist, die als planwidrige Unvollkommenheit anzusehen sind, ist die Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen zur Lückenausfüllung berechtigt (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Januar 1984 VI R 194/80, BFHE 140, 246, BStBl II 1984, 315; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 4 AO 1977 Tz. 120). Ist der Gesamtplan des Gesetzgebers klar ersichtlich, so können ungewollte Unvollständigkeiten des Gesetzes durch Schließung der Lücken behoben werden. Bringt der bloße Gesetzeswortlaut das teleologische Konzept eines Gesetzes nur bruchstückhaft oder lückenhaft zum Ausdruck, liegt die Vervollkommnung des unvollständigen Gesetzestextes zu einem stimmigen Konzept im Auftrag der Rechtsanwendung (Tipke, Grenzen der Rechtsfortbildung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht, S. 13 ff.). Mit der entsprechenden Lückenausfüllung wird dem Gesetzgeber nicht der Vorrang streitig gemacht.

6. Das FG hat zutreffend angenommen, daß anstelle des auf neugegründete Gesellschaften nicht anwendbaren Stichtags im Vorjahr ein Hilfsstichtag zu wählen ist (vgl. insoweit FG Münster, Urteil vom 13. September 1979 III-II 2711/77 F, EFG 1980, 206).

a) Ohne Stichtagsregelung könnte die Beschäftigtenzahl nur entsprechend der Durchschnittsregelung des § 21 BHG geprüft werden. Diese erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums mögliche Prüfung wollte der Gesetzgeber jedoch durch das Stichtagskriterium des 2. und 3. VermBG vermeiden. Aus diesem Grunde muß die Gesetzeslücke durch eine Stichtagsregelung ausgefüllt werden.

b) Als Stichtag ist der Beginn der Geschäftstätigkeit, frühestens der Beginn der Körperschaftsteuerpflicht anzusetzen. Nur ein früher Stichtag entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, die Steuervergünstigungen bereits vor Abschluß der Vereinbarungen über die vermögenswirksamen Leistungen überschaubar zu machen. Diesem Ziel entspricht ein Stichtag, der dem tatsächlichen Geschäftsbeginn der Gesellschaft möglichst nahekommt, jedoch nicht vor Beginn der Körperschaftsteuerpflicht liegt.

c) Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob die Körperschaftsteuerpflicht der Klägerin vor Abschluß des Gründungsvertrages begann. Das ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei kurzfristiger Rückbeziehung der Vereinbarungen des Gründungsvertrags unter bestimmten Voraussetzungen möglich (vgl. dazu BFH-Urteile vom 5. Dezember 1963 IV 432/62, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 426; vom 1. Oktober 1969 I R 120/67, BFHE 97, 27, BStBl II 1969, 742; vom 24. Januar 1979 I R 202/75, BFHE 128, 33, BStBl II 1979, 581; vom 9. April 1981 I R 157/77, BFHE 134, 404, BStBl II 1982, 362; vgl. auch Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 1 KStG Anm. 86). Da die Klägerin jedoch sowohl zu Beginn ihrer Geschäftstätigkeit (1. Januar 1980) als auch bei Abschluß des Gründungsvertrages (1. Februar 1980) nach den Feststellungen des FG mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigte, steht ihr in keinem Fall ein Anspruch auf Steuerermäßigung nach § 14 Abs. 1 des 3. VermBG zu.