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  BFH-Urteil vom 16.3.1990 (VI R 90/86) BStBl. 1990 II S. 610

Ob sich die Änderung einer Steuerfestsetzung zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt bzw. ob die Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt, ist im Fall einer nachträglich behaupteten Nettolohnvereinbarung unter Berücksichtigung der anzurechnenden Abzugssteuern zu beurteilen.

AO 1977 §§ 172 Abs. 1 Nr. 2a, 173 Abs. 1; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2.

Vorinstanz: FG Bremen (EFG 1986, 432)

Sachverhalt

Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Monaten Januar bis August oder September 1975 neben weiteren Arbeitsverhältnissen auch in einer Gaststätte angestellt. Auf der das Gaststättenarbeitsverhältnis betreffenden Lohnsteuerkarte ist der Lohn in Höhe von 2.712 DM bescheinigt. Die Spalte, in der die einbehaltene Lohnsteuer anzugeben ist, ist durch Striche ausgefüllt. In seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 1975 gab der Kläger neben seinen Lohnbezügen aus den übrigen Arbeitsverhältnissen den Lohn aus dem Gaststättenarbeitsverhältnis als Bruttolohn mit 2.712 DM an. Ferner übertrug er die auf den Lohnsteuerkarten bescheinigten Lohnsteuerabzugsbeträge aus den übrigen Arbeitsverhältnissen von den Lohnsteuerkarten in die Einkommensteuererklärung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte die Einkommensteuerveranlagung 1975 durch Einkommensteuerbescheid vom 7. Juli 1976 erklärungsgemäß durch.

Mit Schreiben vom 15. März 1977 beantragt der Kläger, den bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid 1975 gemäß § 172 der Abgabenordnung (AO 1977) zu seinen Ungunsten zu ändern. Er behauptete, mit dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen zu haben. Ausgezahlt worden sei ihm nicht der bescheinigte Betrag von 2.712 DM, sondern ein Nettolohn von 2.828 DM. Der Bruttolohn habe demgemäß 3.406,51 DM betragen. Die Differenz in Höhe von 578,51 DM bestehend aus 535,95 DM Lohnsteuer und 42,56 DM Kirchensteuer habe der Arbeitgeber berechnet und einbehalten, jedoch nicht an das FA abgeführt.

Nachdem im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung bei dem Gaststätteninhaber festgestellt worden war, daß dieser die streitige Lohnsteuer weder beim Betriebsstätten-FA angemeldet noch abgeführt hatte, lehnte das FA mit Schreiben vom 15. Januar 1979 die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1975 ab.

Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hielt das Finanzgericht (FG) im ersten Rechtsgang für unzulässig, da dem Kläger für eine die Steuer heraufsetzende Änderung das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der erkennende Senat hat durch Urteil vom 8. November 1985 VI R 238/80 (BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 186) die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückverwiesen. Er hielt die Klage für zulässig. Zwar könne, so führte der erkennende Senat aus, grundsätzlich ein Einkommensteuerbescheid nicht mit der Begründung angefochten werden, es seien Lohnsteuerabzugsbeträge nicht zutreffend angerechnet worden; eine gegen die Steuerfestsetzung als solche gerichtete Klage sei unzulässig. Vorliegend behaupte der Kläger aber die Lohnsteuereinbehaltung im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung. Hier könne der Kläger die Anrechnung sämtlicher im Rahmen der behaupteten Nettolohnvereinbarung einbehaltener Lohnsteuerabzugsbeträge nur durch Änderung des Einkommensteuerbescheides erreichen. Denn nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) werde die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer nur angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfalle.

Das FG wies im zweiten Rechtsgang die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung führte es in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 432 veröffentlichten Urteil u.a. aus: Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 dürfe ein Steuerbescheid nach Eintritt der Unanfechtbarkeit nur noch zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden. Im Streitfall gehe es hingegen um eine Änderung zugunsten des Klägers, denn diesem komme es im Ergebnis darauf an, weniger Einkommensteuer als bisher zu zahlen. Zwar seien Steuerfestsetzung und Steuererhebung voneinander zu unterscheiden. Durch § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG werde aber eine Art Verklammerung zwischen beiden Verfahren hergestellt, die auch bei Anwendung der Änderungsvorschriften der §§ 172 f. AO 1977 nicht außer Betracht bleiben dürfe. Es wäre ungereimt, für eine Klage, die auf eine höhere Steuerfestsetzung abziele, ein Rechtsschutzinteresse unter Hinweis auf die Besserstellung des Klägers im Anrechnungsverfahren zu bejahen, diese Beziehung zwischen beiden Verfahrensarten aber bei der Anwendung des § 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 außer acht zu lassen. Gleiches gelte auch für die Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 AO 1977. Tatsachen, die im Sinne der Nr. 2 dieser Vorschrift zu einer niedrigeren Steuer führten, seien auch solche, die den Steuerpflichtigen im Ergebnis, also nach Anrechnung einbehaltener Steuerabzugsbeträge, entlasteten. Eine Änderung nach dieser Vorschrift scheide aber aus, weil den Kläger ein grobes Verschulden daran treffe, daß die (behauptete) Nettolohnvereinbarung dem FA erst nachträglich bekanntgeworden sei. Das grobe Verschulden des Klägers habe darin gelegen, daß er den bescheinigten Bruttolohn ungeprüft in die Einkommensteuererklärung übernommen habe, obwohl dort die Frage nach dem Bruttolohn fettgedruckt gewesen sei. Dem Kläger hätte auch auffallen müssen, daß der Arbeitgeber auf der Lohnsteuerkarte die Spalte, in der die einbehaltene Lohnsteuer anzugeben sei, durch einen Strich ausgefüllt und damit zu erkennen gegeben habe, daß er keine Lohnsteuer einbehalten habe. Der Kläger sei bei Abgabe der Einkommensteuererklärung Gerichtsreferendar gewesen; man hätte von ihm eine größere Sorgfalt erwarten können als von einem durchschnittlichen Steuerpflichtigen, zumal es sich um die Auswirkungen einer so ungewöhnlichen Gestaltung wie der einer Nettolohnvereinbarung gehandelt habe.

Der Kläger beantragt mit seiner Revision, die Vorentscheidung aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1975 dahin abzuändern, daß ein Bruttolohn in Höhe von 3.406,51 DM angesetzt wird.

Er wendet sich insbesondere gegen die Feststellung des FG, ihm, dem Kläger, sei ein grobes Verschulden daran vorzuwerfen, daß die Nettolohnvereinbarung dem FA erst nachträglich bekanntgeworden sei. Er sei gar nicht in der Lage gewesen, den richtigen Bruttobetrag anzugeben, denn dieser habe sich allein aus den Berechnungen des Arbeitgebers ergeben. Er habe auch nicht wissen können, daß das FA nicht über das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung unterrichtet gewesen sei. Aufgrund der allgemein bekannten Verpflichtungen der Arbeitgeber beim Lohnsteuerabzug habe davon ausgegangen werden können, daß dem FA alle Informationen zur vollständigen Besteuerung des Sachverhalts vorgelegen hätten.

Das FA beantragt im wesentlichen mit den Gründen der Vorentscheidung, die Revision abzuweisen. Ergänzend trägt es noch vor, daß eine Nettolohnvereinbarung nicht getroffen worden sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1975 zu seinen Gunsten begehrt (§ 172 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977) bzw. eine Änderung anstrebt, die zu einer niedrigeren Steuer i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 führt. Grundsätzlich ist bei der Frage, ob sich die Änderung eines Steuerbescheides zugunsten oder zuungunsten eines Steuerpflichtigen auswirkt, allein auf den zu ändernden Bescheid abzustellen. Ebenso kann im Rahmen des § 173 Abs. 1 AO 1977 nur aus einem Vergleich der ursprünglichen mit der beabsichtigten Steuerfestsetzung abgeleitet werden, ob die beabsichtigte Änderung zu einer höheren oder niedrigeren Steuer führt. Diese Betrachtungsweise entspricht dem Grundsatz, daß der notwendige Vergleich für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert anzustellen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. August 1981 I R 78/78, BFHE 134, 3, BStBl II 1982, 100). Wenn auch die Steuerfestsetzung und die nachfolgende Anrechnung von Vorauszahlungen i.S. des § 37 EStG oder von Abzugsbeträgen unterschiedliche Verwaltungsakte sind, deren Änderung jeweils eigenen Regelungen unterliegt, so können im Hinblick auf § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG bei dem für die §§ 172 Abs. 1 Nr. 2 a und 173 Abs. 1 AO 1977 notwendigen Vergleich die anzurechnenden Abzugssteuern nicht unberücksichtigt bleiben; es ist in diesem Fall einer behaupteten Nettolohnvereinbarung danach zu fragen, ob sich die Position des Steuerpflichtigen insgesamt gesehen verbessert oder verschlechtert (gleicher Ansicht Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 14; anderer Ansicht Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 173 Rz. 11 a).

Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG kann die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer auf die Jahreseinkommensteuer nur angerechnet werden, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfaßten Einkünfte entfällt. Bisher waren bei der Einkommensteuerveranlagung 1975 nur die vom Kläger als Bruttolohn erklärten 2.712 DM erfaßt. Den Differenzbetrag von 694,51 DM, wenn von einer Nettolohnvereinbarung und damit einem Arbeitslohn in Höhe von 3.406,51 DM auszugehen wäre, begehrt der Kläger, in die Einkommensteuerveranlagung 1975 einzubeziehen. Mit einer Einbeziehung des Differenzbetrages in die Einkommensteuerveranlagung ist zugleich die Entscheidung der Streitfrage verknüpft, ob zwischen dem Kläger und dem Gaststätteninhaber eine Nettolohnvereinbarung getroffen worden ist. Diese Entscheidung bietet zugleich die Grundlage dafür, daß sämtliche im Rahmen der Nettolohnvereinbarung als einbehalten behaupteten Abzugsbeträge zugunsten des Klägers angerechnet werden können. Diese mit einer Nettolohnvereinbarung zusammenhängenden Besonderheiten lassen es geboten erscheinen, bei dem für die §§ 172 Abs. 1 Nr. 2 a und 173 Abs. 1 AO 1977 erforderlichen Vergleich auch die anrechenbaren Abzugssteuern zu berücksichtigen.

Da somit der Kläger letztlich eine Änderung des Einkommensteuerbescheides 1975 begehrt, die zu einer niedrigeren Steuer führt, kommt als Änderungsvorschrift allein § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Eine Änderung nach dieser Vorschrift setzt voraus, daß den Kläger an dem nachträglichen Bekanntwerden einer - unterstellt, sie ist getroffen worden - Nettolohnvereinbarung kein grobes Verschulden trifft. Das FG hat insoweit in nicht zu beanstandender Weise entschieden, daß den Kläger an einem nachträglichen Bekanntwerden der (behaupteten) Nettolohnvereinbarung ein grobes Verschulden vorzuwerfen ist. Die Würdigung des FG ist schon deshalb überzeugend, weil eine Nettolohnvereinbarung eine klare und eindeutige Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Gaststätteninhaber erforderte. Dem Kläger mußte diese Vereinbarung bei seinen Eintragungen in die Einkommensteuererklärung bewußt sein. Wenn er dennoch den Betrag von 2.712 DM als Bruttolohn in die Einkommensteuererklärung 1975 eintrug, so spricht dies dafür, daß er sich grob schuldhaft keine Gedanken über den Inhalt seiner Eintragungen gemacht hatte.