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  BFH-Urteil vom 7.11.1990 (X R 143/88) BStBl. 1991 II S. 325

1. Die bei Erteilung unzutreffender Spendenbescheinigungen nur ausnahmsweise denkbare Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben (BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990) setzt in jedem Fall Arglosigkeit des Spenders bzw. des für ihn in die "Spendenabwicklung" eingeschalteten Dritten voraus.

2. Der Steuerpflichtige muß sich im Rahmen des Steuerrechtsverhältnisses das Verschulden eines zur Erfüllung seiner Verpflichtungen eingeschalteten Erfüllungsgehilfen grundsätzlich zurechnen lassen.

AO a.F. § 144 Abs. 1 Satz 1, § 145 Abs. 2 Nr. 1, § 146a Abs. 3, § 166 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 4; AO 1977 § 150 Abs. 2 und Abs. 4, § 152 Abs. 1 Satz 3, § 153; EStG § 10b; EStDV § 49; BGB § 278.

Vorinstanz: FG München

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau wurden im Streitjahr 1976 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger machte in der 1978 abgegebenen Einkommensteuererklärung für 1976 eine Zuwendung an die Staatsbürgerliche Vereinigung .... Köln (SV) über 25.000 DM zum Abzug als Spende geltend. Die Spendenquittung der SV vom 7. September 1976 verwies auf die Anerkennung der SV als begünstigte juristische Person i.S. des § 49 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) i.d.F. vom 13. März 1959 (BGBl I 1959, 120) durch die Zweite Verordnung über den Abzug von Spenden zur Förderung staatspolitischer Zwecke vom 23. Oktober 1956 (BStBl I 1956, 457) und enthielt die ausdrückliche Bestätigung, daß die SV "die ihr zugewendeten Beträge und ihre übrigen Mittel nur für staatspolitische Zwecke, aber nicht für die unmittelbare oder mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwendet". Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ließ die Spende in vollem Umfang zum Abzug zu.

Nach einer Überprüfung der Geschäftsführung der SV stellten die Staatsanwaltschaft und die Steuerfahndungsstelle .... in gemeinsamen Vermerken vom 28. Dezember 1982/16. Februar 1983 fest, daß sämtliche Spendeneingänge nach Abzug der bei der SV entstandenen Kosten und einiger weniger anderer Positionen an im Deutschen Bundestag vertretene Parteien weitergeleitet worden waren. Daraufhin fand im Jahre 1983 auch beim Kläger eine Steuerfahndungsprüfung statt. Aufgrund der hierbei getroffenen Feststellungen gelangte das FA zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem strittigen Betrag von 25.000 DM nicht um eine Spende i.S. des § 10b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) handelte, sondern um eine (nach Ausschöpfung der Höchstbetragsgrenze) nicht abziehbare Spende an eine politische Partei (§ 10b Abs. 2 EStG). Das FA erließ am 8. Mai 1984 einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Einkommensteueränderungsbescheid, der aus nicht im Streit befindlichen Gründen durch Bescheid vom 15. Oktober 1986 erneut geändert wurde. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit der Begründung ab, das FA habe den Einkommensteuerbescheid für 1976 zu Recht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 geändert. Es stehe fest, daß die der SV zugewendeten Beträge an politische Parteien weitergereicht worden seien und es sich nicht um Ausgaben zur Förderung staatspolitischer Zwecke i.S. des § 10b Abs. 1 EStG gehandelt habe. Dies sei dem FA bei Erlaß des erstmaligen Einkommensteuerbescheides für 1976 sowie der nachfolgenden Änderungsbescheide bis einschließlich 1982 nicht bekannt gewesen. Die Behauptung des Klägers über die allgemeine Kenntnis der Finanzverwaltung von der sog. Schattenfinanzierung der politischen Parteien sei unbeachtlich. Maßgeblich sei der Wissensstand des für die Steuersache zuständigen Amtsträgers im Zeitpunkt seiner abschließenden Willensbildung (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1985 IV R 114/82, BFHE 143, 520, BStBl II 1985, 492; vom 18. März 1987 II R 226/84, BFHE 149, 141, BStBl II 1987, 416). Dem Erlaß des Änderungsbescheids vom 8. Mai 1984 stünden auch weder Verjährung noch allgemeine Grundsätze des Vertrauensschutzes entgegen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger selbst die planmäßige Weiterleitung der Spende an eine Partei gekannt habe. Sollte lediglich seine mit der "Spendenabwicklung" betraute Sekretärin diese Kenntnis gehabt haben, sei deren Verhaltensweise ihm zuzurechnen (zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO 1977: Urteil des BFH vom 3. Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; zu § 169 Abs. 2 Satz 3 AO 1977: Urteil des BFH vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131). Der Kläger habe auch - was für die Abziehbarkeit der fehlgeschlagenen Spende nach den Grundsätzen von Treu und Glauben bedeutsam sei - nicht schlüssig dargetan, warum ein Rückgabeverlangen keinen Erfolg gehabt habe oder aussichtslos gewesen sei. Die vom Kläger angebotenen Beweise müßten mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erhoben werden.

Mit der Revision rügt der Kläger Verfahrensmängel und die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und die ihm obliegende Fürsorgepflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) verletzt. Das angefochtene Urteil sei außerdem mit § 10b EStG 1975 und den Grundsätzen von Treu und Glauben unvereinbar.

Der Kläger hat zunächst beantragt, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Nunmehr - nach Ablauf der Begründungsfrist - beantragt er, unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 15. Oktober 1986 und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 1987 die Einkommensteuer 1976 unter Berücksichtigung einer weiteren Spende von 8.000 DM (statt bisher 25.000 DM) neu festzusetzen.

Die Beschränkung des Klageantrags begründet er damit, daß die SV aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs vom 3. März 1989 17.000 DM der gezahlten 25.000 DM an ihn zurückgezahlt habe.

Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist auch nach Maßgabe des zuletzt gestellten Antrags unbegründet. Im Ergebnis zu Recht haben FA und FG den begehrten Spendenabzug versagt.

1. Die Voraussetzungen des § 10b EStG i.V.m. § 49 EStDV sind nicht erfüllt. Nach dieser Regelung sind Zuwendungen zur Förderung staatspolitischer Zwecke u.a. nur dann abziehbar, wenn der Spendenempfänger eine durch besondere Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates anerkannte juristische Person ist, die nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich staatspolitische Zwecke verfolgt und weder eine politische Partei ist noch ihre Mittel für die unmittelbare oder mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwendet. Zwar war die SV durch die Zweite Spendenverordnung als eine förderungswürdige juristische Person i.S. der §§ 10b EStG, 49 EStDV und später (nach einer Satzungsänderung) auch als eine Organisation anerkannt worden, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolgt und daher von der Körperschaftsteuer befreit ist (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - 1968; vgl. auch BFH-Urteil vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990). Die hiernach bestätigte stimmte jedoch mit der wirklichen Lage nicht überein: Tatsächlich hat die SV nämlich - so die den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) - die Spenden größtenteils satzungswidrig an politische Parteien weitergegeben.

2. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die Steuernachforderung noch nicht verjährt war.

Die Verjährung richtet sich gemäß Art. 97 § 10 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) noch nach den §§ 143 ff. der Reichsabgabenordnung (AO) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 - AOÄndG - (BGBl I 1965, 1356, BStBl I 1965, 643), weil der hier strittige Steueranspruch für 1976 mit Ablauf des Jahres 1976 entstanden ist (§ 36 Abs. 1 EStG).

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer fünf Jahre, für hinterzogene Beträge zehn Jahre. Die Verjährungsfrist beginnt nach § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO bei den der Veranlagung unterliegenden Steuern vom Einkommen mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum abgegeben wird.

Die fünfjährige Verjährungsfrist wäre demnach mit dem Ende des Jahres 1983 abgelaufen. Denn der Kläger hat seine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1976 im Jahre 1978 beim FA eingereicht.

Der Ablauf der Verjährungsfrist wurde jedoch nach § 146a Abs. 3 AO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Einkommensteueränderungsbescheid vom 8. Mai 1984 bzw. vom 15. Oktober 1986 gehemmt. Nach dieser Vorschrift verjähren die Ansprüche, auf die sich eine Betriebsprüfung erstreckt, nicht, bevor der aufgrund der Betriebsprüfung ergangene Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist, wenn mit einer Betriebsprüfung vor Ablauf der Verjährungsfrist begonnen wird.

Die Steuerfahndung hat den die Steuernachforderung begründenden Sachverhalt des Veranlagungszeitraums 1976 beim Steuerpflichtigen im Jahre 1983, also vor Ablauf der Verjährungsfrist, ermittelt. Auch eine Steuerfahndungsprüfung ist als Betriebsprüfung i.S. von § 146a Abs. 3 AO anzusehen (BFH-Urteil vom 16. Januar 1979 VIII R 149/77, BFHE 127, 128, BStBl II 1979, 453). Der aufgrund dieser Prüfung ergangene, insoweit durch den Bescheid vom 15. Oktober 1986 nicht berührte Änderungsbescheid vom 8. Mai 1984 ist noch nicht unanfechtbar geworden, Verjährung also noch nicht eingetreten.

3. Auch die Grundsätze von Treu und Glauben standen der Steuernachforderung nicht entgegen.

Nach den hierzu vom BFH in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990 dargelegten Erwägungen hat weder die Ausstellung der Spendenquittung durch die SV noch die Zweite Spendenverordnung eine schützenswerte Vertrauensposition schaffen können.

Eine solche Vertrauensposition konnte auch nicht im Rahmen des zwischen dem Kläger (als Spender) und dem FA (als der für den Spendenabzug zuständigen Behörde) bestehenden Steuerschuldverhältnisses begründet werden. Vertrauensschutz ist zwar in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich denkbar, z.B. wenn vorgesetzte Dienststellen (Ministerium, Oberfinanzdirektion - OFD -) oder weisungsbefugte Personen (Minister, leitende Beamte) Kenntnis von den tatsächlichen Verhältnissen in der Geschäftsführung der Empfängerin, insbesondere von der Weiterleitung von Spenden und sonstigen Mitteln an politische Parteien erlangt und pflichtwidrig nicht für die Weitergabe dieses Wissens an das FA und den Kläger gesorgt haben sollten. Die Grundsätze von Treu und Glauben gelten jedoch für Behörde und Steuerpflichtigen gleichermaßen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1972 I R 224/70, BFHE 107, 343, BStBl II 1973, 87, 89). Darum würde eine erfolgreiche Berufung auf Vertrauensschutz im Streitfall voraussetzen, daß weder der Kläger selbst noch ein in seinem Auftrag handelnder Dritter von der Weiterleitung des zugewendeten Betrags an politische Parteien i.S. des § 2 des Gesetzes über die politischen Parteien (Parteiengesetz) - PartG - Kenntnis hatte (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 15. Oktober 1990 2 BvR 385/87, Die Information über Steuer und Wirtschaft, 1991, 45). Das aber muß hier ausgeschlossen werden, denn das FG hat insoweit bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß der Kläger oder seine Sekretärin von der Weiterleitung der Spende an die Partei wußten.

Welche Fallgestaltung hier gegeben war, konnte auf sich beruhen. Selbst wenn allein die Sekretärin den wahren Sachverhalt kannte, liegt eine Verletzung von Nebenpflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis (§§ 33 ff. AO 1977) vor, die dem Kläger zuzurechnen ist: In dem Umfang, in dem der Kläger seine Sekretärin mit der "Spendenabwicklung" betraute, hat er sie zur Vorbereitung seiner Steuererklärung (§ 165e und § 166 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 4 AO, § 150 Abs. 2 und Abs. 4 sowie § 153 AO 1977) als Erfüllungsgehilfin in das zwischen ihm und dem FA bestehende Steuerrechtsverhältnis eingeschaltet - mit der Folge, daß er insoweit deren Verschulden wie eigenes zu vertreten hat und sich mit Erfolg nicht auf Treu und Glauben berufen kann.

Dies ergibt sich zwar nicht aus einer (analogen) Anwendung des § 278 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Steuerrecht, wohl aber aus einem in dieser Vorschrift (vgl. auch § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB), im Vertretungsrecht (§§ 164 Abs. 1 Satz 1, 166 BGB, 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) und im allgemeinen Abgabenrecht (§§ 86 Abs. 1 Satz 2, 102 Abs. 2 AO, §§ 80, 110 Abs. 1 Satz 2 und 152 Abs. 1 Satz 3 AO 1977) konkretisierten allgemeinen Rechtsgedanken: Danach darf jemand seine Stellung im Rechtsverkehr nicht dadurch verbessern, daß er Dritten die Wahrnehmung seiner Interessen oder die Erfüllung seiner Verpflichtungen überläßt und damit seinen Risikobereich ausweitet (Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 1987, S. 297). Verfährt er so, muß er sich Wissen und Verhalten des für ihn Tätigen zurechnen lassen. Dies gilt auch im Rahmen des Steuerrechtsverhältnisses und auch zum Schutze des Steuergläubigers (vgl. BFH-Urteil in BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324; zur prinzipiellen Geltung der auf gleichen Erwägungen beruhenden Grundsätze der Duldungs- und Anscheinsvollmacht im Steuerrecht: BFH-Urteile vom 28. Januar 1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, BStBl II 1976, 344; vom 2. April 1987 VII R 60/84, BFHE 150, 93, 97, und vom 18. Oktober 1988 VII R 123/85, BFHE 154, 446, BStBl II 1989, 76, 79; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 80 AO Tz. 3 m.w.N.).

4. Die vom Kläger erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.

Hinsichtlich der Aufklärungsrüge wird von einer Begründung abgesehen (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).

Die Rüge der Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) ist unbegründet. Abgesehen davon, daß sie bereits vor dem FG hätte vorgebracht werden müssen und können, kommt es auf Feststellungen, warum ein Rückgabeverlangen aussichtslos war, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt an (§ 126 Abs. 4 FGO).