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  BFH-Urteil vom 24.10.1990 (II R 9/88) BStBl. 1991 II S. 60

Ein Grundstück, dessen Gebäude infolge Entkernung keine der bestimmungsgemäßen Nutzung zuführbaren Wohnräume mehr enthält, ist auch dann als unbebautes Grundstück zu bewerten, wenn dieser im Feststellungszeitpunkt bestehende Zustand nur ein Zwischenstadium zur Wiederherstellung eines benutzbaren Gebäudes darstellt.

BewG § 22 Abs. 2, § 72 Abs. 1 und 3.

Vorinstanz: Niedersächsisches FG (EFG 1987, 541)

Sachverhalt

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A. Auf diesem Grundstück wurde 1964 ein Wohngebäude fertiggestellt. Für das Grundstück wurde die Grundstücksart Einfamilienhaus festgestellt. Im April 1981 beantragte der Kläger, den Einheitswert auf den 1. Januar 1981 herabzusetzen sowie zu diesem Stichtag eine Artfortschreibung vorzunehmen. Während das Finanzamt (FA) dem Antrag auf Wertfortschreibung nach unten wegen Unbrauchbarkeit von Räumen stattgab, lehnte es mit Bescheid vom 6. Oktober 1982 den Antrag auf Artfortschreibung ab. Der Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid blieb erfolglos.

Mit der Klage begehrt der Kläger, das FA zu verpflichten, zum 1. Januar 1981 die Artfortschreibung auf die Grundstücksart unbebautes Grundstück, hilfsweise auf die Grundstücksart sonstiges bebautes Grundstück vorzunehmen. Dazu hat der Kläger vor dem Finanzgericht (FG) vorgetragen, er habe im Herbst 1980 mit der Renovierung des Gebäudes begonnen. Beim Tapezieren sei er auf Holzwurmschäden in der Einschubdecke gestoßen. Zur Beseitigung dieser Schäden habe er die Decken über den beiden Wohnzimmern, über Teilen des Schlafzimmers, der Küche und des Flurs im Erdgeschoß entfernen müssen. Durch den Abbruch der Decken und dem damit notwendig gewordenen Abriß von Zwischenwänden seien nicht nur die beiden Wohnzimmer im Erdgeschoß zur Gänze untergegangen, auch die im Dachgeschoß darüber befindlichen drei Schlafräume hätten nicht mehr bestanden. Vom gesamten Wohnhaus seien am 1. Januar 1981 lediglich zwei Räume unbeeinträchtigt geblieben, nämlich das WC im Erdgeschoß und das Bad im Dachgeschoß. Die anderen Räume - soweit verblieben (nämlich Küche, Flur und ein Schlafzimmer im Erdgeschoß) - seien nur begehbar, nicht aber bewohnbar gewesen. Dies folge insbesondere auch daraus, daß der Teil des Hauses, der wegen fehlender Zwischendecken von der Kellerdecke bis zum Ziegeldach offen gewesen sei, nicht frostsicher gewesen sei, so daß die dort liegenden Wasserleitungen hätten stillgelegt werden müssen. Wenn sich das Gebäude auch von außen her als unbeschädigt gezeigt habe, so sei es im Inneren nur eine Ruine gewesen, weshalb er, der Kläger, auch nicht in dem Gebäude gewohnt, sondern sich lediglich an den Wochenenden zum Zweck der Bausanierung aufgehalten habe. Eine ganzjährig nutzbare Wohnung sei am Stichtag nicht vorhanden gewesen. Es sei am Stichtag im übrigen noch nicht der endgültige Schadensumfang abzusehen und damit noch offen gewesen, ob eine Instandsetzung des Gebäudes überhaupt in Betracht komme.

Das FG hat die Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1987, 541 veröffentlichten Entscheidung abgewiesen.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in Haupt- und Hilfsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Aufhebung des die begehrte Artfortschreibung ablehnenden Verwaltungsakts sowie der diesen bestätigenden Einspruchsentscheidung und zum Ausspruch der Verpflichtung des FA, für das Grundstück des Klägers auf den 1. Januar 1981 im Wege der Artfortschreibung die Grundstücksart unbebautes Grundstück festzustellen.

1. Der Senat vermag der Auffassung des FG, der Zustand des Gebäudes am Stichtag rechtfertige deshalb die Artfortschreibung nicht, weil es sich nur um einen vorübergehenden, im Ergebnis gerade auf die Erhaltung des Gebäudes abzielenden Zwischenzustand handle, nicht zu folgen.

Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) sind unbebaute Grundstücke solche Grundstücke, auf denen sich keine benutzbaren Gebäude befinden. Die Bezugsfertigkeit, mit deren Zeitpunkt die Benutzbarkeit beginnt (§ 72 Abs. 1 Satz 2 BewG), ist anzunehmen, wenn den zukünftigen Bewohnern oder sonstigen Benutzern des Gebäudes zugemutet werden kann, es zu benutzen, wobei nicht auf die Abnahme durch die Baubehörde abzustellen ist (§ 72 Abs. 1 Satz 3 BewG). Als unbebautes Grundstück gilt nach § 72 Abs. 3 BewG auch ein Grundstück, auf dem infolge der Zerstörung oder des Verfalls der Gebäude auf die Dauer benutzbarer Raum nicht mehr vorhanden ist. Während § 72 Abs. 1 BewG darauf abhebt, wann die bestimmungsgemäße Nutzung zumutbar ist, wie sich aus der Erwähnung der künftigen Bewohner oder sonstigen Benutzer ergibt, enthält § 72 Abs. 3 BewG nicht ausdrücklich eine dahingehende Aussage. Doch ist auch insoweit darauf abzustellen, zu welcher Nutzung das Gebäude und damit seine Räume bestimmt sind. Ist die Zerstörung so weit fortgeschritten, daß keine Räume mehr vorhanden sind, die einer bestimmungsgemäßen Nutzung auf Dauer zugeführt werden können, so ist ebensowenig von einem bebauten Grundstück auszugehen, wie im Falle der Errichtung eines Gebäudes, dessen Benutzbarkeit i.S. des § 72 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BewG noch nicht hergestellt ist. In beiden Fällen ist es unbeachtlich, daß das äußere Erscheinungsbild des Bauwerks den Eindruck erweckt, es handle sich um ein bebautes Grundstück; entscheidend ist vielmehr, ob zur dauernden bestimmungsgemäßen Nutzung geeigneter Raum schon bzw. noch vorhanden ist. Maßgebend für die Abgrenzung zwischen unbebauten und bebauten Grundstücken sind dabei jeweils die tatsächlichen Verhältnisse an dem Stichtag, auf den eine Feststellung vorzunehmen ist. Außer Betracht bleiben muß auch im Falle einer Zerstörung der Räume, die, wie bei einer "Entkernung" einem Abriß des Gebäudes gleichsteht, ob dieser Zustand sich nur als Zwischenstadium zur Wiederherstellung eines benutzbaren Gebäudes darstellt.

2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; seine Entscheidung ist daher aufzuheben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), weil Spruchreife vorliegt.

Auf die Klage sind der die Artfortschreibung zum 1. Januar 1981 ablehnende Bescheid sowie die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung aufzuheben und ist gleichzeitig auszusprechen, daß das FA verpflichtet ist, im Wege der Artfortschreibung (§ 22 Abs. 2 BewG) auf diesen Stichtag die Art unbebautes Grundstück festzustellen. Im Feststellungszeitpunkt waren alle Haupträume in dem Gebäude auf dem Grundstück des Klägers infolge Abrisses von Decken und Zwischenwänden bzw. infolge des Teilabbruchs von Decken (Küche und Schlafzimmer im Erdgeschoß) nicht mehr geeignet, auf die Dauer bestimmungsgemäß zu Wohnzwecken genutzt zu werden. Daß zwei Nebenräume, nämlich das WC im Erdgeschoß und das Bad im Dachgeschoß, von den Abbrucharbeiten nicht betroffen worden waren, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, weil ihnen nur dienender Charakter zur Nutzung des Gebäudes als Wohngebäude zukommt. Anders als bei Verfall oder Verwahrlosung eines noch bewohnten Gebäudes (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20. Juni 1975 III R 87/74, BFHE 116, 397, BStBl II 1975, 803) kann im Falle der Entkernung nicht darauf abgehoben werden, daß die Räumung des Gebäudes angeordnet ist, weil es sich nicht um ein schleichendes Unbenutzbarwerden von Räumen handelt, der Zustand der Unbenutzbarkeit der Räume vielmehr durch Beseitigung der für die Benutzbarkeit erforderlichen Bausubstanz eintritt.