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  BFH-Urteil vom 5.10.1990 (III R 100/88) BStBl. 1991 II S. 130

Für die Rückforderung einer Zulage nach § 28 BerlinFG vom Arbeitnehmer war bis zum Inkrafttreten des § 29 Abs. 2 Satz 5 BerlinFG i.d.F. des sog. Vereinsförderungsgesetzes vom 18. Dezember 1989 (BGBl I 1989, 2212; BStBl I 1989, 499) das Betriebstätten-Finanzamt des Arbeitgebers zuständig.

BerlinFG a. F. § 28, § 29.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Gesellschafter-Geschäftsführer der N-GmbH. Diese zahlte an ihn im Streitjahr (1980) eine Berlinzulage in Höhe von .... DM. Mit Bescheid vom 24. März 1986 forderte das Betriebstätten-Finanzamt der N-GmbH vom Kläger die Berlinzulage in Höhe von .... DM zurück. Unter den Beteiligten sind der Grund und die Höhe des Rückforderungsbescheids unstreitig.

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger gegen den Rückforderungsbescheid mit der Begründung Klage, das Betriebstätten-Finanzamt seiner Arbeitgeberin sei für die Rückforderung von Berlinzulagen unzuständig. Die Berlinzulage sei eine negative Lohnsteuer, die nur im Rahmen einer geänderten Einkommensteuerveranlagung durch das Wohnsitz-Finanzamt zurückgefordert werden könne.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Wie über Fragen der Gewährung von Berlinzulagen entscheide das Betriebstätten-Finanzamt des Arbeitgebers nach § 29 Abs. 2 des Berlinförderungsgesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (BerlinFG) auch über die Rückforderung von Berlinzulagen. Die Berlinzulage stelle keine negative Lohnsteuer dar.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er ist weiterhin der Ansicht, das Betriebstätten-Finanzamt der N-GmbH sei für die Rückforderung der Berlinzulage unzuständig gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und den Rückforderungsbescheid vom 24. März 1986 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. September 1986 aufzuheben.

Während des Revisionsverfahrens ist § 29 Abs. 2 BerlinFG durch einen Satz 5 ergänzt worden, wonach für die Rückforderung der Zulage vom Arbeitnehmer das Wohnsitz-Finanzamt zuständig ist (Art. 12 des Gesetzes vom 18. Dezember 1989, BGBl I 1989, 2212; BStBl I 1989, 499, sog. Vereinsförderungsgesetz).

Der danach aufgrund gesetzlichen Beteiligtenwechsels zuständig gewordene (vgl. BFH-Urteile vom 1. August 1979 VII R 115/76, BFHE 128, 251, BStBl II 1979, 714, und vom 10. November 1977 V R 67/75, BFHE 124, 299, BStBl II 1978, 310) Beklagte und Revisionsbeklagte (das Wohnsitz-Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheids hierfür das Betriebstätten-Finanzamt der N-GmbH sachlich zuständig war.

1. Im Zeitpunkt des Erlasses des Rückforderungsbescheids sah das BerlinFG noch keine Kompetenzzuweisung für die Rückforderung von Berlinzulagen an das Wohnsitz-Finanzamt des Arbeitnehmers vor. Erst mit Einfügung eines § 29 Abs. 2 Satz 5 BerlinFG ist eine derartige Zuständigkeitsregelung getroffen worden.

§ 31 Abs. 11 BerlinFG i.d.F. des Vereinsförderungsgesetzes, wonach § 29 Abs. 2 Satz 5 BerlinFG auch auf Veranlagungszeiträume vor 1990 anzuwenden ist, hat keine Auswirkung auf den Streitfall. Diese Regelung bedeutet lediglich, daß das Wohnsitz-Finanzamt für alle noch offenen Verfahren zuständig geworden ist. Hingegen kann aus § 31 Abs. 11 BerlinFG i.d.F. des Vereinsförderungsgesetzes nicht geschlossen werden, daß in allen Fällen vor 1990, in denen das Betriebstätten-Finanzamt den Rückforderungsbescheid erlassen hat, eine unzuständige Behörde gehandelt hat. Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung nicht - rückwirkend - die Zuständigkeit für den Erlaß bereits existenter Rückforderungsbescheide beseitigen.

2. Zwar bestimmte das BerlinFG i.d.F. vor dem Inkrafttreten des Vereinsförderungsgesetzes nicht ausdrücklich das Betriebstätten-Finanzamt als für die Rückforderung von Zulagen vom Arbeitnehmer zuständig. Die Zuständigkeit des Betriebstätten - Finanzamts ergibt sich aber zumindest kraft Sachzusammenhangs aus der grundsätzlichen Zuständigkeit für die Verwaltung der Berlinzulage.

a) Die grundsätzliche Zuständigkeit des Betriebstätten-Finanzamts für die Verwaltung der Berlinzulage folgt aus einer Reihe von Einzelbestimmungen des BerlinFG. So hat der Arbeitgeber gemäß § 28 Abs. 5 Satz 6 BerlinFG unter bestimmten Voraussetzungen gegen das Betriebstätten-Finanzamt einen Ersatzanspruch wegen ausgezahlter Berlinzulage. Unter den Voraussetzungen des § 29 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG kann der Arbeitnehmer beim Betriebstätten-Finanzamt einen Antrag auf schriftliche Festsetzung der Berlinzulage stellen. Dieses Finanzamt ist ebenfalls dafür zuständig, die Frist zur Stellung eines solchen Antrags zu verlängern (§ 29 Abs. 2 Satz 4 BerlinFG) und ggf. die schriftlich festgesetzte Berlinzulage selbst an den Arbeitnehmer auszuzahlen (§ 28 Abs. 5 Satz 7 und § 29 Abs. 3 Satz 1 BerlinFG). Auch für die sog. Anrufungsauskunft gemäß § 29 Abs. 4 Satz 2 BerlinFG ist das Betriebstätten-Finanzamt zuständig (Bordewin in Sönksen/Söffing, Kommentar zum Berlinförderungsgesetz, § 29 Rdnr. 20). Darüber hinaus ist eine Zuständigkeit für die Ersetzung ausgezahlter Zulagen in den Fällen gegeben, in denen das Arbeitsamt (§ 28 Abs. 7 BerlinFG) oder der Konkursverwalter (§ 28 Abs. 8 BerlinFG) die Berlinzulage auszahlt.

An der grundsätzlichen Zuweisung der Verwaltungszuständigkeit für die Berlinzulage an das Betriebstätten-Finanzamt ändert § 28 Abs. 6 Satz 1 BerlinFG nichts, wonach der Arbeitnehmer einen Antrag an das für den Lohnsteuer-Jahresausgleich zuständige Finanzamt stellen kann, damit der Zuschlag für ein Kind des Arbeitnehmers, das bei der Errechnung der Zulage durch den Arbeitgeber nicht berücksichtigt worden ist, errechnet und ausgezahlt wird. Es handelt sich bei dieser Zuständigkeitszuweisung an das Wohnsitz-Finanzamt um eine Ausnahmeregelung, die an das Vorliegen enger Voraussetzungen geknüpft ist. Der Ausnahmecharakter des § 28 Abs. 6 BerlinFG ergibt sich zudem aus dem Umstand, daß das Wohnsitz-Finanzamt nur vorbehaltlich der Regelung des § 29 Abs. 2 Satz 2 BerlinFG zuständig ist (§ 28 Abs. 6 Satz 1 2.Teilsatz BerlinFG). Seine Zuständigkeit besteht demnach nur dann, wenn nicht der Arbeitnehmer beim Betriebstätten-Finanzamt einen Antrag auf schriftliche Festsetzung der Berlinzulage gestellt hat.

b) Zu der Verwaltungszuständigkeit für die Berlinzulage gehört sachlich auch die Zuständigkeit für die Rückforderung der Berlinzulage. Dies zeigt sich insbesondere in der Zuständigkeit des Betriebstätten-Finanzamts, auf Antrag des Arbeitnehmers die Zulage durch schriftlichen Bescheid festzusetzen (§ 29 Abs. 2 Satz 1 BerlinFG). Wenn das Betriebstätten-Finanzamt grundsätzlich über die Frage der Gewährung einer Zulage zu entscheiden hat, muß es mangels ausdrücklicher anderer Regelung auch für die Rückforderung der Zulage zuständig sein, da es sich insoweit lediglich um eine Umkehrung des Sachverhalts der Gewährung der Zulage (actus contrarius) handelt.

3. Der Zuständigkeit des Betriebstätten-Finanzamts für die Rückforderung der Berlinzulage läßt sich nicht entgegenhalten, die Berlinzulage stelle eine "negative Lohnsteuer" dar, die nur das Wohnsitz-Finanzamt des Klägers habe im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zurückfordern können.

a) Die Rechtsnatur der Berlinzulage ist nicht identisch mit der vom Arbeitgeber einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge. Die Berlinzulage ist vielmehr eine Vergünstigung für Arbeitnehmer, die sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Lohnabrechnungszeitraums bemißt (§ 28 Abs. 2 und 3 BerlinFG). Die §§ 28 ff. BerlinFG gewähren dem Arbeitnehmer einen, sofern die Voraussetzungen vorliegen, endgültigen Anspruch auf Zulage. Demgegenüber ist die Lohnsteuer eine Jahressteuer (§ 38a des Einkommensteuergesetzes - EStG -); sie bemißt sich nach dem Jahresarbeitslohn. Die jeweiligen Lohnsteuerabzugsbeträge sind Vorauszahlungen auf die Jahressteuerschuld (Schmidt/Drenseck, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 9. Aufl. 1990, § 38a Anm. 1; Drenseck in Stolterfoht, Grundfragen des Lohnsteuerrechts, JbDStG 1986, 377, 380 f.) und daher nur vorläufiger Natur.

b) Entgegen der im Schrifttum von George (Der Betrieb - DB - 1983, 2442) geäußerten Ansicht ist die Berlinzulage auch keine Steuervergütung auf die Lohnsteuer. Dies folgt schon aus § 29 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG. Diese Vorschrift bestimmt gerade, daß die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) entsprechend anzuwenden sind. Wäre die Berlinzulage eine Steuervergütung, so wäre - wie das FA zutreffend darlegt - diese Verweisung auf die AO 1977 überflüssig. § 29 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG kann auch nicht als bloße Klarstellung verstanden werden; denn dann hätte der Gesetzgeber die unmittelbare und nicht nur die entsprechende Anwendung der für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO 1977 vorschreiben müssen.

II. Dem Erlaß des streitigen Rückforderungsbescheids durch das Betriebstätten-Finanzamt steht im Streitfall nicht der Umstand entgegen, daß die Berlinzulage eng mit der Gewährung einer Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer gemäß § 21 Abs. 1 BerlinFG verbunden ist. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 BerlinFG ist die Ermäßigung der Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. des § 23 Nr. 4 a BerlinFG entfällt, durch die für den Veranlagungszeitraum gezahlten Zulagen nach § 28 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BerlinFG abgegolten, soweit sie diese nicht übersteigt. Diese Abgeltungsregelung kann mithin auch im Falle der Bestandskraft der Einkommensteuerveranlagung durch eine Rückforderung einer Berlinzulage berührt werden, wenn durch die Rückforderung nunmehr die Berlinzulage unter den Ermäßigungsbetrag nach § 21 Abs. 1 BerlinFG sinkt und damit die Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer nicht mehr voll abgegolten wird. Ein solcher Sachverhalt ist im Streitfall jedoch unstreitig nicht gegeben. Es kann daher offenbleiben, ob, wozu der erkennende Senat neigt, in einem solchen Fall der Rückforderungsbescheid über die Berlinzulage als Grundlagenbescheid zu werten ist, der gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu einer Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides zwingen würde.