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  BFH-Urteil vom 5.12.1990 (I R 116/84) BStBl. 1991 II S. 372

Vermögensauskehrungen an die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft nach dem Eintritt in das Liquidationsstadium sind keine Gewinnanteile i.S. des § 9 Nr. 2 a GewStG, soweit sie nicht in Vollzug eines Gewinnverteilungsbeschlusses geschehen, der sich auf ein vor dem Eintritt in das Abwicklungsstadium endendes Geschäftsjahr bezieht.

GewStG § 9 Nr. 2a.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die P, war seit 1972 zu 100 v.H. am Stammkapital der X-GmbH (GmbH) beteiligt. Am 1. Oktober 1972 übernahm die P den Geschäftsbetrieb der GmbH, für die sie gleichzeitig zum 1. Oktober 1972 die Auflösung und Liquidation beschloß. Die P übernahm vertraglich sämtliche Aktiva und Passiva der GmbH im Wege der Einzelrechtsnachfolge. Die Bilanzen der GmbH per 31. Dezember 1972 und 31. Dezember 1973 bestanden dementsprechend lediglich aus dem Beteiligungskapital, einer Forderung gegenüber der P als Alleingesellschafterin sowie einer geringfügigen Beteiligung der GmbH von 12.034,46 DM. Die Liquidation der GmbH wurde am 28. Mai 1974 dadurch abgeschlossen, daß die Beteiligung der P und die Forderung der GmbH gegenüber der P von 3.261.198 DM - einschließlich der geringfügigen Beteiligung der GmbH - von insgesamt 3.273.233,06 DM verrechnet wurden. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) hat hierin nach Rückzahlung des Stammkapitals von 3.186.000 DM die Auskehrung offener Rücklagen der GmbH lt. Steuerbilanz von 87.233 DM an die P gesehen.

Bei der Übernahme der Verbindlichkeiten hatte die P eine Verbindlichkeit der GmbH aus Milchgeldnachzahlungen an Milcherzeuger erworben, die später im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung bei der GmbH steuerlich nicht anerkannt wurde. Ausgehend von einem Aktiva-Überschuß der GmbH per 30. September 1972 lt. Prüferbilanz von 3.515.902,56 DM erhöhte der Prüfer die sonstigen Forderungen der GmbH gegenüber der P lt. Handelsbilanz von 3.261.198 DM in der Prüferbilanz per 1. Oktober 1972 um 242.669,50 DM auf 3.503.868,10 DM unter entsprechender Erhöhung der in der Handelsbilanz bei der GmbH ausgewiesenen offenen Rücklagen von 87.233,06 DM auf 329.902,56 DM.

Dementsprechend erhöhte der Prüfer anläßlich einer Betriebsprüfung bei der P die Bilanzpositionen sonstige Verbindlichkeiten per 31. Dezember 1972 und 31. Dezember 1973 um 242.669,50 DM. Die Erhöhung der Forderung der GmbH gegenüber der P durch die Betriebsprüfung bei der GmbH um 242.669,50 DM nahm das FA zum Anlaß, das steuerpflichtige Einkommen der P im Streitjahr um denselben Betrag zu erhöhen. Dem lag die Erwägung zugrunde, daß sich Veränderungen beim Vermögen der GmbH in dem Erlös niederschlagen, den die P aufgrund der Liquidation erzielte. Die Rückzahlung der offenen Rücklagen lt. Handelsbilanz von 87.233,06 DM hat die P selbst bei der Ermittlung des Gewerbeertrags zugrunde gelegt.

Das FA berücksichtigte in dem Gewerbesteuermeßbescheid 1974 vom 8. Juli 1980 die Erhöhung des körperschaftsteuerlichen Einkommens beim Gewerbeertrag. Der Einspruch der P gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.

Mit der Klage beantragte die P, den Gewerbesteuermeßbescheid 1974 dahin zu ändern, daß der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag unter Berücksichtigung einer Kürzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um 242.669,50 DM festgesetzt wird.

Die P hat die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) erweitert, indem sie beantragte, daß der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag unter Berücksichtigung einer Kürzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um 329.902,56 DM festgesetzt werde.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der Revision macht die Revisionsklägerin geltend, daß § 9 Nr. 2 a des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) denselben Zweck wie § 9 Nr. 2 GewStG verfolge. Es solle vermieden werden, daß ein und derselbe Teil des Gewerbeertrags, der bereits bei der Untergesellschaft zu versteuern gewesen wäre, noch ein zweites Mal bei der Obergesellschaft zur Steuer herangezogen werde.

Sie beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung, den Gewerbesteuermeßbescheid 1974 dahin zu ändern, daß der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag unter Berücksichtigung einer Kürzung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um 329.902,56 DM festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Während des Revisionsverfahrens wurde die P auf die Revisionsklägerin verschmolzen.

Entscheidungsgründe

Das Urteil des FG war aufzuheben. Die Sache war zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Ob der Gewerbeertrag der P im Streitjahr - wie von der Revisionsklägerin beantragt - um 242.669,50 DM zu kürzen ist, kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht entscheiden. Das Vermögen der GmbH ist zwar tatsächlich um 242.669,50 DM geringer als es vom FA der Besteuerung der P zugrunde gelegt wurde. Der Umstand, daß in der Prüferbilanz der GmbH eine Forderung in Höhe von 242.669,50 DM eingesetzt wurde, bewirkte keine tatsächliche Erhöhung des Vermögens der GmbH. Maßgebend hierfür ist der von der GmbH mit der P geschlossene Vertrag vom 1. Oktober 1972, durch den die GmbH ihre Aktiva und Passiva der P für einen bestimmten Betrag überließ, der dann Eingang in die Forderung der GmbH gegenüber der P fand. Aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt ergibt sich nicht, daß diese Forderung sich verändern sollte, wenn eine Betriebsprüfung zu dem Schluß kommen sollte, daß bestimmte, dem Vertrag zugrunde gelegten Verbindlichkeiten nicht bestanden bzw. steuerlich nicht anerkannt worden sind.

Auch wenn eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen sollte, soweit die GmbH bei dem Verkauf an die P die von der Betriebsprüfung beanstandeten Verbindlichkeiten berücksichtigte, wären die 242.669,50 DM kein zusätzlicher Vermögenswert bei der GmbH, der in den Gewerbeertrag der P im Erhebungszeitraum 1974 Eingang hätte finden können. Die verdeckte Gewinnausschüttung wäre in Form des von der P übernommenen Vermögens bei der GmbH bereits im Jahre 1972 abgeflossen und der P zugeflossen.

Der Senat muß im Rahmen des vorliegenden, den Erhebungszeitraum 1974 betreffenden Verfahrens nicht entscheiden, welche Auswirkungen eine etwaige verdeckte Gewinnausschüttung bei der P im Jahre 1972 gehabt hätte. Insbesondere muß der Senat nicht dazu Stellung nehmen, ob eine etwaige verdeckte Gewinnausschüttung bereits innerhalb des Abwicklungsstadiums bewirkt wurde (vgl. dazu Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 10. Mai 1938 I 266/37, RStBl 1938, 630, wonach verdeckte Gewinnausschüttungen nach dem Auflösungsbeschluß Kapitalrückzahlungen sind) und damit nicht von § 9 Nr. 2 a GewStG erfaßt wird.

Eine Erhöhung des Gewerbeertrags der P im Streitjahr 1974 kommt jedoch in Betracht, soweit in Höhe von 242.669,50 DM keine Verbindlichkeit besteht und eine Änderung der Gewerbesteuermeßbescheide nicht mehr möglich ist, die die dem Streitjahr 1974 vorangehenden Erhebungszeiträume betreffen. Für diesen Fall kann sich nach den Grundsätzen des Bilanzzusammenhangs (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Februar 1976 I R 150/74, BFHE 118, 337, BStBl II 1976, 378, und vom 16. Mai 1990 X R 72/87, BStBl II 1990, 1044; zur Anwendbarkeit beim Gewerbeertrag BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 IV R 9/73, BFHE 121, 355, BStBl II 1977, 472) eine Erhöhung des Gewerbeertrags im Streitjahr 1974 ergeben. Dies hängt davon ab, inwieweit sich die bilanzierte Verbindlichkeit in den dem Streitjahr 1974 vorangehenden Erhebungszeiträumen auf den Gewerbeertrag ausgewirkt hat. Das FG hat insoweit keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.

Soweit die Klägerin begehrt, beim Gewerbeertrag einen weiteren Betrag von 87.233,06 DM zu kürzen, ist die Klage zulässig.

Wegen der Zulässigkeit der Klage, soweit diese in der mündlichen Verhandlung erweitert wurde, vgl. Beschluß des Großen Senats vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87 (BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327).

Der Betrag war unstreitig in dem Vermögen enthalten, das an die P im Erhebungszeitraum 1974 ausgekehrt wurde.

In Höhe dieses Betrages ist der Gewerbeertrag der P nicht gemäß § 9 Nr. 2 a GewStG zu kürzen.

Nach § 9 Nr. 2 a GewStG ist zur Ermittlung des Gewerbeertrags der Gewinn aus Gewerbebetrieb um Anteile am Gewinn einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG zu kürzen, an der das Unternehmen zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens zu einem Viertel am Grund- oder Stammkapital beteiligt ist, wenn die Gewinnanteile bei der Ermittlung des Gewerbeertrags angesetzt worden sind.

Die Voraussetzungen liegen hinsichtlich des Betrages von 87.233,06 DM, für den die P die Kürzung begehrt, nicht vor. Bei dem Betrag handelt es sich nicht um einen Anteil am Gewinn der GmbH.

Unter Anteil am Gewinn sind offene Ausschüttungen aus dem handelsbilanzmäßig ausgewiesenen und nach außensteuerrechtlichen Vorschriften ermittelten Gewinn der Geschäftsjahre zu verstehen, die vor dem Eintritt der Liquidation der Kapitalgesellschaft enden. Der Beschluß kann dabei auch nach Eintritt in das Stadium der Abwicklung gefaßt werden (vgl. zu der entsprechenden Vorschrift des § 9 des Körperschaftsteuergesetzes - KStG - a.F. BFH-Urteil vom 8. Dezember 1971 I R 164/69, BFHE 104, 163, BStBl II 1972, 229).

Als Gewinnanteile i.S. des § 9 Nr. 2 a GewStG sind Gewinnausschüttungen zu verstehen, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft, an der die Beteiligung besteht (Beteiligungsgesellschaft), gemindert haben, bevor die Beteiligungsgesellschaft in das Stadium der Abwicklung eingetreten ist (vgl. Urteil in BFHE 104, 163, BStBl II 1972, 229).

Vermögensauskehrungen an die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft nach dem Eintritt in das Liquidationsstadium sind keine Gewinnanteile i.S. des § 9 Nr. 2 a GewStG, soweit sie nicht im Vollzug eines Gewinnverteilungsbeschlusses geschehen, der sich auf ein vor dem Eintritt in das Abwicklungsstadium endendes Geschäftsjahr bezieht. Mit dem Eintritt der Beteiligungsgesellschaft in das Stadium der Abwicklung endet die dem Gesellschaftszweck gewidmete Tätigkeit der Beteiligungsgesellschaft. Befinden sich die Anteile an der Beteiligungsgesellschaft im Betriebsvermögen, wirkt sich der Vorgang bei der Gewinnermittlung in der Weise aus, daß an die Stelle des Buchwerts der Beteiligung das auf den Gesellschafter übergehende Vermögen der Beteiligungsgesellschaft tritt (Urteil in BFHE 104, 163, BStBl II 1972, 229). Von diesem Vermögensvergleich sind lediglich die Gewinnanteile auszunehmen, die die vor dem Eintritt in das Abwicklungsstadium endenden Geschäftsjahre betreffen; denn insoweit besteht noch ein Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit der liquidierten Beteiligungsgesellschaft. Nicht einzubeziehen sind verdeckte Gewinnausschüttungen, die das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft nach dem Eintritt in das Abwicklungsstadium mindern; denn insoweit läßt sich ein Zusammenhang mit der laufenden Geschäftstätigkeit vor Eintritt in das Liquidationsstadium nicht herstellen (vgl. Urteil in RStBl 1938, 630).

Danach hat das FA die strittigen 87.233,06 DM zu Recht nicht vom Gewerbeertrag abgesetzt. Der Betrag ist nicht aufgrund eines Gewinnverteilungsbeschlusses ausgezahlt worden, der ein Geschäftsjahr betraf, das vor dem 1. Oktober 1972 - dem Tag des Liquidationsbeschlusses - endete. Der Betrag ist auch nicht Gegenstand einer vor dem Liquidationsbeschluß bewirkten verdeckten Gewinnausschüttung.

Der Senat kann offenlassen, inwieweit sich durch das mit dem KStG 1977 eingeführte Anrechnungsverfahren Auswirkungen auf § 9 Nr. 2 a GewStG ergeben.