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BFH-Urteil vom 12.4.1991 (III R 105/88) BStBl. 1991 II S. 616

Das Tatbestandsmerkmal "Beschäftigung in Berlin (West)" in den §§ 28 Abs. 1 Satz 1 und 23 Nr. 4 a Sätze 1 und 2 BerlinFG ist ein offener Typusbegriff. Beschreibende Kriterien dieses Begriffes sind die hauptsächlich ortsgebundene Erbringung der Arbeitsleistung in Berlin (West) und die Einbindung in den Westberliner Arbeitsmarkt (Bestätigung des Senatsurteils vom 22. August 1990 III R 119/89, BFHE 162, 172, BStBl II 1991, 6). Ein Arbeitnehmer erbringt seine Arbeitsleistung hauptsächlich ortsgebunden in Berlin (West), wenn er nicht nur gelegentlich, sondern aufgrund der gesamten Umstände des zwischen ihm und seinem Arbeitgeber bestehenden Dienstverhältnisses bei seiner tatsächlichen Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) anwesend ist und hier die Aufgaben erledigt, die ihm von seinem Arbeitgeber übertragen werden.

BerlinFG §§ 23 Nr. 4a Sätze 1 und 2, 28 Abs. 1, 29 Abs. 2.

Vorinstanz: FG Berlin

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, unterhält sowohl in Berlin (West) als auch in S einen Firmensitz. Drei ihrer Geschäftsführer sind in beiden Betriebstätten tätig. Sie haben ihren ausschließlichen oder ersten Wohnsitz außerhalb von Berlin (West). In den Monaten Januar bis September 1987 (streitiger Zeitraum) waren die Geschäftsführer in den beiden Betriebstätten tageweise wie folgt anwesend:

                                   Berlin (West)                  S

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Geschäftsführer A                         67                  75

Geschäftsführer B                       129                  34

Geschäftsführer C                         54                  95.

Die Klägerin behandelte für die streitigen Monate die Gehälter zu 50 v.H. als Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West). Dabei stützte sie sich auf eine beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) für die Vorjahre eingeholte Genehmigung. Dementsprechend gewährte sie den Geschäftsführern Berlinzulagen nach § 28 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung. Das FA vertrat demgegenüber die Ansicht, daß die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berlinzulage nicht vorlägen und forderte von der Klägerin mit Haftungsbescheid die ausgezahlten und abgesetzten Zulagen zurück.

Gegen diesen Haftungsbescheid erhob die Klägerin mit Zustimmung des FA Sprungklage, die Erfolg hatte. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die drei Geschäftsführer nachhaltig in Berlin (West) tätig gewesen seien. Soweit zwei Geschäftsführer nicht überwiegend in Berlin (West) einer Beschäftigung nachgegangen seien, sei dies unschädlich. Eine Berlinzulage sei diesen insoweit zu gewähren als Arbeitslohn anteilig auf die Beschäftigung in Berlin (West) entfallen sei.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Tätigkeit der Geschäftsführer könne weder auf den Bereich Berlin (West) noch auf den Bereich S begrenzt werden. Daraus folge, daß mangels eindeutiger Zuordnung eine Tätigkeit i.S. der vom BerlinFG geforderten Beschäftigung in Berlin (West) zu verneinen sei. Ein einheitliches Dienstverhältnis könne nicht in Teiltätigkeiten aufgeteilt werden.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Ein Arbeitgeber, der zu Unrecht Berlinzulagen ausgezahlt hat, kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden (§ 29 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG i.V.m. § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -); denn er haftet hierfür kraft Gesetzes (§ 29 Abs. 4 Satz 1 BerlinFG). Eine Zulage ist zu Unrecht ausgezahlt worden, wenn die Voraussetzungen für ihre Gewährung nicht vorlagen. Der Senat vermag aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts nicht abschließend zu beurteilen, ob im Streitfall die Voraussetzungen für die Gewährung der Zulage gegeben waren.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG i.V.m. § 23 Nr. 4 a Sätze 1 und 2 BerlinFG erhalten Arbeitnehmer, die Arbeitslohn für eine Beschäftigung in Berlin (West) aus einem gegenwärtigen Dienstverhältnis beziehen, Berlinzulagen. Wird im Rahmen einer solchen Beschäftigung Arbeitslohn für eine vorübergehende Tätigkeit außerhalb von Berlin (West) bezogen, so ist zusätzlich Voraussetzung für die Gewährung einer Zulage, daß die Arbeitnehmer ihren ausschließlichen Wohnsitz in Berlin (West) haben. Erforderlich ist mithin für die Gewährung einer Berlinzulage stets, daß der Arbeitnehmer einer "Beschäftigung in Berlin (West)" nachgeht.

§ 28 Abs. 1 Satz 1 BerlinFG und § 23 Nr. 4 a Sätze 1 und 2 BerlinFG verwenden mit dem Ausdruck "Beschäftigung in Berlin (West)" keinen abstrakten Begriff, der einer abschließenden Definition zugänglich wäre, sondern einen sog. offenen Typusbegriff, der durch eine größere und unbestimmte Zahl von Kriterien beschrieben wird. Insgesamt ist kennzeichnend für eine Beschäftigung in Berlin (West), wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 22. August 1990 III R 119/89 (BFHE 162, 172, BStBl II 1991, 6) unter Hinweis auf den Wortlaut und den Sinn und Zweck des Gesetzes dargelegt hat, eine ortsgebundene Erbringung der Arbeitsleistung (so auch bereits Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1982 VI R 227/78, BFHE 137, 137, BStBl II 1983, 125) und eine Einbindung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West). Diese Auslegung findet darüber hinaus - entgegen der Ansicht der Revision - Bestätigung bei einem Vergleich mit anderen Vorschriften des BerlinFG. Insbesondere ist dem § 19 BerlinFG mit seinen Verbleibenserfordernissen zu entnehmen, daß es dem Gesetzgeber bei der Förderung der Berliner Wirtschaft nicht auf kurzfristige Impulse der Investierenden, sondern auf eine auf Dauer angelegte Investitionstätigkeit ankam. Dieser Umstand legt es nahe, auch die Gewährung der Arbeitnehmerzulage davon abhängig zu machen, daß der Arbeitnehmer in Berlin (West) dauerhaft einer Beschäftigung nachgeht. Dieses Erfordernis ist nach Auffassung des erkennenden Senats immer dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ortsgebunden in Berlin (West) erbringt und er in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden ist. Beide Merkmale einer Beschäftigung in Berlin (West) können zwar im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein. Sie müssen jedoch beide vorliegen. Ob dies zutrifft, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu würdigen.

a) Ortsgebundene Erbringung der Arbeitsleistung bedeutet, daß der Arbeitnehmer seine tatsächliche Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) selbst erbringt (Urteil des Senats in BFHE 162, 172, BStBl II 1991, 6). Der Arbeitnehmer muß also aufgrund des zwischen ihm und seinem Arbeitgeber bestehenden Dienstverhältnisses bei seiner tatsächlichen Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) anwesend sein und hier die Aufgaben erledigen, die ihm von seinem Arbeitgeber übertragen werden.

Wann eine Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) erbracht wird, kann nicht allein in Prozentzahlen entsprechend den zur Arbeitsleistung in Berlin (West) verbrachten einzelnen Tagen innerhalb eines Lohnabrechnungszeitraums oder eines Veranlagungszeitraums bemessen werden. Da die Voraussetzung einer ortsgebundenen Leistungserbringung lediglich ein beschreibendes Merkmal des offenen Typusbegriffs "Beschäftigung in Berlin (West)" ist, tritt sie in Wechselbeziehung zu dem zweiten beschreibenden Merkmal dieses Typusbegriffs, nämlich der Einbindung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West). Es gilt daher: Je intensiver eine ortsgebundene Erbringung der Arbeitsleistung gegeben ist, desto geringere Anforderungen sind an eine Einbindung in den Westberliner Arbeitsmarkt zu stellen und umgekehrt.

Entscheidend sind dabei nicht allein die zufälligen tatsächlichen Verhältnisse innerhalb eines Lohnabrechnungs- oder Veranlagungszeitraums, sondern die gesamten Umstände des mit dem Arbeitgeber bestehenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses. Deshalb kann es für eine zeitweise Gewährung der Berlinzulage nicht ausreichen, wenn der Arbeitnehmer zwar gelegentlich bei seiner Arbeitsleistung hauptsächlich in Berlin (West) anwesend ist, nach seinem Arbeits- oder Dienstverhältnis aber insgesamt seine Arbeitsleistung nicht hauptsächlich dort, sondern woanders zu erbringen hat. Ebenso kann ein einheitliches Arbeits- oder Dienstverhältnis des Arbeitnehmers nicht fiktiv in einen auf Berlin (West) und in einen auf andere Orte entfallenden Anteil aufgespalten werden, um auf diese Weise für den auf Berlin (West) entfallenden Anteil eine hauptsächliche (oder sogar ausschließliche) Arbeitsleistung an diesem Ort zu begründen.

b) Neben dem Erfordernis einer ortsgebundenen Leistungserbringung erfordert eine "Beschäftigung in Berlin (West)", daß der Arbeitnehmer mittels der Beschäftigung in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden ist (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 1981 VI R 228/77, BFHE 133, 208, BStBl II 1981, 555, 557). Eine Einbindung in den Westberliner Arbeitsmarkt ist dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer in Berlin (West) den Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses hat. Wann dies der Fall ist, muß jeweils anhand aller Umstände des Einzelfalles beurteilt werden. Wie der Senatsentscheidung in BFHE 162, 172, BStBl II 1991, 6 zu entnehmen ist, kann ein starkes Indiz hierfür sowohl die Beschäftigung bei einem Westberliner Arbeitgeber als auch der Umstand sein, daß der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz in Berlin (West) hat. Wenn ein Arbeitgeber nicht nur in Berlin (West), sondern auch außerhalb von Berlin Betriebstätten hat, kann für die Beurteilung der Frage, wo ein Arbeitnehmer den Mittelpunkt seines Arbeitsverhältnisses hat, von Bedeutung sein, an welchem Ort ein Arbeitnehmer betrieblich geführt wird oder wo er, soweit er einer Weisungsgebundenheit unterliegt, seine generellen und speziellen Weisungen zum Arbeitseinsatz erhält. Auch die Art und Ausstattung einer Betriebstätte in Berlin (West) kann für oder gegen die Annahme eines beruflichen Mittelpunktes sprechen.

2. Die Vorentscheidung entspricht nicht den vorstehenden Rechtsgrundsätzen; sie war daher aufzuheben. Das FG hat eine Beschäftigung der drei Geschäftsführer in Berlin (West) damit begründet, daß deren Tätigkeit in Berlin (West) isoliert von ihrer Tätigkeit außerhalb dieser Stadt zu beurteilen sei. Dies steht im Widerspruch zu dem Erfordernis, daß eine Gesamtbetrachtung innerhalb der einheitlichen Arbeits- und Dienstverhältnisse der Geschäftsführer geboten ist.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat weder zur Frage, ob die Geschäftsführer aufgrund ihrer Dienstverhältnisse hauptsächlich ihre Arbeitsleistung in Berlin (West) zu erbringen hatten, noch zu der Frage, ob sie aufgrund ihrer Beschäftigung in den Westberliner Arbeitsmarkt eingebunden waren, ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffen.

Im zweiten Rechtsgang wird daher das FG ermitteln müssen, wo die Geschäftsführer nach dem Inhalt des jeweils maßgebenden Dienstverhältnisses hauptsächlich ihre Arbeitsleistung zu erbringen hatten. Eine Verpflichtung zu einer etwa gleichgewichtigen Arbeitsleistung der Geschäftsführer in den Betriebstätten in S und Berlin reicht für eine hauptsächliche Beschäftigung in Berlin (West) nicht aus.

Sollte das FG eine ortsgebundene Leistungserbringung in Berlin (West) bejahen, muß es Feststellungen darüber treffen, ob die drei Geschäftsführer der Klägerin in den Arbeitsmarkt von Berlin (West) eingebunden waren. Das hängt davon ab, wo jeweils der berufliche Mittelpunkt der drei Geschäftsführer lag (Hinweis auf das Senatsurteil in BFHE 162, 172, BStBl II 1991, 6).