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  BFH-Urteil vom 23.5.1991 (IV R 48/90) BStBl. 1991 II S. 796

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, den Barwert der Verpflichtung aus einer wertgesicherten Veräußerungsrente bei Eintritt des Wertsicherungsfalles gewinnmindernd zu erhöhen hat.

EStG §§ 4 Abs. 1, 11.

Vorinstanz: FG Köln (EFG 1990, 513)

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Rechtsanwalt selbständig tätig. Er ermittelt seinen Gewinn mittels Einnahmeüberschußrechnung (§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Im Jahre 1968 erwarb er von dem im April 1900 geborenen Herrn A eine Versicherungs-Rechtsberatungspraxis. Als Gegenleistung verpflichtete er sich, dem Veräußerer und dessen Ehefrau eine lebenslängliche Rente i. H. von 1.000 DM monatlich zu zahlen. In dem Vertrag wurde eine Wertsicherung vereinbart, derzufolge sich der zu zahlende Betrag nach Maßgabe der Lohnentwicklung bei den nordrhein-westfälischen Bierbrauern erhöhen oder ermäßigen sollte.

Im Rahmen seiner Gewinnermittlungen ermittelte der Kläger einen Praxiswert in Höhe des Rentenbarwertes i. H. von rd. 120.000 DM und schrieb diesen auf die Dauer von zehn Jahren ab. Die geleisteten Rentenzahlungen erfaßte er in vollem Umfang als Betriebsausgaben. Eine laufende Anpassung der jeweiligen Rentenbarwerte an die Verhältnisse zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahrs nahm er nicht vor. Zumindest in denjenigen Gewinnermittlungen, die den eingereichten Steuererklärungen bis zum Veranlagungszeitraum 1972 beigefügt waren, wirkten sich daher die laufenden Veränderungen des Rentenbarwertes nicht aus.

Anläßlich einer Außenprüfung, die u.a. das Streitjahr (1982) erfaßte, stellte der Prüfer fest, daß im Dezember dieses Jahres der Praxisveräußerer verstorben war. Die zuletzt entrichteten Rentenzahlungen hatten sich auf 2.520 DM monatlich belaufen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog hieraus zunächst keine Konsequenzen, änderte den Einkommensteuerbescheid 1982 jedoch aufgrund anderer Feststellungen des Prüfers. Im hieran anschließenden Einspruchsverfahren kam es nach entsprechender Ankündigung zu einer "Verböserung" i. S. des § 367 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977). Die Behörde war der Auffassung, der Wegfall der Rentenverpflichtung sei bei der Veranlagung 1982 gewinnerhöhend zu berücksichtigen. Den ertragerhöhend aufzulösenden Rentenbarwert zum 31. Dezember 1981 setzte das FA mit 132.403 DM an. Von diesem Betrag zog es die infolge der Wertsicherungsklausel im Streitjahr eingetretene Barwerterhöhung i. H. von 4.203 DM ab, so daß sich per Saldo eine Gewinnerhöhung i. H. von 128.200 DM ergab.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Finanzgericht (FG), über die noch nicht entschieden ist. Einen im Klageverfahren gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das FA ab. Der Kläger verfolgte sein Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz nach erfolgloser Beschwerde mit einer weiteren Klage. Das FG wies diese Klage ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 513 veröffentlicht.

Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet.

1. Nach § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das FA auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel bestehen dann, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechts- oder Sachverhaltsfragen bewirken. Die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechenden Bedenken brauchen nicht zu überwiegen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO, Tz. 10 mit Rechtsprechungsnachweisen).

2. Das FG hat zutreffend festgestellt, daß der Kläger die Versicherungs-Rechtsberatungspraxis gegen eine betriebliche Veräußerungsrente erworben hat. Für die steuerliche Behandlung einer solchen Rente gilt folgendes:

Da der Kläger seinen Gewinn durch Ermittlung des Überschusses der Einnahmen über die Ausgaben (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelt, sind seine Einnahmen und Ausgaben innerhalb desjenigen Kalenderjahres zu berücksichtigen, in dem sie geflossen sind (§ 11 EStG). Der Wert des Betriebsvermögens bleibt unberücksichtigt.

a) Allerdings bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 3 EStG, daß die Vorschriften über die Absetzung für Abnutzung (AfA) zu befolgen sind. Darauf folgt, daß auch ein Steuerpflichtiger mit Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG, der abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gegen eine Veräußerungsrente erwirbt, im Jahr der Anschaffung die Anschaffungskosten mit dem versicherungsmathematischen Rentenbarwert aktivieren muß. Von den aktivierten Anschaffungskosten kann er dann AfA vornehmen. Um zu verhindern, daß der in den Rentenzahlungen enthaltene Kaufpreis zweifach steuermindernd berücksichtigt wird, darf er diese Zahlungen nicht in voller Höhe ebenfalls als Betriebsausgaben absetzen. Vielmehr darf nur der in den Rentenzahlungen enthaltene Zinsanteil den Gewinn mindern. Technisch geschieht das in der Weise, daß in einer Art "Schattenbilanz" zum Ende eines jeden Veranlagungszeitraums der jeweils neue Rentenbarwert ermittelt wird. Die durch das Älterwerden des Rentenberechtigten bedingten Minderungen des Rentenbarwertes werden als Betriebseinnahmen erfaßt. Werden nunmehr die Rentenzahlungen als Betriebsausgaben behandelt, so entspricht der Saldo beider Beträge dem Zinsanteil (vgl. Abschn. 17 Abs. 3 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1987).

b) Es wird insoweit also ebenso verfahren wie beim bilanzierenden Steuerpflichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. Februar 1984 IV R 128/81, BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516). Daraus folgt, daß der Steuerpflichtige mit Einnahmeüberschußrechnung ebenso wie der mit Betriebsvermögensvergleich in Höhe des aktuellen Rentenbarwertes eine Betriebseinnahme ausweisen muß, wenn die Rentenverpflichtung - etwa wegen des Todes des Rentenberechtigten - wegfällt (BFH-Urteil vom 31. August 1972 IV R 93/67, BFHE 107, 205, BStBl II 1973, 51).

c) Von diesen Grundsätzen ist auch das FG ausgegangen. Es hat jedoch darüber hinaus angenommen, daß auch der Fall der Erhöhung der Rentenverpflichtung infolge einer Wertsicherungsklausel bei einem Steuerpflichtigen mit Einnahmeüberschußrechnung ebenso zu behandeln sei, wie bei einem solchen, der seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Bei einem bilanzierenden Steuerpflichtigen hat die aus einer Wertsicherungsklausel resultierende Erhöhung der Rentenverpflichtung zur Folge, daß der Betrag, um den sich der Barwert der Rentenverpflichtung erhöht, im Jahr der Erhöhung gewinnmindernd passiviert wird (BFH-Urteil in BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516; Jansen/Wrede, Renten, Raten, dauernde Lasten, 9. Aufl., Rdnr. 217). In den Folgejahren wird dann wiederum nur der Zinsanteil der - erhöhten - Rente abgesetzt. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß die Erhöhung der Rentenverpflichtung nicht zu einer Erhöhung der Anschaffungskosten und damit der AfA führt. Fällt die Rentenverpflichtung weg, ist der - durch das Wirksamwerden der Wertsicherungsklausel erhöhte - Rentenbarwert als Betriebseinnahme zu versteuern. Das FA wäre nach dieser Ansicht im Streitfall richtig verfahren.

3. Der Senat hat allerdings ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung. Sie verkennt, daß bei einem Steuerpflichtigen mit Einnahmeüberschußrechnung die Betriebsausgaben nach § 11 Abs. 2 EStG im Jahr der Zahlung zu berücksichtigen sind, wohingegen Veränderungen des Betriebsvermögens außer Betracht bleiben. Der Grund, aus dem die ursprüngliche Rentenverpflichtung (vor Erhöhung infolge der Wertsicherungsklausel) passiviert wird, besteht, wie oben (unter 2.a) dargestellt, lediglich darin, die doppelte Erfassung des Tilgungsanteils als AfA einerseits und als Rentenzahlungen andererseits zu vermeiden. Dieser Grund entfällt bei einer Erhöhung des Rentenbarwertes infolge einer Wertsicherungsklausel, weil diese Erhöhung nicht zu einer Mehrung der Anschaffungskosten und der AfA führt. Es liegt demnach nahe, daß bei einem Steuerpflichtigen mit Einnahmeüberschußrechnung die infolge der Wertsicherungsklausel erhöhten Rentenzahlungen in voller Höhe abgesetzt werden und eine Passivierung der Erhöhung der Rentenverpflichtung unterbleibt (Richter, Der Betrieb - DB - 1984, 2.322; ders., Handbuch der Rentenbesteuerung, Fach 3.2, Rdnr. 535 ff.; Jansen, Finanz-Rundschau - FR - 1985, 212; Paus, FR 1985, 288). Nach dieser Auffassung ist bei Wegfall der Rentenverpflichtung lediglich der Rentenbarwert zu versteuern, der sich auf der Grundlage der ursprünglich vereinbarten Zahlungen errechnet.

4. Zu Unrecht beruft sich das FG demgegenüber auf das Senatsurteil in BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516. Allerdings ist dieses Urteil in der Literatur teilweise so verstanden worden, wie es das FG getan hat (Paus, a.a.O.; Schoor, DB 1985, 307; Anm. o. V., Kölner-Steuer-Dialog, 1984, 5.534). Jansen (a.a.O.) hat jedoch dargelegt, daß es sich hierbei um ein Mißverständnis handelt. Der Senat neigt ebenfalls zu dieser Auffassung. Für sie spricht insbesondere, daß ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn zunächst durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt und während dieser Zeit die gewinnmindernde Passivierung von Erhöhungen des Rentenbarwertes unterlassen hatte, dem Urteil in BFHE 148, 548, BStBl II 1984, 516 zufolge diese Gewinnminderungen nach dem Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht nachholen darf. Das würde jedoch zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn man gleichwohl - wie das FG - bei Wegfall der Rentenverpflichtung einen Ertrag in Höhe des aufgrund der Wertsicherungsklausel erhöhten Rentenbarwertes annehmen wollte (ähnlich Paus, a.a.O.).

5. Da das FG von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Der auf der Grundlage der ursprünglich vereinbarten Zahlungen i. H. von 1.000 DM berechnete Rentenbarwert zum 1. Dezember 1982 betrug angesichts der noch fünfjährigen statistischen Lebenserwartung des Rentenberechtigten zu diesem Zeitpunkt 52.541 DM (Tabelle für nachschüssig zahlbare Renten, Anlage 2 zu Anhang 2b der Vermögensteuer-Richtlinien). Die Ermittlung des Barwertes aufgrund dieser Tabelle ist - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hinreichend genau. In Höhe dieses Barwertes, der im Verfahren der Hauptsache ggf. versicherungsmathematisch zu berechnen ist, ist die Rentenverpflichtung im Streitjahr aufzulösen.

a) Der Barwert ist nicht - wie der Kläger meint - um die geleisteten Rentenzahlungen zu kürzen. Diese in Abschn. 17 Abs. 3 Satz 7 EStR vorgesehene Möglichkeit ist zweifelsfrei nur dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige in den Vorjahren von der Finanzverwaltung zugelassenen Möglichkeit (Abschn. 17 Abs. 3 Satz 6 EStR) Gebrauch gemacht hat, die tatsächlichen Zinszahlungen zunächst gegen den Rentenbarwert zu verrechnen, also erfolgsneutral zu behandeln (sog. buchhalterische Methode). So ist der Kläger nach den Feststellungen des FG jedoch gerade nicht verfahren.

b) Es kann sich allenfalls die Frage stellen, ob nicht der bei Wegfall der streitigen Rentenverpflichtung entstehende Ertrag nach dem versicherungsmathematischen Barwert zu Beginn der Rentenverpflichtung (1968) zu berechnen ist, weil der Kläger alle Rentenzahlungen in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt hat. Hieran ließe sich deshalb denken, weil bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die jeweiligen Rentenbarwerte nicht ermittelt werden, um den Wert des Betriebsvermögens zutreffend darzustellen, sondern um die Berechnung des nicht als Betriebsausgabe abziehbaren Tilgungsanteils, der in der Differenz zwischen dem Barwert zu Beginn und zum Ende eines Jahres besteht, zu ermöglichen (s.o. 2. a). Hat der Steuerpflichtige jedoch - wie der Kläger - den Tilgungsanteil ebenfalls gewinnmindernd geltend gemacht, ist jede Verrechnung der Rentenzahlungen mit dem Barwert unterblieben, so daß die Annahme gerechtfertigt sein könnte, seine Höhe habe sich nicht gemindert.

Die Richtigkeit einer solchen Vorgehensweise begegnet jedoch, obwohl sie zu einem rechnerisch zutreffenden Ergebnis führen würde, ernstlichen Zweifeln. Der Senat hat in seinem Urteil in BFHE 140, 548, BStBl II 1984, 516 entschieden, daß bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die gewinnmindernde Berücksichtigung einer Rentenerhöhung, die in einem Jahr unterblieben ist, nicht in einem späteren Jahr nachgeholt werden darf. In gleicher Weise verbietet sich jedoch die Nachholung in den Vorjahren unterbliebener Einnahmeerhöhungen (Barwertverringerungen). Das entspricht dem vom FG zutreffend dargestellten Grundsatz, daß bei einem Steuerpflichtigen mit Einnahmeüberschußrechnung Gewinnkorrekturen in späteren Veranlagungszeiträumen nicht statthaft sind. Notwendige Korrekturen sind vielmehr in den Veranlagungen für die Jahre vorzunehmen, in denen der Gewinn unzutreffend ermittelt wurde. Voraussetzung hierfür ist, daß diese Veranlagungen noch nicht bestandskräftig sind oder die Bestandskraft nach §§ 173 ff. AO 1977 durchbrochen werden kann.