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BFH-Urteil vom 10.7.1991 (X R 71/88) BStBl. 1991 II S. 880

Der in § 4 Nr. 3 ErfVO für die Fremdverwertung von Erfindungen vorgesehene Begünstigungszeitraum begann mit der Fremdverwertung, und zwar auch dann, wenn dieselbe Erfindung gleichzeitig oder vorher im eigenen Betrieb des Steuerpflichtigen verwertet worden und insoweit nach § 5 ErfVO begünstigt war.

ErfVO §§ 4, 5.

Vorinstanz: FG Düsseldorf (EFG 1988, 482)

Sachverhalt

Die Kläger und Revisionskläger zu 1 (Kläger zu 1) sind Erben des im finanzgerichtlichen Verfahren verstorbenen A, der mit der Klägerin und Revisionsklägerin zu 2 (Klägerin zu 2) für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer zu veranlagen war.

A hatte als freier Erfinder u.a. drei als volkswirtschaftlich wertvoll anerkannte, im In- und Ausland wie folgt patentierte Erfindungen gemacht:

1. Schwimmende Walze (S-Walze)                                                 Gültig bis

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a) Deutsches Patent             Nr. 1026609      vom   2.2.1956                       1.2.1974

b) Britisches Patent              Nr.  807293       vom  .............                       9.1.1976

c) US-Patent                        Nr. 2908964      vom  20.10.1959                 20.10.1976

d) Jap. Patent                      Nr.  243085       vom  26.2.1958                   26.12.1979

  

2. S-Walzen-Dichtleiste

    ---------------------------

a) Deutsches Patent             Nr. 1193737      vom  12.11.1962                 11.11.1980

b) Britisches Patent              Nr. 1004772      vom  .............                       6.6.1979

c) US-Patent                        Nr. 3196520      vom  .............                      27.7.1982

d) Jap. Patent                      Nr.  459252       vom  27.12.1964                 26.12.1979

e) Sowjetisches Patent         Nr.  182614       vom  .............                      13.4.1978

  

3. S-Walzen-Antrieb

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a) Deutsche Patentanmeldung                                                   Antrag im Mai 1976

       vom 2.6.1964                                                                       zurückgenommen

b) Britisches Patent              Nr. 1074936      vom  .............                      25.6.1980

c) US-Patent                                        ---                                                          ---

d) Jap. Patent                      Nr.  572040       vom   8.5.1970                        6.3.1983

e) Sowjetisches Patent         Nr.  204981       vom  .............                     12.10.1979.

Die Erfindungen verwertete A zunächst im eigenen Gewerbebetrieb, und zwar:

die S-Walze ab 1958,

die S-Walzen-Dichtleiste ab 1963 und

den S-Walzen-Antrieb ab 1965.

Außerdem verwertete A die Erfindungen aufgrund der Auslandspatente durch Lizenzvergabe, und zwar hinsichtlich

            der S-Walze ab 1958,

            der S-Walzen-Dichtleiste ab 1963 sowie

            des S-Walzen-Antriebs ab 1973.

Aus den Lizenzen flossen ihm in den Streitjahren 1972 bis 1977 folgende Einkünfte zu:

                                    USA           Japan           UdSSR          Gesamt

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1972            415.415  (Farell)         82.226                   --          591.063

                     93.422  (Beloit)

1973            282.808  (Beloit)        120.181                   --          402.989

1974            138.056  (Beloit)        123.564                   --          261.620

1975            321.226  (Beloit)        176.768                   --          497.994

1976            195.201  (Beloit)        117.506       1.105.000       1.417.707

1977            85.798                               --          195.000          280.798.

Für diese Lizenzeinkünfte begehrten A und die Klägerin zu 2 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) vergeblich die Steuervergünstigung nach § 4 Nr. 3 der Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung der freien Erfinder vom 30. Mai 1951 - ErfVO - (BGBl I 1951, 387, BStBl I 1951, 181).

Auch die im Laufe des Klageverfahrens auf Gewährung der Tarifbegünstigung für einen Teil der Lizenzeinkünfte (für die S-Walzen-Dichtleiste hinsichtlich des Streitjahres 1972 und für den S-Walzen-Antrieb hinsichtlich der Streitjahre 1973 bis 1977) beschränkte Klage blieb (abgesehen von einem Teilerfolg in Höhe von 15.000 DM hinsichtlich der für 1973 noch streitigen Einkünfte) ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) teilte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 482 veröffentlichten Urteil die Ansicht des FA, eine Patentierung im Ausland begründe zwar ein selbständiges Wirtschaftsgut, aber keine gegenüber dem Inlandspatent oder der ungeschützten Erfindung selbständig begünstigte Erfindung i.S. der ErfVO mit jeweils gesonderten Begünstigungszeiträumen. Unabhängig davon sei es für den Beginn des Begünstigungszeitraums nach § 4 Nr. 3 ErfVO unerheblich, ob mit der Verwertung der Erfindung im eigenen oder in einem fremden Betrieb begonnen worden sei. Im Streitfall müßten daher die auf die eigenbetriebliche Verwertung entfallenden Zeiten angerechnet werden - mit der Folge, daß der Begünstigungszeitraum für alle (zuletzt noch) streitigen Lizenzeinkünfte abgelaufen sei. Die Kläger rügen mit der Revision Verletzung materiellen Rechts. Sie verfolgen ihre Einwände hinsichtlich der selbständigen Begünstigung von Auslandspatenten nicht mehr, sind aber weiterhin der Meinung, das FG sei zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, der Begünstigungszeitraum des § 4 Nr. 3 ErfVO habe nicht erst mit der Fremdverwertung, sondern schon mit der Verwertung der Erfindung im eigenen Betrieb begonnen.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zu Unrecht haben FA und FG die von den Klägern zuletzt begehrte Tarifbegünstigung versagt.

1. Für Einkünfte freier Erfinder aus der Erfindertätigkeit (§§ 1 und 3 ErfVO) unterschied die (bis zum 31. Dezember 1988 geltende) ErfVO, die durch Art. 3 § 1 des Steueränderungsgesetzes 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) Gesetzeskraft erlangt hatte, zweierlei Steuererleichterungen: Zum einen war in § 4 ErfVO die Begünstigung der nicht im eigenen Betrieb verwerteten Erfindung (Fremdverwertung) geregelt, die neben der sofortigen Abziehbarkeit von durch die Erfindertätigkeit veranlaßten Aufwendungen (§ 4 Nr. 1 ErfVO) und der Möglichkeit eines besonderen Verlustabzugs (§ 4 Nr. 2 ErfVO) einen Sondertarif für die Erfindereinkünfte (§ 4 Nr. 3 ErfVO) vorsah; zum anderen enthielt § 5 ErfVO die Begünstigung bei Verwertung der Erfindung im eigenen gewerblichen Betrieb (Eigenverwertung), die sich auf eine entsprechende Anwendung der besonderen Finanzierungserleichterungen und der besonderen Verlustabzugsregelung (§ 4 Nr. 1 und Nr. 2 ErfVO) beschränkte.

Nach der von den Kläger erstrebten Begünstigungsregelung (§ 4 Nr. 3 Satz 1 ErfVO) wurde die anteilige Einkommensteuer, welche sich für die Einkünfte aus freier Erfindertätigkeit im Verhältnis zum Gesamtbetrag der Einkünfte aufgrund der Steuer ergab, die für das gesamte Einkommen nach der Einkommensteuertabelle festzusetzen gewesen wäre, für die Versuchszeit und für den Veranlagungszeitraum, in dem die Verwertung begann und für die acht folgenden Veranlagungszeiträume, bei patentierten Erfindungen höchstens aber für die Laufzeit des Patents, nur zur Hälfte erhoben.

Diese Voraussetzungen sind für die zuletzt im Klageverfahren und im Revisionsverfahren noch streitigen Einkünfte aus der Erfindertätigkeit des A erfüllt. Vor allem war insoweit der Begünstigungszeitraum nicht abgelaufen. Dieser hatte für alle drei Patente jeweils mit deren Verwertung außerhalb des eigenen Betriebs und unabhängig davon begonnen, ob und inwieweit diese Erfindungen zuvor oder gleichzeitig innerhalb des eigenen Betriebes verwendet worden waren (ebenso: Hutter in Blümich, Einkommensteuergesetz, u.a., Kommentar, 14. Aufl., § 4 ErfVO Tz. 48; Felix, Steuererlasse in Karteiform - StEK -, Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung freier Erfinder, Nr. 10 Anm.; Felix/Stahl, Erfinder in der Besteuerungspraxis, 2. Aufl., Köln 1981 Tz. 233; Knoppe, Die Besteuerung der Lizenz- und know-how-Verträge, 2. Aufl., Köln 1972, 139; - anderer Meinung: Kröger, Forschungskosten, Erfindungen, Lizenzen und know-how im Steuerrecht, 2. Aufl. 1977, S. 58; Mohr, Die Besteuerung der Erfinder und Erfindungen, München, 1985, S. 90; Finanzverwaltung, StEK, Verordnung über die einkommensteuerliche Behandlung freier Erfinder, Nr. 10; unklar Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1972 Abschn. 149 (5); die Gegenmeinung bezweifelnd: Clausen in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 4 ErfVO Tz. 36).

2. Mit der "Verwertung", deren Beginn zugleich den Anfang des Begünstigungszeitraums des § 4 Nr. 3 ErfVO bedeutet, ist die Fremdverwertung gemeint. Diese ist in § 4 ErfVO nach Gesetzesüberschrift, Aufbau und Inhalt der Vorschrift, deren alleiniger Regelungsgegenstand. Verdeutlicht wird das durch die Systematik der Gesamtregelung, die in den §§ 4 und 5 ErfVO mit der Fremdverwertung einerseits und der Eigenverwertung andererseits zwischen zwei Begünstigungstatbeständen unterscheidet. Im Versagen der Tarifvergünstigung für den Bereich der Eigenverwertung und in einer entsprechenden Privilegierung der Fremdverwertung liegt die eigentliche Bedeutung dieser Unterscheidung. Im Widerspruch zu dieser gesetzessystematischen Ausgangslage stünde es, wenn gerade im Rahmen der Begünstigungsvariante, die für die Eigenverwertung nicht in Betracht kommt, der Eigenverwertungstatbestand (§ 5 ErfVO) ein entscheidendes Kriterium sein sollte. Ein derart systemwidriges Hineinwirken des § 5 ErfVO in den Regelungsbereich des § 4 ErfVO hätte einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzgeberischen Anordnung bedurft. Sie fehlt nicht nur. Ihr steht vielmehr die unmißverständliche Ausklammerung des § 4 Nr. 3 ErfVO aus der in § 5 Satz 1 ErfVO enthaltenen, auf § 4 Nr. 1 und Nr. 2 ErfVO beschränkten Verweisung entgegen.

3. Daß es sich bei der Fremdverwertung und der Eigenverwertung um zwei scharf voneinander zu trennende Gesetzestatbestände handelt, wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte der ErfVO: Der Grund für die Versagung einer tariflichen Begünstigung im Fall der Eigenverwertung wurde in der "Unmöglichkeit" gesehen, "eine befriedigende Trennung des Gewinns aus der Verwertung der Erfindung von anderen Gewinnen des Gewerbebetriebs zu finden" (BRDrucks 136/51 S. 3 zu § 5 ErfVO). Damit verbundene Ermittlungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten, so befürchtete man außerdem, würden "an die Finanzbehörden Anforderungen stellen, denen sie mangels entsprechender Schulung nicht gewachsen" sein könnten, und sich schließlich als "Quelle zahlreicher Rechtsmittelverfahren" erweisen (BRDrucks, a.a.O.).

Der folgerichtigen systematischen Trennung von Fremd- und Eigenverwertung ebenso wie der Privilegierung der ersteren im Rahmen der Gesamtregelung liegt also ein wohldurchdachtes, von Erwägungen einer möglichst gerechten und einfachen Rechtsanwendung bestimmtes Konzept zugrunde. Andere Gesichtspunkte sind weder aus der BTDrucks zu § 85 des Entwurfs zum Einkommensteuergesetz - EStG - 1975 noch aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - ersichtlich (vgl. die Urteile vom 23. April 1971 IV 99/65, BFHE 102, 473, BStBl II 1971, 710, 711, und vom 16. Mai 1973 I R 143/71, BFHE 109, 510, BStBl II 1973, 827).

Die Notwendigkeit, aus den genannten Gründen Fremdverwertung und Eigenverwertung strikt auseinanderzuhalten, besteht in besonderem Maße dann, wenn beide Tatbestände - wie hier - hinsichtlich ein und derselben Erfindung (zumindest teilweise) gleichzeitig verwirklicht werden oder wenn die Fremdverwertung der Eigenverwertung nachfolgt (vgl. zum Nebeneinander von § 4 und § 5 ErfVO auch FG Nürnberg, Urteil vom 27. April 1955 I 53/53, EFG 1955, 333).

4. Auch unabhängig von der Systematik und dem erkennbar gewordenen Zweck der Regelung ist ein einleuchtender Grund dafür, den privilegierten Begünstigungstatbestand des § 4 ErfVO in Fällen der "gemischten" Verwertung zeitlich einzuschränken und den Begünstigungszeitraum mit der Eigenverwertung beginnen zu lassen, nicht erkennbar.

a) Der Haupteinwand des FG (und eines Teils der Gegenmeinung) gegen die hier vertretene Ansicht, es dürfe dem Erfinder nicht überlassen bleiben, den Begünstigungszeitraum zu seinem Vorteil selbst zu bestimmen, überzeugt nicht. Gerade die ErfVO eröffnete dem Steuerpflichtigen weitgehende Befugnisse hinsichtlich der Rechtsfolgebestimmung: Von seiner Entscheidung hing sowohl in § 4 Nr. 1 ErfVO als auch in § 4 Nr. 2 ErfVO die Inanspruchnahme der gegebenen Begünstigungsmöglichkeiten ab. Das galt auch für § 4 Nr. 3 ErfVO: Die Tarifvergünstigung wurde nur auf Antrag und überhaupt nur gewährt, sofern die bis 1981 in Betracht kommende andere Tarifvergünstigung für wissenschaftliche Nebeneinkünfte nicht in Anspruch genommen wurde. Insoweit also war die einkommensteuerrechtliche Behandlung von Erfindereinkünften ohnedies von einer Willensbekundung des Steuerpflichtigen abhängig.

Abgesehen davon aber bedeutet die hier vertretene Ansicht nicht, daß der Steuerpflichtige den Begünstigungszeitraum nach Belieben hätte festlegen können. Seine Einflußmöglichkeiten reichten insoweit nicht weiter als sonst im Steuerrecht, wenn der Gesetzestatbestand an bestimmte, für förderungswürdig gehaltene Verhaltensweisen von Personen anknüpft.

b) Eine unangemessene Ausdehnung des Begünstigungszeitraums hat die vom Senat bevorzugte Gesetzesauslegung ebenfalls nicht zur Folge: Die in § 4 Nr. 3 ErfVO angeordnete Obergrenze von höchstens neun Veranlagungszeiträumen konnte auch in Fällen gemischter Verwertung nicht überschritten werden. Sie war nur stets unabhängig von solchen Kriterien zu bestimmen, denen der Gesetzgeber erkennbar keine Bedeutung beigemessen hatte, nämlich den Versuchszeiten und dem Beginn der Eigenverwertung.

c) Auf die BFH-Rechtsprechung, vor allem auf das Urteil vom 26. Mai 1971 IV R 61/66 (BFHE 102, 482, BStBl II 1971, 735), kann sich die Gegenmeinung nicht berufen: Dort ging es um die hier nicht entscheidungserhebliche Frage, was unter Verwertung in einem fremden Betrieb zu verstehen ist, und dann weiter um das Problem, was in diesem Zusammenhang als Verwertungshandlung anzusehen ist (Vertrieb und/oder Herstellung; vgl. auch BFH-Urteil vom 5. November 1970 IV 210/65, BFHE 100, 512, BStBl II 1971, 97), nicht aber darum, ob in § 4 Nr. 3 ErfVO auch Eigenverwertung den Beginn des Begünstigungszeitraums markieren könne. Auch das BFH-Urteil vom 20. Juli 1962 IV 30/60 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963, 108) ist nicht einschlägig, weil es sich nur mit der Abgrenzung "Erfinden"/"Verwerten" befaßt.

5. Die Sache war an das FG zurückzuverweisen, weil dieses - von seinem Standpunkt aus zu Recht - keine tatsächlichen Feststellungen zur Höhe der Einkünfte getroffen hat, die nach dem zuletzt geäußerten Klagebegehren in den einzelnen Streitjahren noch streitig sind.