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BFH-Urteil vom 11.9.1991 (XI R 16/90) BStBl. 1992 II S. 132

Art. 80 Abs. 1 GG - als Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts - wird nicht dadurch verletzt, daß eine auf § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG gestützte Rechtsverordnung unbestimmte Rechtsbegriffe enthält. Dies gilt auch dann, wenn der Verordnungsgeber zur Ausfüllung dieser Begriffe Verwaltungsrichtlinien aufstellt oder sich auf solche bezieht.

GG Art. 80 Abs. 1; FVG § 17 Abs. 2 Satz 3.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg (EFG 1990, 559)

Sachverhalt

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) unterhielt im Verwaltungsbezirk des Finanzamts X einen Gewerbebetrieb; er wohnt auch in diesem Bezirk. Der Betrieb erwirtschaftete 1982 bis 1984 folgende Umsätze und Gewinne:

                        1982                 1983                 1984                

---------------------------------------------------------------------------------

                          DM                   DM                   DM

Umsätze           .........               .........               .........

Gewinne           .........               .........               .........

Auf Grund seiner am 14. April 1986 erlassenen Prüfungsanordnung führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) bei dem Kläger eine auf § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützte Außenprüfung durch. Die daraufhin ergangenen Steuerbescheide des Finanzamts X hat der Kläger angefochten.

Im Beschwerdeverfahren gegen die Prüfungsanordnung rügte der Kläger die Unzuständigkeit des FA. Das FA und die Oberfinanzdirektion (OFD) folgten dem unter Hinweis auf § 1 Nr. 29 Buchst. a der Verordnung des Finanzministeriums des Landes Baden-Württemberg zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter (Zuständigkeitsverordnung) vom 6. August 1985 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg - GBl. BW - 1985, 302, BStBl I 1985, 569) i. V. m. § 17 Abs. 2 Satz 3 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) nicht. Hierin war die Außenprüfung der gewerblichen und freiberuflichen Groß- und Mittelbetriebe im Bereich des Finanzamts X dem beklagten FA übertragen worden. Die vom Kläger erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hatte demgegenüber Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, daß für den Erlaß der Prüfungsanordnung nicht das beklagte FA, sondern das Finanzamt X zuständig sei. Es war der Auffassung, § 1 Nr. 29 Buchst. a der Zuständigkeitsverordnung verstoße insoweit gegen § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG, als die Vorschrift mit dem Begriff "Mittelbetrieb" auf die in § 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO(St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) niedergelegten variablen Abgrenzungsmerkmale verweise. Die Zuständigkeitsverordnung genüge daher nicht der in § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG enthaltenen Ermächtigung, durch Rechtsverordnung die zuständigkeitsbegründenden Merkmale festzulegen. Dementsprechend stehe die Zuständigkeitsverordnung nicht im Einklang mit dem Gesetz und sei unwirksam. Die Entscheidung des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1990, 559 veröffentlicht.

Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Fortsetzungsfeststellungsklage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger hat keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat angenommen, die angefochtene Prüfungsanordnung sei nicht durch eine hinreichende gesetzliche Grundlage in § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG gedeckt. Diese Annahme ist unzutreffend. Mit ihr hat das FG Bundesrecht unrichtig angewendet und daher verletzt (§ 118 Abs. 1 FGO).

1. Außenprüfungen werden von den für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörden durchgeführt (§ 195 Satz 1 AO 1977). Zuständig für die Besteuerung des Klägers war an sich das Finanzamt X (§§ 18 Abs. 1 Nr. 2, 19 Abs. 1, 22 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. dem Erlaß des Baden-Württembergischen Finanzministers vom 24. Juni 1983 0 2102-8/83, BStBl I 1983, 432, unter III.). Abweichend hiervon ist jedoch nach § 1 Nr. 29 Buchst. a der Zuständigkeitsverordnung vom 6. August 1985 die allgemeine Außenprüfung (Betriebsprüfung) der .... gewerblichen und freiberuflichen Groß- und Mittelbetriebe .... im Bereich des Finanzamts X dem beklagten FA übertragen worden. Diese Regelung ist nicht zu beanstanden.

§ 17 Abs. 2 Satz 3 FVG bestimmt nämlich, daß durch Rechtsverordnung einem Finanzamt Zuständigkeiten für die Bezirke mehrerer Finanzämter übertragen werden können, soweit es sich um Aufgaben der Finanzverwaltung handelt und dadurch der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert wird. Es handelt sich hierbei um eine bundesgesetzliche Ermächtigung gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Von dieser Ermächtigung ist in Baden-Württemberg durch die vorgenannte Zuständigkeitsverordnung, also durch ein Gesetz im materiellen Sinn, in rechtswirksamer Weise Gebrauch gemacht worden. Der Umstand, daß die Abgrenzung der Zuständigkeiten nach § 1 Nr. 29 Buchst. a dieser Verordnung davon abhängig ist, daß es sich bei dem jeweiligen Steuerpflichtigen um einen sog. Groß- oder Mittelbetrieb handelt, widerspricht dem nicht. Zwar ist weder durch Bundes- noch durch Landesrecht ausdrücklich vorgegeben, an welchen Maßstäben sich die Einteilung in die jeweilige Größenklasse zu orientieren hat. In der Praxis mag es sich deshalb als erforderlich erweisen, zur Konkretisierung und Ausfüllung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe auf Verwaltungsrichtlinien - wie hier § 3 BpO(St) - zurückzugreifen. Durch einen Rückgriff auf derartige gesetzesinterpretierende Verwaltungsrichtlinien, denen in der Regel keine Außenwirkung zukommt und die keine Rechtsnormqualität haben (vgl. dazu auch das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. April 1983 VII R 3/80, BFHE 138, 157, 163; zur Abgrenzung zwischen Verwaltungsrichtlinien und Rechtsverordnungen s. auch Maunz in Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Kommentar, Art. 80 Rdnr. 18), wird § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG und damit Art. 80 Abs. 1 GG - als Ausprägung des allgemeinen, in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gesetzesvorbehalts (s. auch Schmidt-Bleibtreu in Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl., Art. 80 Rdnr. 2) - jedoch nicht verletzt. Damit übereinstimmend hat auch das BFH-Urteil vom 4. April 1984 I R 269/81 (BFHE 140, 509, BStBl II 1984, 563) nicht beanstandet, daß in § 2 der Rechtsverordnung des Niedersächsischen Ministers der Finanzen vom 30. November 1981 über Zuständigkeiten von Finanzämtern für den Bereich mehrerer Finanzämter (BStBl I 1982, 225) auf den Begriff des Großbetriebs Bezug genommen ist. Daß es sich - aus Gründen der Klarheit - empfohlen hätte, in der Verordnung unmittelbar auf die BpO(St) Bezug zu nehmen (so z. B. §§ 14 und 15 der Hessischen Zuständigkeitsverordnung vom 13. Oktober 1989, geändert durch Verordnung vom 22. Dezember 1989, BStBl I 1990, 125), kann am Ergebnis nichts ändern.

2. Das beklagte FA war demnach für die Durchführung der Außenprüfung bei dem Kläger zuständig. Das nach den allgemeinen Grundsätzen zuständige Finanzamt X hat insoweit seine Zuständigkeit verloren. Eines besonderen Prüfungsauftrags durch das Betriebsstättenfinanzamt (vgl. § 195 Satz 2 AO 1977) bedurfte es nicht.

3. Der erkennende Senat hat dennoch davon abgesehen, abschließend in der Sache selbst zu entscheiden. Denn die Zuständigkeitsverordnung vom 6. August 1985 gehört unabhängig davon, daß sie auf Grund einer in einem Bundesgesetz enthaltenen Ermächtigung erlassen worden ist, dem Landesrecht an und ist als solche grundsätzlich nicht revisibel (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. BFH-Beschluß vom 2. März 1982 VII B 148/81, BFHE 135, 169, BStBl II 1982, 327, unter Berufung auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 1965 2 BvN 1/62, BVerfGE 18, 407). Bundesrechtlicher und damit revisibler Ausgangspunkt für die angegriffene Entscheidung der Vorinstanz war allein die Frage nach der Vereinbarkeit der Zuständigkeitsverordnung vom 6. August 1985 mit der Regelung in § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG. Demgegenüber obliegt es dem FG und nicht dem erkennenden Senat, abschließend über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Zuständigkeitsverordnung zu entscheiden. Da dies aber im Streitfall bislang nicht geschehen ist, ist die Sache nicht entscheidungsreif. Das FG wird in tatsächlicher Hinsicht feststellen müssen, ob der Kläger die Voraussetzungen eines "Mittelbetriebes" erfüllt.