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  BFH-Urteil vom 10.10.1991 (VI R 44/90) BStBl. 1992 II S. 237

Hat ein lediger Zeitsoldat zu Beginn seiner vierjährigen Dienstzeit ohne Zuweisung an einen bestimmten Stationierungsort jeweils mehrmonatige Ausbildungsabschnitte an verschiedenen Ausbildungsorten abzuleisten und ist ihm wegen der kurzen Dauer der einzelnen Ausbildungsabschnitte nicht zuzumuten, den Mittelpunkt seines Lebens an dem bisherigen Wohnort aufzugeben, so handelt es sich um auswärtige Beschäftigungen von verhältnismäßig kurzer Dauer, die den Abzug von Unterkunftskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG rechtfertigen.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Der ledige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) trat am 1. Oktober 1986 als Zeitsoldat mit einer Verpflichtungszeit von vier Jahren in die Bundeswehr (Marine) ein. Er wurde dort bei einer Ausbildungszeit von rd. drei Jahren als Offiziersanwärter zum Marineflieger ausgebildet. Im Streitjahr 1987 war er zu Lehrgängen nach B (1. Januar bis 30. Juni), nach W (1. Juli bis 30. September) und nach P (1. Oktober bis 31. Dezember) abkommandiert. Dort war ihm eine Unterkunft in den jeweiligen Kasernen zugewiesen. Seinen Hauptwohnsitz behielt der Kläger im Hause seiner Eltern in H bei, wo sich unstreitig auch der Mittelpunkt seiner Lebensführung befand.

Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1987 machte der Kläger neben nicht mehr streitigen Aufwendungen auch Kosten für die Gemeinschaftsunterkunft an den Lehrgangsorten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zum Abzug als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab, da die auswärtige Tätigkeit des Klägers wegen dessen vierjähriger Verpflichtungszeit von vornherein auf längere Zeit angelegt gewesen sei und damit keine Kosten entsprechend den Grundsätzen einer doppelten Haushaltsführung zum Werbungskostenabzug anerkannt werden könnten.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit folgenden Gründen statt. Als lediger Steuerpflichtiger habe der Kläger nicht den Tatbestand der doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne aber ein lediger Steuerpflichtiger, bei dem die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht vorlägen und der unter Beibehaltung seiner bisherigen Wohnung eine Tätigkeit an einem neuen Arbeitsort aufnehme, die dadurch verursachten notwendigen Mehraufwendungen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Werbungskosten abziehen. Dies gelte dann, wenn die auswärtige Tätigkeit von verhältnismäßig kurzer Dauer sei und daher dem Steuerpflichtigen die Aufgabe der Wohnung am Mittelpunkt seiner Lebensführung nicht zugemutet werden könne. Im Falle einer längerfristigen oder dauerhaften auswärtigen Tätigkeit dürfe ein umzugsbereiter Arbeitnehmer die notwendigen Mehraufwendungen für eine Übergangszeit als Werbungskosten abziehen, solange er eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung nicht erlangen könne. Dieser Rechtsprechung sei zu folgen. Ein Aufenthalt von verhältnismäßig kurzer Dauer sei jedoch nicht generell auf einen Zeitraum von höchstens zwei Jahren zu begrenzen. Die berufliche Veranlassung der durch die auswärtige Tätigkeit verursachten Mehraufwendungen müsse wegen der Besonderheiten des Einzelfalles auch über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus bejaht werden können. Ein solcher Ausnahmefall sei z. B. dann gegeben, wenn eine länger als zwei Jahre dauernde Ausbildung an verschiedenen Orten stattfinde und dem Arbeitnehmer deshalb die Aufgabe der bisherigen Wohnung nicht zugemutet werden könne. Von einem solchen Ausnahmetatbestand sei auch im Streitfall auszugehen. Wenn sich auch der Kläger für vier Jahre verpflichtet habe, müßten gleichwohl die strittigen Unterbringungskosten als Werbungskosten berücksichtigt werden, weil die Ausbildung zum Marineflieger jeweils für kurze Zeitabschnitte an verschiedenen Orten stattgefunden habe und ein Umzug vom Mittelpunkt der Lebensführung in H an die jeweiligen Beschäftigungsorte nicht zumutbar gewesen sei. Jedenfalls sei dem Kläger die Begründung eines eigenen angemessenen Haushalts am jeweiligen Beschäftigungsort so lange nicht zuzumuten gewesen, solange er an häufig wechselnden Orten ausgebildet worden sei. Auf die Umzugsbereitschaft des Klägers komme es unter diesen Umständen nicht an.

Mit der Revision begehrt das FA die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage. Es rügt die Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG und trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Die Finanzverwaltung stehe auf dem Standpunkt, daß die Voraussetzungen für eine auswärtige Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer im Sinne der bisherigen BFH-Rechtsprechung nicht erfüllt seien, wenn sich ein Zeitsoldat für mehr als zwei Jahre verpflichte. Dabei sei auf den Gesamtzeitraum der auswärtigen Beschäftigung abzustellen, da ein Zeitsoldat nach der Beendigung der Tätigkeit an einem Ausbildungsort voraussichtlich nicht wieder an den Mittelpunkt der Lebensinteressen zurückkehre, sondern von seinem Arbeitgeber an einem anderen auswärtigen Beschäftigungsort eingesetzt werde. Anhand dieser bei Zeitsoldaten üblichen Gepflogenheiten sei zu beurteilen, ob dem ledigen Arbeitnehmer die Aufgabe der bisherigen Wohnung zuzumuten sei. Dies sei im Streitfall zu bejahen. Der Kläger habe mit seiner Berufswahl zum Zeitsoldaten auch die notwendigerweise damit verbundene Unterbringung in der Kaserne in Kauf nehmen müssen; mit der Unterkunft in der Kaserne habe dem Kläger eine angemessene Wohnung zur Verfügung gestanden. Er könne sich damit nicht auf die Unzumutbarkeit der Aufgabe seiner Wohnung in H berufen.

Der nicht vertretene Kläger hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Zutreffend hat das FG die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG verneint, da der ledige Kläger am Ort seines Lebensmittelpunktes in H nicht mit von ihm abhängigen Angehörigen in einem Haushalt zusammengelebt hat (BFH-Urteil vom 20. Juni 1975 VI R 72/74, BFHE 116, 41, BStBl II 1975, 649). Erfüllt ein lediger Arbeitnehmer nicht die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG, so können die notwendigen Aufwendungen, die durch die Tätigkeit am auswärtigen Beschäftigungsort entstehen, als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG berücksichtigt werden, und zwar für die ersten zwei Wochen der Tätigkeit am Beschäftigungsort in allen Fällen und in der Folgezeit, wenn es sich

a) um eine auswärtige Beschäftigung von verhältnismäßig kurzer Dauer handelt, der Arbeitnehmer den Mittelpunkt seiner Lebensführung am bisherigen Wohnort beibehält, nach Beendigung der auswärtigen Beschäftigung voraussichtlich wieder an diesen Wohnort zurückkehrt und ihm deshalb die Aufgabe seiner bisherigen Wohnung nicht zumutbar ist, oder

b) um eine längerfristige oder auf Dauer abgestellte auswärtige Beschäftigung handelt, solange der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung nicht erlangen kann.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Arbeitnehmer für die Beibehaltung seiner bisherigen Wohnung Aufwendungen entstehen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 1983 VI R 51/79, BFHE 138, 212, BStBl II 1983, 515; bestätigt durch Urteil vom 29. Januar 1988 VI R 192/84, BFH/NV 1988, 367, unter 1 der Entscheidungsgründe).

2. Diese Grundsätze gelten auch bei einem Zeitsoldaten, der sich auf vier Jahre verpflichtet hat. Dabei können jedoch Besonderheiten der Ausgestaltung des Dienstverhältnisses von Bedeutung sein.

a) Wird der Zeitsoldat einem Stationierungsort entweder für unbestimmte Zeit oder von vornherein für vier Jahre zugeordnet, so handelt es sich um eine längerfristige auswärtige Beschäftigung an diesem Beschäftigungsort. In einem solchen Fall können die mit der auswärtigen Tätigkeit zusammenhängenden notwendigen Mehraufwendungen (wie z. B. Mietkosten) so lange als Werbungskosten abgezogen werden, als der Zeitsoldat eine nach objektiven Maßstäben angemessene Wohnung nicht erlangen kann und die bisherige Unterkunft als Lebensmittelpunkt beibehalten wird.

b) Wird der Zeitsoldat am Anfang seiner Dienstzeit nicht auf unbestimmte Zeit oder für vier Jahre einem bestimmten Stationierungsort zugewiesen, sondern hat er jeweils lediglich mehrmonatige Ausbildungsabschnitte an verschiedenen Ausbildungsorten abzuleisten, so handelt es sich um auswärtige Beschäftigungen von verhältnismäßig kurzer Dauer. Es ist in diesem Zeitraum noch unzumutbar, daß der Soldat seine Wohnung an dem bisherigen Mittelpunkt seiner Lebensführung aufgibt und an die jeweilig kurzfristigen Beschäftigungsorte verlegt. In einem solchen Fall sind die notwendigen Mietaufwendungen an den jeweilig kurzfristigen Beschäftigungsorten als Werbungskosten abzugsfähig.

3. Die Sache war unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen, weil die tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung des Streitfalles nicht ausreichen. Der Vorentscheidung ist insbesondere nicht zu entnehmen, wo der Kläger seinen Stationierungsort hatte, dem er zunächst auf unbestimmte Zeit oder bereits für vier Jahre zugeordnet und von dem er jeweils abgeordnet worden war. Es ist nicht auszuschließen, daß einer der Lehrgangsorte (insbesondere P) zugleich dieser Stationierungsort war. Sollte dies der Fall gewesen sein und war dem Kläger entsprechend den vorstehenden Grundsätzen bereits im Streitjahr 1987 der Umzug an diesen Stationierungsort zuzumuten, so könnten die Kosten für die Unterkunft an diesem Stationierungsort nicht als Werbungskosten abgezogen werden. Gegen den Abzug der an den anderen kurzfristig aufgesuchten Lehrgangsorten angefallenen Unterkunftskosten bestünden in diesem Fall im Hinblick auf die Anwendung von Dienstreisegrundsätzen keine Bedenken.