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  BFH-Urteil vom 10.1.1992 (VI R 117/90) BStBl. 1992 II S. 720

Arbeitnehmern, die mit den von einem ausländischen Arbeitgeber bezogenen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Inland unbeschränkt steuerpflichtig und daher nach § 25 EStG auch dann zu veranlagen sind, wenn das Einkommen unterhalb der Veranlagungsgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG liegt, steht die Vergünstigung des § 46 Abs. 3 und 5 EStG zu.

EStG § 46 Abs. 3 und 5.

Vorinstanz: FG Baden-Württemberg

Sachverhalt

Der verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hatte in den Streitjahren 1987 und 1988 zusammen mit seiner Ehefrau den alleinigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) in der Nähe der Grenze zur Schweiz. Er arbeitete nichtselbständig für einen Arbeitgeber in der Schweiz. Seine Arbeitsstätte war in der Nähe der Grenze zur Bundesrepublik gelegen. Der ausländische Arbeitgeber behielt von den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 50.352 DM (1987) bzw. in Höhe von 54.701 DM (1988) keine Lohnsteuer ein.

Der Kläger reichte beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) Einkommensteuererklärungen 1987 und 1988 ein. Darin erklärte er zu versteuernde Einkommen für 1987 und 1988 in Höhe von jeweils unter 48.000 DM. Darin waren neben den in der Schweiz erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch solche aus Kapitalvermögen in Höhe von 300 DM (1987) bzw. 1.150 DM (1988) enthalten. Das FA erließ am 21. bzw. am 17. Juli 1989 Einkommensteuerbescheide 1987 und 1988. Darin lehnte es die Anwendung des § 46 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (1987) bzw. des § 46 Abs. 5 EStG i. V. m. § 70 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) ab, weil von den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit keine Lohnsteuer einbehalten worden sei und deshalb keine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 EStG in Betracht komme.

Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung des § 46 Abs. 3 und 5 EStG 1987 i. V. m. § 70 EStDV. Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

1. Nach Art. 15 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 - DBA-Schweiz - (BGBl II 1972, 1021, BStBl I 1972, 518) kann ein Arbeitnehmer, der als Grenzgänger in einem Vertragsstaat in der Nähe der Grenze ansässig ist und in dem anderen Vertragsstaat in der Nähe der Grenze seinen Arbeitsort hat, mit seinen Einkünften aus unselbständiger Arbeit nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem er ansässig ist. Zu diesen Tatbestandsmerkmalen hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und den erkennenden Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), daß der Kläger seinen alleinigen Wohnsitz in den Streitjahren in der Bundesrepublik in der Nähe der Grenze zur Schweiz hatte. Er war nur in der Bundesrepublik unbeschränkt steuerpflichtig und deshalb gemäß Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz nur hier ansässig. Der Kläger übte eine nichtselbständige Arbeit in der Schweiz aus. Sein Arbeitsort war in der Schweiz in der Nähe der Grenze gelegen (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 18. Juni 1971 zu Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz). Damit waren die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit nur in der Bundesrepublik als dem Ansässigkeitsstaat des Klägers steuerpflichtig.

2. Nach §§ 38 ff. EStG wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit die Einkommensteuer in der Regel durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) erhoben. Gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 EStG gilt dies jedoch dann nicht, wenn der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der im Inland weder einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung - AO 1977 -) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO 1977), noch seine Geschäftsleitung (§ 10 AO 1977), noch seinen Sitz (§ 11 AO 1977), noch seine Betriebsstätte (§ 12 AO 1977), noch einen ständigen Vertreter (§ 13 AO 1977) hat und auch nicht die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt. Zwar hat das FG zu diesen Voraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht nur festgestellt, daß der Kläger für einen mit Name und Adresse benannten schweizerischen Arbeitgeber tätig war. Der Senat versteht jedoch diese Feststellung entsprechend dem übereinstimmenden Vorbringen beider Beteiligter dahin, daß der Arbeitgeber kein inländischer i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG war und er auch die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht erfüllte. Deshalb war im Streitfall die Einkommensteuer nicht durch den Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) abgegolten (§ 46 Abs. 4 EStG), sondern durch Veranlagung gemäß § 25 Abs. 1 EStG zu erheben.

3. Die Veranlagung gemäß § 25 Abs. 1 EStG konnte im Streitfall nicht aus Gründen des § 46 EStG unterbleiben, weil das Einkommen des Klägers nicht ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bestand, von denen ein Steuerabzug vorgenommen wurde. Entsprechend entfällt nach dem Wortlaut auch die Anwendung des § 46 Abs. 2 EStG auf den Streitfall. Die Vorschrift greift nach dem Wortlaut nur dann ein, wenn gemäß § 46 Abs. 1 EStG eine Veranlagung an sich zu unterbleiben hat, sie jedoch aus Gründen durchgeführt werden soll, die außerhalb des § 46 Abs. 1 EStG liegen und in § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 8 EStG einzeln aufgezählt sind. Nach dem klaren Wortlaut der in den Streitjahren 1987 und 1988 geltenden Fassung setzt die Anwendung des § 46 Abs. 3 EStG einen Fall des § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 7 und 8 Buchst. a, c, d oder e EStG voraus. § 46 Abs. 5 EStG findet nur auf Fälle des § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG Anwendung.

4. Die für den Streitfall letztlich entscheidende Frage geht demgemäß dahin, ob bei einer Veranlagung gemäß § 25 Abs. 1 EStG die Härteausgleichsregelung des § 46 Abs. 3 und 5 EStG aus Gleichbehandlungsgründen (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) analog anzuwenden ist. Diese Frage hat der Senat im Urteil vom 7. August 1959 VI 299/57 U (BFHE 69, 538, BStBl III 1959, 462) bezogen auf § 46 EStG 1955 bejaht. Er hielt es nicht für vertretbar, einen Steuerpflichtigen, der z. B. neben Lohneinkünften noch Mieteinkünfte von 300 DM hat, mit den Lohneinkünften und den Mieteinkünften voll zur Einkommensteuer heranzuziehen, weil der Steuerabzug unterblieben ist, während eine Besteuerung der Mieteinkünfte nach § 46 Abs. 1 Ziff. 2 EStG 1955 nicht in Betracht käme, wenn Lohnsteuer einbehalten worden wäre. Dieses Ergebnis wäre mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht vereinbar.

Der Senat hält an dieser Auffassung auch für die in den Streitjahren geltende Fassung des § 46 EStG fest. Wenn man auch davon ausgehen kann, daß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Verwaltungsvereinfachung zum Ziele hat - wobei die Vereinfachung darin besteht, nicht wegen einer geringfügigen Steuerforderung einen Einkommensteuerbescheid mit allen seinen Rechtsfolgen erlassen zu müssen -, so ist jedoch festzustellen, daß gemäß § 46 Abs. 3 EStG in sämtlichen Fällen, in denen auch trotz Nichterreichens der Veranlagungsgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 EStG durchzuführen ist, die Freigrenze von 800 DM gewährt wird (Entsprechendes gilt für § 46 Abs. 5 EStG). Ist indes auf jeden Fall eine Veranlagung durchzuführen, besteht eigentlich kein Grund mehr, die Freigrenze, die ja zur Vermeidung einer Veranlagung von Arbeitnehmern mit geringfügigen Nebeneinkünften eingeführt worden war, zu gewähren. Der Wille des Gesetzgebers geht nach Ansicht des Senats somit dahin, daß die geringverdienenden Arbeitnehmer die Vorteile der Freigrenze auch bei einer Veranlagung nicht verlieren sollen (vgl. auch Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, § 46 Rdnr. D 1).

Bei den Veranlagungsfällen des § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 6 EStG handelt es sich um Veranlagungsfälle von Amts wegen. Diese Amtsveranlagungen auch für solche Arbeitnehmer, die mit ihren Lohneinkünften unterhalb der Veranlagungsgrenzen des § 46 Abs. 1 EStG liegen, sind erforderlich, weil es regelmäßig wegen der Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens nicht zur zutreffenden Einbehaltung der Lohnsteuer kommt und daher die zu wenig einbehaltene Lohnsteuer im Wege der Veranlagung nacherhoben werden soll.

Eine vergleichbare Interessenlage weist auch der vorliegende Streitfall auf. Im Hinblick auf § 38 Abs. 1 EStG - also ebenfalls im Hinblick auf die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens - hatte der ausländische Arbeitgeber auf die an den Kläger ausgezahlten Löhne keine Lohnsteuer einzubehalten. Aus diesem Grunde mußte es zur Veranlagung kommen, um die nichteinbehaltene Lohnsteuer nachzuerheben. Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, weshalb dem Kläger - anders als in den oben angeführten gleichgelagerten Fällen des § 46 Abs. 2 Nrn. 2 bis 6 EStG - die Härteregelung versagt sein soll, die ihm zugestanden hätte, wenn er bei einem inländischen Arbeitgeber beschäftigt gewesen wäre.