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  BFH-Urteil vom 28.2.1992 (VI R 146/87) BStBl. 1992 II S. 733

Voraussetzung für die bei einer Nettolohnvereinbarung aus § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG abgeleitete Annahme, die Lohnsteuer sei durch den Arbeitgeber vorschriftsmäßig einbehalten und abgeführt worden, ist der Nachweis, daß der Arbeitgeber abredegemäß - ggf. neben den Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung - auch die Lohnsteuer des Arbeitnehmers tragen soll und der Arbeitnehmer den vorschriftsmäßigen Lohnsteuerabzug durch Übergabe einer Lohnsteuerkarte ermöglicht hat.

EStG § 42 d Abs. 3 Satz 4.

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist im Hauptberuf Lehrer. Daneben erteilte er Musikunterricht an den Kreismusikschulen in A und B. Als nebenberuflicher Musiklehrer an der Musikschule B erhielt er in den Streitjahren Honorare in Höhe von 1973: 3.151 DM, 1974: 8.261 DM, 1975: 8.081 DM und 1976: 9.974 DM, die er in seinen Steuererklärungen nicht deklarierte. Die Musikschule B hat für die Honorare keine Lohnsteuer abgeführt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erfaßte, nachdem er durch eine Steuerfahndungsprüfung von dem Sachverhalt erfahren hatte, im Jahre 1984 in geänderten Einkommensteuerbescheiden obige Honorare nach Abzug von 20 v. H. Werbungskosten unter den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Der Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage trug der Kläger vor, das erzielte Honorar sei im Vergleich zu seiner Arbeitsleistung gering gewesen. Deshalb habe ihm die Musikschule B in Absprache mit dem örtlichen zuständigen Finanzamt mitgeteilt, er brauche - wie auch die anderen Musiklehrer - diese Löhne nicht zu versteuern, da es Nettolöhne seien. Zum Beweis hierfür hat der Kläger den Mitbegründer der Musikschule M als Zeugen benannt, von dem er auch ein Schreiben vom 25. März 1983 und eine eidesstattliche Versicherung zum Gegenstand der Mitteilung bzw. Absprache vorgelegt hat. Der Kläger war der Ansicht, die unterbliebene Erklärung der Honorare könne ihm deshalb nicht vorgeworfen werden. Die Einkommensteuer sei somit verjährt. Darüber hinaus machte der Kläger für die Streitjahre weitere, mit den Nebeneinkünften zusammenhängende Aufwendungen in Höhe von insgesamt 28.344 DM als Werbungskosten geltend.

Das FA war der Ansicht, die Steuer sei hinterzogen worden, weshalb die zehnjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Die Honorareinnahmen seien nicht Arbeitslohn, sondern Einnahmen aus selbständiger Arbeit gewesen. Die Musikschule sei deshalb weder Steuer- noch Haftungsschuldner gewesen. Die ertragsteuerlichen Auswirkungen hätten sich vielmehr nur beim Kläger ergeben. Aus dem Schreiben vom 25. März 1983 gehe lediglich hervor, daß die von der Musikschule gezahlten Honorare so niedrig gewesen seien, daß sie eigentlich schon Nettohonorare seien, und daß sie von der Schule nicht versteuert würden. Aber auch bei einer Nettolohnbesteuerung bleibe der Kläger Steuerschuldner. Die Voraussetzungen einer Pauschalversteuerung hätten nicht vorgelegen. Es sei auch nicht glaubhaft, daß der Kläger davon ausgegangen sei, die Musikschule B habe für ihn Steuern abgeführt. Denn dann wäre anzunehmen gewesen, daß er die jetzt behaupteten Werbungskosten geltend gemacht hätte. Tatsächlich habe er seine Einnahmen an der Musikschule A als solche aus selbständiger Arbeit angegeben. Mit welchem Selbstverständnis der Kläger sich über seine steuerliche Verpflichtung hinweggesetzt habe, ergebe sich aus seinem Schreiben an die Musikschule B, wo er ausgeführt habe, bei der niedrigen Abfindung habe er sich keineswegs veranlaßt gesehen, die vollen Nebenerwerbseinkünfte dem FA zu deklarieren.

Die Klage hatte lediglich hinsichtlich der zusätzlich geltend gemachten Werbungskosten teilweise Erfolg. Zur Befugnis des FA, die streitigen Honorare der Musikschule B zu erfassen, führte das Finanzgericht (FG) aus, die Steuern seien nicht verjährt gewesen, da sie hinterzogen worden seien. Die zehnjährige Verjährungsfrist für hinterzogene Steuern (§ 144 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -) sei bei Bekanntgabe der Änderungsbescheide im Verlaufe des Jahres 1984 noch nicht abgelaufen gewesen.

Der Kläger habe den objektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977) erfüllt, indem er die Honorare der Musikschule B in seinen Steuererklärungen nicht angegeben habe. Ein Verschulden wäre ihm nur dann nicht vorzuwerfen, wenn er davon ausgegangen wäre, der Arbeitgeber habe die Lohnsteuer pauschaliert. Dies habe der Kläger aber so nicht behauptet. Er habe vielmehr vorgetragen, der damalige Mitbegründer der Schule M habe mit dem Finanzbeamten F vereinbart, es müsse bei einer "Nettobesteuerung" wie bisher verbleiben, und die Lehrer hätten die Honorare nicht zu versteuern. Er habe auf die Auskunft vertraut, daß es sich um "Nettohonorare" gehandelt habe, die er nicht zu versteuern brauche. Tatsächlich sei keine "Nettobesteuerung" der Löhne durchgeführt worden. Sofern die Behauptung des Klägers zuträfe, habe - jedenfalls auch - Herr M eine Steuerhinterziehung begangen, da der Arbeitgeber, der für seine Arbeitnehmer keine Lohnsteuer einbehalte und abführe und damit rechne, daß auch diese die Lohneinkünfte nicht angäben, gleichzeitig mit der Lohnsteuer auch die Einkommensteuer seiner Arbeitnehmer hinterziehe.

Hinsichtlich der Verjährungsvorschriften sei es gleichgültig, ob der Kläger selbst oder ein Dritter die Einkommensteuer hinterzogen habe. Es komme nur auf die Eigenschaft der Beträge als hinterzogene an, weil Steueransprüche, die Gegenstand einer Steuerhinterziehung gewesen seien, unabhängig von der Person des Hinterziehers in der Regel schwer aufklärbar seien und infolgedessen nicht im Rahmen des normalen Verwaltungsablaufs geltend gemacht werden könnten (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. März 1980 VII R 88/77, BFHE 130, 131).

Da in jedem Fall eine Steuerhinterziehung vorliege - sei es beim Kläger, sei es bei seinem Arbeitgeber, sei es bei beiden -, sei die Vernehmung der Zeugen F und M über den "wahren" Sachverhalt nicht erforderlich.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Wie der Tatbestand des angefochtenen Urteils ausweise, sei eine Nettolohnvereinbarung substantiiert unter Beweisantritt dargelegt worden. Diese Sachverhaltsdarstellung sei vom FA nicht bestritten worden, weshalb sie als unstreitig gelten könne. Unstreitig sei nach den Feststellungen des FG ebenfalls, daß er, der Kläger, von der Nichtabführung von Lohnsteuer keine Kenntnis gehabt habe. In einem solchen Fall gelte mit der Auszahlung des Nettolohns der Bruttoarbeitslohn als vorschriftsmäßig um die Lohnsteuer gekürzt; das Risiko der Nichtabführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber trage das FA. Auch die nicht angemeldeten und nicht abgeführten Lohnsteuerbeträge seien eine gegenüber dem Arbeitnehmer i. S. von § 36 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erhobene Einkommensteuer. Eine insofern erfüllte Steuerschuld könne nicht durch unterlassene Erklärung im Einkommensteuervordruck hinterzogen werden. Eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers komme nur in Frage, wenn er - was hier nicht der Fall gewesen sei - positiv gewußt habe, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht angemeldet habe.

Sollten die Feststellungen des FG für die Annahme einer Nettolohnvereinbarung nicht ausreichen, beruhe dies auf dem Verfahrensmangel eines - obwohl entscheidungserheblich - übergangenen Beweisantritts. Es sei mit Schriftsatz vom 29. Mai 1985 und 9. Oktober 1985 beantragt worden, die Zeugen M und K zum Beweis dafür anzuhören, daß zwischen M als Beauftragtem der Schulleitung und dem Finanzbeamten F eine Verhandlung über die Besteuerung der an die Lehrkräfte gezahlten Vergütungen stattgefunden habe, die zu dem Ergebnis geführt habe, es müsse bei der bisherigen Nettobesteuerung bleiben, mit der Folge, daß die Lehrer ihre Honorare nicht zu versteuern hätten. Dieses Ergebnis sei dem Zeugen K und dem Kläger mitgeteilt worden. Die beantragte Vernehmung hätte die Richtigkeit dieser Behauptung ergeben. Auf die Vernehmung der erwähnten Zeugen sei auch nicht etwa nachträglich verzichtet worden. Das Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung vom 13. März 1986 weise keinen derartigen Verzicht aus.

Selbst wenn dem Kläger die unterbliebene Lohnsteueranmeldung durch die Musikschule bekannt gewesen wäre und er deshalb gemäß § 42 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Gesamtschuldner hätte haften müssen, sei Verjährung eingetreten, da die Festsetzungsfrist bei gesamtschuldnerischer Haftung nur demjenigen gegenüber verlängert werde, der die Steuerhinterziehung selbst begangen habe (BFH-Urteil vom 7. März 1957 V z 231/56 S, BFHE 64, 616, BStBl III 1957, 231; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 169 AO, Tz. 44; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 144 a. F. Anm. 2). Die Annahme einer wegen Steuerhinterziehung verlängerten Festsetzungsfrist setze dabei Feststellungen über die Person des Hinterziehenden, über die hinterzogene Steuer und den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 370 AO 1977 voraus. Da eine Lohnsteuerhinterziehung durch den Arbeitgeber und eine Einkommensteuerhinterziehung durch den Arbeitnehmer unterschiedliche Tatbestände betreffe, könne nicht dahingestellt bleiben, ob das eine oder andere geschehen sei. Melde der Arbeitgeber im Falle der Nettolohnvereinbarung Lohnsteuer nicht an und führe er sie nicht ab, hinterziehe er Lohnsteuer, nicht aber Einkommensteuer des Arbeitnehmers. Denn diese sei in Höhe der einbehaltenen Lohnsteuer bereits erfüllt.

Letztendlich scheitere die Anwendung der zehnjährigen Festsetzungsverjährung an mangelnden Feststellungen zum subjektiven Tatbestand. Das FG habe unterstellt, entweder er, der Kläger, oder ein Verantwortlicher der Musikschule müsse vorsätzlich gehandelt haben. Diese Schlußfolgerung sei aber nicht zwingend. Denkbar wäre nämlich, daß beide Seiten irrtümlich darauf vertraut hätten, der jeweils andere werde die Honorare versteuern.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung der Vorentscheidungen die von der Kreismusikschule B in den Jahren 1973 bis 1976 bezogenen Einkünfte bei den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden außer Betracht zu lassen, hilfsweise, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Da in sämtlichen Streitjahren die Voraussetzungen des § 46 EStG vorgelegen hätten, sei der Kläger gemäß § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet gewesen. In dieser habe er sämtliche Einkünfte angeben müssen, auch soweit sie dem Steuerabzug unterlegen hätten und unabhängig davon, ob dieser vom Brutto- oder Nettolohn vorgenommen worden sei. Abgeltungswirkung wäre der Abzugssteuer nur bei einer Lohnsteuerpauschalierung zugekommen, von der auch der Kläger nicht ausgehe. § 42 d Abs. 3 Satz 2 EStG sei im Streitfall nicht einschlägig, da Gegenstand des Verfahrens Einkommensteuerbescheide und nicht Lohnsteuer-Nachforderungsbescheide wegen unzutreffenden Lohnsteuerabzugs seien. Der Erlaß geänderter Einkommensteuerbescheide habe auch nicht im Ermessen des FA gelegen, sondern sei zwingend vorgeschrieben gewesen. Da Einkommensteueränderungsbescheide unabhängig davon hätten ergehen müssen, ob eine Nettolohnvereinbarung vorgelegen habe oder nicht, sei es hierauf nicht angekommen. Deshalb habe auch auf die Vernehmung der Zeugen verzichtet werden können.

Der Kläger habe den Tatbestand des § 370 AO 1977 mit Wissen und Wollen erfüllt. Dies zeige auch seine Äußerung im Schreiben vom ..., in welchem es wörtlich heiße: "Bei der Nettoabfindung pro Unterrichtsstunde von 9,84 DM sah ich mich keineswegs veranlaßt, die vollen Nebenerwerbseinkünfte dem Finanzamt A zu deklarieren." In der eidesstattlichen Versicherung des M werde dargelegt, eine Zahlung von Steuern seitens der Schule wäre nur möglich gewesen, wenn dafür Zuschüsse von seiten des Landes oder des Kreises erbracht worden wären, die dann in Form von Steuern wieder zurückgeflossen wären. Da dieses Hin- und Herschieben von Geldern nicht als sinnvoll angesehen worden sei, habe es dabei bleiben sollen, daß die Lehrer ihre Löhne nicht versteuerten. Dieses Vorbringen könne nur so verstanden werden, daß sich alle Beteiligten darüber einig gewesen seien, den Betrieb der Musikschule an den Finanzbehörden vorbei aufrechtzuerhalten. Hinzu komme, daß der Vorsitzende des Musikschulvereins in einer Pressemitteilung 1983 betont habe, der dem Verein im Jahre 1981 vom Finanzamt B auferzwungene Arbeitgeberstatus und die damit verbundenen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten führten letztlich zur Auflösung des Vereins. Nach diesen Ausführungen könne der Verein nicht bereits in den Streitjahren davon ausgegangen sein, daß er zur Entrichtung der Steuer für den Kläger verpflichtet sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Das FG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob die vom Kläger behauptete Nettolohnvereinbarung vorgelegen hatte. Derartige Feststellungen sind aber erforderlich, weil im Falle einer Nettolohnvereinbarung die abzuführende Lohnsteuer für den Bruttolohn, der sich aus der Hochrechnung des Nettolohnes ergibt, für den Arbeitnehmer auch dann als entrichtet gilt, wenn nichts abgeführt worden ist, es sei denn, der Arbeitnehmer hat gewußt, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat (§ 42 d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG).

a) Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine Abrede zwischen den Parteien eines Dienstverhältnisses des Inhalts zu verstehen, daß der Arbeitgeber - ggf. neben der Übernahme von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung - dem Arbeitnehmer dadurch zusätzlichen Lohn zuwendet, daß er auch die im Lohnsteuerabzugsverfahren nach den Merkmalen der Lohnsteuerkarte zu erhebende Lohnsteuer trägt. Die Folge einer derartigen Vereinbarung ist, daß der Arbeitgeber mit der Auszahlung des Nettolohns aus der Sicht des Arbeitnehmers die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten hat (§ 42 d Abs. 3 Nr. 1 EStG), weshalb der Arbeitnehmer nur in Anspruch genommen werden kann, wenn er weiß, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat und diesen Sachverhalt dem FA nicht unverzüglich mitteilt (§ 42 d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Bei der Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers führt die Nettolohnvereinbarung einerseits dazu, daß bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben dem Nettolohn diejenigen Vorteile zu erfassen sind, die in der Übernahme von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber liegen (BFH-Urteile vom 26. Februar 1982 VI R 123/78, BFHE 135, 211, BStBl II 1982, 403, und vom 22. Juni 1990 VI R 162/86, BFH/NV 1991, 156). Deshalb hat der Arbeitnehmer in seiner Steuererklärung nicht lediglich den Nettolohn, sondern den durch Hochrechnung ermittelten Bruttolohn zu deklarieren, dessen Höhe der Arbeitnehmer den Eintragungen des Arbeitgebers in der Lohnsteuerkarte entnehmen kann. Andererseits gilt die aus der Sicht des Arbeitnehmers vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer auch dann als entrichtet, wenn der Arbeitgeber sie nicht abgeführt haben sollte (BFH-Urteile vom 8. November 1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl II 1986, 185; vom 13. November 1987 VI R 4/84, BFH/NV 1988, 566, und vom 16. März 1990 VI R 90/86, BFHE 160, 213, BStBl II 1990, 610). Wegen der Außergewöhnlichkeit einer Nettolohnvereinbarung und ihrer Folgen wird sowohl arbeitsrechtlich (Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 18. Januar 1974 - 3 AZR 183/73, Der Betrieb - DB - 1974, 778) als auch steuerrechtlich (BFH-Urteile vom 12. Dezember 1979 VI R 118/76, BFHE 129, 377, BStBl II 1980, 257, und vom 14. März 1986 VI R 30/82, BFHE 147, 91, BStBl II 1986, 886) verlangt, daß ihr Abschluß klar und einwandfrei feststellbar ist.

b) Der bisherige Sachvortrag des Klägers gibt Anlaß darauf hinzuweisen, daß der Nachweis einer Nettolohnvereinbarung nur erbracht ist, wenn zur Überzeugung des Gerichts feststeht, daß die Beteiligten des Dienstverhältnisses vor Beginn des Lohnsteuerabzugs Vereinbarungen darüber getroffen haben, daß der Arbeitgeber zusätzlich die Lohnsteuerabzugsbeträge und ggf. Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitnehmers tragen soll. Denn nur dann kann der Arbeitnehmer davon ausgehen, daß der Arbeitgeber mit Ausbezahlung des Nettolohns die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten hat. Absprachen mit Dritten oder von diesen dem Arbeitgeber gegenüber geäußerte Rechtsauffassungen begründen eine Nettolohnvereinbarung nicht. Da die steuerrechtliche Nettolohnvereinbarung einen Sonderfall des Lohnsteuerregelabzuges darstellt, ist Voraussetzung für die aus § 42 d Abs. 3 Satz 4 EStG abgeleitete Tilgungsannahme, daß der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vor Durchführung des Lohnsteuerabzugs eine - ggf. weitere (vgl. § 38 b Nr. 6 EStG) - Lohnsteuerkarte ausgehändigt hat. Denn auch insofern darf der Arbeitnehmer nur dann von einem vorschriftsmäßigen Lohnsteuereinbehalt ausgehen, wenn dem Arbeitgeber die für den Lohnsteuerregelabzug erforderliche Lohnsteuerkarte vorliegt.

2. Sollte eine Nettolohnvereinbarung nicht getroffen worden sein, ist dem FG zwar beizupflichten, daß die Eigenschaft einer Steuer, hinterzogen zu sein, dieser Steuer anhaftet; deshalb kommt es nicht darauf an, wer die Steuer hinterzogen oder verkürzt hat, sondern nur darauf, daß sie hinterzogen oder verkürzt ist (BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1986 I B 1/86, BFHE 148, 222, BStBl II 1988, 211). Indessen sind für die Annahme einer Steuerhinterziehung durch die Musikschule auch Feststellungen darüber erforderlich, daß diese zum Lohnsteuerabzug verpflichtet war und dieser Verpflichtung vorsätzlich nicht nachgekommen ist. Was eine Steuerhinterziehung durch den Kläger selbst durch unterbliebene Deklarierung in der Steuererklärung betrifft, genügt die Feststellung, daß als steuerpflichtig erkannte Einnahmen bewußt in der Steuererklärung verschwiegen worden sind. Der Kläger muß nämlich das Unrechtmäßige seiner Tat nicht in rechtstechnischer Beurteilung erkennen. Es genügt, wenn dies in einer seiner Gedankenwelt entsprechenden allgemeinen Bewertung geschieht (BFH-Beschluß vom 18. Dezember 1986 I B 49/86, BFHE 148, 218, BStBl II 1988, 213).