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  BFH-Urteil vom 27.2.1992 (IV R 129/90) BStBl. 1992 II S. 841

Stützt das FG seine Feststellungen auf den Inhalt der Betriebsprüfer-Handakte, deren Vorliegen dem Kläger nicht mitgeteilt worden ist, und in der er auch keine Ermittlungen des Betriebsprüfers zu der den Rechtsstreit betreffenden Frage vermuten muß, so liegt hierin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

FGO § 119 Nr. 3.

Vorinstanz: FG Hamburg

Sachverhalt

Am 15. Juni 1981 schloß der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Käufer mit der Beigeladenen als Verkäuferin einen notariell beurkundeten "Vertrag über die Übertragung einer Zahnarztpraxis". Nach § 6 des Vertrages betrug das Entgelt "für die Übernahme der Praxis und die gesamte Praxiseinrichtung" 300.000 DM.

Ebenfalls am 15. Juni 1981 schlossen die Beigeladene und ihr Ehemann als Verkäufer und die klagenden Eheleute als Käufer einen Kaufvertrag über das Grundstück, das mit einem Wohnhaus (damals Einfamilienhaus - jetzt Zweifamilienhaus) bebaut war, das auch die Praxisräume umfaßte. Als Kaufpreis für das im Jahre 1978 erbaute Haus wurde ein Festpreis von 1.289.500 DM vereinbart.

Im Jahre 1985 fand beim Kläger für die Streitjahre eine Betriebsprüfung statt, die nur zu kleineren, hier nicht streitigen Änderungen führte. Gegen die daraufhin ergangenen Einkommensteueränderungsbescheide legten die Kläger Einspruch ein und beantragten erstmals die Berücksichtigung eines immateriellen Praxiswertes in Höhe von 350.000 DM. Sie machten geltend, in dieser Höhe sei der Kaufpreis für das Grundstück überhöht gewesen und habe demnach den geltend gemachten Praxiswert enthalten.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG wies die Klage, nachdem es die Verkäuferin beigeladen und als Beteiligte vernommen hatte, als unbegründet ab. Die Entscheidung erging im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung. Zur Begründung führte das FG aus:

Nach dem Wortlaut der Verträge sei überhaupt kein Entgelt für einen Praxiswert gezahlt worden. Der Wortlaut entspreche somit den Bekundungen des Klägers, er habe sich bei den Vertragsverhandlungen keine Gedanken über die Zahlung eines Entgeltes für einen Praxiswert gemacht. Auch die Beigeladene sei nach ihren Bekundungen nicht von der Veräußerung eines Praxiswertes ausgegangen.

Im Streitfall könne jedoch aus dem für die Praxis gezahlten Preis ein entgeltlich erworbener Praxiswert ermittelt werden. Der Betriebsprüfer habe festgestellt, daß der für die Übertragung der Zahnarztpraxis gezahlte Kaufpreis in Höhe von 300.000 DM bereits mit rd. 95.000 DM über den Anschaffungskosten (rd. 205.000 DM) des in den Vorjahren von der Beigeladenen erworbenen Praxisinventars gelegen habe. Selbst wenn man davon ausgehe, daß die Teilwerte der einzelnen Wirtschaftsgüter über ihren Buchwerten gelegen haben sollten, bleibe noch eine beträchtliche Differenz zur Höhe des Kaufpreises, die als für den Praxiswert entrichtet anzusehen sei.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Kläger, die auf Verfahrensmängel und Verletzung materiellen Rechts gestützt wird.

Entscheidungsgründe

Die Verfahrensrüge der Kläger ist begründet. Das FG hat ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, indem es den Inhalt der Prüfer-Handakte verwertet hat, ohne daß sich die Kläger hierzu äußern konnten.

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 10. Januar 1968 I R 47/66 (BFHE 91, 338, BStBl II 1968, 349) verlangt das Gebot des rechtlichen Gehörs allerdings nicht, daß das FG dem Steuerpflichtigen mitteilt, welche Steuerakten ihm vorliegen und welche Teile aus diesen Akten es voraussichtlich verwerten wird. Zur Begründung hat der BFH ausgeführt, der Steuerpflichtige habe vor dem FG das Recht zur Akteneinsicht (§ 78 FGO). Damit sei ihm die Möglichkeit gegeben, die Steuerakten daraufhin zu untersuchen, ob das FG für den Streitfall wesentliche Feststellungen getroffen habe (ebenso BFH-Urteil vom 18. April 1975 III R 159/72, BFHE 115, 527, BStBl II 1975, 741; kritisch: Gräber, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1969, 486; Mittelbach, Rechts- und Wirtschaftspraxis - RWP -, Finanzgerichtsordnung, Einzelfragen, Rechtliches Gehör, S. 397 f.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 71 FGO Tz. 3: soweit es sich um Akten eines nicht beteiligten Steuerbezirks handelt).

Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Prüfer-Handakten (Arbeitsbogen) stehen offensichtlich einige Finanzbehörden auf dem Standpunkt, daß sie nicht zu den nach § 71 FGO vorlagepflichtigen Steuerakten gehörten (vgl. Beschluß des FG Münster vom 16. September 1988 IV 3452/86 E, EW, G, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 28). Wäre diese Auffassung richtig, könnte die Vorlagepflicht allenfalls aus § 86 Abs. 1 FGO hergeleitet werden (Hendricks, Die steuerliche Betriebsprüfung - StBp -, 1985, 66 ff.; a. A.: Kalmes, StBp 1986, 40). Das hätte zur Folge, daß die Beteiligten von der Übersendung der Akte zu unterrichten wären (vgl. BFH-Urteil vom 20. Dezember 1967 III 343/63, BFHE 90, 519, BStBl II 1968, 208).

Die Frage bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Unabhängig davon, ob die Arbeitsbogen zu den Steuerakten i. S. des § 71 Abs. 2 FGO gehören, durfte das FG angesichts der Umstände des Streitfalls ihren Inhalt nicht verwenden, ohne den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den Feststellungen des Betriebsprüfers zu äußern. Die Klageerwiderung des FA enthält den Zusatz, daß als Anlagen die Einkommensteuerakte mit Einspruchsentscheidung und der Betriebsprüfungsbericht beigefügt waren. Die Betriebsprüfer-Handakte wurde dem FG erst etwa eineinhalb Jahre nach Klageeingang vorgelegt. Aus dem Begleitschreiben geht hervor, daß offenbar an Stelle der Handakte eigentlich die "Betriebsprüfungsakte" (die lediglich die Prüfungsanordnung, den Betriebsprüfungsbericht und möglicherweise den an die Prüfung anschließenden Schriftverkehr enthält) hatte übersandt werden sollen. Auf dem Schreiben des FA ist das Wort "Bp-Akten" durchgestrichen. Daneben findet sich der offenbar vom FG angebrachte Hinweis: "falsch, richtig: eine Bp-Arbeitsakte". Der Inhalt dieses Begleitschreibens ist den Klägern nicht zugänglich gemacht worden.

Die Kläger weisen zu Recht darauf hin, daß sie keinen Anlaß hatten, Ermittlungen, wie sie das FG der Prüfer-Handakte entnommen hat, in den Steuerakten zu vermuten. Im Zeitpunkt der Außenprüfung bestand über eine evtl. Aufteilung des für das Grundstück gezahlten Kaufpreises auf Grundstück und Praxiswert noch kein Streit. Der Betriebsprüfungsbericht erwähnt diese Frage demgemäß nicht. Angesichts dieser Besonderheit kann den Klägern nicht entgegengehalten werden, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei deshalb nicht verletzt, weil sie im Wege der Akteneinsicht von den Ermittlungen des Betriebsprüfers hätten Kenntnis nehmen können.

Da eine mündliche Verhandlung nicht stattfand, hatten die Kläger auch keine Gelegenheit, beim Vortrag des Sach- und Streitstandes von dem vom Gericht für maßgeblich gehaltenen Inhalt der Prüfer-Handakte Kenntnis zu nehmen.

Die Kläger haben auch - gemessen an ihren Möglichkeiten - ausreichend substantiiert dargelegt, wozu sie sich nicht haben äußern können und was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätten (vgl. zu diesem Erfordernis BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Zwar beruhen die Einwendungen, die sie gegen die Ermittlungen des Betriebsprüfers erheben, lediglich auf Mutmaßungen. Da ihnen aber - wie sie unwidersprochen vortragen - nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils die Einsichtnahme in die Prüfer-Handakte vom FA verwehrt wurde, kann ein noch mehr substantiierter Vortrag von ihnen nicht verlangt werden.