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  BFH-Urteil vom 14.5.1992 (V R 56/89) BStBl. 1992 II S. 859

Erwarb ein Ehegatte ein Kfz und vermietete er es seinem zum Vorsteuerabzug berechtigten Ehegatten für dessen Unternehmen, so war diese Gestaltung nicht deswegen unangemessen i. S. des § 42 AO 1977, weil der "vorgeschaltete" Ehegatte den Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 a. F. in Anspruch nehmen konnte (Bestätigung der Entscheidung in BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100).

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1, § 19 Abs. 3 a. F.

Vorinstanz: FG München (EFG 1989, 483)

Sachverhalt

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb am 27. November 1984 einen neuen PKW zum Kaufpreis von 32.155,80 DM einschließlich Umsatzsteuer. Mit schriftlichem Vertrag vom 1. Dezember 1984 vermietete sie den PKW von diesem Tag an auf unbestimmte Zeit an ihren Ehemann, einen zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmer, zu einem monatlichen Mietzins von 750 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Der Ehemann verpflichtete sich darüber hinaus, die Kosten der Kfz-Versicherung und der Kfz-Steuer zu ersetzen sowie die Kosten für die übliche Wartung und Pflege des Fahrzeugs zu übernehmen und notwendige Reparaturen auf seine Kosten durchführen zu lassen. Er entrichtete die Miete vertragsgemäß.

Mit der erstmals für November 1984 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldung machte die Klägerin den gesondert ausgewiesenen Vorsteuerbetrag in Höhe von 3.948,88 DM geltend. Sie übte 1984 und 1985 außer der Vermietung des PKW keine weiteren geschäftlichen Tätigkeiten aus.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte mit Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für November 1984 vom 26. April 1985 Umsatzsteuer in Höhe von 0 DM fest.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin weiterhin den Vorsteuerabzug geltend. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus: Sie sei Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Nur ihr, nicht aber ihrem Ehemann hätten beim Kauf des PKW ein Rabatt von 10 v. H. und darüber hinaus ein Skonto von 3 v. H. zugestanden. Ihr verbleibe bei einer angenommenen Vermietung für die Dauer von vier Jahren unter Berücksichtigung des voraussichtlichen Restwerts des PKW ein Gewinn in Höhe von 21.931 DM. Zur Finanzierung des PKW habe sie von ihrem Ehemann ein zinsloses Darlehen erhalten, dessen Tilgung in vier Jahresraten vereinbart worden sei.

Während des Klageverfahrens erließ das FA am 14. März 1986 einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 1984, in dem es die Umsatzsteuer auf 0 DM festsetzte. Über den hiergegen gerichteten Einspruch ist noch nicht entschieden.

Die Klägerin beantragte im finanzgerichtlichen Verfahren die Berücksichtigung des geltend gemachten Vorsteuerabzugs.

Das FA beantragte, die Klage abzuweisen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1989, 483 veröffentlichten Urteil vom 16. Februar 1989 als unbegründet ab. Es legte den Klageantrag dahin aus, daß die Klägerin die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids für November 1984 vom 26. April 1985 begehre. Das Mietverhältnis sei, so führte das FG zur Sache aus, klar vereinbart und der Vereinbarung entsprechend tatsächlich durchgeführt worden. Die Leistungsbeziehungen hielten indes einem Fremdvergleich nicht stand. Der Vertrag vom 1. Dezember 1984 sei nicht in einer im Geschäftsleben üblichen Weise ausgestaltet.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977). Sie meint: Auf einen Fremdvergleich komme es im Umsatzsteuerrecht nicht an. Ein Gestaltungsmißbrauch liege nicht vor. Es sei nicht Ziel der Vereinbarung gewesen, den Steuerabzugsbetrag nach § 19 Abs. 3 UStG 1980 a. F. zu erlangen. Während des Revisionsverfahrens beantragte sie, den Umsatzsteuerbescheid für 1984 vom 14. März 1986 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Sie beantragt weiter, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids vom 14. März 1986 die Umsatzsteuer für 1984 auf ./. 3.843,90 DM festzusetzen, hilfsweise, die Rechtswidrigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids vom 26. April 1985 für November 1984 festzustellen und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2, § 127 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Umsatzsteuerjahresbescheid vom 30. November 1990 für 1984. Die Auslegung der von der Klägerin im finanzgerichtlichen Verfahren nach Ergehen dieses Bescheids abgegebenen Erklärung ergibt, daß sie bereits damals diesen Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens machte (§ 68 FGO). Der Senat ist zur Auslegung der Erklärung befugt. Das Revisionsgericht ist bei der Beurteilung von Prozeßerklärungen nicht an die Auffassung der Tatsacheninstanz gebunden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1984 I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5).

Der Erklärung ist zu entnehmen, daß die Klägerin Rechtsschutz auf dem dafür vorgesehenen Weg erstrebte. Sie konnte damals nicht wissen, daß der Senat im Urteil vom 21. Februar 1991 V R 130/86 (BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465) entscheiden würde, der Kläger könne im finanzgerichtlichen Verfahren gegen einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid den Umsatzsteuerjahresbescheid nach dessen Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens machen. Wäre diese Rechtslage seinerzeit bereits bekanntgewesen, hätte die Klägerin den Antrag nach § 68 FGO gestellt. Diese Auslegung durch den Senat entspricht dem Willen der Klägerin, der ihrer damaligen Erklärung zu entnehmen ist (vgl. zur Auslegung von Prozeßerklärungen BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 II R 196/85, BFHE 157, 217, BStBl II 1989, 822, unter 2.).

Die Anfechtung des Jahresbescheids mit dem Einspruch steht dem Antrag nach § 68 FGO nicht entgegen (BFH-Urteil vom 13. Februar 1990 IX R 334/87, BFHE 160, 295, BStBl II 1990, 694).

2. Der Klägerin steht der begehrte Vorsteuerabzug zu. Sie erfüllt die hierfür nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 bestehenden Voraussetzungen. Nach dieser Vorschrift kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.

a) Die Klägerin betätigte sich durch die auf unbestimmte Zeit vereinbarte und längerfristig angelegte Vermietung des PKW gegen Entgelt an ihren Ehemann als Unternehmerin i. S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980. Der Unternehmereigenschaft steht nicht entgegen, daß die Klägerin nur diesen Vermietungsumsatz ausführte (Senatsurteile vom 13. Juli 1989 V R 8/86, BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100; vom 7. November 1991 V R 116/86, BFHE 166, 195, BStBl II 1992, 269). Die Lieferung des PKW an sie erfolgte "für ihr Unternehmen", nämlich für die unternehmerische Vermietung an ihren Ehemann.

b) Dem Vorsteuerabzug stand nicht § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980 entgegen; denn die Klägerin hat auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 UStG 1980 verzichtet (§ 19 Abs. 2 Satz 1 UStG 1980).

c) Die umsatzsteuerrechtliche Berücksichtigung des Mietverhältnisses kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die tatsächlich durchgeführte Vereinbarung entspreche nicht dem unter Fremden Üblichen.

Im Verhältnis zwischen nahen Angehörigen ist bei der Prüfung des Steuertatbestandes nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 ein Leistungsaustausch nicht bereits dann zu verneinen, wenn die Vereinbarungen über Leistung und Gegenleistung nicht dem entsprechen, was unter Fremden üblich ist. Gegenstand des umsatzsteuerrechtlichen Leistungsaustausches ist, was der Leistende tatsächlich erbracht hat. Die Prüfung, ob die Vereinbarung und ihre Durchführung dem entsprechen, was unter Fremden üblich ist, kann nur für die Beurteilung Bedeutung erlangen, ob der Leistende ernsthaft damit gerechnet hat, ein Entgelt für seine Leistung zu erhalten (vgl. im einzelnen Senatsurteil vom 22. Juni 1989 V R 37/84, BFHE 158, 144, BStBl II 1989, 913). Daß die Klägerin mit der Zahlung des Mietentgelts gerechnet hat, ist nach den Feststellungen des FG nicht zweifelhaft. Ihr Ehemann hat die Miete auch vertragsgemäß entrichtet.

d) Dem Vorsteuerabzug durch die Klägerin steht auch § 42 AO 1977 nicht entgegen.

aa) Nach § 42 AO 1977 kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 19. Juni 1991 IX R 134/86, BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904; vom 21. November 1991 V R 20/87, BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

Bei der rechtlichen Gestaltung wirtschaftlicher Vorgänge ist der Steuerpflichtige im Rahmen der Gesetze frei. Auch aus steuerrechtlicher Sicht ist grundsätzlich von der gewählten (bürgerlich-)rechtlichen Gestaltung auszugehen. Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen (ständige Rechtsprechung; Beschluß des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, m. w. N.). Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander so zu gestalten, daß sie für sie steuerlich möglichst günstig sind (BFH-Urteile vom 18. Dezember 1990 VIII R 290/82, BFHE 163, 423, BStBl II 1991, 391; in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, m. w. N.).

Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 29. Oktober 1985 IX R 107/82, BFHE 145, 351, BStBl II 1986, 217, unter II 2 a; in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, m. w. N.). Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, die vom Gesetzgeber bei seiner Regelung vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht und hierfür keine beachtlichen außersteuerrechtlichen Gründe vorliegen, ob er vielmehr auf einem ungewöhnlichen Weg einen Erfolg zu erreichen versucht, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Weg nicht erreichbar sein soll. Der Mißbrauch kann auch darin bestehen, daß der Steuerpflichtige einen anderen zu einer derartigen unangemessenen Gestaltung veranlaßt und hieraus einen ungerechtfertigten Steuervorteil zieht (Senatsurteile vom 6. Juni 1991 V R 70/89, BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541). Maßgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalls (Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541). Diese Grundsätze gelten auch, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestandes einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (Senatsurteile in BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; in BFHE 166, 506, BStBl II 1992, 446; BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).

bb) Der V. Senat hat die von Eheleuten gewählte "Konstruktion", die in der "Vorschaltung" eines (Ehegatten-)Unternehmers besteht, der sich die ihm fehlenden Mittel für die Anschaffung des Unternehmensgegenstandes (PKW) von dritter Seite (mittels Überziehungskredites) beschaffte, im Urteil vom 13. Juli 1989 V R 8/86 (BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100) im Hinblick auf § 19 Abs. 3 UStG 1980 nicht als rechtsmißbräuchlich beurteilt. Er hält die im nun vorliegenden Fall gewählte Konstruktion allerdings für besonders gekünstelt, weil der Ehemann der Ehefrau zinslos, aber nur darlehensweise die Mittel überließ, die sie zum Erwerb des PKW benötigte, den sie sodann an ihn vermietete. Wer den vorgeschalteten Ankauf durch einen nahen Angehörigen personell, wirtschaftlich und/oder finanziell organisiert (vgl. hierzu auch BFH-Urteil vom 17. Januar 1991 IV R 132/85, BFHE 163, 449, BStBl II 1991, 607), hat es auch in der Hand, auf seine dem nahen Angehörigen überlassenen Mittel zurückzugreifen und damit die gewählte Gestaltung zu revidieren. Er hat die vorgeschaltete Person nicht ernstlich, sondern nur als von ihm geleitete Figur eingeschaltet.

Gleichwohl hält der Senat auch für die vorliegende Gestaltungsvariante im Ergebnis an der in BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100 vertretenen Rechtsauffassung fest. Hierbei berücksichtigt der Senat, daß sich die Praxis bei der Bearbeitung von Rechtsbehelfen im allgemeinen auf das Urteil in BFHE 158, 166, BStBl II 1990, 100 eingestellt hat (vgl. zum Gedanken der Stetigkeit der Rechtsprechung Beschluß des Großen Senats des BFH vom 27. November 1989 GrS 1/88, BFHE 158, 563, BStBl II 1990, 160, unter C III. 4), und daß die Regelung des § 19 Abs. 3 UStG 1980 a. F. mit Wirkung vom 1. Januar 1990 ersatzlos weggefallen ist.

Bei diesem Ergebnis kommt es nicht darauf an, daß - wie die Klägerin im Klageverfahren behauptet hat - ihr beim Erwerb des PKW ein Rabatt und Skonto gewährt worden sind, die ihr Ehemann angeblich nicht ebenso erhalten hätte.

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat Feststellungen zur Bemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 1 UStG 1980) für die Umsatzsteuer 1984 (Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer, evtl. Nutzungsvorteil durch zinslose Überlassung des Darlehens) nachzuholen.

Keine Anhaltspunkte bestehen, daß das Entgelt die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 i. V. m. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980 nicht erreichen könnte.