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  BFH-Urteil vom 17.3.1992 (IX R 55/90) BStBl. 1993 II S. 17

An das FA aufgrund einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 a Abs. 4 UStG zurückgezahlte Vorsteuerbeträge sind auch dann nach § 9 b Abs. 2 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, wenn der Vorsteuerabzug infolge der Veräußerung des Grundstücks berichtigt worden ist.

EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 9 b; UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 15 a Abs. 4.

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG

Sachverhalt

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) vermietete eine in den Jahren 1982/83 errichtete Eigentumswohnung am 1. Mai 1983 an einen gewerblichen Zwischenmieter. Er verzichtete gemäß § 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 auf die Umsatzsteuerfreiheit für Vermietungsumsätze nach § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 und machte die ihm anläßlich der Errichtung der Eigentumswohnung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 abziehbare Vorsteuerbeträge geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte das Zwischenmietverhältnis umsatzsteuerrechtlich an und erstattete dem Kläger in den Jahren 1982 und 1983 Überschüsse an abziehbaren Vorsteuerbeträgen. Diese behandelte der Kläger als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung.

Im Streitjahr 1985 verkaufte der Kläger die Eigentumswohnung. Das FA berichtigte daraufhin den Vorsteuerabzug nach § 15 a Abs. 4 UStG 1980. Die danach zuviel erstatteten Vorsteuerbeträge zahlte der Kläger an das FA zurück. Bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer für das Streitjahr machte der Kläger diese Vorsteuerbeträge vergeblich als Werbungskosten geltend.

Das Finanzgericht (FG) gab seiner Klage statt. Der Kläger sei zum Werbungskostenabzug aufgrund des klaren Wortlauts des § 9 b Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berechtigt.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und des § 9 b EStG. Die zurückgezahlten Vorsteuerbeträge ständen in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der nichtsteuerbaren Veräußerung der Eigentumswohnung.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er vertritt die Auffassung: Die nach § 15 a UStG an das FA zurückgezahlten Vorsteuerbeträge seien dem Grunde nach als nachträgliche Herstellungskosten zu qualifizieren. § 9 b EStG regele ihre ertragsteuerliche Behandlung in der Weise, daß diese Aufwendungen im Rahmen der Einkunftsermittlung wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu behandeln seien. Hierfür sei Voraussetzung, daß sie in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer Einkunftsart ständen. Dieser Zusammenhang bestehe nicht, wenn die umsatzsteuerliche Berichtigung auf einer Veräußerung eines Wirtschaftsgutes des Privatvermögens beruhe; denn hierbei handele es sich grundsätzlich um einen nichtsteuerbaren Vorgang. Eine Berücksichtigung der Minderbeträge i. S. von § 9 b Abs. 2 EStG als Werbungskosten sei folglich nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist unbegründet.

Das FG hat die vom Kläger aufgrund von § 15 a Abs. 4 UStG 1980 zurückgezahlten Vorsteuerbeträge ohne Rechtsverstoß als Werbungskosten nach § 9 b Abs. 2 EStG zum Abzug zugelassen.

1. Gemäß § 9 b Abs. 1 Satz 1 EStG gehört der Vorsteuerbetrag nach § 15 UStG 1980, soweit er bei der Umsatzsteuer abgezogen werden kann, nicht zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts, auf dessen Anschaffung oder Herstellung er entfällt. Demnach scheidet - bezogen auf den Streitfall - die bei der Errichtung eines Gebäudes in Rechnung gestellte Umsatzsteuer aus den Herstellungskosten aus und wird zu Werbungskosten, sofern die Umsatzsteuer zu nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 abziehbaren Vorsteuerbeträgen durch einen wirksamen Verzicht des Steuerpflichtigen auf die Umsatzsteuerbefreiung seiner Vermietungsumsätze nach § 9 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 geworden ist (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. Juni 1982 VIII R 6/79, BFHE 136, 238, BStBl II 1982, 755; vom 13. November 1986 IV R 211/83, BFHE 148, 306, BStBl II 1987, 374).

Soweit demnach § 9 b Abs. 1 Satz 1 EStG anwendbar ist, gilt der Grundsatz nicht, daß die vom Steuerpflichtigen gezahlte Umsatzsteuer zu den Herstellungskosten des Gebäudes gehört; statt dessen wandelt sich die Umsatzsteuer aufgrund einer wirksamen Option nach § 9 UStG 1980 in sofort abziehbare Werbungskosten um, die bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar sind. Dementsprechend minderten vom FA dem Kläger aufgrund von § 15 UStG 1980 erstattete Vorsteuerbeträge nicht die Herstellungskosten, sondern zählten zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung. Insgesamt betrachtet wirkten sich abziehbare Vorsteuerbeträge ähnlich wie durchlaufende Posten erfolgsneutral aus.

2. Wird der Vorsteuerabzug später nach § 15 a UStG 1980 berichtigt, so sind nach § 9 b Abs. 2 EStG Mehrbeträge als Betriebseinnahmen oder Einnahmen und Minderbeträge als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu behandeln; die Herstellungskosten bleiben unberührt. Zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs kann es etwa dadurch kommen, daß der Steuerpflichtige seine Option nach § 9 UStG 1980 widerruft (§ 15 a Abs. 1 UStG 1980), um künftig umsatzsteuerfrei zu vermieten, oder daß er das Gebäude veräußert (§ 15 a Abs. 4 UStG 1980), wie es der Kläger getan hat.

Die überwiegende Meinung legt § 9 b Abs. 2 EStG einschränkend dahin aus, daß nach § 15 a Abs. 4 UStG 1980 zurückgezahlte Vorsteuerbeträge Veräußerungskosten darstellen und damit nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogen werden können (Niedersächsisches FG, Urteil vom 17. Juli 1985 X 445/84, Betriebs-Berater 1986, 1139; Hessisches FG, Urteil vom 20. Oktober 1989 4 K 670/88, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1990, 168; FG München, Urteil vom 22. Januar 1991 13 K 3081/88, EFG 1991, 606; Abschn. 86 Abs. 6 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 1990; Bernd Meyer, Deutsche Steuer-Zeitung 1985, 195; Stuhrmann, Finanz-Rundschau - FR - 1984, 171; a. A. Kurth, FR 1984, 362; Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 9 EStG Anm. 750 "Umsatzsteuer"; Schwarz in Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 9 b Anm. 42 b; Schüppen, Deutsches Steuerrecht 1991, 833). Der erkennende Senat schließt sich dem nicht an. Er hält eine solche einschränkende Auslegung - ebenso wie die Vorinstanz - für unvereinbar mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck von § 9 b Abs. 2 EStG.

Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesvorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Der Feststellung des zum Ausdruck gekommenen objektivierten Willens des Gesetzgebers dienen die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte - historische Auslegung - (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, 130; BFH-Urteil vom 5. Mai 1982 VII R 96/78, BFHE 136, 319).

Es liegt im Rahmen des möglichen Wortsinns des § 9 b Abs. 2 EStG, daß Vorsteuerbeträge, die ein Steuerpflichtiger nach einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs an das FA zurückzahlt, selbst dann als Werbungskosten abziehbar sind, wenn diese Aufwendungen der Vermögenssphäre zuzuordnen sind, und zwar - bezogen auf den Streitfall - deshalb, weil sie durch die Veräußerung des Gebäudes ausgelöst worden sind und deswegen nicht zu den Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG gerechnet werden können (vgl. BFH-Urteil vom 20. Februar 1990 IX R 13/87, BFHE 160, 440, BStBl II 1990, 775). In § 9 b Abs. 2 EStG wird insoweit nicht auf § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG Bezug genommen.

Die am Wortlaut von § 9 b Abs. 2 EStG orientierte Auslegung wird von dem Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift getragen. Der Gesetzgeber hat § 9 b Abs. 2 EStG ausdrücklich als Vereinfachungsregelung konzipiert (vgl. die Amtliche Begründung BTDrucks V/2185, S. 7). Um eine nachträgliche Korrektur von Bilanzansätzen und von bestandskräftigen Bescheiden zur Berücksichtigung einer nachträglichen Erhöhung oder Verminderung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu vermeiden, hat der Gesetzgeber aus Vereinfachungsgründen uneingeschränkt zugelassen, eine spätere Berichtigung des Vorsteuerabzugs erfolgswirksam zu behandeln. Dabei hat er keinen Unterschied zwischen der betrieblichen Gewinnermittlung einerseits und der Ermittlung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Wege der Überschußrechnung andererseits gemacht. Der Gesetzgeber hat zudem gemäß § 9 b Abs. 1 Satz 2 EStG - wenn auch in bestimmtem Umfang - nichtabziehbare Vorsteuerbeträge nicht den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Wirtschaftsguts zugerechnet; er hat auch damit verdeutlicht, daß er Gründen der Vereinfachung im Rahmen des § 9 b EStG einen besonderen Stellenwert einräumt. Demnach ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber Abweichungen von der Regelung des Werbungskostenabzugs nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bewußt in Kauf genommen hat.

Der erkennende Senat verkennt nicht, daß ein Steuerpflichtiger aufgrund der vorstehenden Auslegung des § 9 b Abs. 2 EStG in den Genuß eines zusätzlichen Werbungskostenabzugs gelangt, wenn er nach § 15 a Abs. 4 UStG zurückgezahlte Vorsteuerbeträge als Werbungskosten geltend machen kann, obwohl er sein Gebäude inzwischen nichteinkommensteuerbar veräußert hat. Denn die bei der Errichtung des Gebäudes angefallenen abziehbaren Vorsteuerbeträge sind bereits dadurch erfolgsneutral behandelt worden, daß nach § 9 b Abs. 1 Satz 1 EStG Zahlungen an die Bauhandwerker als Werbungskosten abgezogen und Erstattungen des FA als Einnahmen angesetzt worden sind. Der zusätzliche Abzug wird indes dadurch jedenfalls teilweise ausgeglichen, daß die Anschaffungs- oder Herstellungskosten und damit die Grundlage für die Absetzungen für Abnutzung entsprechend gemindert bleiben.